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Femizide: Rechtlicher Rahmen und Strafverfolgung | Femizide und Gewalt gegen Frauen | bpb.de

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Femizide: Rechtlicher Rahmen und Strafverfolgung

Dr. Leonie Steinl, LL.M. (Columbia) Dr. Jara Streuer

/ 12 Minuten zu lesen

Der rechtliche Umgang mit Femiziden wird seit einiger Zeit kontrovers diskutiert. Der Beitrag erläutert den völkerrechtlichen Rahmen, existierende Femizid-Straftatbestände und die strafrechtliche Erfassung derartiger Taten in Deutschland.

Der rechtliche Umgang mit Femiziden wird seit einiger Zeit kontrovers diskutiert. Der Begriff Femizid wird bislang nicht explizit in völkerrechtlichen Übereinkommen verwendet. (© picture-alliance, imageBROKER | Thomas Frey)

Ein Femizid ist die Tötung einer weiblichen Person aufgrund ihres Geschlechts. Das bedeutet, dass eine Frau oder ein Mädchen aufgrund von Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit getötet wird, insbesondere weil sie sexistischen Rollen- und Verhaltenserwartungen nicht entspricht. Prägend für dieses Verständnis des Begriffs war die Soziologin Diana Russell, die "femicide" erstmals 1976 als Bezeichnung für geschlechtsbezogene Frauentötungen verwendete. Seither wurde der Begriff durch zahlreiche regionale, sprachliche, gesellschaftliche und wissenschaftliche Einflüsse geprägt und weiterentwickelt.

Externer Link: Die weltweit häufigste Form aller Tötungen von Frauen ist die Partnerschaftstötung. Damit werden Tötungen durch den aktuellen oder ehemaligen Partner bezeichnet. Ein großer Teil der Partnerschaftstötungen wird in Form von sogenannten Trennungstötungen begangen, d.h. im Kontext des meist vom späteren Opfer ausgehenden Endes der Beziehung. Diese Taten stellen regelmäßig Femizide dar, da sie von einem Besitz- und Kontrolldenken des meist männlichen Täters geprägt sind. Denn der Täter stellt durch die Tat seinen Wunsch, die Beziehung zum Opfer fortzusetzen oder das Opfer an einer neuen Beziehung zu hindern, über das Leben des Opfers – und missachtet die Entscheidung der Frau, die Beziehung zu beenden.

I. Völkerrechtlicher Rahmen

Der Begriff Femizid wird bislang nicht explizit in völkerrechtlichen Übereinkommen verwendet. Gleichwohl gibt es mittlerweile einen umfassenden rechtlichen Rahmen, der Staaten zur Verhinderung und Bekämpfung geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen verpflichtet. Dabei genügt die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter zur Erfüllung der völkerrechtlichen Anforderungen ebenso wenig wie lediglich auf dem Papier vorhandene Schutzmaßnahmen. Die vorhandenen Regelungen müssen auch tatsächlich effektiv umgesetzt und geschlechtsbezogene Vorstellungen und Stereotype gesamtgesellschaftlich bekämpft werden.

Völkerrechtlich sind für Femizide und andere Formen geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen neben den allgemeinen Menschenrechtsvereinbarungen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention insbesondere sogenannte Frauenrechtsübereinkommen relevant, die sich ausdrücklich mit der geschlechtsbezogenen Diskriminierung von Frauen befassen. Für Deutschland sind dies vor allem die Vorgaben des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention).

Artikel 4Auszug aus der Istanbul-Konvention

Artikel 4 - Grundrechte, Gleichstellung und Nichtdiskriminierung

1 Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen und sonstigen Maßnahmen zur Förderung und zum Schutz des Rechts jeder Person, insbesondere von Frauen, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich frei von Gewalt zu leben.

2 Die Vertragsparteien verurteilen jede Form von Diskriminierung der Frau und treffen unverzüglich die erforderlichen gesetzgeberischen und sonstigen Maßnahmen zu ihrer Verhütung, insbesondere durch

  • die Verankerung des Grundsatzes der Gleichstellung von Frauen und Männern in ihren nationalen Verfassungen oder in anderen geeigneten Rechtsvorschriften sowie die Sicherstellung der tatsächlichen Verwirklichung dieses Grundsatzes;

  • das Verbot der Diskriminierung der Frau, soweit erforderlich auch durch Sanktionen;

  • die Aufhebung aller Gesetze und die Abschaffung von Vorgehensweisen, durch die Frauen diskriminiert werden.

