Bis jetzt (Stand 4. September) gab es in Estland 2.456 positiv getestete Corona-Fälle und 64 Corona-Tote. Bei einer Bevölkerungszahl von 1,3 Millionen Menschen ist die Ansteckungsrate im europäischen Vergleich relativ niedrig und die proportionale Anzahl der Todesfälle von 4,83 per 100.000 Einwohner ebenso. Allerdings steigt die Anzahl der Ansteckungen in den letzten Wochen ständig und betrifft nun vor allem jüngere Menschen, die sich in Nachtclubs oder auf Festen angesteckt haben. Die Auswirkungen des Schulbeginns, der am 1. September war, werden in einigen Wochen messbar sein.
Zuletzt drohte die sogenannte baltische Blase zu platzen, weil Estland und Litauen den gemeinsam festgelegten Grenzwert von 16 Erkrankungen pro 100.000 Einwohnern überschritten hatten, so dass Lettland mit unter 5 Erkrankungen pro 100.000 eine Quarantäne für Reisende aus beiden Ländern einführen wollte. Nur durch einen Rundungstrick konnte das für Estland vorerst gerade noch abgewendet werden. Mehr als um Einreisemöglichkeiten nach Lettland bangen die Menschen in Estland aber um die finnische Grenze. Gerade der Berufsverkehr aus und nach Finnland sowie finnische Touristen sind von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Es bleibt abzuwarten, wie sich Finnland entscheidet.
Die Corona-Maßnahmen der Regierung waren bisher eher uneinheitlich. Es wurde nie eine Maskenpflicht eingeführt, auch nicht in Innenräumen oder öffentlichen Verkehrsmitteln, und im Straßenbild kann man nicht sehen, dass es überhaupt eine Pandemie gibt. Die von den Rechtsradikalen dominierte Regierung hat stattdessen auf Maßnahmen gesetzt, die Corona als "Krankheit der Fremden" darstellt: Grenzschließungen, Patrouillen und außerdem das Aussetzen fast aller Flugverbindungen. Einer zunächst verhängten strikten Einreisesperre für ausländische Erntehelfer stimmte die Ekre nur zu, weil im Gegenzug die Einwanderungsbedingungen für Studierende und Fachkräfte aus Drittstaaten dauerhaft verschärft wurden. So ist es etwa für Programmierer oder Ingenieure aus der Ukraine und Belarus wesentlich schwerer geworden, in Estland zu arbeiten, was unter anderem der IT-Branche Probleme bereitet.
Die wirtschaftlichen Verluste in den Sommermonaten waren kleiner als befürchtet, allerdings sind viele Hilfsmaßnahmen aus der Arbeitslosenkasse nun beendet und die kleine Atempause besonders für die Tourismusbranche ist vorbei. Das größte Fährunternehmen des Landes Tallink plant die Kündigung von tausenden Mitarbeitern, was auch die Zulieferer in Estland hart treffen wird. Die Regierung hält eine weitere Förderung für die Tourismusbranche nicht für möglich und sinnvoll. Esheißt also: anschnallen für einen harten Winter.