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Debatte: Ehegattensplitting | Familienpolitik | bpb.de

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Debatte: Ehegattensplitting

Ute Klammer Wolfgang Scherf Reina Becker Hubert Wissing

/ 3 Minuten zu lesen

Mithilfe des Ehegattensplittings können sich Ehepaare sowie eingetragene Lebenspartnerschaften steuerlich gemeinsam veranlagen lassen. Dabei wird das Gesamteinkommen der beiden Ehegatten ermittelt und halbiert, die darauf anfallende Einkommensteuer berechnet und die Steuerschuld anschließend verdoppelt. Es wird also immer so getan, als ob beide Partner genau die Hälfte des gemeinsamen Einkommens beziehen würden, auch wenn die tatsächliche Verteilung der Einkommen anders ist. Voraussetzung für das Splittingverfahren sind Ehe oder Lebenspartnerschaft, es ist unabhängig von Kindern. Das Ehegattensplitting wird regelmäßig kritisiert. bpb.de hat vier Expertinnen und Experten zu ihrer Meinung gefragt.

Standpunkt Ute Klammer: Gute Absicht – problematische Wirkung

Ute Klammer, Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation und Professorin an der Universität Duisburg-Essen

"Bei Einführung des Ehegattensplittings 1958 ließen sich gute Gründe für die Regelung anführen: Schutz der Ehe sowie gleiche steuerliche Behandlung unterschiedlicher familiärer Verteilungen von Erwerbs- und Sorgearbeit. Faktisch erweist es sich jedoch seit Langem als Hürde für eine gleichberechtigte Arbeitsteilung zwischen Eheleuten. Die Schere zwischen Brutto und Netto ist für die Person mit dem niedrigeren Einkommen, meist die Frau, besonders hoch. So fördert das Ehegattensplitting das Arrangement der Ein- oder Zuverdiener-Familie. Folgen sind eine Schwächung der Karriereperspektiven von Frauen und Einkommens- und Rentenrisiken. Sinnvoll wäre es, die Steuerklasse V für Verheiratete zu streichen und das bisher kaum genutzte Faktorverfahren (seit 2010) zum Regelverfahren zu machen, bei dem sich die Abzüge stärker an der Einkommensrelation der Partner orientieren. Im zweiten Schritt sollte der Übergang zu einem Realsplitting, einer individuellen Besteuerung, erfolgen. Hierbei ist die Übertragung eines Unterhaltsbetrags möglich, sodass der verfassungsrechtlichen Vorgabe der gegenseitigen Einstandspflicht Genüge getan wird, der mögliche Splittingvorteil aber deutlich gekappt wird."

Standpunkt Wolfgang Scherf: Ehegattensplitting und Kinderfreibetrag dienen der Steuergerechtigkeit

Wolfgang Scherf, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Justus-Liebig-Universität Gießen

"Das Ehegattensplitting und der Kinderfreibetrag sind keine Steuervergünstigungen für wohlhabende Familien. Das Ehegattensplitting rechnet jedem Partner 50 Prozent des Gesamteinkommens zu. Das entspricht der Rechtsform der Zugewinngemeinschaft und sorgt dafür, dass Ehegatten pro Person nicht mehr Steuern zahlen müssen als ein Single, der über 50 Prozent des Gesamteinkommens eines Ehepaares verfügt. Wie das Ehegattensplitting dient auch der Kinderfreibetrag nicht der Familienförderung, sondern der Steuergerechtigkeit. In diesem Fall geht es um die Berücksichtigung der typischen Ausgaben der Eltern für ihre Kinder. Diese Ausgaben mindern die steuerliche Leistungsfähigkeit im Vergleich zu Kinderlosen mit entsprechendem Einkommen und müssen daher von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden. Die aktuelle Familienbesteuerung folgt somit konsequent dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Ehegattensplitting und Kinderfreibetrag sorgen dafür, dass Ehegatten und Eltern im Vergleich zu Alleinstehenden und Kinderlosen steuerlich nicht schlechter gestellt werden. Alles andere wäre mit dem grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie auch nicht vereinbar."

