Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland weit verbreitet und alltäglich. Sie betrifft Frauen aus allen sozialen Schichten und aus jeder Altersklasse. Frauen sind vor allem von zwei Formen der Gewalt betroffen: Sexualisierte Gewalt und Gewalt durch intime Partner oder Expartner, wobei diese auch gemeinsam auftreten können, da auch von intimen (Ex-)Partnern sexualisierte Gewalt ausgehen kann.
Jede vierte Frau in Deutschland hat schon Erfahrungen mit intimer Partnergewalt gemacht. Die Hälfte aller Tötungsdelikte an Frauen wurden von einem Partner oder Expartner ausgeübt. Diese hohe Betroffenheit von Tötungsdelikten an Frauen wird daher mitunter auch als Femizid bezeichnet. Vor allem in Trennungssituationen sind Frauen stark gefährdet, Opfer von Tötungsdelikten zu werden. Gleichzeitig ist das Thema Gewalt gegen Frauen in Deutschland mit einem Tabu belegt: Nur ein Bruchteil der Gewalttaten wird je zur Anzeige gebracht. Ein Grund hierfür kann die mediale Berichterstattung über das Thema sein.
Femizid
Als Femizid versteht man vorsätzliche Morde an Frauen, weil sie Frauen sind. Nicht alle Tötungen an Frauen sind demnach Femizide, sondern nur solche, die durch die hierarchischen Geschlechterverhältnisse motiviert sind. Darunter fallen z.B. Morde im Namen der „Ehre“, Mitgift-bezogene Morde oder die gezielte Abtreibung weiblicher Föten. Die meisten Femizide in Deutschland werden von Partnern oder Expartnern begangen.
In Deutschland wird die Verwendung des Begriffs bisher von der Bundesregierung abgelehnt, mit der Begründung, dass der Begriff Femizid nicht klar konturiert sei und somit zu viele Interpretationsmöglichkeiten eröffnet würden. Femizid ist bisher auch kein Begriff der juristischen Fachsprache im Sinne eines Tatbestandes.
In der medialen Debatte kann es sinnvoll sein, diesen Begriff zu verwenden, um auf die strukturelle Dimension von Gewalt und die überproportionale Gewaltbetroffenheit von Frauen in Form von Tötungsdelikten durch intime Partner aufmerksam zu machen. Da der Begriff in der deutschen Sprache aber (derzeit noch) nicht geläufig ist, sollte er in Bezug auf die Darlegung der strukturellen Gewaltbetroffenheit auch immer eingeordnet werden.
Fußnoten
Die Rolle der Medien für die gesellschaftliche Problemwahrnehmung
Nachrichtenmedien sind eine der wichtigsten Informationsquellen für die Öffentlichkeit. Die Art und Weise, wie Nachrichtenmedien Gewalt gegen Frauen darstellen, kann zum Verständnis des Problems beitragen.
Medien bestimmen, was als öffentlich und was als privat gilt. Themen, die in den Medien sichtbar sind, werden von Öffentlichkeit und Politik als wichtiger wahrgenommen als solche, die nicht sichtbar sind. Berichterstattung kann also verändern, wie dringlich ein soziales Problem wahrgenommen wird. Mediale Öffentlichkeit für das Thema Gewalt gegen Frauen, kann das gesellschaftliche Tabu abbauen und dazu führen, dass das Problem nicht mehr als Privatsache verstanden wird. Somit kann sich mediale Berichterstattung indirekt auch auf das Anzeigeverhalten auswirken.
Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten, vermittelt dem Publikum Vorstellungen von Gewalt, von typischen Gewalthandlungen sowie typischen Tätern und Opfern. Verzerrte oder stereotype Darstellungen von Gewalt gegen Frauen können zu einem falschen Verständnis des Problems führen. Beispielsweise kann eine mediale Unterrepräsentation von Gewalt in sozialen Nahbeziehungen (also von Tätern aus dem Freundes-, Verwandten- oder Bekanntenkreis der gewaltbetroffenen Frauen) dazu führen, dass Gewalt gegen Frauen in intimen Beziehungen unterschätzt wird. In der Folge werden für das Problem keine politischen Lösungen gesucht. Die gesellschaftliche Debatte über gewalttätige Beziehungen kann so nur schleppend angestoßen werden. Das Aufrechthalten des gesellschaftlichen Tabus erschwert es betroffenen Frauen, ihre Situation rechtzeitig zu reflektieren, beispielsweise, wenn sie sich in einer gewalttätigen Beziehung befinden. Auch was überhaupt als Gewalthaltung verstanden wird, können Medien beeinflussen: Einer der Hauptgründe, warum Frauen Vorfälle, die der gesetzlichen Definition eines sexuellen Übergriffs entsprechen, nicht melden ist, dass viele Taten nicht den gängigen Stereotypen einer Vergewaltigung entsprechen, beispielsweise weil kein Fremder involviert war.
