Nach meiner Auffassung ist jeder Führungsstil sehr persönlich geprägt", erklärt Angela Merkel. "Wie ich Menschen begegne, hat mit meiner Persönlichkeit zu tun, (...) sicher auch damit, dass ich eine Frau und eine Naturwissenschaftlerin bin."
Hierzu gilt zunächst festzuhalten, dass mit dem Begriff Führungsstil die Art und Weise definiert wird, wie sich eine Interaktion zwischen beteiligten Personen gestaltet. Die Verhaltensweise einer Führungskraft gegenüber Kollegen oder Untergebenen steht dabei im Fokus. Somit sind nicht politische Projekte oder die strategische Stoßrichtung der Regierungschefin von Interesse, sondern ihre persönlichen Kompetenzen im Bereich der viel diskutierten soft skills.
Es ist wichtig, gleich zu Beginn festzuhalten, dass ein explizit weiblicher Führungsstil - bestehend aus einer bestimmten Kombination von soft skills - nicht existiert. Einen ersten Hinweis hierauf liefert die Tatsache, dass es in der Forschung zwei sich widersprechende Definitionen des weiblichen Führungsstils gibt. Zum einen herrscht die Idee vor, dass Frauen in Führungspositionen härter führten als ihre männlichen Pendants, da sie sich stets beweisen müssten. Diese Strenge und Autorität des harten weiblichen Führungsstils zeigt sich bei Angela Merkel vor allem in ihrem Ruf als sogenannte Männermörderin. Nach dem "Sturz" Helmut Kohls (infolge der 1999 aufgedeckten CDU-Spendenaffäre), der Standhaftigkeit gegenüber dem damaligen CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble oder dem Verdrängen des parteiinternen Konkurrenten Friedrich Merz, scheint es sich herumgesprochen zu haben, dass sie nicht zu unterschätzen ist.
Konträr zu diesem von Härte und Kälte gekennzeichneten Bild existiert zum anderen die Annahme, weibliche Führung sei grundsätzlich weich. Schließlich sei dieser Stil vor allem von sozialer und kommunikativer Kompetenz, Empathie sowie Vertrauen in die Mitarbeiter geprägt. Frauen besitzen demgemäß diese achtsamen Fähigkeiten aufgrund ihres Geschlechts, wohingegen Männer von Natur aus nicht mit ihnen ausgestattet seien. Gerade diese soft skills entsprechen teilweise den gegenwärtig als renommiert geltenden Kriterien modernen Managements. Daher qualifizierten sich Frauen durch diesen weiblichen Führungsstil als das neue Geheimrezept für die Führungsetage.
Im Folgenden werden sieben Kriterien dieser Führungskompetenzen näher beleuchtet, um zu eruieren, inwiefern Angela Merkel diesen Bildern weiblicher und moderner Führung entspricht.
Kommunikationsfähigkeit
Kommunikationsfähigkeit zeigt sich darin, dass eine Führungskraft Botschaften klar und deutlich formuliert. Sie wird von ihren Zuhörern verstanden und baut dadurch Nähe auf. Außerdem hört sie zu und interpretiert die Aussagen anderer adäquat. Kommunikationsfähigkeit beinhaltet ebenfalls, sich gerne mitzuteilen und die Bereitschaft, auf Menschen zuzugehen. Bei Angela Merkel wird Kommunikationsfähigkeit in ihrem Kontakt zu ausländischen Kollegen immer wieder sichtbar. Denn sie sucht gerne das Gespräch mit ihnen per Videokonferenz und wenn möglich, bevorzugt sie es, andere Regierungschefs persönlich zu treffen. So kommt es immer wieder zu Besuchen privat anmutender Natur, wie im Sommer 2006, als sie den damaligen US-Präsidenten George W. Bush zum Wildschweingrillen lud oder im Jahr 2008, als der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt die Kanzlerin eigenhändig über den See zu seinem Landsitz ruderte. Auf diese persönliche und menschliche Weise vertieft und festigt Kanzlerin Merkel ihre Arbeitsbeziehungen.