Standpunkt Reina Becker: Steuerprivileg nur für bestimmte Unterhaltsgemeinschaften

Reina Becker, Steuerberaterin; klagt seit 2008 vor deutschen Gerichten gegen den Ausschluss vom Ehegattensplitting

"Der Europäische Gerichtshof bestätigte 1999 (C-391/97), dass das Ehegattensplitting eine Steuervergünstigung ist: „Das bedeutet, dass das Ehepaar bei unterschiedlich hohem Einkommen der Ehepartner steuerlich entlastet wird.“ Diese Berechnungsmethode ist eine Ausnahme vom in Deutschland bestehenden Grundsatz der Individualbesteuerung. Ausgeschlossen von diesem Steuerprivileg sind unter anderem Ehepaare, die in etwa gleich viel verdienen oder Eltern ohne Trauschein. Ebenso Alleinerziehende: Ihre Einkünfte werden unter Umständen höher besteuert als bei Ehepartnern, die sich die Erwerbs- und Hausarbeit teilen können. Faktisch ist es eine Förderung der Ehe/eingetragenen Partnerschaft, aber nur bestimmter Einkommensverteilungen und setzt nicht das Vorhandensein von Kindern voraus. Sie führt überwiegend zu einer niedrigeren Steuer bei männlichen Erwerbseinkünften, wobei unterstellt wird, in Ehen würde immer hälftig geteilt, was vom Gesetzgeber jedoch nicht geprüft wird. Deutschland wurde mehrfach von der EU-Kommission für das Ehegattensplitting kritisiert. Auch verstößt der Ausschluss einzelner Unterhaltsgemeinschaften gegen Art. 3 des Grundgesetzes ("Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich")."

Standpunkt Hubert Wissing: Die Ehe als Wirtschafts- und Verantwortungsgemeinschaft

Hubert Wissing, Leiter der Arbeitsgruppe "Kirche und Gesellschaft" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

"Wer heiratet, will zusammen durch das Leben gehen – in guten wie in schlechten Tagen. Die Ehepartner übernehmen dauerhaft und rechtlich verbindlich Verantwortung füreinander und in vielen Fällen auch für Kinder. Sie schaffen damit eine ganz wesentliche Voraussetzung für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Im Steuerrecht ist das Ehegattensplitting Ausdruck dieses Verständnisses der Ehe als Wirtschafts- und Verantwortungsgemeinschaft. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken spricht sich für die Beibehaltung des Ehegattensplittings aus. Es ist nach unserer Auffassung auch heute die angemessene Besteuerungsform für verheiratete (und inzwischen auch für verpartnerte) Menschen. Unabhängig davon, welcher Partner welches Einkommen tatsächlich erzielt, werden beide so gestellt, als ob sie jeweils die Hälfte des gemeinsamen Einkommens erwirtschaften. Denn nicht nur die Berufstätigkeit eines oder beider Partner zählt. Auch die Sorgearbeit für Kinder und pflegebedürftige Angehörige sowie die Arbeit im Haushalt gehören zum gemeinsamen Leben und zur geteilten Verantwortung. Das Splittingverfahren hilft Ehepaaren dabei, eine für sie passende Balance und Arbeitsaufteilung zu realisieren."

Fussnoten

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Ute Klammer ist Professorin und Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen. Von 2008 bis 2015 war sie dort Prorektorin für Diversity Management und Internationales. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik (insbesondere Familienpolitik, Alterssicherung, Erwerbstätigkeit und soziale Sicherung von Frauen, europäische Sozialpolitik), der Gleichstellungsforschung sowie Armut und Einkommensverteilung. Ute Klammer war Vorsitzende der Sachverständigenkommission Gleichstellung des Bundesfamilienministeriums und ist Mitglied des Sozialbeirats der Bundesregierung.

Wolfgang Scherf ist Professor für Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Öffentliche Finanzen an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er arbeitet zu den Themen öffentliche Einnahmen, Staatsverschuldung, Finanzausgleich, Beschäftigungspolitik, Verteilungspolitik, Makroökonomie.

Die Steuerberaterin Reina Becker klagt seit 2008 vor deutschen Gerichten gegen den Ausschluss als verwitwete Mutter vom Ehegatten/Partnerschaftssplitting. Seit dem Tod Ihres Mannes 2006 kümmert sich Frau Becker alleine um die beiden Töchter und zahlt mehr Steuern als vorher, denn der Splittingvorteil gilt nur für Verheiratete/Verpartnerte. Im Januar 2017 hat Becker gegen diesen Begünstigungsausschluss Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Der Sozial- und Kulturwissenschaftler Dr. Hubert Wissing ist Leiter der Arbeitsgruppe "Kirche und Gesellschaft" im Generalsekretariat des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Das ZdK ist die Stimme der Katholiken in Staat, Gesellschaft und Kirche.