Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. (BAG)
Die Externer Link: Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. (BAG) versteht sich als profeminisitscher Dachverband von 89 Täterarbeitseinrichtungen. Damit machen sie ihren Zuspruch für feministische Perspektiven, Kämpfe und Forderungen deutlich. Die Mitglieder des Verbands werden durch Kooperationen und Projekte des Verbands unterstützt, die Täterarbeit bundesweit voranbringen sollen.
Roland Hertel ist BAG-Vorsitzender und seit 1996 in der Täterarbeit tätig. Als ehemaliger Einrichtungsleiter des InterventionsZentrums gegen Häusliche Gewalt Südpfalz war er daran beteiligt, den Sozialen Dienst
Katja Spigiel: Herr Hertel, Sie haben Erfahrung damit, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die anderen Gewalt angetan haben. Wie sieht diese Art der Arbeit aus?
Roland Hertel: Ja, ich habe mit insgesamt 18 Gruppen mit bis zu acht Männern gearbeitet. Mir ist wichtig zu sagen, dass wir von Täterverantwortung sprechen – Täterarbeit ist keine Therapie. Es ist soziales Training. Diejenigen, die häusliche Gewalt anwenden, unterliegen meistens erlernten Verhaltensweisen, die darauf aus sind, Kontrolle und Macht zu sichern. Wir sprechen von Hilfe statt von Sanktionen und Bestrafung. Und von gewaltausübenden Menschen. Das schafft einen anderen Zugang.
Das Programm ist so aufgebaut, dass es ein Erstgespräch gibt. Dann folgen Anamnesegespräche. Da geht es darum, in den Keller zu gehen und alle Schränke einer Person aufzumachen. Danach hat man eine grobe Idee davon, wo man bei jemandem ansetzen muss und das ist wichtig, denn wir alle ticken unterschiedlich. Über einen Zeitraum von einem Jahr gibt es dann mindestens 25 Gruppensitzungen, die in Modulen aufgebaut sind. Da gibt es beispielsweise das Modul Gewaltarbeit. Daran muss jeder teilnehmen, um das Programm weiterführen zu können. Oder es gibt das Modul Partnerschaft. Da geht es um Fragen wie: Wie kommuniziere ich? Wie gehen wir miteinander um? Wie gehe ich damit um, wenn es zu einer Trennung kommt und wie kann ich damit leben? Welche Alternativen habe ich? Wenn ich angeblich keine habe – welche könnte ich haben? Es müssen gewaltfreie Lösungsstrategien aufgezeigt werden. Bestenfalls wird dadurch die Konfliktfähigkeit eines Menschen verbessert.
Gewaltformen
Unter häuslicher Gewalt ist eine Gewaltform zu verstehen, die von (Ex-)Partner/-innen ausgeht. Sie kann Beleidigungen und Drohungen umfassen aber auch, dass einer Person der Kontakt zu anderen verboten wird, sie daran gehindert wird, das Haus zu verlassen oder ihre Finanzen kontrolliert werden.
Sexualisierte Gewalt ist eine Gewaltform, bei der Betroffenen Handlungen aufgezwungen werden, denen sie nicht zustimmen. Es ist ein Vergehen an ihrer sexuellen Selbstbestimmung. Insbesondere in Abhängigkeitsverhältnissen findet diese Gewaltform statt.
Stalking bezeichnet das intensive Belästigen, Bedrohen und Nachstellen einer Person. Stalker/-innen zwingen ihren Opfern Kontakt auf. Das zeigt sich in ständigen und unerwünschten Kommunikationsversuchen.
Femizide sind Tötungen an Frauen und feminisierten Menschen. In der Regel liegt diesen Gewalttaten das Motiv des Besitzanspruchs über eine Person zu Grunde sowie das vermeintliche Recht darauf, Kontrolle über sie auszuüben und ihre Eigenständigkeit zu unterbinden. Sobald ein Täter glaubt, die Ursache seines Unglücks in einer anderen Person zu erkennen, kann körperliche Gewalt im Femizid eskalieren.
Die Gemeinsamkeit dieser Formen der Gewaltausübung liegt darin, dass sie auf die Sicherstellung von Macht und Kontrolle abzielen.
Quellen:
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2023). Externer Link: Formen der Gewalt erkennen. (Stand: 18.08.2023)
Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Externer Link: Gewalt gegen Frauen. (Stand: 18.08.2023)
Crushwitz, J. & Haentjes C. (2021). Femizide. Frauenmorde in Deutschland.
Spigiel: Im Kontext von
Hertel: Mir sind nur einige wenige Fälle von weiblicher Täterschaft untergekommen. Wirklich nur einige wenige. Und doch kommt es auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu Gewalt. Mir persönlich ist aufgefallen, dass Gewalt dann stattfindet, wenn auch ein Machtgefälle zwischen Menschen besteht – und nach geltenden Rollenstereotypen liegt die Macht meistens beim „maskulinen“ Teil.
Täterstrategien
Spigiel: Wie rechtfertigen gewaltausübende Menschen das, was sie tun oder getan haben?