Betrachten wir allerdings ihre Kommunikation mit der Bevölkerung während der Finanzkrise, könnte ihr der Vorwurf gemacht werden, sich nicht deutlich genug ausgedrückt zu haben. Denn sie ist dem Volk nicht sehr weit entgegengekommen, um das Konjunkturpaket zu erläutern und mögliche Auswege aufzuzeigen, sondern zog es vor - sogar in der Krise - als Mensch distanziert und rätselhaft zu bleiben. Vor dem Hintergrund dieses Widerspruchs bleibt die Frage bestehen, wie Angela Merkel tatsächlich tickt. Trotz ihrer Medienpräsenz scheint es ihr nicht zu gelingen, Nähe zur Bevölkerung aufzubauen.
Vertrauen
Beim Thema Vertrauen rückt die Beziehung zu Kollegen und Untergebenen in den Fokus. Hierbei ist es von Bedeutung, dass sich Führungskraft und Mitarbeiter gegenseitig aufeinander verlassen können. Infolgedessen kann eine von Respekt und Loyalität geprägte Atmosphäre entstehen. Hierbei spielt auch Teamfähigkeit eine Rolle. Denn alle Beteiligten sollten die Gelegenheit bekommen, ihren Standpunkt darzulegen. In einem solchen vertrauensvollen Klima, können dann neue Ideen entwickelt und Probleme gelöst werden. Als Angela Merkel 1999 Helmut Kohls Entmachtung mit vorantrieb, war dies zwar notwendig, aber als sein "Mädchen" gewann sie durch dieses Vorgehen - von Vielen als "Vatermord" bezeichnet -, sicherlich nicht an Vertrauen innerhalb der eigenen Partei.
Ganz im Gegensatz dazu drückt sich in ihrer jetzigen Position als Kanzlerin in der fast täglich angesetzten "Morgenlage" Vertrauen aus. Bei diesem Treffen engster Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter auch stets Angela Merkels langjährige Vertraute und Büroleiterin Beate Baumann, werden aktuelle Themen offen diskutiert. Für eine halbe Stunde igeln sich die Beteiligten ein, und nichts des Besprochenen dringt an die Öffentlichkeit. Eine solche Diskretion schafft eine robuste und belastbare Führungssituation.
Lernbereitschaft
Die nächste zu diskutierende Führungskompetenz konzentriert sich auf die Mentalität einer Führungskraft. In der sich immer rascher wandelnden Welt ist es äußerst wichtig, mit Neuerungen kontinuierlich Schritt zu halten. Besonders ein Bundeskanzler muss sich ohnehin schnell in unbekannte Themengebiete einarbeiten können. Es ist bemerkenswert, wie Führungskräfte sich dabei nicht entmutigen lassen und der Wille dazuzulernen, sie regelrecht antreibt.
Die Lernbereitschaft betreffend, kann Angela Merkel geradezu als Musterbeispiel gelten. Vor allem ihr Werdegang von der Bundesministerin für Frauen und Jugend zur Kanzlerin dient hier als ein gutes Beispiel. Wurde sie früher noch als "Angela ahnungslos" verspottet oder kamen ihr im Jahr 1995 nach Kritik von Helmut Kohl einmal die Tränen, gilt sie heute als knallharte Politikerin und weltgewandte Persönlichkeit. Ebenso beachtlich ist der Wandel ihres Auftretens in der Öffentlichkeit und den Medien. Sie scheint erkannt zu haben, dass sie mit adretten Haaren, kleidenden Jacketts sowie einem gelegentlichen Lächeln ihr Image verbessern kann. Somit kontrolliert sie inzwischen auch genau, wie sie von Fotografen abgelichtet wird. Dieses Bewusstsein zeugt von einer hohen und kontinuierlichen Lernbereitschaft.
