Familienpolitik ist eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe, die ressortübergreifend auf die Schultern vieler Akteure verteilt ist. Neben den so genannten öffentlichen Trägern, wie Bund, Länder und Kommunen, zählen dazu auch nichtstaatliche Akteure: die freien Träger der Wohlfahrtspflege, Kirchen, Familienverbände, Arbeitgeber und Gewerkschaften. Verbände spielen eine zentrale Rolle bei der Gestaltung, Entwicklung und Vermittlung familienpolitischer Entscheidungen. Johanna Possinger vom Deutschen Jugendinstitut skizziert, welche Verbände zu den zentralen Akteuren der Familienpolitik in Deutschland gehören und beschreibt, wie diese im politischen Willensbildungsprozess wirken.
Verbände in der Familienpolitik
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Verbände repräsentieren gesellschaftliche Vielfalt und legitimieren demokratische Prozesse, indem sie Forderungen bestimmter Bevölkerungsgruppen Ausdruck verleihen und dafür sorgen, dass die konkreten Lebenssituationen von Menschen im politischen Prozess berücksichtigt werden. Sie filtern und bündeln die Interessen ihrer Mitglieder (Interessenselektion und Interessenaggregation), um innerhalb ihrer Organisation einen Konsens zu finden und so eine klare Position nach außen vertreten zu können. Als Sprachrohr und "Anwälte" ihrer Mitglieder vermitteln sie diese Positionen und Interessen dann an die Öffentlichkeit und die Politik (Interessenartikulation).
Verbände
Unter Verbänden versteht man grundsätzlich Organisationen, die dem Bereich des "Dritten Sektors" zugeordnet werden, der zwischen dem Staat und dem Markt angesiedelt ist. Es handelt sich dabei um freiwillige Zusammenschlüsse von natürlichen bzw. juristischen Personen, die nach innen arbeitsteilig organisiert sind und nach außen gegenüber dem Staat, aber auch anderen Interessensgruppen gemeinsame Ziele vertreten, indem sie an politischen Entscheidungsprozessen mitwirken.
(Alemann von 1996)
Hierbei nehmen Verbände auch eine wichtige Rolle als kritische Berater der Politik ein. Sie fördern die Integration von Bürgerinnen und Bürgern in den Staat, indem sie Menschen die Chance geben, sich an politischen Prozessen zu beteiligen. Sie erfüllen zudem eine wichtige Funktion als "Transmissionsriemen"
In der Familienpolitik sind es vor allem drei Typen von Verbänden, die im politischen Beratungs- und Gesetzgebungsprozess eine zentrale Rolle spielen: Verbände der freien Wohlfahrtspflege, Familienverbände sowie Verbände der Arbeitgeber und Gewerkschaften.
Verbände der freien Wohlfahrtspflege
Die sechs großen Verbände der freien Wohlfahrtspflege zählen zu den zentralen Partnern des Staates in der Familienpolitik. Dazu gehören die Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Deutsche Caritasverband (DCV), der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV), das Deutsche Rote Kreuz (DRK), das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (DW) und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Diese sechs Spitzenverbände haben sich außerdem in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossen.
Die heutige Gestaltung der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland geht überwiegend auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie das erste Viertel des 20. Jahrhunderts zurück. Damals gründeten sich wohlfahrtspflegerische Initiativen aus unterschiedlichen Motivationen heraus (zum Beispiel christliche Nächstenliebe, Solidarität der Arbeiterinnen und Arbeiter, bürgerliche Aufklärung), um sich den dringenden sozialen Problemen ihrer Zeit anzunehmen (wie Massenarmut, Opfer der Weltkriege).
