Ihr Dokumentarfilm heißt "Mädchenseele" – wie kam es zu diesem Titel?
Mädchenseele ist ein Wort, das Mutter und Tochter selber benutzen. Gerade früher, als Nori klein war, haben sie diesen Begriff viel verwendet. Noris Outing begann ja bereits im Alter von nur zwei Jahren. Josephin hat dabei immer versucht, alltägliche Herausforderungen, mit denen Nori als Trans*mädchen konfrontiert ist, kindgerecht aufzuarbeiten. Es war ihr wichtig, Nori bei Fragen wie "Was passiert da gerade? Warum fühle ich mich so? Und wie erkläre ich das anderen?" zu unterstützen. Und da sind die Beiden sehr schnell auf den Satz gekommen: „Ich habe einen Jungenkörper, aber eine Mädchenseele“. Ich fand das eine sehr poetische Umschreibung, die feinfühlig andeutet, was in Nori vorgeht.
Was bedeutet es für Nori eine Mädchenseele zu haben?
Letzten Endes ist es die eigene geschlechtliche Identität, der Nori sich zuordnet. Zu sagen: Mein Herz, meine Seele, mein Inneres ist das eines Mädchens und deswegen bin ich ein Mädchen, auch wenn mein biologisches Geschlecht anders normiert ist.
Wie sind Sie auf die Geschichte von Nori gestoßen?
Tatsächlich bin ich gar nicht auf die Geschichte gestoßen, sondern Josephin ist auf mich zugekommen. Der Kontakt entstand durch Josephins Mutter, die ich durch ein anderes Filmprojekt kannte. Josephin fragte mich im Oktober 2013, ob ich Lust hätte einen Film über sie und ihre Tochter zu realisieren. Ich wusste im ersten Moment überhaupt nicht, worum es geht und fand es seltsam, dass eine Mutter möchte, dass jemand einen Film über ihr Kind dreht.
Vor diesem ersten Gesprächs 2013 hat sich Nori – damals fünf Jahre alt – auch außerhalb ihrer Familie geoutet. Sie und ihre Mutter haben das dem Kindergarten kommuniziert, die Leute im Dorf haben es mitbekommen. Natürlich fanden das nicht alle gut. Die Erzieher*innen im Kindergarten wussten nicht, wie sie damit umgehen sollen und hatten Angst etwas falsch zu machen. Es kam zu zwei anonymen Anzeigen gegen die Mutter wegen Kindeswohlgefährdung. Das hat Josephin sehr zugesetzt. Für sie war klar, dass die Ablehnung der Lebensweise ihres Kindes daraus resultiert, dass viele Menschen so wenig über Trans*identität wissen. In unserem Gespräch sagte sie dann auch "Jemand muss jetzt mal vorangehen und das Thema in die Öffentlichkeit bringen". Für sie bestand der starke Wunsch, dass es Menschen in derselben Situation nicht so schwer gemacht wird wie ihr und ihrer Tochter. Deswegen wünschte sie sich diesen Film. Für mich als Filmemacherin war das ein Glücksfall.
Wie lange haben Sie Mutter und Tochter begleitet?
Es ging mit diesem ersten Gespräch Oktober 2013 los. Dann habe ich die Beiden immer wieder besucht, Recherchegespräche geführt, um sie besser kennenzulernen. Zu Drehen begonnen habe ich erst 2015, also zwei Jahre später. Diese zwei Jahre Begleitung der Familie ohne Kamera waren in meinen Augen sehr wichtig. Dadurch wurde eine Vertrauensbasis geschaffen, die es mir überhaupt möglich machte, diesen Film zu drehen. 2015 haben wir dann eine Woche lang gedreht und 2016 gab es nochmal einen Dreh von einigen Tagen.
Was waren besonders prägende Momente in dieser Zeit?
Das Fremdouting von Nori in der Schule, welches vor dem Dreh passiert ist und im Film gar nicht zu sehen ist, ging mir sehr unter die Haut. Nori ist als Mädchen eingeschult – sie hat eine Mädchenakte und einen Mädchennamen. Nur die Rektorin und die Klassenlehrerin wussten über die Trans*identität des Kindes Bescheid. Durch Umwege haben Schüler*innen in ihrer Klasse mitbekommen, dass Nori transident ist. Es ging Nori sehr nah, dass so ein intimes Geheimnis unter den Mitschüler*innen einfach ausgeplaudert wurde. Glücklicherweise ist die Schule gut damit umgegangen und die Kinder haben sich nach Gesprächen mit den Lehrer*innen auch schnell nicht mehr dafür interessiert, sondern Nori in ihrer Geschlechtsidentität akzeptiert.