Eine Vision verfolgen
Wenn eine Führungskraft eine Vision verfolgt, bedeutet dies, dass sie mit klaren Zielen führt. Sie präzisiert, wofür sie eintritt und gibt eine generelle Richtung vor. Visionen sind oftmals langfristige Ziele oder Zukunftsbilder, die begeistern sollen. Diese geben Anhängern Orientierung und stabilisieren die Führungssituation. Ein solches Potenzial scheint Angela Merkel durch ihre pragmatische Art zu führen, nicht aufzuweisen. Die bisherige Realisierung der gesetzten Klimaschutzziele etwa verläuft desillusionierend und kann als Beispiel für ihre Visionslosigkeit gelten. Dabei schien es beim G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm noch, als sei ein Durchbruch gelungen. Denn Angela Merkel erreichte, dass das Thema Klimaschutz ganz oben auf die Agenda gesetzt wurde. Selbst den damaligen US-Präsidenten George W. Bush konnte sie überzeugen, das Abschlusspapier zu unterzeichnen, was ihr den schmeichelhaften Titel "Klima-Kanzlerin" einbrachte.
Ein Jahr später, bei einem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel, ruderte sie jedoch aufgrund der Wirtschaftskrise von den Klimazielen zurück. So sprach sie sich beispielsweise gegen eine CO2-Grenze für deutsche Autos aus. Ihre Auszeichnung als Klima-Kanzlerin musste Angela Merkel somit längst einbüßen, und wir dürfen gespannt sein, was der Kopenhagener Weltklimagipfel (7.-18. Dezember 2009) für Ergebnisse erzielt. Generell wirkt ihre "Politik der kleinen Schritte" also eher zermürbend, und es steht der Vorwurf im Raum, Angela Merkel lasse keine klare politische Linie erkennen.
Motivation
Eine weitere Anforderung an Führungskräfte ist ihr Wille, Leistung zu erbringen: die Motivation. Sie beschreibt den ganz individuellen Anreiz, zu handeln. Im beruflichen Kontext bedeutet dies, Interesse am Tätigkeitsfeld zu haben und von innen heraus bestimmte Ziele erreichen zu wollen. Dieser Antrieb ist mit positiven Emotionen verbunden. Denn nur wer intrinsisch motiviert ist, kann seine Arbeit dauerhaft gut verrichten.
Dieser Motor eines Menschen lässt sich bei Angela Merkel in ihrem Machtwillen erkennen. Nach diversen parteiinternen Machtkämpfen schaffte sie es bis an die Spitze der Regierung der Bundesrepublik und hält sich dort. Sie betont dabei des Öfteren, dass ihre Arbeit sie begeistert: "Es macht Freude, Dinge durchsetzen zu können, die (...) wichtig sind",
Emotionale Intelligenz
Bei der allgemeinen Diskussion um typisch weibliche Fähigkeiten nimmt die emotionale Intelligenz eine zentrale Stellung ein. Gerade durch sie sollen Frauen angeblich die Führungswelten veredeln. Hierbei handelt es sich aber vielmehr um eine ernst zu nehmende Führungskompetenz. Denn emotionale Intelligenz beschreibt die Handhabung eigener und fremder Gefühle. Über Einfühlungsvermögen hinaus, vermag eine Führungskraft dadurch, für einen respektvollen sozialen Umgang zu sorgen. In der Politik ist dies vor allem relevant, weil für die unterschiedlichsten Kommunikationspartner verschiedene Töne angeschlagen werden müssen. Es gilt stets, zwischen verschiedenen politischen Lagern zu taktieren.
Die Kanzlerin muss sich zum Beispiel in CSU-Chef Horst Seehofer genauso hineindenken können wie in Oskar Lafontaine von Die Linke. Bei Angela Merkel spiegelt sich emotionale Intelligenz durchaus anschaulich in ihrem Verhalten gegenüber der Presse im August 2008 wider: beim Besuch des damaligen Präsidenten der Republik Ghana, John Kufuor. Dieser wurde nach allen Regeln des diplomatischen Protokolls in Deutschland empfangen, während parallel der russisch-georgische Krieg im Kaukasus ausbrach. Als auf der Pressekonferenz eine Fülle an Journalisten Fragen zum Konflikt um Südossetien stellten, anstatt die deutsch-ghanaischen-Beziehungen zu thematisieren, reagierte Merkel abweisend, denn sie wollte Präsident Kufuor nicht durch Ignoranz herabsetzen oder kränken.
