Jutta Allmendinger
Jutta Allmendinger (© Businessfotografie Inga Haar)
Jutta Allmendinger (© Businessfotografie Inga Haar)
Frau Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität Berlin sowie Honorarprofessorin für Soziologie an der Freien Universität Berlin. Zuvor war sie Professorin an der Ludwigs-Maximilians-Universität München und Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürnberg. Sie wurde unter anderem mit dem Communicator-Preis ausgezeichnet.
bpb.de: Frau Allmendinger, Sie leiten mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) eine Forschungseinrichtung mit rund 360 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie sind auch Professorin. Wie viele Stunden haben Sie vergangene Woche gearbeitet?
Jutta Allmendinger: Auf sieben oder auf fünf Tage gerechnet?
bpb.de: Sagen wir auf fünf Tage.
Da habe ich jeden Tag zehn Stunden gearbeitet. Mit dem Ergebnis, dass ich ein ganzes Wochenende frei hatte, inklusive Montag.
Sie setzen sich für eine Verkürzung der Arbeitszeit ein. Sie fordern eine 32-Stunden-Woche für Männer und Frauen, für Väter und Mütter. Wie könnte solch ein Modell speziell für Eltern aussehen?
Mein Ansatz ist, dass man diese 32 Stunden pro Woche im Durchschnitt über ein ganzes Berufsleben hinweg erzielt. Das heißt, ich hätte vergangene Woche genauso gut 80 Stunden oder auch nur eine Stunde arbeiten können.
Die 32 Stunden sind aus einer Berechnung abgeleitet. Ich habe die Arbeitszeiten von Männern und Frauen addiert – und dann einfach durch zwei dividiert. Das heißt, dem Arbeitsmarkt würden bei einer Verteilung zu gleichen Teilen insgesamt keine Stunden entzogen.
Mit meinem Ansatz orientiere ich mich an den neuen Herausforderungen: eine höhere Lebenserwartung, auch höhere Pflegeleistungen. Und am Primat, endlich so etwas wie Gleichberechtigung und Chancengleichheit bei der Erwirtschaftung eines selbständigen Lebens für Männer und Frauen zu erreichen. Die Umsetzung meines Ansatzes würde Schluss machen mit der sehr niedrigen Teilzeit, von der Frauen selbst keine auch nur annähernd angemessene Rente erwirtschaften können.
Auf Familien bezogen bedeutet mein Ansatz, dass man am Anfang des Erwerbslebens viele Stunden arbeiten kann. Dann kommt meist eine Zeit der Familienbildung: Man hat Kinder und weniger Zeit für den Beruf. Man will auch weniger Zeit dafür aufbringen. Denn wollen wir wirklich Kinder haben, wenn wir für sie keine Zeit haben? Die Betreuung durch andere ist wichtig, aber sie muss auch Grenzen haben.
Als Vater oder Mutter kleiner Kinder würden Sie also mit der Arbeitszeit 'runtergehen, aber nicht komplett aus dem Beruf aussteigen und nicht den Kontakt zum Arbeitgeber verlieren. Wenn die Kinder älter werden, können sie die Stunden wieder hochfahren. Es schließt sich dann meist noch eine Zeit der Pflege der eigenen Eltern oder Großeltern an.
Funktioniert dieser Ansatz einer 32-Stunden-Woche für alle? Ich denke da an Familien mit mehreren Kindern und niedrigem Einkommen. Oder auch an Alleinerziehende.
Es gibt Beschäftigungen, bei denen zwei Mal 32 Stunden die Woche nicht ausreichen, um die materiellen Grundlagen für das Leben zu erarbeiten. Aber da würde ich staatliche Aufstockungen erwarten. So wie es Familienministerin Manuela Schwesig im Prinzip mit dem Vorschlag eines Familiengeldes getan hat. Das finde ich den richtigen Ansatz. [Anmerk. d. Red.: Bundesfamilienministerin Schwesig (SPD) hat im Juli 2016 vorgeschlagen, dass Eltern junger Kinder unabhängig von ihrem Einkommen 300 Euro im Monat erhalten sollen, wenn sie ihre Wochenarbeitszeit auf 28 bis 36 Stunden reduzieren.]
Ihr Ansatz setzt Flexibilität bei den Unternehmen voraus. Ist die Wirtschaft schon so weit? Im Moment ist es oft noch nicht einmal möglich, dass Väter in Teilzeit arbeiten.
Man kann nicht von DER Wirtschaft sprechen. Wir haben ein breites Spektrum. Zum Beispiel große Unternehmen, die wissen, dass sie die Leute nur bekommen und auch halten können, wenn ihre Arbeitszeitmodelle es ermöglichen, Beruf, Familie, Freundschaften und Engagement miteinander in Einklang zu bringen.
Ich habe den Eindruck, dass auch hier im WZB, als – wenn ich das so sagen darf – meinem Kleinunternehmen, solche Zeitmodelle akzeptiert werden. Eben dann, wenn man den Leuten die Sicherheit gibt, von Teilzeit auch wieder in Vollzeit gehen zu können.
Aber es geht – das möchte ich unterstreichen – bei meinem Ansatz nicht allein um Beruf und Kinder. Wir haben heute noch eine andere Herausforderung: Wir haben einen digitalen Umbruch, der eine radikale Umstellung unseres Bildungssystems erfordert. Wir brauchen Bildung und Ausbildung nicht nur am Anfang des Lebens. Wir werden im Lauf des Lebens ein, zwei oder drei Berufe erlernen. Sonst sind wir nicht auf der Höhe der Zeit. Und es muss im Interesse der Unternehmen sein – großer sowie der vielen kleinen und mittelständigen –, dass sie eine sehr gute Mitarbeiterschaft haben.