Nationalversammlung und Weimarer Verfassung
Im November 1918, wenige Wochen nach dem Sturz der Monarchie, verabschiedete der Rat der Volksbeauftragten das Gesetz über die Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung. Dieses Gesetz führte nicht nur ein striktes Verhältniswahlrecht ein, sondern erteilte allen Bürgerinnen und Bürgern ab 21 Jahren das aktive und passive Wahlrecht. Damit war der Weg frei für das Frauenwahlrecht. Die lokale Basis der Frauenbewegung dünnte allerdings aus: Etliche Frauenvereine lösten sich um 1920 auf, entweder weil sie ihr wichtigstes Ziel erreicht sahen oder weil sie in der Nachkriegs- und Inflationszeit ihre Finanzierung nicht mehr sichern konnten; zudem wurden jetzt viele Aufgaben der Frauenwohltätigkeitsvereine und Frauenbildungsvereine von den Kommunen übernommen. Andere Frauenvereine wie die Berufsverbände, aber auch der Reichsverband Deutscher Hausfrauenvereine, verzeichneten dagegen Mitgliederzuwächse.
Wieder andere benannten sich im Laufe der 1920er Jahre um – so wurde aus dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF) der Deutsche Staatsbürgerinnenverband. Diese Umbenennung reflektierte durchaus das neue Selbstverständnis eines großen Teils der Frauenbewegung. Alle Frauenverbände der neuen Republik, von der proletarischen Frauenbewegung über den Bund deutscher Frauenvereine (BDF) bis hin zu den konfessionellen Verbänden, riefen im Vorfeld der Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung ihre Mitglieder zu einer regen Wahlbeteiligung auf, um das Schicksal der neuen Republik mitzubestimmen.
Tatsächlich beteiligten sich im Januar 1919 fast 90 Prozent der Wählerinnen an den Wahlen, weitaus mehr als bei entsprechenden Wahlen im internationalen Vergleich. Als die verfassungsgebende Versammlung am 6. Februar 1919 in Weimar eröffnet wurde, waren daher beinahe 10 Prozent der Abgeordneten Frauen, ein Anteil, der erst wieder im deutschen Bundestag von 1983 erreicht wurde. Unter den 41 weiblichen Abgeordneten befanden sich prominente Vertreterinnen der proletarischen Frauenbewegung wie Luise Zietz, die für die unabhängige Sozialdemokratie einzog, und SPD-Vorstandsmitglied Marie Juchacz, die am 19. Februar 1919 als erste Frau vor einem deutschen Parlament sprach. Viele Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung sahen ihre politische Heimat in der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), für die Gertrud Bäumer, Marie-Elisabeth Lüders und Marie Baum erfolgreich kandidiert hatten. Auch das Zentrum, die Deutsche Volkspartei (DVP) und die Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP) waren durch weibliche Abgeordnete vertreten.
Die in Weimar verabschiedete Verfassung – zustande gekommen im Schatten der von vielen als harsch empfundenen Friedensbedingungen – enthielt keineswegs ein konsistentes gesellschaftspolitisches Programm, auch wenn sie in Teilen stark vom bürgerlichen Linksliberalismus und damit nicht zuletzt von Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung geprägt war. Die Weimarer Verfassung verpflichtete den Staat auf den Schutz der Mutterschaft und das Wohlergehen von Kindern und legte erstmals die staatliche Zuständigkeit für Fragen der Wohlfahrtspflege fest. Eine uneingeschränkte rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen, wie sie die Abgeordneten der SPD und der USPD gefordert hatten, war dagegen nicht konsensfähig; Artikel 109 schrieb ihnen lediglich "grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten" zu.
Parlamentarische Arbeit der Frauenbewegung
Von der Einführung des Frauenwahlrechts hatten sich seine Befürworterinnen, nicht nur in Deutschland, eine Verstärkung des gesellschaftlichen Reformimpetus versprochen sowie die Wahl von Politikerinnen, die über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten würden. Zwischen 1920 und 1932 wurden insgesamt 111 weibliche Reichstagsabgeordnete gewählt – viele von ihnen waren jahrelang in den verschiedenen Flügeln der Frauenbewegung aktiv gewesen –, die mehrheitlich linken und linksliberalen Parteien angehörten und sich bei bestimmten Reformfragen tatsächlich über Parteigrenzen hinweg verständigten. Gleichwohl gab es auch unter ihnen wechselnde Koalitionen: So tendierten die liberalen Parlamentarierinnen bei grundsätzlichen Gleichberechtigungsfragen zur Zusammenarbeit mit den Sozialdemokratinnen; bei Gesetzesentwürfen zur Familienpolitik, zu sittlichen oder moralischen Fragen zogen sie Koalitionen mit Frauen der konservativen Parteien vor.