3 Die Durchführung dieses Übereinkommens durch die Vertragsparteien, insbesondere von Maßnahmen zum Schutz der Rechte der Opfer, ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des biologischen oder sozialen Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität, des Alters, des Gesundheitszustands, einer Behinderung, des Familienstands, des Migranten- oder Flüchtlingsstatus oder des sonstigen Status sicherzustellen.

4 Besondere Maßnahmen, die zur Verhütung von geschlechtsspezifischer Gewalt und zum Schutz von Frauen vor solcher Gewalt erforderlich sind, gelten nicht als Diskriminierung im Sinne dieses Übereinkommens.


Quelle: Externer Link: Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (2011)

Die Istanbul-Konvention wurde 2011 verabschiedet und trat in Deutschland 2018 in Kraft. Sie verpflichtet die Vertragsstaaten, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um geschlechtsbezogene Diskriminierung und Gewalt zu bekämpfen. Das umfasst nach Art. 4 Abs. 2 nicht nur die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter, sondern auch ihre tatsächliche Verwirklichung. Im Rahmen der rechtlichen Gleichstellung müssen die Vertragsstaaten u.a. die Möglichkeit der strafschärfenden Berücksichtigung von Straftaten gegen die aktuelle oder ehemalige Partnerin vorsehen (Art. 46 lit. a). Für eine tatsächliche Gleichstellung müssen die Vertragsstaaten aber beispielsweise auch ein ganzheitliches politisches Konzept zur Bekämpfung geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen verfolgen (Art. 7 Abs. 1) und soziale und kulturelle Verhaltensmuster bekämpfen, die "auf der Vorstellung der Unterlegenheit der Frau oder auf Rollenzuweisungen für Frauen und Männer beruhen" (Art. 12 Abs. 1).

Istanbul-Konvention

Von den 47 Mitgliedstaaten des Europarates haben bislang 37 Staaten die Istanbul-Konvention ratifiziert. Die Türkei ist zum 1. Juli 2021 aus der Konvention ausgetreten. Elf Staaten haben die Konvention bereits unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert, sodass sie noch nicht im nationalen Recht gilt, darunter Estland, Lettland, Slowenien, Ungarn und Bulgarien.

Die Konvention sieht vor, dass Mitgliedsstaaten gegen einzelne Regelungen der Konvention Vorbehalte geltend machen können. Dadurch sind diese Regelungen dann nicht im nationalen Recht des Staates anwendbar. Deutschland hatte einen solchen Vorbehalt für die aufenthalts- und strafanwendungsrechtlichen Regelungen der Art. 44 und Art. 59 der Konvention formuliert. Im November 2022 wurde dieser Vorbehalt jedoch zurückgezogen, sodass die Konvention ab Februar 2023 uneingeschränkt in Deutschland gilt.

Im Oktober 2022 wurde der erste GREVIO-Staatenbericht zur Umsetzung der Konvention in Deutschland vorgestellt. GREVIO ("Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence") ist die unabhängigen Expert*innen-Kommission, die nach einem in den Art. 66 ff. der Konvention geregelten Verfahren die Umsetzung der Konvention in den Mitgliedsstaaten überwacht. In ihrem Staatenbericht zur Umsetzung in Deutschland hat die Kommission u.a. mehr Weiterbildungen für Rechtsanwender*innen zu geschlechtsbezogener Gewalt, eine bessere Finanzierung von Frauenschutzeinrichtungen und verbesserte Datenerhebung und -auswertung.

