Familienpolitik sollte nicht allein demografische Ziele verfolgen. Genauso wichtig ist, dass sich Familien in unterschiedlichsten Konstellationen wohlfühlen.Die Geburtenraten sind in Deutschland seit mehreren Jahrzehnten sehr niedrig – mit vehementen Folgen, insbesondere für die Sozialsysteme. Für viele Politiker stellt sich daher die Frage, ob und wie familienpolitische Maßnahmen junge Menschen dazu bewegen können, mehr Kinder zu bekommen. Diese Frage war in Deutschland lange ein Tabu. Es war die damalige Familienministerin Renate Schmidt, die 2003 die niedrige Geburtenrate erstmals explizit zu einem zentralen Thema der Familienpolitik machte. Seitdem wird eine Erhöhung der Geburtenrate zunehmend – wenn auch nicht für alle Politiker – als familienpolitisches Ziel (siehe auch den Beitrag "
Demografischer Wandel wertet Familienpolitik auf
Für einen Großteil der Massenmedien und der politischen Kommunikation ist die Geburtenrate mittlerweile der zentrale Indikator einer erfolgreichen Familienpolitik. Damit hat die Problematik des Geburtentiefs einen erheblichen Einfluss auf die Familienpolitik, der sich in zwei Richtungen auswirkt:
Einerseits stärkt die demografische Entwicklung die Bedeutung von Familienpolitik. Der demografische Wandel wurde in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Zukunftsthema. Damit verbunden ist auch die Familienpolitik in den Fokus gerückt – sogar als zentrales Wahlkampfthema. Dadurch wird ein Scheinwerfer auf die Lebensbedingungen von Familien gerichtet, und die gesellschaftliche Unterstützung für den Ausbau familienpolitischer Maßnahmen steigt. Nur so war bspw. die Einführung des Elterngeldes ab 2007 politisch überhaupt durchsetzbar.
Andererseits wird die Wirksamkeit von Familienpolitik vielfach auch an der Geburtenentwicklung gemessen. Dies kann dazu führen, dass eine erfolgreiche familienpolitische Maßnahme diskreditiert wird, da sie nicht für mehr Geburten sorgt, sondern "nur" das kindliche Wohlbefinden oder die Wahlfreiheit der Eltern fördert. Je stärker bei der Durchsetzung familienpolitischer Maßnahmen mit dem Demografieargument hantiert wird, desto höher ist später der Rechtfertigungsdruck, wenn die Geburtenrate weiterhin niedrig bleibt.
Allerdings lässt sich die Frage nach der Wirkung familienpolitischer Maßnahmen auf die Geburtenrate gar nicht so einfach beantworten, wie es Politiker und Massenmedien oft suggerieren. So werden etwa häufig inadäquate Indikatoren wie die Anzahl der Geburten eines einzelnen Jahres herangezogen. Das führt teils zu absurden Diskursen und Urteilen. Wenn beispielsweise das Statistische Bundesamt vermeldet, dass es im abgelaufenen Jahr 5.000 Geburten weniger gab als im Vorjahr, sagt das vor allem etwas über die Altersstruktur der Müttergeneration aus – nicht über sinkende Geburtenraten. Trotzdem kann man damit rechnen, dass einzelne Politiker und Medien diese Meldung zum Anlass nehmen, die Familienpolitik infragezustellen oder die Abschaffung einzelner Maßnahmen zu fordern.
Aber was bewegt nun die Menschen dazu, mehr Kinder zu bekommen? Geld? Kitas? Teilzeitjobs? Lassen sich potenzielle Eltern von der Politik überhaupt beeinflussen? Die Verwirrung ist groß: Einerseits zeigen Franzosen, US-Amerikaner oder Norweger, dass weitaus höhere Geburtenraten in modernen Industrieländern möglich sind. Andererseits scheint sich in Deutschland trotz diverser Reformen keine Abkehr des Geburtentiefs abzuzeichnen.