Die Parlamentarierinnen setzten eine Reihe von so genannten "Frauengesetzen" durch, darunter das Jugendwohlfahrtsgesetz (1922), die Zulassung von Frauen als Rechtsanwältinnen und Richterinnen (1922), Mindestlöhne und Sozialversicherung für Heimarbeiterinnen (1924) und die Erweiterung des Mutterschutzes (1927). Das Reichsgesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, an dem alle Parlamentarierinnen mitgewirkt hatten, erfüllte schließlich 1927 eine alte Forderung der Frauenbewegung: Prostitution war nun straffrei, wenn sie nicht gewerbsmäßig betrieben wurde; die Sittenpolizei mit ihren Sonderbefugnissen wurde abgeschafft und bei Verdacht auf Geschlechtskrankheiten konnten sowohl Männer als auch Frauen auf eine ärztliche Behandlung verpflichtet werden. Dagegen gelang es der inoffiziellen "parlamentarischen Frauenkoalition" nicht, die gesetzlichen Bestimmungen für weibliche Beamte zu beseitigen, die bei Heirat oder der Geburt eines unehelichen Kindes gezwungen waren, den Dienst zu quittieren. Dieses "Beamtinnen-Zölibat" blieb in der Weimarer Republik bestehen, nicht zuletzt aufgrund der permanenten finanziellen Engpässe des Staatshaushaltes.
Trotz dieser parlamentarischen Erfolgsgeschichte fällt eine Bilanz der politischen Frauenarbeit in der Weimarer Republik eher unbefriedigend aus. Zum einen führte die Konzentration der Parlamentarierinnen auf Frauenthemen dazu, dass die Debatten in den entsprechenden Ausschüssen und Plenarsitzungen schnell abfällig als "Weiberkram" bezeichnet wurden – vor 1919 waren auch diese Fragen noch "Männersache" gewesen. In der Regel warben männliche Politiker zwar um Wählerinnen und akzeptierten ihre neuen Kolleginnen im Reichstag, machten aber auch unmissverständlich klar, dass Frauen nicht über "wirklich wichtige" politische Fragen zu befinden hatten. So blieb die Wirtschafts- und Finanzpolitik ein Männerressort. Zudem war es für Frauen insbesondere in den bürgerlichen Parteien schwierig, bei Reichstags-, Landtags- und Gemeindewahlen einen sicheren Listenplatz zu ergattern; unter dem reinen Verhältniswahlrecht der Weimarer Republik hing aber genau davon ein Mandat ab.
National und international
Die deutsche Frauenbewegung hatte mit Beginn des Ersten Weltkriegs ihre internationalen Beziehungen fast ausnahmslos abgebrochen; sie wurden lediglich von einigen Sozialistinnen und einer Gruppe von Pazifistinnen um Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg aufrechterhalten. Diese internationalen Verknüpfungen zu reaktivieren, fiel den Mitgliedern der bürgerlichen Frauenbewegung nicht leicht. So lehnte der Bund Deutscher Frauenvereine nach dem Ersten Weltkrieg jegliche internationale Zusammenarbeit ab und verbot seinen Repräsentantinnen sogar die Teilnahme an internationalen Frauenkongressen. Dies war umso verwunderlicher, als der Internationale Frauenbund (IFB) als eine der ersten internationalen Organisationen nach dem Krieg für eine gleichberechtigte Behandlung Deutschlands eintrat.
Erst 1925 nahmen wieder deutsche Delegierte an einer Generalversammlung des IFB teil, nicht zuletzt, weil die BDF-Vorsitzende Gertrud Bäumer, die seit 1920 auch Reichstagsabgeordnete war, zu diesem Zeitpunkt internationale Zusammenarbeit zum nationalen Interesse deutscher Frauen erklärte. So wurden internationale Zusammentreffen beispielsweise auch dazu genutzt, die Mitglieder des IFB mit der deutschen Auffassung zur "Kriegsschuldfrage" im Versailler Vertrag vertraut zu machen. Darüber hinaus entsandte der BDF nach dem Beitritt Deutschlands zum Völkerbund 1926 drei seiner führenden Mitglieder zu Treffen des IFB, nämlich Gertrud Bäumer, Marie-Elisabeth Lüders und Agnes von Zahn-Harnack.
Die "neue Frau"
Ungeachtet dieser neuen politischen und gesellschaftlichen Teilhabe von Frauen bestimmte das Frauenbild der Weimarer Republik weniger die "neue Bürgerin" als die "neue Frau" mit Bubikopf und kurzem Kleid. Der noch im Kaiserreich verordnete Lebensradius von "Kinder, Küche und Kirche" wurde nun – zumindest in der populären Darstellung – durch Konsum, Kino und Kultur ersetzt. Als Prototypen dieses neuen Frauenbildes galten die jungen, ledigen weiblichen Angestellten in den Metropolen, die zum beliebten, wenn auch oft klischeehaft dargestellten Sujet der Illustrierten, Unterhaltungsromane und Kinofilme wurden und als potenzielle Konsumentinnen von der neuen Konsumgüterindustrie heftig umworben wurden.
Die Zahl weiblicher Angestellter stieg – nicht nur in Deutschland – deutlich an, von einer halben Million 1907 auf fast anderthalb Millionen 1925. Fast ein Drittel aller verheirateten Frauen ging einer Erwerbstätigkeit nach, darunter allerdings überproportional viele Arbeiterfrauen und einige wenige hochqualifizierte Akademikerinnen. Die nicht berufstätige Ehefrau und Mutter blieb auch in der Weimarer Republik weiterhin das verbreitete gesellschaftliche Ideal, was sich unter anderem an der immer wieder aufflammenden Debatte über weibliche Doppelverdiener ablesen lässt. Dennoch unterschied sich die Lebenswelt dieser Generation beträchtlich von der ihrer proletarischen oder bürgerlichen Mütter und Großmütter, nicht zuletzt, weil sie sich ohne Korsett und komplizierte Haartracht viel freier bewegen und geben konnten. Zusammen mit dem Stimmrecht, wachsender finanzieller Unabhängigkeit und neuen Konsum- und Kulturangeboten war es diese "neue Freiheit", die in der Weimarer Republik den weiblichen "Durchbruch zur Moderne" markierte.
Die Frauenbewegung war derweil in jeder Hinsicht in die Jahre gekommen. Ihre Protagonistinnen waren alt geworden, viele von ihnen starben vor 1930; sie beklagten die angeblich sinkende Moral der "neuen Frauen" und deren Desinteresse an feministischen Fragen und wurden von Nachwuchssorgen geplagt. Der modernen Büroangestellten erschienen die Vertreterinnen der Frauenbewegung schlicht als altmodisch, während eine andere Variante der "neuen Frau", die sich der völkischen Jugend anschloss, die Frauenbewegung als "senil" und "liberalistisch" angriff. Sie kritisierten insbesondere die Überreglementierung und den Führungsstil der Frauenvereine, der sie mit der "kameradschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Manne" in eigenen Verbänden begegnen wollten.
Die Frauenbewegung ihrerseits reagierte auf den Modernisierungsschub der Weimarer Republik uneinheitlich. Sie betonte einerseits die jetzt erreichte volle politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung, hielt aber andererseits an der Wesensverschiedenheit der Geschlechter und einer spezifischen weiblichen Kulturmission fest. Familiäre Pflichten blieben für sie vorrangig und auf die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wusste sie keine Antwort. Erst in den letzten beiden Jahren der Weimarer Republik, nach dem Austritt der mitgliederstarken "nationalen Opposition" der Haus- und Landfrauenverbände, initiierte der BDF Aufklärungskampagnen gegen den wachsenden Antisemitismus und die NSDAP. Diese Kampagnen waren buchstäblich in letzter Minute auf den Weg gebracht worden und konnten nur noch wenig ausrichten.
In der Weimarer Republik hatte eine substanzielle Minderheit von Frauen vom Aufbrechen hergebrachter Geschlechterrollen, von mehr gesellschaftlicher Freiheit und Individualität profitiert. Für viele junge Frauen war die organisierte Frauenbewegung ein etwas altmodisches Phänomen der Vorkriegszeit, zumal die staatsbürgerliche Gleichstellung (formal) erreicht schien. Zu Beginn der 1930er Jahre allerdings zeigte sich, dass der weibliche Aufbruch in die Moderne äußerst kurzlebig und fragil gewesen war.