Auch in Entscheidungen internationaler und regionaler Gerichte und Spruchkörper wurde der Begriff Femizid bislang lediglich einmal verwendet. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte sprach in seiner "Cotton Field"-Entscheidung im Jahr 2009 von strukturellen geschlechtsbezogenen Tötungen, die Teil eines Gewaltkontextes seien, der als Feminicidios bezeichnet werden könne – allerdings ohne die konkreten Taten ausdrücklich Femizide zu nennen. In dem zugrunde liegenden Fall waren drei junge Frauen in Mexiko entführt, misshandelt, vergewaltigt, verstümmelt und getötet worden. Ernsthafte Ermittlungen der Polizei fanden nicht statt und Beschwerden der Opferfamilien wurden mit stereotypen und opferbeschuldigenden Begründungen abgewiesen.

Die Holzkreuze wurden zu Ehren der ermordeten Frauen am Stadtrand von Ciudad Juárez, Mexiko, aufgestellt. Allein zwischen 1993 und 2003 verschwanden in Ciudad Juárez mehr als 100 Frauen, viele von ihnen junge Frauen, die zuletzt im Stadtzentrum oder beim Einsteigen in Busse gesehen wurden. Die Leichen der Opfer wurden oft in der Wüste außerhalb der Stadt und in der Nähe von Fabriken entsorgt. (© picture-alliance, ASSOCIATED PRESS | Guillermo Arias)

II. Femizide und Strafrecht

1. Femizid-Straftatbestände

Erste strafrechtliche Regelungen zu Tötungen von Frauen wurden ab Mitte der 1990er Jahre in Lateinamerika verabschiedet. Ab Mitte der 2000er Jahre sprachen die Straftatbestände dann auch explizit von "Femiziden" oder "Feminiziden". Entsprechende Regelungen existieren mittlerweile in allen lateinamerikanischen Staaten außer Kuba und Haiti.

Insgesamt lassen sich zwei Gruppen von Straftatbeständen unterscheiden: Einerseits gibt es Tatbestände, die ausschließlich Intimpartnerinnentötungen erfassen. Dazu zählen unter anderem die Regelungen in Chile, der Dominikanischen Republik und Costa Rica. Andererseits gibt es Tatbestände, die noch weitere Formen geschlechtsbezogener Tötungen von Frauen kriminalisieren. Das umfasst unter anderem die Regelungen in Argentinien, Brasilien und Peru. Diese Straftatbestände sind teils sehr umfassend formuliert. Beispielsweise liegt nach Art. 121 des guatemaltekischen Código Penal ein femicidio vor, wenn eine Frau "im Kontext ungleicher Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen" getötet wird, "weil sie eine Frau ist". Ähnliche Regelungen finden sich in Art. 141 des ecuadorianischen Código Orgánico Integral Penal ("Tötung einer Frau im Rahmen geschlechtlicher Machtverhältnisse") und in Art. 57 des peruanischen Código Penal (Tötung "im Kontext von auf dem Geschlecht basierenden Herrschafts- und Unterordnungsverhältnissen").

2. Femizide im deutschen Strafrecht

Den Kern der deutschen (rechtwissenschaftlichen) Debatte um Femizide bildet die Frage, ob es sich bei einem Intimpartnerinnen-Femizid in Gestalt einer Trennungstötung um Mord im Sinne des § 211 StGB oder "nur" um Totschlag gemäß § 212 StGB handelt. Bei beiden Straftatbeständen handelt es sich um vorsätzliche Tötungsdelikte. Ein Mord liegt vor, wenn die Tötung eines anderen Menschen zusätzlich durch im Gesetz benannte sogenannte Mordmerkmale qualifiziert wird. Diese betreffen entweder die Tatausführung, die Tatmotivation oder den Tatzweck. Während das Gesetz für Mord zwingend die lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht, beinhaltet es für Totschlag einen Regelstrafrahmen von fünf bis fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe.

a. Das Mordmerkmal der "niedrigen Beweggründe"

In Fällen von Femiziden besonders relevant ist das Mordmerkmal der "sonstigen niedrigen Beweggründe". Das sind nach der Rechtsprechung solche Tatmotive, "die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verwerflich, ja verachtenswert sind". Der Beweggrund muss also in deutlich weitreichenderem Maße als bei einem Totschlag verachtenswert erscheinen. Entscheidend ist dabei eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe maßgeblichen Faktoren. Dies sind also insbesondere die Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse und der Persönlichkeit des Täters. Die Rechtsprechung arbeitet dabei mit Fallgruppen: So sollen Fälle ungehemmter Eigensucht oder krasser Rücksichtslosigkeit niedrige Beweggründe darstellen. Hinzu kommen Fälle eines eklatanten Missverhältnisses zwischen Tötung und Tatanlass, also wenn die Tötung aus einem nichtigen Anlass erfolgt. Auch Tötungen im Widerspruch zu konstitutiven gesellschaftlichen Wertentscheidungen oder Fälle des Absprechens des personalen Eigenwerts des Opfers werden als niedrig eingeordnet.