"Biss"
Zusätzlich zu den genannten sechs eher weichen Führungskompetenzen spielen aber auch Tatendrang und Ehrgeiz für Führungserfolg eine Rolle. Dieser "Biss" einer Führungskraft drückt sich in ihrer Energie und ihrem Durchsetzungsvermögen aus. Gerade in der Politik ist die Forderung nach Stärke und einem hohen Grad an geistiger Wachheit nachvollziehbar. In den vergangenen Monaten wurde der Kanzlerin regelmäßig Führungsschwäche vorgeworfen. Immer wieder wurden Stimmen laut, sie müsse härter durchgreifen. Obwohl sie früher das Renommee einer "Männermörderin" hatte, herrscht heute eher die Befürchtung vor, sie würde sich zu viel gefallen lassen. Dieser Eindruck nahm bereits in der sogenannten Elefantenrunde 2005 beim Schlagabtausch mit Noch-Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Anfang. Seinen aufbrausenden Äußerungen begegnete Angela Merkel vor allem fassungslos und in keiner Weise kämpferisch.
Aber vielleicht stimmt es ja, dass sie eher zu gegebener Zeit die Konsequenzen aus einer Auseinandersetzung zieht und sich dann behauptet. So zahlte sie es Gerhard Schröder anlässlich der Feier zur Enthüllung seines Porträts im Kanzleramt heim: Sie lobte die fällige Anbringung des Bildes, weil sie nun die Frage vieler Besucher nicht mehr beantworten müsse, "wann der Schröder endlich aufgehängt" würde. Falls Angela Merkel es also vermag, ihre Kontrahenten eher später zurechtzuweisen und dies vielleicht sogar mit einem gewissen Scharfsinn, dann nimmt die Allgemeinheit davon in der Regel jedoch nur am Rande Notiz oder weiß das Verhalten der Kanzlerin nicht einzuordnen. Kanzlerin Merkels Biss wird auf rhetorischer Ebene folglich selten direkt spürbar.
Folgerungen und Fragen
Der erforderliche "Biss" sowie Kommunikationsfähigkeit, Vertrauen, Lernbereitschaft, eine Vision verfolgen, Motivation und emotionale Intelligenz bilden die hier beleuchteten sieben Kriterien moderner Führungskompetenz. Die Beispiele aus Angela Merkels Politikalltag zeigen auf, dass sie vielerorts angesiedelt werden könnte: Ihr könnte demnach der harte weibliche Führungsstil attestiert werden, denn ihr Ruf als "Männer"- und "Vatermörderin" zeugt von der Fähigkeit, sich zu beweisen. Auch die menschliche Unnahbarkeit der Regierungschefin demonstriert diese Härte. Dennoch könnte ihr ebenfalls der eher weiche weibliche Führungsstil - der den derzeit als modern geltenden Führungskriterien entspricht - zugestanden werden, wenn wir beispielsweise die vertrauensvolle Atmosphäre der Morgenlage bedenken. Diese widersprüchlichen Tatsachen im Fall Angela Merkel deuten auf eines hin: Ein weiblicher Führungsstil ist eine Illusion. Denn Führungserfolg ist schlichtweg nicht geschlechtsspezifisch prädestiniert.
Es sprechen noch weitere Argumente gegen die Definition eines typisch weiblichen Führungsstils. Wissenschaftliche Studien belegen, dass Unterschiede im Führungsstil nicht auf das Geschlecht einer Führungskraft zurückzuführen sind. Es gilt hierbei ferner zu beachten, dass Frauen untereinander keine homogene Gruppe bilden. Eine Frau, die zum Beispiel aus einer bildungsfernen Schicht stammt, ist gänzlich anders geprägt, als eine Frau aus einer Unternehmerfamilie, was sich auf ihre Lebenschancen und persönlichen Kompetenzen auswirkt. Überdies ist die Bipolarität der Begriffe männlich und weiblich mit Schwierigkeiten verbunden. Denn eine Führungskraft kann unabhängig von ihrem Geschlecht die sieben oben genannten soft skills besitzen oder erwerben. Darüber hinaus definiert sich eine Person schließlich durch viel mehr als lediglich ihr Geschlecht oder damit verknüpfte Stereotypen. So kann die Herkunft, die Erziehung, die Sozialisation, die politische Überzeugung, die Fachrichtung oder auch die Interpretation gemachter Erfahrungen und Vieles mehr eine Rolle spielen.
Diese Dekonstruktion eines weiblichen Führungsstils beantwortet allerdings nicht die Frage, warum Frauen - obwohl bestens qualifiziert - in Führungspositionen allgemein unterrepräsentiert sind. Für diesen Umstand werden gewisse Karriererestriktionen verantwortlich gemacht, wie unter anderem ein token status, Männerbünde oder auch das "think manager - think male"-Phänomen. Auf alle drei Phänomene werde ich im Folgenden kurz eingehen.
In vielen Führungspositionen sind Frauen immer noch die Ausnahme und besitzen daher einen Minderheitenstatus. Dieser sogenannte token status beschreibt ihre Rolle als "Vorzeigefrau", in der eine weibliche Führungskraft vorsichtig wie eine exotische Orchidee betrachtet und jedes Verhalten beurteilt wird. Es kann Vor- und Nachteile bergen, derart aus der Menge herauszustechen. Deutlich wird dieser Status auch bei der Kanzlerin, wenn wir uns beispielsweise die Fotos des G-8-Gipfels 2007 in Heiligendamm in Erinnerung rufen. Dort war sie in ihrem grünen Jackett im Strandkorb zwischen den dunklen Anzügen der männlichen Kollegen ein wahrer Blickfang. Bei anderen Zusammenkünften auf globalem Parkett ist Angela Merkel allerdings nicht mehr die einzige Politikerin. Dort trifft sie unter vielen anderen auf Pratibha Patil (Staatspräsidentin Indiens), auf Cristina Kirchner (Präsidentin Argentiniens) oder auf Michelle Bachelet (Präsidentin Chiles). Eine weitere Karriererestriktion stellen Männerbünde bzw. seilschaftenähnliche Zusammenschlüsse langjähriger Mitstreiter dar. So sollen sich beispielsweise 1979 ein Dutzend Mitglieder der Jungen Union auf einem Flug nach Caracas/Venezuela dazu verabredet haben, ihre Karrieren gegenseitig zu unterstützen - im sogenannten Andenpakt. Über solch einflussreiche Männerbünde hinaus, gilt das "think manager - think male"-Phänomen als weiterer Erklärungsversuch für die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen. Hierbei geht es darum, dass eine Vorstellung vorherrscht, die den Mann als Archetyp einer Führungskraft oder auch eines Staatsoberhaupts auffasst. Ein solches Idealbild kann das Emporstreben einer Frau an die Spitze erschweren, was vor allem aus ökonomischer Perspektive bedauerlich ist, da Ressourcen vergeudet werden. Die vorherigen Ausführungen über die Bundeskanzlerin und weitere Regierungschefinnen lassen allerdings vermuten, dass genau diese Restriktionen vielleicht derzeit im Umbruch begriffen sind.
Es stellt sich daher die Frage, wie es zu einer solchen positiven Entwicklung kam und wie diese sich weiter fördern lässt. Zunächst gilt es, sie durch strukturelle Veränderungen zu unterstützen. Der Staat, Unternehmen, der öffentliche Dienst und auch Parteien müssen Strukturen schaffen, in denen von aufgestülpten Maßnahmen wie Quotenregelungen abgesehen werden kann und Chancengleichheit sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützt werden.