Tabelle: Wohlfahrtsverbände
Arbeiter- wohlfahrt (AWO) | Deutscher Caritas- verband (DCV) | Deutscher Paritätischer Wohlfahrts- verband (DPWV) | Deutsches Rotes Kreuz (DRK) | Diakonisches Werk (DW) | Zentralwohl- fahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) | |
Gründung | 1919 als "Hauptaus- schuss für Arbeiter- wohlfahrt in der SPD" gegründet. | 1897 als "Caritas- verband für das katholische Deutschland" gegründet. | 1924 als "Vereinigung der freien gemein- nützigen Wohlfahrts- einrichtungen in Deutschland“ gegründet. | 1866 gegründet. | 1849 als "Zentralaus- schuss für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche" ins Leben gerufen. | 1917 gegründet. |
Organi-sation | Die AWO ist föderativ aufgebaut und besteht aus 3800 Ortsvereinen, 480 Kreis- verbänden, 29 Landes- und Bezirks- verbänden sowie dem Bundes- verband. Sie hat 114.600 hauptamtliche Mitarbeiter/ -innen (Stand 2008). | Mitglieder des DCV sind 27 Diözesan- verbände mit 500 Teilverbänden, 19 Fach- verbände sowie 260 caritative Genossen- schaften. Der DCV verfügt über 507.500 hauptamtliche Beschäftigte (Stand 2008). | Der DPWV ist föderativ aufgebaut und gliedert sich in 15 Landes- verbände sowie 280 Kreis- geschäfts- stellen. Er beschäftigt rund 317.400 Hauptamtliche (Stand 2008). | Mitglieder des DRK sind seine 19 Landes- verbände und ca. 500 Kreis- verbände sowie 33 Schwestern- schaften. Der Verband beschäftigt etwa 132.000 Mitarbeiter/ -innen (Stand 2008). | Zum DW gehören 24 Landeskirchen, neun Freikirchen und 90 Fachverbände. Die Diakonie beschäftigt mehr als 443.600 Angestellte (Stand 2008). | Die ZWST gliedert sich in 18 Mitglieds-organisationen, die überwiegend als Landes- verbände organisiert sind. Sie beschäftigt rund 1000 Mitarbeiter/ -innen. |
Selbst-verständ- nis | Die AWO ist politisch unabhängig und sieht sich Grundwerten des freiheitlich-demokratischen Sozialismus verpflichtet, wie Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Gleichheit und Toleranz. | Kennzeichnend ist die Einbindung der Caritas in die katholische Kirche. Die Basis ihrer Arbeit sind theologische und ethische Grundsätze wie das christliche Gebot der Nächstenliebe. Sie versteht sich als Anwalt Benachteiligter. | Der DPWV sieht sich als Verband sozialer Bewegungen und ist der Idee sozialer Gerechtigkeit – insbesondere der Gleichheit aller (Parität) – verpflichtet. Er legt Wert auf konfessionelle und politische Unabhängig- keit und die Achtung der Autonomie seiner Mitglieder. | Das DRK orientiert sich an den Grundsätzen Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit und Universalität. Es versteht sich als Teil einer weltweiten Gemeinschaft, die Menschen in Not unterschiedslos Hilfe gewährt. | Die Diakonie ist das evangelische Pendant zur katholischen Caritas. Auf Grundlage des christlichen Evangeliums will sie sich durch "tätige Nächstenliebe" um Menschen in Not kümmern. | Die ZWST richtet ihre Arbeit am jüdischen Gebot der Wohltätigkeit (hebräisch: "Zedaka") aus. Nach diesem Leitbild der jüdischen Sozialarbeit gehört Wohltätigkeit zu den religiösen Pflichten. |
Quelle: Johanna Possinger, Deutsches Jugendinstitut (DJI), eigene Zusammenstellung |
Grundlage der Arbeit der freien Wohlfahrtspflege ist das Subsidiaritätsprinzip (von lat. "subsidium" = Hilfe, Beistand), auf dem die föderale Ordnung der Bundesrepublik Deutschland fußt. Demnach darf die jeweils größere Einheit (wie etwa der Staat) im Wesentlichen nur dann tätig werden, wenn die untergeordnete Einheit (wie etwa die Verbände in freier Trägerschaft) dazu nicht in der Lage ist. Der Gedanke der Subsidiarität fördert die Erledigung einer Aufgabe durch kleinere Einheiten und schützt diese vor Eingriffen der jeweils größeren. Der Staat sollte Aufgaben, die kleinere Einheiten auch erledigen können, somit nicht an sich reißen. Das Subsidiaritätsprinzip stammt ursprünglich aus der katholischen Soziallehre und ist unter anderem im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert (
Zielgruppe "Familie"
In der Praxis gibt es nicht immer einen Vorrang der freien Träger gegenüber den staatlichen. Stattdessen zeichnet sich das Verhältnis zwischen der freien Wohlfahrtspflege und dem Staat durch komplexe Kooperationsbeziehungen aus. So ergänzen freie Träger die Angebote des Staates sinnvoll und schließen bestehende Angebotslücken durch ihre freien, gemeinnützigen Dienste und Einrichtungen. Beispielsweise besuchen derzeit bundesweit rund zwei Drittel der Kinder eine Kindertageseinrichtung in freier beziehungsweise sonstiger Trägerschaft (wie zum Beispiel private Elterninitiativen oder Betriebskitas), während rund ein Drittel eine staatliche Einrichtung nutzt.