Geburtenentwicklung in Deutschland
Die Geburtenentwicklung lässt sich unterschiedlich messen. Die zusammengefasste Geburtenrate (Total Fertility Rate – TFR
Zugleich hat sich seit 1975 in der Familienpolitik viel getan: In Westdeutschland zum Beispiel wurde das Kindergeld für das erste Kind in mehreren Schritten von 50 DM (25,56 Euro) auf 185 Euro erhöht (siehe auch den Beitrag "
Doch die genannten Maßnahmen haben nicht für mehr Kinder gesorgt. Aus dem west- beziehungsweise ab 1990 gesamtdeutschen Beispiel jedoch auf eine komplette Wirkungslosigkeit zu schließen, wäre falsch. Denn erstens wäre die zusammengefasste Geburtenrate ohne die familienpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahrzehnte vermutlich noch weiter gefallen. Zweitens zeigen Studien, dass es durchaus in einzelnen Bevölkerungsgruppen gewisse Effekte gab. Drittens waren es vielleicht nicht die richtigen oder genug familienpolitischen Maßnahmen, um eine Trendwende zu schaffen. Und viertens bedarf es gerade bei neueren Reformen wie dem Elterngeld und dem Kita-Ausbau noch mehrerer Jahre, um die Effekte beurteilen zu können.
Nachhaltige Effekte auf die Geburtenentwicklung sind nur gegeben, wenn sie sich auch in der endgültigen Kinderzahl von Frauen manifestieren. Diese wird am besten durch die Kohortengeburtenrate (Cohort Total Fertility Rate – CTFR) beziffert
Abbildung 2: Endgültige Kinderzahl (CTFR) der Jahrgänge 1930 bis 1977 in Deutschland (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Abbildung 2: Endgültige Kinderzahl (CTFR) der Jahrgänge 1930 bis 1977 in Deutschland (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Die Entwicklung der CTFR schwankt weniger als die der TFR: Während Frauen des Jahrgangs 1933 statistisch 2,22 Kinder hatten, ging die CTFR seitdem kontinuierlich Jahr für Jahr zurück und erreicht für den Jahrgang 1968 den Tiefpunkt von 1,49. Seitdem steigt sie wieder leicht an. Unterschiedliche Schätzmodelle zeigen übereinstimmend, dass Frauen des Jahrgangs 1975 statistisch auf etwa 1,57 Kinder kommen werden. Damit zeigt die CTFR ein Trendende des Geburtenrückgangs mit den niedrigsten Werten der Jahrgänge 1968 und 1969 mit durchschnittlich 1,49 Kindern. Die historisch geringste Kinderzahl haben also die Frauen, die heute Mitte 40 sind. Ob dies auch eine Trendwende ist und zukünftig ein weiterer Anstieg kommt, bleibt abzuwarten.
In Ost- und Westdeutschland verläuft diese Entwicklung ähnlich. Der niedrigste Wert der CTFR ist bei Frauen in Ostdeutschland mit dem Jahrgang 1970 erreicht und bei Frauen in Westdeutschland minimal früher mit dem Jahrgang 1968. Außerdem macht die CTFR bildungsspezifische Unterschiede deutlich: Akademikerinnen haben deutlich weniger Kinder – allerdings deuten die Schätzungen an, dass der Geburtenrückgang bei Akademikerinnen mittlerweile gestoppt ist. Die endgültige Kinderzahl von Akademikerinnen des Jahrgangs 1975 wird demnach statistisch 1,41 (1971 noch unter 1,3) und von Nichtakademikerinnen durchschnittlich 1,61 betragen. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die Familienpolitik zu diesem Trendende beigetragen hat. Diese wird sich allerdings nur annährend beantworten lassen: Eine genaue Zuordnung, welchen Anteil in der Veränderung der Geburtenziffer die Familienpolitik und welchen Anteil andere Faktoren haben, lässt sich aus methodischen Gründen nicht exakt quantifizieren.
