Christa Wolf zählt zu den wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre Bücher zu historischen Frauen wie Karoline von Günderrode oder zu mythischen Figuren wie Kassandra und Medea stießen in der Frauenbewegung Ost wie West in den 1980er und 1990er Jahren auf große Resonanz. Denn Christa Wolf thematisiert darin auch geschlechtsspezifische Unterdrückung und weibliche Identität – beides Themen, die im feministischen Diskurs eine wichtige Rolle spiel(t)en. Die Autorin arbeitet zwar fiktiv, vollführt aber auch sprachliche Suchbewegungen für eine geschlechtsspezifische Perspektive der jeweiligen Figur. Diese Suche, das "Ergründenwollen" von gesellschaftlichen Gegebenheiten mit dem weiblichen Blick machte die Bücher für Feministinnen so interessant. Die Autorin selbst hat sich nie als Feministin verstanden und sich auch nicht in einer feministischen Organisation engagiert.
"Aber ich habe immer, wenn ein Buch erschienen war, erlebt, wie das Publikum sich spaltete und wie mit der Zeit die Zahl der Leser größer wurde, die bereit war, sich auf meine Fragen einzulassen. Man braucht Erfahrungen und Geduld – auf allen Seiten.
Wenn man mich also heute kritisch fragt: Für wen schreiben Sie eigentlich? Dann sage ich: für Leser. Das heißt für Menschen, die Literatur als Instrument zur Erweiterung ihrer Erfahrung, ihrer Erkenntnisse brauchen. (...) Ich habe noch nirgends sonst ein so zahlreiches, anspruchsvolles, forderndes und auch dankbares Publikum angetroffen wie in der DDR." (Zitiert nach Böthig, Christa Wolf – Eine Biographie in Bildern und Texten, 2004, S. 132.)
Christa Wolf, geborene Ihlenfeld, wurde am 18. März 1929 in Landsberg an der Warthe geboren. Sie erlebte den Faschismus und den Zweiten Weltkrieg in dem kleinen Städtchen. Die Eltern, Otto und Hertha Ihlenfeld, betrieben ein Lebensmittelgeschäft. Die Familie flüchtete 1945 nach Mecklenburg und weiter nach Bad Frankenhausen. Hier machte die junge Frau Abitur und trat 1949 in die SED ein. Ihr Berufswunsch war Lehrerin, sie studierte zwischen 1949 und 1953 Germanistik in Jena und Leipzig. 1951 heiratete sie Gerhard Wolf, 1952 wurde die Tochter Annette geboren, Katrin folgte 1956.
1953 siedelte die Familie nach Berlin über. Hier wurde Christa Wolf wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Schriftstellerverband und lernte sehr viele antifaschistische, aus der Emigration zurückkehrende Autorinnen und Autoren kennen. Diese Begegnungen prägten sie entscheidend. Von 1955 bis 1977 war sie im Vorstand des Schriftstellerverbandes tätig. Es folgten rasch weitere berufliche Aufgaben: Als Cheflektorin des Verlags "Neues Leben" hatte sie eine verantwortungs- und anspruchsvolle Tätigkeit, für zwei Jahre war sie außerdem Redakteurin der renommierten Zeitschrift "Neue Deutsche Literatur". Später übernahm sie für den Mitteldeutschen Verlag in Halle das Lektorat.
Es kristallisierte sich aber immer stärker heraus, dass Christa Wolf nicht nur fremde Texte redigieren, sondern eigene literarische Texte schreiben wollte. 1961 debütierte sie mit der "Moskauer Novelle" – die Autorin Christa Wolf war geboren.
"Diese Sehnsucht, sich zu verdoppeln, sich ausgedrückt zu sehen, mehrere Leben in dieses eine schachteln, auf mehreren Plätzen der Welt gleichzeitig sein zu können – das ist, glaube ich, einer der mächtigsten und am wenigsten beachteten Antriebe zum Schreiben. " So äußerte sich die Autorin 1965 in dem Essay "Einiges über meine Arbeit als Schriftsteller". (Böthig, Christa Wolf – Eine Biographie in Bildern und Texten, 2004, S. 61)
In den umtriebigen 1960er Jahren – die Familie lebte mittlerweile in Kleinmachnow bei Potsdam – folgten weitere Bücher, die allesamt zu Bestsellern wurden ("Der geteilte Himmel" (1963), "Juninachmittag" (1967), "Nachdenken über Christa T." (1969). Christa Wolf verstand sich nicht als "Staatsdichterin", sondern verfolgte die Entwicklung der DDR kritisch, was ihre Bücher manchmal zum Politikum machte. Diese erschienen ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland und wurden in beiden Staaten unterschiedlich besprochen.
Die Autorin tauchte tief in die Literaturszene nicht nur der DDR ein, nahm an Schriftstellerkongressen und Reisen teil (Sowjetunion, Tschechoslowakei, Bundesrepublik Deutschland, Ungarn) und engagierte sich als Rednerin bei Plenumstreffen des Zentralkomitees der SED. Zusammen mit ihrem Mann setzte sie mehrere Filmprojekte um und erhielt erste Preise (z. B. 1963 den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR). Die zahlreichen Aktivitäten, das politische Engagement, das eigene Schreiben, die künstlerische Arbeit – bei all dem stellte sich Christa Wolf den politischen Entwicklungen, wie ihr Beitrag auf dem 11. Plenum zeigte. Ihre Überzeugung war, "daß Kunst nicht möglich ist ohne Wagnis, das heißt, daß die Kunst auch Fragen aufwirft und aufwerfen muß, die neu sind, die der Künstler zu sehen glaubt, auch solche, für die er noch nicht die Lösung sieht (...) daß die Kunst sowieso von Sonderfällen ausgeht und daß Kunst nach wie vor nicht darauf verzichten kann, subjektiv zu sein. " (Böthig, Christa Wolf – Eine Biographie in Bildern und Texten, 2004, S. 66)
Die zunehmende ideologische Einengung der Kunst in der DDR machte der überzeugten Sozialistin immer mehr zu schaffen. Die Zeit bis zum entscheidenden Jahr 1976 war daher geprägt von vielfältigen Aktivitäten. So reiste sie viel, ging auf Lesereisen nach Schweden und in die BRD, nahm als P.E.N.-Mitglied an Tagungen teil und war 1974 "Writer in Residence" in Ohio, USA. Es erschienen der Essayband "Lesen und Schreiben", die Erzählungen "Unter den Linden" und der Roman "Kindheitsmuster". Christa Wolfs künstlerisches Konzept der subjektiven Authentizität traf hier auf die politischen Suchbewegungen der 1970er Jahre in beiden deutschen Staaten. 1973 äußert sie sich in einem Gespräch mit Hans Kaufmann über ihr Schreiben: