Viele Männer wünschen sich, sie müssten nicht zur Bundeswehr. Viele Frauen sind in Friedensbewegungen organisiert. Warum ist es für Frauen prinzipiell erstrebenswert, dass sie zum Militär gehen können?
Bei dieser Frage sollte man unterscheiden zwischen individuellen Gründen einerseits und politisch-gesellschaftlichen Gründen andererseits. In individueller Hinsicht erscheint es ein Gebot einer demokratischen Gesellschaft zu sein, dass alle Gruppen Zugang zu einer politisch legitimierten und politisch mächtigen und einflussreichen Organisation haben. Der Ausschluss bestimmter Gruppen - z.B. der Schwarzen oder Homosexuellen in den USA - wurde als zutiefst undemokratisch betrachtet. Frauen, die sich aus welchen Gründen auch immer für diesen Lebensentwurf entscheiden, sollten ebenso wie Männer die Möglichkeit haben, dies zu tun. Dies hat zunächst nichts mit der Frage zu tun, ob man für oder gegen die Bundeswehr ist.
Fragt man nach den gesellschaftlich-politischen Gründen, ist es in einem ersten Schritt nötig, etwas tiefer in die einschlägigen Gender-Debatten einzusteigen. Der Dekonstruktions-Zweig in der feministischen Theorie vertritt die Ansicht, dass der Ausschluss von Frauen aus dem Militär nicht – wie die feministische Friedensbewegung argumentierte – friedensfördernd ist, sondern im Gegenteil schädlich für friedliche Entwicklungen. Wenn man versucht, diese relativ komplexen theoretischen Überlegungen auf eine sehr einfache Formel zu bringen, so heißt dies: Die ausschließliche Männlichkeit des Militärs macht das Militär zu einer Organisation, in der Männlichkeit individuell und kulturell bestätigt werden kann. Bricht man diesen Nexus Männlichkeit-Militär, so verliert das Militär an Attraktivität für diesen spezifischen Zweck und somit auch an Faszination und Anziehungskraft für (manche) Männer. Es wäre nicht mehr in dem Maße mit Gender-Implikationen aufgeladen, wie dies jetzt noch der Fall ist. Somit wäre es also gerade zur Friedensförderung nötig, das Militär für Frauen zu öffnen.
Es gibt aber auch politische Gründe, die einfacher zu verdeutlichen sind: In Zeiten des Peacekeepings hat das Militär einen hohen symbolischen Stellenwert. Es repräsentiert in Einsatzgebieten auch die Werte der Entsender-Gesellschaften. Was den Einsatz von Frauen anbetrifft, machen weibliche Soldaten den Wert der Geschlechtergleichstellung deutlich und sichtbar: Soldaten in Einsatzgebieten demonstrieren Macht; die Soldatin demonstriert, dass diese Macht auch weiblich sein kann.
Weibliche Soldaten beeinflussen Geschlechterverhältnisse unter Umständen auf eine Weise, die aus feministischer Sicht wünschenswert ist. Ein Beispiel dafür ist, dass die Präsenz amerikanischer Soldatinnen in Saudi-Arabien zur ersten Frauendemonstration des Landes führte. Frauen sahen weibliche Soldaten Autofahren und verlangten in der Folge für sich das die gleichen Rechte auf Mobilität. Aus geschlechterpolitischer Sicht kann das kein Nachteil sein.
Schließlich kann es gerade im Rahmen von Peacekeeping von Vorteil sein, eine rein männlich-militärische Organisationskultur durch einen höheren Frauenanteil kulturell zu verändern. Wir wissen, dass Prostitution in allen Einsätzen eine Rolle spielt und dass die Übergänge zur Zwangsprostitution fließend und verschwommen sind. Die Hoffnung ist, dass ein deutlich höherer Frauenanteil kulturelle militärische "Gewohnheiten" dieser Art verändern könnte. Prostituion ist, wie viele Untersuchungen inzwischen belegen, nicht gerade friedensfördernd - ganz zu schweigen von der Menschenrechtssituation der betroffenen Frauen beziehungsweise der Tatsache, dass - wie ebenfalls eine Vielzahl von Studien belegt - gerade in Kriegs- und Krisensituationen kaum eine Unterscheidung zwischen "freiwilliger" und Zwangsprostitution zu machen ist.
Dürfen Frauen zur Bundeswehr, weil es immer weniger männliche Rekruten gibt?
Dazu kann man sagen: ja und nein. Die ersten Öffnungen für Frauen gab es 1974 und 1989, damals aber noch ausschließlich für den Sanitätsdienst und das Musik-Corps. Grund dafür waren sicherlich die Personalengpässe, die zu dieser Zeit in diesem Bereich aufgetreten waren sowie die Tatsache, dass der Sanitätsbereich aufgrund seiner Nähe zum weiblich konnotierten "Hegen und Pflegen" immer schon als "frauennaher" Bereich galt. Die völlige Öffnung der Bundeswehr allerdings wurde weder von der deutschen Politik noch der Bundeswehr in die Wege geleitet, sondern der Bundeswehr bekanntlich durch ein Urteil des EuGH aufgezwungen – und zwar gegen den erklärten Willen fast aller deutscher Parteien (mit Ausnahme der FDP) und wohl auch gegen den Willen vieler Soldaten.
Die Öffnung des Soldatendienstes der Bundeswehr für Frauen war begleitet von einem großen öffentlichen Desinteresse haben Sie einmal in einem Ihrer Vorträge gesagt. Warum?