Verschiedene Methoden, verschiedene Ergebnisse
Warum das so ist, lässt sich anhand eines Blicks auf die Methoden der Wirkungsforschung erklären. Hierbei gibt es zwei komplett verschiedene Ansätze: Auf der einen Seite Analysen mit Individualdaten – sogenannte Mikrostudien anhand einzelner Personen. Auf der anderen Seite Analysen mit aggregierten Daten – sogenannte Makrostudien anhand von Ländern.
Analysen mit Individualdaten (Mikrostudien) können Effekte für unterschiedliche Gruppen und differenziert nach der Zahl der Kinder identifizieren. Dadurch kann man verstehen, wann im Lebensverlauf einer Person eine Maßnahme wirkt und wann nicht. Eine typische Mikrostudie analysiert zum Beispiel das Geburtenverhalten in einem Land vor und nach einer Reform, um herauszufinden, ob und bei welchen Alters-, Bildungs- oder Einkommensgruppen sich Veränderungen zeigen. Daher zeigen solche Studien oft auch dann Effekte einer Reform, wenn sich der Indikator "Zusammengefasste Geburtenrate" (TFR) nicht verändert. Mikrostudien haben aber gewisse Grenzen: So lassen sich Befunde anderer Länder nicht einfach auf Deutschland übertragen. Vor allem aber können Mikrostudien das Zusammenwirken der analysierten Politikmaßnahme mit anderen familienpolitischen Maßnahmen sowie mit kulturellen Faktoren kaum ergründen.
Analysen mit aggregierten Daten (Makrostudien) können viele Länder gleichzeitig untersuchen und durch den Vergleich stärker den Zusammenhang mehrerer familienpolitischer Maßnahmen im Kontext kultureller, ökonomischer und institutioneller Rahmenbedingungen identifizieren. Allerdings können Makrostudien nicht ergründen, bei welchen Bevölkerungsgruppen eine Politikmaßnahme stärker oder schwächer wirkt. Zudem sind sie blind gegenüber dem Zeitpunkt von Geburten im Lebenslauf. Makrostudien können also den breiten kulturellen, politischen und ökonomischen Kontext berücksichtigen, dafür ermöglichen sie aber nur eine geringe Differenzierung innerhalb eines Landes. Beide Ansätze haben folglich ihre Grenzen. Sie ergänzen sich aber in ihrem Erkenntnisgewinn, sodass man zusammen durchaus ein Gesamtbild der Wirkungen von Familienpolitik auf die Fertilität erhalten kann.
Familienpolitische Effekte in Deutschland
Jahrzehntelang war man mit Blick auf die konstant niedrige Geburtenrate von einer Wirkungslosigkeit der familienpolitischen Maßnahmen in der Bundesrepublik ausgegangen. Dies lag auch an fehlenden Daten und geringeren statistischen Möglichkeiten.
Anders sahen die Analysen der Daten in der DDR aus: Zwischen 1975 und 1980 ist die zusammengefasste Geburtenrate (TFR) erheblich von 1,54 auf 1,94 gestiegen (vergleiche Abbildung 1). Dieser Anstieg wird oft auf die umfangreichen familienpolitischen Reformen von 1972 und 1976 zurückgeführt. 1972 wurde zum Beispiel ein zinsfreier Kredit für junge Ehepaare eingeführt, der 1976 erhöht wurde. Oder 1972 wurde die einmalige Leistung Geburtsbeihilfe auf 1000 Mark erhöht, was dem durchschnittlichen Monatsverdienst entsprach.
Allerdings zeigen Analysen zur endgültigen Geburtenzahl von Frauen und zum Geburtsalter, dass dieser TFR-Anstieg um statistisch 0,4 Kinder pro Frau vor allem auf einem veränderten Timing der Geburten beruht und nur zu einem geringen Anteil auf einem tatsächlichen dauerhaften Anstieg der Geburten. Das heißt: Frauen haben vergleichsweise früh im Leben Kinder bekommen, aber nicht unbedingt mehr Kinder. Zweifellos hat die Familienpolitik der DDR die Geburtenrate beeinflusst, doch der Effekt wird statistisch häufig überschätzt. Die DDR-Erfahrungen lassen sich nicht auf heute übertragen, da zum Beispiel auch das Bereitstellen von sonst knappen Wohnungen für junge Eltern zu den familienpolitischen Instrumenten der DDR gehört hat.