Der Film porträtiert auch ein Stück Dorfalltag. Männliche und weibliche Rollen erscheinen zum Teil stereotyp. Auch für Nori bedeutet Mädchen sein, lange Haare zu haben, Top-Model zu spielen und Prinzessinnenkleider zu tragen. Haben Sie diese starren Geschlechterbilder überrascht?
Nein, das hat mich nicht überrascht, weil uns das im Alltag so ständig begegnet. Der Film spielt im ländlichen Raum und da sind die Strukturen noch sehr stark in diese zwei Geschlechterrollen aufgeteilt. Die Kindergärten und Schulen funktionieren noch so: Auch im Film sieht man ja, wie die Mädchen und Jungen in zwei getrennten Umkleiden sind und die Jungen dann vor den Mädchen in die Turnhalle laufen dürfen. Ich weiß nicht, wie bewusst das alles passiert, aber da steckt ja viel Normierung drin.
Josephin ist an sich sehr aufgeschlossen und hat sich stark mit dem Thema beschäftigt. Sie ist im Externer Link: Trans-Kinder-Netz e.V in Berlin aktiv und ihr ist durchaus bewusst, dass das nur Pole eines Kontinuums sind und dass es eine unheimliche Vielfalt an geschlechtlichen Identitäten gibt. Aber mit einem so jungen Kind konnte sie das auf dieser Ebene noch nicht verhandeln. Zudem nehmen Kinder in diesem Alter vor allem ihr Umfeld wahr. Ich bin ja selber Mutter eines Sohnes im selben Alter wie Nori und in der Beschäftigung mit dem Film habe ich natürlich auch viel mit ihm über dieses Thema gesprochen. Für ihn ist ganz klar, dass er ein Junge ist und er findet es fast absurd, dass ich ihn so was überhaupt frage. Die Gesellschaft pusht diese binäre Ordnung sehr stark und dadurch auch die Positionierung von Kindern. Ich würde aber sagen, dass Nori heute durchaus reflektierter ist und weiß, dass männlich und weiblich keine starren Kategorien sind.
Was haben Sie für Reaktionen auf ihr Projekt bekommen?
Viele Menschen haben unheimlichen Respekt vor den beiden Protagonist*innen und deren Mut ihre Geschichte öffentlich zu machen. Es ist für viele ein Aha-Moment, dass ein 7-jähriges Kind sich so klar positioniert. Viele können gar nicht glauben, dass Nori da sitzt, genau weiß was sie will und was ihre geschlechtliche Identität ist.
Zudem habe ich sehr viel Unterstützung und Zuspruch aus der Trans*community bekommen. Also natürlich nicht von allen, da gibt es unterschiedliche Ansichten, wie in der Öffentlichkeit mit dem Thema umgegangen werden soll. Ich habe aber viele Mails mit sehr persönlichen Geschichten bekommen. Mein Eindruck war, dass gerade erwachsene Trans*personen sehr daran gelegen ist, dass es so einen Film gibt. Und das macht ja auch Sinn, die waren auch alle mal Kinder und haben zwar ihre individuellen Biographien, sind aber insgesamt sicher nicht so aufgewachsen, wie die Generation Nori das jetzt kann.
Haben Sie weiter Kontakt mit Nori und ihrer Mutter?
Ja, wir haben uns angefreundet. Häufig sind die Beiden auch bei Veranstaltungen, im Rahmen dessen der Film gezeigt wird, dabei. Das ist immer toll, weil sie Fragen direkt beantworten können. Eigentlich möchte ich die Geschichte Noris in einer Langzeitdokumentation weiter verfolgen, sofern Nori das will. Sie ist jetzt 10 Jahre alt und momentan will sie das, aber das kann sich natürlich auch wieder ändern.
Nach diesem intensiven Kontakt zu Josephin und Nori, wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf, um das Leben von Trans*kindern zu erleichtern?
Ich denke, dass es wichtig ist, die breite Masse noch besser zu informieren. Viele Veranstaltungen, so gut wie sie sind, werden von Menschen besucht, die sich sowieso mit solchen Thematiken auseinandersetzen. Da besteht meines Erachtens der größte Handlungsbedarf. Ich finde, man müsste einfach sehr früh – in Kindergärten und Schulen – normal darüber sprechen und das nicht immer so besondern.
Mein Film ist zum Beispiel ganz absichtlich niedrigschwellig und kein Erklärstück, sondern ein Porträt. Mir war es wichtig Menschen zu erreichen, die Scheu vor dem Thema haben und für die Transsexualität so eine Art Schreckgespenst ist. Ich wollte, ohne den didaktischen Zeigefinger zu heben, Menschen porträtieren, die trans* sind. Und meine große Hoffnung ist, dass Leute, die den Film sehen, merken: Mensch, das könnte auch meine Freundin oder Nachbarin sein und sich durch die Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte von Josephin und Nori plötzlich eine Nähe zu der Thematik einstellt.
Interview führte Katharina Lipowsky