Das habe nicht nur ich gesagt. Dieses Desinteresse bezieht sich zumindest in der Bundesrepublik auf das Militär generell und dürfte historische Gründe haben. Bis vor kurzer Zeit erfreute sich die Bundeswehr wenig gesellschaftlicher Anerkennung und hatte wenig Prestige. Dies ändert sich erst in den letzten Jahren. Darüber hinaus ist das "Frauenthema" für die meisten Parteien insofern ein peinliches Thema, als die Öffnung des Militärs für Frauen vehement jahrzehntelang in fast allen Parteien mit Ausnahme der FDP vehement abgelehnt wurde. Soldatinnen wurden von Teilen der Frauenbewegungen als "Gewalt-Claqueurinnen des Patriarchats" bezeichnet. SPD und Grüne überschlugen sich darin, das Friedenspotential der Frauen zu preisen, das auf keinen Fall gefährdet werden dürfte während die Öffnung des Militärs "kein deutscher Weg zur Gleichberechtigung" darstellte., Nach dem EuGH-Urteil folgte der vehementen Ablehnung ein ebenso vehementes Schweigen bzw. die stillschweigende und kommentarlose Akzeptanz der Öffnung der Bundeswehr. Nun sieht es so aus, als hätte man nie ein Problem damit gehabt. Eine Thematisierung dieses Verhaltens wäre offensichtlich peinlich und möglicherweise schwierig.
Seit 2000 stehen Frauen offiziell alle militärischen Laufbahnen und Verwendungen offen. Wie gleichberechtigt sind Frauen tatsächlich innerhalb der Bundeswehr?
Das hängt davon ab, ob man die formale oder die inhaltliche Seite in den Blick fasst. Formal hat die Bundeswehr sehr viel in Sachen Gleichstellung und Gleichberechtigung getan: Es gibt seit 2005 das sog. Soldatinnen-Gleichstellungsgesetz, das vor allem auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (für beide Geschlechter) abzielt und sich schwerpunktmäßig mit flexiblen Arbeitszeiten, Teilzeit und Blockzeitmöglichkeiten beschäftigt. Es gibt freigestellte Gleichstellungsbeauftragte, die die Umsetzung dieses Gesetzes fördern sollen, Beteiligungsrechte bei Personalentscheidungen haben und in jeder Dienststelle von Divisionsebene aufwärts vorhanden sind. Es gibt - vor allem für Führungspersonal - Lehrgänge für partnerschaftliches Handeln, die Gendertrainings beinhalten und die Diskriminierung und sexueller Belästigung entgegenwirken und einen partnerschaftlichen Umgang von Männern und Frauen befördern sollen - wobei anzumerken ist, dass in letzter Zeit die einschlägigen Angebote in der Bundeswehr abnehmende Tendenz haben. Daneben gibt es nicht-freigestellte Gleichstellungsvertrauensfrauen, die stärker an der Basis angesiedelt sind, den Gleichstellungsbeauftragten von dort gewissermaßen zuarbeiten und somit als Zwischenglied angesehen werden können. Vorgaben sind bei Ausbildung und Verwendungen um Vorurteile abzubauen, Gruppenbildungen zu verhindern und den partnerschaftlichen Umgang zu pflegen. Ein zentrales Thema auf allen Ebenen ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das in der Bundeswehr, ebenso wie in der Gesamtgesellschaft, eher als "Frauenthema" betrachtet wird. D.h. also, dass die Bundeswehr für die Geschlechtergleichstellung durchaus mehr tut als viele zivile Organisationen.
Allerdings gibt es noch die persönliche Seite der Soldatinnen. Hier berichten empirische Untersuchungen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr davon, dass bei Umfragen 58% der Soldatinnen erklärten, im Dienst schon sexuellen oder anzüglichen Bemerkungen ausgesetzt gewesen zu sein. 19% haben demnach schon mit unerwünschten körperlichen Berührungen oder Annäherungsversuchen zu tun gehabt. Es ist zu vermuten, dass die Dunkelziffer höher liegt. Denn: Eine Studie der israelischen Armee führt aus, dass es bei Soldatinnen eine starke Tendenz gibt, sexuelle Diskriminierung oder Belästigung zu bagatellisieren und zu ignorieren. Es wäre demnach wünschenswert, mehr als bisher über die Praxis der Geschlechterverhältnisse in der Bundeswehr zu wissen.
Nach der jüngsten Studie bewerten 30 Prozent aller Soldaten den Einsatz von Frauen schlechter. 25 Prozent sagen, Frauen haben nicht die notwendige Verantwortung bei Einsätzen. Warum diese Einschätzung der männlichen Kollegen?
Aus allen Studien des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr geht hervor, dass männliche Soldaten die Leistungen der weiblichen auf allen Gebieten schlechter einschätzen als die eigenen. Das ist besonders erstaunlich, da Frauen zumindest in nahezu allen theoretisch-intellektuellen Tests (nicht unbedingt in denen, die körperliche Kraft erfordern) besser abschneiden als Männer (wie das auch in der Zivilgesellschaft mittlerweile der Fall ist). Die Gründe dafür sind komplex. Zum einen dürften sie (sozial-)psychologischer Art sein: Der Militärberuf ist – zusammen mit einigen anderen Berufen, die Waffengewalt besitzen eine der letzten Domänen von Männlichkeit und männlicher Überlegenheit. Ein Eindringen von Frauen in diese Bereiche hat auch psychologische Auswirkungen – nicht auf alle Männer, aber doch offensichtlich auf einen erheblichen Prozentsatz. Frauen stellen hier eine Konkurrenz für männliche Identitätsentwürfe und gesellschaftliche Geschlechterordnungen generell dar. Eine mögliche Reaktion darauf ist die Abwertung der weiblichen Arbeit. Darüber hinaus sind Frauen aber natürlich auch ganz profane Konkurrenz im Berufskampf um Karrieren und Stellen. Auch in dieser Hinsicht kann die Abwertung ihrer Leistung instrumentell für eigene Interessen sein.
Das Interview führte Sabrina Scholz.