Die Art und Weise der medialen Darstellung beeinflusst auch, auf welche Ursachen und Folgen von Ereignissen geschlossen und wer für eine Lösungsfindung verantwortlich gemacht wird. Verharmlosende und unpräzise Begriffe wie "Tragödie" oder "Drama", anstatt der Verwendung von "Trennungstötung" oder "Femizid", suggerieren das plötzliche und unvorhersehbare Auftreten von Gewalt und verdeckt die strukturelle Gewaltbetroffenheit von Frauen. Zudem führt eine reine Einzelfalldarstellung dazu, dass die Verantwortung für die Gewalt vor allem im Verhalten der dargestellten Personen (beim Täter, im schlimmsten Fall bei der gewaltbetroffenen Frau), nicht aber darüber hinaus gesucht wird. Bewegt sich die Berichterstattung weg vom Einzelfall hin zum gesamtgesellschaftlichen Ausmaß des Problems (beispielsweise wie viele Frauen betroffen sind) und Ursachen in gesellschaftlichen Strukturen von Gewalt gegen Frauen (beispielsweise gesetzgeberische Maßnahmen, soziale Ressourcen, Hilfsangebote etc.), wird die Verantwortung zur Lösung des Problems auch eher in der Gesellschaft bzw. in der Politik gesehen. Sowohl die Sichtbarkeit von Gewalt gegen Frauen als auch die Art und Weise der Berichterstattung kann also das gesellschaftliche Verständnis des Problems beeinflussen.
Mediale Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen: Art der berichteten Verbrechen
Am Anfang jeder medialen Berichterstattung steht ein Auswahlprozess. Studien zeigen, dass Medienschaffende oft Ereignisse auswählen, die aufgrund bestimmter Merkmale (sogenannte Nachrichtenfaktoren) besonders berichtenswert erscheinen, z.B. durch einen großen Schaden oder weil sie unerwartet geschehen. Im Gegenzug werden alltägliche Ereignisse weniger häufig aufgegriffen. Dies trifft auch für die Berichterstattung über Gewalt gegen Frau zu. Eine Studie über die mediale Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen in deutschen Tageszeitungen (2015-2019) zeigt, dass über alltägliche Formen der Gewalt gegen Frauen stark unterproportional im Verhältnis zu ihrem realen Vorkommen berichtet wird (wie z.B. Körperverletzung oder Nötigung).
Dagegen sind Tötungsdelikte, der Studie zufolge, die häufigste Form der berichteten Verbrechen, obwohl sie weniger als ein Prozent der deutschen Kriminalstatistik ausmachen. Verzerrungen zeigen sich auch, wenn man das Verhältnis zwischen Opfern und Tätern betrachtet. Wie erwähnt, ist ein Partner oder Expartner der häufigste Täter im Kontext von Gewalt gegen Frauen. Diese Form von Gewalt kann also als alltäglich angesehen werden. Von Fremden ausgeübte Gewalt kommt hingegen deutlich seltener vor. Auch hier zeigt sich eine Verzerrung in der Berichterstattung zu Gunsten der statistisch selteneren Fälle.
Über Gewalt, die von Tätern ausgeführt wurde, die dem Opfer bekannt waren, wurde im Verhältnis zu von Fremden ausgeübte Gewalt unterproportional berichtet. Dies gilt besonders für durch intime (Ex-)Partner ausgeübte Gewalt. Gleichzeitig wurde Gewalt in Paarbeziehungen fast nur dann von den Medien aufgegriffen, wenn diese besonders brutal war. In den untersuchten Berichtsjahren (2015-2019) zeigen sich diese Muster recht stabil und unterscheiden sich kaum zwischen überregionalen, regionalen und Boulevardzeitungen.
Mediale Darstellung als Einzelfall vs. strukturelles Problem
Die Gründe für Gewalt gegen Frauen und insbesondere für Gewalt in der Partnerschaft liegen in einem Zusammenspiel von individuellen und sozioökonomischen Faktoren. Systemische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern sowie soziale und kulturelle Normen, d.h. die soziale Toleranz des Problems, spielen eine Rolle. Untersuchungen zur Medienberichterstattung über das Thema zeigen jedoch, dass Gewalt gegen Frauen als individuelles Problem dargestellt wird. Oftmals wird dabei (direkt oder indirekt) die Wurzel des Problems in der Paarbeziehung verortet (z.B. Drogenmissbrauch, Arbeitslosigkeit oder toxische Beziehungsmuster). Eine solche individualistische Sichtweise isoliert einzelne Vorfälle voneinander, indem sie sich nur auf die Fakten des jeweiligen Falles konzentriert und diese nicht in einen größeren strukturellen Kontext einordnet. Folglich werden Gewalttaten als singuläre Ereignisse und nicht als Teil größerer Muster und Strukturen gesehen.