In den vergangenen Jahren sind einige Mikrostudien zu familienpolitischen Reformen in Deutschland entstanden, die die gewachsene Datenlandschaft mit dem Potenzial moderner statistischer Analyseverfahren kombinieren. Bezüglich des Kindergeldes zeigt Althammer (2000) positive Effekte für die Übergänge zum zweiten und zum dritten Kind. Diese Effekte sind nicht groß in dem Sinne, dass die Zahl der Mehrkindfamilien deutlich ansteigt. Aber die Wirkungen sind statistisch signifikant, sie beruhen also nicht auf zufälligen Veränderungen. Rainer et al. (2012) haben Effekte der großen Kindergeldreform von 1996 analysiert, bei der sich das Kindergeld für das erste Kind von 70 auf 200 DM fast verdreifacht hat. Es zeigt sich kein Gesamteffekt, die Geburtenzahl aller Frauen ist also nicht merkbar gestiegen. Allerdings zeigen die Analysen Effekte bei denjenigen Paaren, bei denen mindestens ein Partner ein niedriges Bildungsniveau aufweist.
Bezüglich des Einflusses der Kinderbetreuungsinfrastruktur auf die Fertilität finden Hank, Kreyenfeld und Spieß (2004) keine signifikanten Effekte der Betreuung der unter 3-Jährigen. Da gerade in Westdeutschland die Kleinkindbetreuung zu diesem Zeitpunkt nur rudimentär ausgebaut war, zeigen sich eher informelle Betreuungsarrangements als einflussreich: Zum Beispiel hat die Nähe der Großmutter einen signifikanten Einfluss auf die Geburt eines Kindes. Eine neuere Studie von 2013 von Bauernschuster et al. zeigt anhand der 326 Landkreise in Westdeutschland für 2002 bis 2009 dagegen einen Effekt der U3-Betreuung auf die Geburtenentwicklung. Da die Kinderbetreuung zurzeit noch massiv ausgebaut wird und der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz erst seit August 2013 trägt, gibt es noch keine Studien bezüglich der endgültigen Wirkungen.
Das Elterngeld war seitens der Medien und Teilen der Politik mit großen Erwartungen verbunden, dass sich dadurch die Geburtenrate erhöht. Bujard und Passet (2013) zeigen, dass es weder einen Gesamteffekt auf die altersspezifischen Geburtenraten noch auf den Übergang zum zweiten Kind gibt. Allerdings zeigt die Studie, dass die 35- bis 44-jährigen Akademikerinnen durch das Elterngeld mehr Kinder bekommen.
Fasst man die Studien zu Deutschland zusammen, lässt sich Folgendes konstatieren: (1) Familienpolitik ist nicht wirkungslos. (2) Die Maßnahmen wirken auf verschiedene Gruppen unterschiedlich. (3) Die Größenordnung kurzfristiger Effekte auf die gesamte Geburtenrate ist sehr begrenzt. Allerdings zeigen die Studien kaum, welche langfristigen Effekte es gibt und wie mehrere Maßnahmen zusammenwirken. Hier ist der Ländervergleich aufschlussreich.