Hertel: Viele sprechen davon, dass die Frau* sie provoziert hat, während er doch der Mann im Haus sei. Es findet auch eine Depersonalisierung der Opfer statt. Es ist zum Beispiel von der „Trulla“ die Rede und es fällt auf, dass die Gewaltausübenden wenig Opferempathie haben und viel von sich selbst sprechen und noch auffälliger ist, so eine paradoxe Anpassungserwartung. Bedeutet, dass die Personen davon ausgehen, dass sich ihre Umwelt an ihre Bedürfnisse anpasst und nicht andersherum. Sonst kracht es.
Insgesamt können Sie sich das bildlich so vorstellen: Großer Mann, kleine Frau. Das ist eine Konstellation, die von gewalttätigen Männern als gleichwertiger Zustand empfunden wird. Sind Mann und Frau gleich groß, dann wird das von einem gewalttätigen Menschen als unterlegen wahrgenommen. Gewalt ist nach der Logik ein Instrument zur Machtausübung. Damit ist es weniger ein Problem, sondern eine Lösung, um einen aus ihrer Sicht „gleichberechtigten“ Zustand wiederherzustellen.
Spigiel: Wie äußert sich das in der Täterarbeit?
Hertel: Die Personen verhalten sich sozial sehr angepasst und freundlich und sie versuchen einem nach dem Mund zu reden. Es werden auch Verbrüderungsstrategien gefahren. Ich habe in der Vergangenheit Dinge gehört wie: „Aber Sie sind doch auch ein Mann, Sie verstehen mich doch“, da muss ich dann reingehen und klar sagen: „Ja, ich bin ein Mann, aber ich kann nicht verstehen, wieso sie ihrer*m Partner*in Gewalt zufügen.“ Kolleginnen werden in den Sitzungen häufig Komplimente gemacht. Die Personen versuchen, einen für sich zu gewinnen und das fällt nicht nur in unserer Arbeit auf, sondern im ganzen System: Es kommt vor, dass dem Jugendamt und der Staatsanwaltschaft nochmal was anderes erzählt wurde. Das eigene Gewaltverhalten wird geleugnet, gerechtfertigt, bagatellisiert und es wird abgelenkt – es gäbe ja viel wichtigere Probleme. Die Beschreibung von Konflikten bleibt oft diffus und weitere Fragen nach der Konfliktsituation verunsichern die Person. Das Verhalten des Opfers wirkt zudem in den Schilderungen des gewaltausübenden Menschen oft absurd und es findet eine Schuldumkehr statt: Aus dem*der Täter*in wird ein missverstandenes Opfer.
Spigiel: Lassen sich die Männer denn auf das Programm ein? Schließlich geht es darum, über Gefühle zu sprechen – etwas, was nicht in das klassische Bild des starken Mannes passt.
Hertel: Der Großteil der Männer nimmt Hilfe an. Wir bekommen das Feedback, dass sich viele hier zum ersten Mal wirklich mit ihrer Partnerschaft und ihrem Handeln auseinandersetzen. Wir gehen im Programm weg von der Gewaltdiskussion und direkt in die Krise rein. Wenn wir über Krise reden, dann wirklich über alles. Es geht darum, seine eigenen Signale zu lesen und zu lernen, wie man mit einer bestimmten Situation umgeht und wie man aus ihr herauskommt.
In den Sitzungen platzt nach circa acht bis neun Monaten bei den meisten ein Knoten. Aber auch bis dahin kommen sie gerne, da kommt es auf die Atmosphäre an und wir sind hier in einer empathischen Konfrontation. Irgendwann kommt dann eben der Punkt, dass die Personen anfangen, mit eigenen Verletzlichkeiten aufzuräumen. Häufig geht es auch um eigene Opfererfahrungen in der Kindheit, das ist hochemotional. Wir machen den Männern dabei klar, dass wir sie wertschätzen und wir die Gewalt, die sie ausüben, dennoch zutiefst verurteilen.
Spigiel: Schleicht sich manchmal, auch wenn man das sicher nicht zugeben möchte, in solchen Situationen Mitleid für eine Person ein?
Hertel: Nein. Wir arbeiten empathisch konfrontativ. Wir wertschätzen die Menschen als Menschen, aber wir verurteilen das, was sie tun, aufs Schärfste. Nein, für Gewalt habe ich gar kein Verständnis.
Spigiel: Wer genau kommt denn in ein Programm der Täterarbeit?
Hertel: Das sind Männer, die vom Jugendamt, von der Staatsanwaltschaft, von der Polizei oder irgendwo sonst aus dem Netzwerk geschickt werden, beispielsweise von der Suchtambulanz. Einige kommen auch von sich aus, als Selbstmelder. Die meisten davon wurden aber von ihrer Partnerin darum gebeten. Die, die herkommen, kommen also nicht zu 100% aus eigenem Antrieb. Dann geht es aber darum, ihre eigene Motivation zu wecken, damit wir ihnen helfen können beziehungsweise damit sie sich helfen lassen. Der Kontext, aus dem die Menschen kommen ist eigentlich egal und wir können nicht jeden von dem Programm überzeugen, den Großteil aber schon. Wir haben mal untersucht, wie viele der beratenden Männer in unserem Bezirk wieder durch häusliche Gewalt aufgefallen sind und da hat sich ein Wert von zehn Prozent ergeben. Das zeigt, dass unser Programm wirksam ist.