Fälle "normalpsychologischer Motivlagen", wie Wut, Verärgerung, Hass oder Eifersucht, d.h. Gefühlszustände, die jedermann bekannt und menschlich grundsätzlich nachvollziehbar sind, betrachtet die Rechtsprechung nicht per se als niedrig, sondern nur, wenn sie ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen. Herangezogen werden für diese Bewertung die Umstände der Tat, deren Entstehungsgeschichte, die Persönlichkeit des Täters und die Beziehung zum Opfer. Die Motivlage wird als niedrig bewertet, wenn die Tat auch unter Berücksichtigung dieser Aspekte eines rechtlich beachtlichen Grundes entbehrt. Ist die Tat dagegen aus der konkreten Situation heraus nach normativen Deutungsmustern noch begreiflich, sollen keine niedrigen Beweggründe vorliegen.

b. Kritik am Umgang der Rechtsprechung mit Intimpartnerinnen-Femiziden

Die Rechtsprechung knüpft bei der Prüfung niedriger Beweggründe im Falle von Trennungstötungen an Intimpartnerinnen regelmäßig primär an den Umstand an, dass die Trennung vom Tatopfer ausging. Noch im Jahr 2008 führte der BGH aus, dass die Bewertung eines Beweggrundes als niedrig dann zweifelhaft erscheine, "wenn die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will". Diese Formulierung, die in problematischer Weise patriarchale Besitzansprüche bekräftigt, ist in neueren Entscheidungen nicht mehr zu finden. Allerdings hat sich an der rechtlichen Bewertung im Ergebnis wenig geändert. Noch immer stellt der 1. Strafsenat des BGH darauf ab, dass "[g]erade der Umstand, dass eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, [...] als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden" dürfe. Dem ist jedoch kürzlich der 5. Strafsenat unter Betonung des "Menschenbild[s] des Grundgesetzes und den Werten des durchweg auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und gegenseitige personelle Achtung angelegten deutschen Rechts" entgegengetreten.

Diese aktuelle Entscheidung gibt Anlass zur Hoffnung. Denn die Rechtsprechungslinie, die das Vorliegen niedriger Beweggründe aufgrund der vom Opfer ausgehenden Trennung in Zweifel zieht, weicht dabei von ihrer sonst üblichen Prüfung der niedrigen Beweggründe ab, indem sie primär auf den objektiven Umstand der Trennung abstellt. Der bloße Umstand einer Trennung sagt aber weder etwas über das Vorhandensein einer normalpsychologischen Motivlage noch etwas über die dahinterstehende Gesinnung des Täters aus. Der 1. Strafsenat des BGH bleibt bei dem Umstand der Trennung stehen und verschließt dadurch die Augen vor der konkreten Tatmotivation. Dadurch unterbleibt auch eine Bewertung des Beweggrundes und seiner Begreiflichkeit nach normativen Deutungsmustern. Patriarchale Besitzansprüche und Vorstellungen über die Ungleichwertigkeit der Geschlechter, die in Intimpartnerinnen-Femiziden zum Aus-druck kommen können, werden so ignoriert.