Erfahrungen anderer Länder in der Familienpolitik
In den vergangenen Jahren sind mehrere Studien entstanden, die die Wirkung familienpolitischer Maßnahmen im Vergleich von OECD-Ländern untersuchen (u. a. Adsera 2004, Bujard 2011, Castles 2003, Luci-Greulich und Thevenon 2013). Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) bereitet regelmäßig die ökonomischen und sozialstrukturellen Daten ihrer über 30 demokratischen und hochindustrialisierten Mitgliedstaaten in Europa, Nordamerika, Australien und Ostasien umfassend auf. Diese Makrostudien – also Ländervergleichsstudien – weisen je nach Zeitraum und Forschungsdesign zwar teilweise unterschiedliche Befunde auf, jedoch kristallisieren sich Kinderbetreuung für unter 3-Jährige sowie finanzielle Transferquoten (direkte und indirekte Geldleistungen durch den Staat) und Kindergeld als wirkungsvoll heraus. Für arbeitsmarktspezifische Rahmenbedingungen ist die Datenlage sehr uneinheitlich, auch weil die Arbeitsmärkte in angelsächsischen Staaten völlig anders organisiert sind als zum Beispiel in Skandinavien. Aber es gibt Hinweise, dass generell Teilzeitbeschäftigung, eine hohe öffentliche Beschäftigungsquote und ein starker Dienstleistungssektor tendenziell positiv mit höheren Geburtenraten zusammenhängen.
Diese Studien deuten an, dass die langfristigen Gesamteffekte der Familienpolitik höher sind als es der Blick auf kurzfristige Effekte innerhalb eines Landes vermuten lässt. Länder wie Schweden, Island, Norwegen, Dänemark, Australien, USA oder Frankreich haben relativ hohe Geburtenraten von 1,8 bis 2,2. Dem stehen Deutschland, Österreich, Japan, Südkorea, Polen, Ungarn, Italien oder Spanien gegenüber, deren Geburtenraten zwischen 1,2 und 1,5 liegen. Die OECD-Länder mit höheren Geburtenraten haben aber nicht nur bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten, sondern auch eine stärkere kulturelle und institutionelle Verankerung der Gleichstellung von Mann und Frau (vgl. McDonald 2002, Hoem 2008, Bujard 2011). Zudem spielt die ökonomische Lage eine Rolle, da sich etwa Arbeitslosigkeit negativ auf die Geburtenrate auswirkt. Ebenso nimmt die politische Lage Einfluss: So führte der Systemwechsel in Mittel- und Osteuropa in den 1990er-Jahren zu einem Geburtenrückgang.
Der Ländervergleich zeigt also, dass die doch höchst unterschiedlichen Geburtenniveaus in den Industrieländern keineswegs zufällig sind. Die Familienpolitik spielt eine wichtige Rolle. Sie kann die Geburtenrate aber nicht steuern, vor allem nicht kurzfristig. Zudem ist die Wirkung von Familienpolitik an den wirtschaftlichen und kulturellen Kontext eines Landes gebunden. Beispielsweise ist von einem Ausbau der Kinderbetreuung kein Effekt zu erwarten, wenn Fremdbetreuung nicht kulturell akzeptiert ist. Politische Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie verpuffen, wenn die Arbeitgeber nicht mitspielen und die Vereinbarkeit unterstützen. Zudem sind Mehrkindfamilien in einigen Ländern besonders akzeptiert, während in anderen das Modell der Zweikindfamilie normativ prägend ist. Daran kann Familienpolitik allein nichts ändern, da es eine kulturelle Frage ist, die auch durch historische Erfahrungen geprägt sein kann.
Man kann von anderen Ländern in der Fertilitätsforschung viel lernen. Nur müssen die Erwartungen realistisch sein. Es gibt nicht die familienpolitische Maßnahme X oder das Maßnahmenbündel XYZ, die man auf ein Land mit niedriger Geburtenrate überträgt und die Geburtenrate dann im Folgejahr ansteigt. Einen wirksamen kurzfristigen Hebel, wie ihn die Geldpolitik mit der Festlegung der Leitzinsen gegenüber der Konjunktur hat, gibt es in der Familienpolitik einfach nicht. Allerdings zeigen die Erfahrungen anderer Länder, dass das Zusammenspiel von Betreuungsangeboten, finanziellen Transfers und familienfreundlichen Arbeitsmarktregelungen Menschen helfen, ihre Kinderwünsche umzusetzen oder sogar den konkreten Wunsch nach Familie entstehen lassen. Man kann auch anhand anderer Länder lernen, dass die kulturelle Akzeptanz von arbeitenden Müttern wichtig ist. Ebenso, dass eine familienpolitische Strategie, die sich am Einverdienermodell der 1950er-Jahre orientiert, heute in allen Industrieländern zu extrem niedrigen Geburtenraten führt.