Darauf aufbauend stehen Frauen in der Pflicht, selbst aktiv zu werden. Anstatt beispielsweise Männerbünde moralisch zu verurteilen, könnten sie selbst die Vorteile von Netzwerken nutzen. Angela Merkel hat es vorgemacht - trotz ihres relativ späten Seiteneinstiegs in die CDU im Alter von 36 Jahren. Zum einen besitzt sie einen Kreis enger politischer Vertrauter, der zeitweise als "Girls' Camp" betitelt wurde: vorneweg ihre loyale Begleiterin Beate Baumann, ihre Beraterin Eva Christiansen und die Bundesministerin für Bildung und Forschung Annette Schavan.
Neben diesem cleveren Engagement der Frauen ist es von größter Bedeutung, die früheren Idealbilder von Führung durch ein neues Bewusstsein abzulösen. Dies kann beispielsweise geleistet werden, indem es immer mehr weibliche Vorbilder gibt. Über Angela Merkel und die bereits erwähnten politischen Kolleginnen hinaus, seien hier zwei weitere Frauen genannt, die sich hinter Kanzlerin Merkel in die Liste des US-Magazins "Forbes" der mächtigsten Frauen der Welt einreihen: Sheila Bair, die Vorsitzende der staatlichen Einlagenfonds der US-Banken (FDIC) und Indra Nooyi, die Chefin von PepsiCo, Inc. Somit lässt sich auch das "think manager - think male"-Phänomen immer mehr abschwächen, und es löst sich eher in einem "think politician - think male, female, black, white, privileged, deprived"-Phänomen auf. Denn es gilt zu beachten, dass die meisten Führungspersonen zwar männlich, aber in den meisten Fällen auch eine weiße Hautfarbe haben und einer Oberschicht zugehörig sind. Das heißt, dass neben Frauen andere hochqualifizierte Gruppen ebenfalls in Führungspositionen unterrepräsentiert sind. Demnach müssen auch Personen mit Migrationshintergrund, mit Behinderungen oder beispielsweise aus einer bildungsfernen Schicht gegen die genannten Karriererestriktionen ankämpfen.
Eine Überwindung dieser Unterrepräsentanz ist aber nicht nur aus Gründen der Chancengleichheit erstrebenswert, sondern vor allem aus ökonomischer Sicht. Die Potenziale diverser Menschen zu nutzen, ist zum einen wichtig, weil jeder Einzelne über die oben diskutierten Kompetenzen verfügen kann. Zum anderen können gerade in Gruppen mit unterschiedlichen Teilnehmern Synergien freigesetzt werden: Vor allem eine Mischung an Persönlichkeiten lässt somit Kreativität entstehen.
Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass mit Barack Obama erstmals ein Schwarzer US-Präsident und mit Angela Merkel erstmals eine Frau Bundeskanzlerin ist, scheint die Gesellschaft im Hinblick auf Stereotypisierung und Schubladendenken bei Führungskompetenzen an einem Wendepunkt zu stehen. Die Anerkennung dieser Politiker deutet auf moderne Strukturen und ein neues Bewusstsein in der Führungskultur hin. Insofern können wir Angela Merkels Eingangszitat beipflichten, dass jeder Führungsstil persönlich geprägt ist. Eine Person oder ein Führungsstil lässt sich also nicht auf eine Eigenschaft reduzieren. Angela Merkel ist zwar die erste Frau im Bundeskanzleramt, sie ist allerdings ebenfalls die erste Naturwissenschaftlerin, die erste Ostdeutsche und mit 51 Jahren bei Amtsteintritt auch die Jüngste, die dieses Amt bekleidet. Folglich wirkt sich ihr facettenreicher Führungsstil auf die politische Landschaft aus, aber nicht primär weil sie eine Frau ist. Die Bundeskanzlerin führt hingegen mit ihrem ganz persönlichen "Merkel-Stil".
Auszug aus: Aus Politik und Zeitgeschichte 50/2009