Trennt sich eine Frau von ihrem (Ex-)Partner und wird deshalb von diesem getötet, so lässt dies regelmäßig auf eine niedrige Gesinnung hinter der normalpsychologischen Motivlage des Täters schließen. Denn zum einen steht die Tötung der sich trennenden (Ex-)Partnerin im Widerspruch zu der konstitutiven gesellschaftlichen Wertentscheidung, dass es jeder Person freisteht, selbstbestimmt über das Eingehen und Beenden partnerschaftlicher Beziehungen zu entscheiden. Das ist Ausdruck des grundgesetzlich verankerten Rechts auf Freiheit des Individuums. Zum anderen bedeutet die Tat auch eine – über den Umstand der bloßen Tötung hinausgehende – Negation des personalen Eigenwerts der getöteten (Ex-)Partnerin. Die Täter gestehen "ihren" Partnerinnen kein eigenes, selbstbestimmtes Leben ohne sie zu. Beides erkennt die Rechtsprechung bislang vorwiegend in "Ehrenmord"-Konstellationen an. Der BGH betont in solchen Fällen die Maßstäbe der (deutschen) Werteordnung und sieht auf einem Ehrverständnis beruhende absolute Macht- und Besitzansprüche als niedrig an. Dabei liegen Ehrenmorden Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit zugrunde, die mit jenen bei Trennungstötungen vergleichbar sind. Der Umgang der Rechtsprechung mit den Taten fügt sich hier in ein größeres Bild des "Otherings" im Kontext von geschlechtsbezogener Gewalt, d.h. die Konstruktion einer Gruppe "Anderer" und deren abwertende Abgrenzung in Bezug zur eigenen, dominanten Gruppe, ein.

Trennungstötungen passen auch in die von der Rechtsprechung gebildete Fallgruppe des eklatanten Missverhältnisses zwischen Anlass und Tat. Zu dieser Fallgruppe führte der 5. Strafsenat des BGH aus, dass bei der Bewertung des Tatanlasses auch grundlegende normative Wertentscheidungen zu berücksichtigen seien. Beispielsweise sei es mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und "den Werten des durchweg auf Gleichberechtigung und gegenseitige personelle Achtung angelegten deutschen Rechts" unvereinbar, wenn ein Täter das Ansprechen "seiner" Frau durch einen anderen Mann auf Grundlage einer Art von Besitzanspruch als schwere Provokation verstehe. Zwar handelte es sich in diesem Fall nicht um einen Intimpartnerinnen-Femizid, aber um eine Tötung, die ebenfalls auf patriarchalen Besitzansprüchen basierte, sodass die Überlegungen des Gerichts auf Femizide übertragbar sind.

III. Fazit

Femizide werden strafrechtlich häufig nicht angemessen beurteilt, weil die ihnen zugrundeliegenden Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit verkannt werden. Dass Femizide als solche erkannt und geahndet werden, ist nicht nur für die Betroffenen und deren Hinterbliebene wichtig, sondern ist auch ein Schritt hin zu einer geschlechtergerechteren Gesellschaft. Wichtiger jedoch als die Bestrafung begangener Taten ist ihre Prävention. Das gilt nicht nur in individuellen Gefahrsituationen. Es braucht vielmehr dringend Bewusstseinsbildung für die Wirkungsmechanismen geschlechtsbezogener Gewalt und eine Bekämpfung sexistischer Diskriminierung und geschlechtsbezogener Rollenbilder und Stereotype in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. etwa den Bericht der UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen, ihre Ursprünge und Auswirkungen, Rashida Manjoo, aus dem Jahr 2012 (A/HRC/20/16); den Bericht "Gender-Related Killing of Women and Girls" der "Global Study on Homicide" des United Nations Office on Drugs and Crime aus dem Jahr 2019 und das Paper der Weltgesundheitsorganisation mit dem Titel "Understanding and Addressing Violence against Women: Femicide" aus dem Jahr 2012. Teilweise werden allerdings auch Phänomene als Femizide bezeichnet, deren Einordnung als geschlechtsbezogene Tötungen nach hiesigem Begriffsverständnis zumindest zweifelhaft erscheint. Das gilt insbesondere für diskriminierende Praktiken, die in rechtlicher Hinsicht in der Regel keine Tötungen, sondern Körperverletzungen mit Todesfolge darstellen, etwa Todesfälle in Folge von Genitalverstümmelung.

  2. Vgl. dazu auch Schuchmann/Steinl, Kritische Justiz 2021, S. 312 ff.; Streuer, in: Bartsch u.a. (Hrsg.), Gender and Crime (2022), S. 145 ff.