Sieben Thesen zur Wirkung familienpolitischer Maßnahmen
Es gibt viele Studien mit unterschiedlichen Analysestrategien zur Wirkung von Familienpolitik auf die Geburtenrate, entsprechend sind die Befunde heterogen. Dennoch lassen sich einige zentrale Erkenntnisse identifizieren, die für die Ausgestaltung der zukünftigen Familienpolitik wichtig sind:
Familienpolitik hat durchaus einen Einfluss auf die Entscheidung für Kinder. Dennoch lässt sich die Geburtenrate nicht direkt steuern.
Einige familienpolitische Rahmenbedingungen, zum Beispiel qualitativ hochwertige Betreuungsangebote oder großzügige Geldleistungen, helfen jungen Paaren, sich für Kinder zu entscheiden.
Familienpolitische Maßnahmen wirken auf verschiedene Alters-, Bildungs- und Einkommensgruppen unterschiedlich. Die Wirkung unterscheidet sich auch danach, ob es um die Familiengründung geht oder den Übergang zum zweiten oder dritten Kind. Bei der Familiengründung geht es Eltern mehr um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bei weiteren Kindern eher um Transferleistungen und Wohnraum.
Familienpolitik wirkt je nach länderspezifischem Kontext anders. Die Rückkehr von Müttern in den Arbeitsmarkt kann auf unterschiedliche Weise erfolgreich geregelt werden: zum Beispiel durch eine hohe öffentliche Beschäftigungsquote und Arbeitsplatzgarantien wie in den skandinavischen Ländern oder durch einen hochgradig flexiblen Arbeitsmarkt wie in den USA.
Familienrelevante Maßnahmen wirken nicht singulär, sondern bedingen sich gegenseitig. Dabei sind viele Politikfelder familienrelevant: von der Steuer-, Arbeitsmarkt- und Bildungs- bis zur Kommunalpolitik. Eine flächendeckende ganztägige Kleinkindbetreuung wirkt nicht, wenn es später keine Ganztagsbetreuung in Schulen gibt. Es bedarf einer ganzheitlichen familienpolitischen Strategie, die nicht nur im Familienministerium, sondern auch ressortübergreifend verfolgt wird.
Wirkungen manifestieren sich oft mit erheblicher Zeitverzögerung. Doch lassen sich Effekte mit zeitlicher Verzögerung nur schwer identifizieren. Dabei ist es durchaus plausibel, dass sich die volle Wirkung erst zeitverzögert einstellt. Familienpolitische Veränderungen zum Beispiel zur Vereinbarkeit von Kind und Beruf müssen sich nicht nur erst herumsprechen, sondern auch durch Anpassungen seitens der Arbeitgeber, der kommunalen Infrastruktur, des normativen "Urteils" von Nachbarn und (Schwieger-) Eltern und des Partners begleitet werden. Für die familienpolitische Strategie bedeutet das, dass sie langfristig angelegt ist und keine kurzfristigen Erwartungen kommuniziert werden.
Familienpolitik sollte nicht nur demografische Ziele verfolgen. Familienpolitik hat mehrere weitere wichtige Ziele (siehe hierzu auch den Beitrag "
Interner Link: Ziele der Familienpolitik ") und sollte vor allem dem kindlichen und elterlichen Wohlbefinden dienen. Außerdem zeigt die Forschung, dass die Ziele des Wohlbefindens und die demografischen Ziele durchaus oft in Einklang miteinander stehen. Man kann es auf die Formel bringen: Wenn es Familien, gerade auch Mehrkindfamilien gut geht und Eltern Wahlfreiheit empfinden, dann entscheiden sich auch mehr Menschen für Kinder.