Nur circa zehn Prozent der untersuchten Artikel in den deutschen Medien über Gewalt gegen Frauen berichtete auf rein thematischer Ebene, ohne dabei eine spezifische Tat zum Anlass zu nehmen. Diese Artikel fallen vornehmlich auf den November. Der 25. November ist der Internationale Tag zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen. Außerdem veröffentlicht das Bundeskriminalamt im November regelmäßig polizeiliche Kriminalstatistiken über Gewalt in Paarbeziehungen. Abgesehen davon blieb die überwiegende Mehrheit der Artikel bei der Darstellung der Gewalttat als Einzelereignis, ohne Bezugnahme auf verwandte Taten, Einbeziehung von Statistiken oder Experten zum Thema. Dies galt insbesondere für Gewalt in Paarbeziehungen: Vier von fünf Artikeln verblieben bei der Darstellung von Einzelfällen. Dies ist besonders ausgeprägt bei Boulevardmedien, aber auch in überregionalen und regionalen Zeitungen wird vornehmlich eine Einzelfalldarstellung vorgenommen.
Verharmlosende Begriffe wie "Eifersuchtsdrama" oder "Familientragödie" wurden in nur rund drei Prozent der Artikel verwendet. Vor allem gegen Ende des Untersuchungszeitraums 2019 wurde immer weniger auf solche Formulierungen zurückgegriffen. Andererseits wurde der Begriff "Femizid" in 39 Artikeln erwähnt, also in rund einem Prozent der Artikel im Untersuchungszeitraums. Zudem wurde lediglich in rund zwei Prozent aller Artikel auf Hilfsreinrichtungen (z.B. die Externer Link: Nummer des Hilfetelefons, Frauenhäuser) verwiesen.
Zusammenfassung
Im Vergleich zu von Fremden ausgeübten Gewalt, wird über Gewalt in Paarbeziehungen unterproportional in den Medien berichtet. Gleichzeitig muss insbesondere von Partnern oder Expartnern ausgeübte Gewalt besonders brutal sein, um die Schwelle zur medialen Berichterstattung zu überschreiten. Forschung über Gewalt in Paarbeziehungen zeigt, dass eine Tötungshandlung oftmals nicht spontan auftritt, sondern als letzte Eskalationsstufe nach einer langen Geschichte der Gewalt und Zwangskontrolle geschieht. Berichterstattung, die nur auf diesen letzten gewalttätigen Akt fokussiert, verdeckt, dass Tötungsdelikten in Beziehungen alltäglichere und andere Formen von Gewalt vorausgehen. Dies kann dazu führen, dass betroffene Frauen und deren Freunde und Familienmitglieder Anzeichen für Gewalt falsch einordnen und in gefährlichen Situationen zu spät eingreifen. Vor allem aber führt eine solche Berichterstattung zu einer mangelnden gesamtgesellschaftlichen Sensibilität gegenüber den frühen Anzeichen von gefährlichen Beziehungen, bevor diese tödlich enden. Wenn auf diese letzte Form der Gewalteskalation fokussiert wird, sollte zudem von verharmlosender Sprache (wie die Verwendung der Begriffe Drama oder Tragödie) abgesehen und Begriffe wie Trennungstötung oder Femizid verwendet werden.
Die überwiegende Mehrheit der Artikel verbleibt zudem bei einer reinen Darstellung des Einzelfalls. Eine thematische Einordnung, inklusive dem Aufzeigen des Ausmaßes oder den Gründen für Gewalt, findet nur selten statt. Dies gilt nochmal stärker für Berichterstattung über partnerschaftliche Gewalt. Als Folge kann insbesondere Gewalt in Paarbeziehungen als Privatangelegenheit verstanden werden, die sich nicht für staatliche Maßnahmen und Interventionen eignet. Offensichtlich wird vor allem Gewalt gegen Frauen in partnerschaftlichen Beziehungen von Medienschaffenden (noch) nicht als Politikum wahrgenommen. Das Aufzeigen des Ausmaßes von Gewalt gegen Frauen in intimen Beziehungen und von Mustern hinter den (scheinbaren) Einzelereignissen könnte jedoch größere Sensibilität und damit Schutz schaffen, sowohl für betroffene Frauen als auch für das gesellschaftliche Umfeld. Hinweise auf Hilfseinrichtungen (wie beispielsweise bei der Berichterstattung über Suizide mittlerweile üblich) stellen ebenfalls einen wichtigen Schritt zur Eindämmung von Gewalt gegen Frauen dar.