  3. Russell/van de Ven (Hrsg.), Crimes Against Women (1976), S. 104.

  4. Eine wichtige Entwicklungslinie findet sich im lateinamerikanischen Raum. Dort wurde der Begriff seit den 1980er Jahren durch feministische Aktivist*innen weiterentwickelt. Marcela Lagarde wandelte den Begriff in „feminicidio“ ab, um damit den spezifischen Kontext systematischer und staatlich geduldeter geschlechtsbezogener Frauentötungen in Lateinamerika zu bezeichnen. Vgl. dazu Lagarde, in: Fregoso/Bejarano (Hrsg.), Terro-rizing Women (2010).

  5. Etwa ein Drittel der Frauentötungen weltweit und auch in Deutschland wird von aktuellen oder ehemaligen Partner*innen begangen, wobei die Täter*innen in 80 % der Fälle männlich sind. Vgl. dazu United Nations Office on Drugs and Crime, Global Study on Homicide 2019: Gender-Related Killing of Women and Girls (2019), S. 10; Bundeskriminalamt, Partnerschaftsgewalt (2022), S. 42.

  6. S. etwa Australian Domestic and Family Violence Death Review Network, Data Report 2018, S. 28; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen (2008), S. 41; Bundeskriminalamt, Partnerschaftsgewalt (2022), S. 42.

  7. Vgl. dazu u.a. Greuel/Petermann, in: dies. (Hrsg.), Macht – Nähe – Gewalt (?) (2007), S. 11 ff.; Campbell in: Radford/Russell (Hrsg.), Femicide. The Politics of Woman Killing (1992), S. 99 ff.

  8. Vertiefend Elsuni, Geschlechtsbezogene Gewalt und Menschenrechte (2011), S. 139 ff

  9. Europarat, Convention on Preventing and Combating Violence Against Women and Domestic Violence (SEV 210) (12.4.2011). S. dazu ausführlich McQuigg, The Istanbul Convention, Domestic Violence and Human Rights (2017), S. 37 ff.; Steinl, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 2021, S. 819 ff.

  10. Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, BGBl. II (2017), S. 1026.

  11. Zum Gewaltbegriff der Konvention vgl. Steinl, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 2021, S. 819, 822 f.

  12. Wichtige weitere Entscheidungen internationaler und regionaler Spruchkörper, die die staatlichen Pflichten zur Bekämpfung geschlechtsbezogener Gewalt konkretisiert haben, waren die Entscheidung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Maria da Penha Maia Fernandes v Brazil (2001), die Entscheidungen des CEDAW-Ausschusses in den Fällen Goekce v Austria und Yildirim v Austria (2007) und die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Opuz v Turkey (2009).

  13. Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte, González et al. v Mexico (Campo Algodonero), 16.11.2009.

  14. Zur Entstehungsgeschichte s. García-Del Moral/Neumann, The Making and Unmaking of Feminicidio/Femicidio Laws in Mexico and Nicaragua, Law & Society Review 53/2 (2019), S. 464 ff.

  15. Die Gesetze enthalten neben den Straftatbeständen häufig umfassende Begleitregelungen, die einen ganzheitlichen Ansatz zur Verfolgung der Taten abbilden. Vorgesehen sind beispielsweise spezialisierte Ermittlungsbehörden und Gerichte, kostenfreie Rechtsbeistände und psychosoziale Prozessbegleitung, nationale Monitoring- und Dokumentationsstellen sowie Anlaufstellen für Frauen im ländlichen Raum und insbesondere indigene Frauen.

  16. Art. 390 Código Penal.

  17. Art. 100 Código Penal.

  18. Asamblea Legislativa de la República de Costa Rica, Expediente No. 21.793 vom 17.3.2021.

  19. Art. 80 Código Penal.

  20. Art. 121 Código Penal.

  21. Art. 108-A Código Penal.

  22. BGH, Neue Juristische Wochenschrift 2019, 3464.

  23. St. Rspr.; s. zuletzt BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2019, 724; BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2020, 617 m.w.N.

  24. BGHSt 3, 132 ff.; vgl. zuletzt zum sog. Raserfall BGH, Neue Juristische Wochenschrift 2020, 2900 (2907).

  25. BGHSt 9, 180 (183 f.); BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 1994, 34; BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2006, 284; BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2018, 97; s. auch Eschelbach in: v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Strafgesetzbuch Kommentar (3. Aufl. 2018), § 211 Rn. 29; Fischer, Strafgesetzbuch (68. Aufl. 2021), § 211 Rn. 18; Ruth Rissing-van Saan/Georg Zimmermann, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Leipziger Kommentar StGB (12. Aufl. 2019), § 211 Rn. 71; Hartmut Schneider, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum StGB (4. Aufl. 2021), § 211 Rn. 73, 89; Sinn, in: Wolter (Hrsg.), Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch (9. Aufl. 2017), § 211 Rn. 20; s. aber auch zuletzt einschränkend BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2020, 617.

  26. BGHSt 2, 251 (254); BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2004, 89 (90); zu einer rassistisch motivierten Tötung BGHSt 18, 37 (39); BGHSt 22, 275 (376).

  27. BGHSt 44, 222; BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht-Rechtsprechungs-Report 2003, 78 (79); BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2015, 33 (35); s. auch Heine, Tötung aus „niedrigen Beweggründen“ (1988), S. 219; Rissing-van Saan/Zimmermann, in: Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Leipziger Kommentar StGB (12. Aufl. 2019), § 211 Rn. 64.

  28. BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2015, 690 (692).

  29. BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2009, 568; so auch BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2004, 34; BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht-Rechtsprechungs-Report 2006, 340 (342). Vgl. auch bereits BGH, Neue Juristi-sche Wochenschrift 1981, 1382.

  30. BGH, U. v. 21.2.2018 – 1 StR 351/17, Rn. 10; BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2019, 204 (205 f.); BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2019, 518.

  31. BGH, U. v. 6.12.2022, 5 StR 479/22

  32. Schuchmann/Steinl, Kritische Justiz 2021, S. 312, 316 ff.

  33. Vgl. Steinl, Neue Zeitschrift für Strafrecht 5/2021, Editorial.

  34. Vertiefend Schuchmann/Steinl, Kritische Justiz 2021, S. 312, 324 ff.

  35. Vertiefend Schuchmann/Steinl, Kritische Justiz 2021, S. 312, 324 f. Vgl. auch Drees, Anm. zu BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2020, 215 (218).

  36. Vertiefend Schuchmann/Steinl, Kritische Justiz 2021, S. 312, 325 f.

  37. Vgl. Pohlreich, „Ehrenmorde“ im Wandel des Strafrechts (2009), S. 214.

  38. Vgl. BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2002, 369; Neue Juristische Wochenschrift 2006, 1008 (1011); BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2020, 86; Neue Zeitschrift für Strafrecht 2020, 617. Vgl. in diese Richtung auch BGH, U. v. 13.11.2019 – 5 StR 466/19. Grundlegend zur Behandlung sog. Ehrenmorde Lembke/Foljanty, Kritische Justiz 2014, S. 298 ff. Vgl. ferner BGH, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2021, 226 (227 f.), wobei die Entscheidung ohne eine explizite "Ehrenmord"-Konstruktion auskommt.

  39. Vgl. dazu Lembke/Foljanty, Kritische Justiz 2014, S. 298 ff.; Schuchmann/Steinl, Kritische Justiz 2021, S. 312, 324 ff.

  40. Vertiefend Schuchmann/Steinl, Kritische Justiz 2021, S. 312, 326.

  41. BGH, U. v. 13.11.2019 – 5 StR 466/19, Rn. 29.

  42. In diesem Sinne auch BGH, U. v. 6.12.2022, 5 StR 479/22.

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Dr. Leonie Steinl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin an der Humboldt-Universität zu Berlin und Vorsitzende der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Strafrechts, einschließlich seiner internationalen und interdisziplinären Bezüge, sowie im Bereich der rechtlichen Geschlechterstudien.

Dr. Jara Streuer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Mitglied der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes. Sie hat zum Begriff „Femi(ni)zid“ und seinen völkerstrafrechtlichen Bezügen promoviert.