Die freien Wohlfahrtsverbände spielen außerdem eine wichtige Rolle bei der Aktivierung des bürgerschaftlichen Engagements, indem sie Bürgerinnen und Bürgern mithilfe des Bundesfreiwilligendienstes, des Freiwilligen Sozialen Jahres, Ehrenamtsbörsen und Spenden die Möglichkeit anbieten, sich für andere ehrenamtlich zu engagieren. Durch ihre Arbeit mit Ehrenamtlichen haben die Wohlfahrtsverbände, ähnlich den Familienverbänden, den Vorteil, persönliche Kontakte zu Familien in unterschiedlichen Lebenslagen zu haben und so Wissen über die Bedarfe von Familien sammeln zu können, das unmittelbar in die familienpolitischen Positionen der Verbände miteinfließen kann.
Für ihre Mitglieder erfüllen die Wohlfahrtsverbände eine wichtige Dienstleistungsfunktion, denn sie bieten unter anderem aufbereitete Fachinformationen, Fortbildungen zu neuen gesetzlichen Regelungen oder juristische Beratungen an. Umgekehrt ermöglichen es die kleineren Mitgliedseinheiten auf Kommunal- und Landesebene den Bundesverbänden, frühzeitig bundesweite familienpolitische Bedarfe zu erkennen und diese an die Politik zu vermitteln. Sie sind damit auch wichtige Seismografen der Familienpolitik. Neben ihren Rollen als Träger gemeinnütziger Dienste und Einrichtungen sowie als Dienstleister für ihre Mitglieder, erfüllen die sechs großen Wohlfahrtsverbände in Deutschland darüber hinaus also auch wichtige Funktionen als Anwälte von Hilfsbedürftigen sowie als Berater der Politik. Dabei unterscheiden sie sich in weltanschaulichen, humanitären und religiösen Leitbildern und Zielsetzungen ihrer Arbeit. Jenseits dieser Unterschiede setzen sich die Verbände der freien Wohlfahrtspflege in der Familienpolitik jedoch alle dafür ein, strukturelle und ökonomische Benachteiligungen von Familien zu beseitigen, Armut von Familien wirksamer zu bekämpfen und Familie als generationenübergreifende Verantwortungsgemeinschaft zu stärken.
Familienverbände
Als Akteure an der Schnittstelle zwischen den freien Trägern und der staatlichen Familienpolitik verstehen sich die Familienverbände in Deutschland. Ähnlich wie die Wohlfahrtsverbände sind sie parteipolitisch ungebundene, teilweise weltanschaulich profilierte Fach- und Interessengruppen. Auch sie sind teilweise Träger von Angeboten für Familien vor Ort. Als "Anwälte" für Familien setzen sie sich außerdem gezielt gegenüber der Politik, den Medien und der Öffentlichkeit für die Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen für Familien ein.
Zudem sind Familienverbände auch darauf ausgerichtet, die Selbsthilfepotenziale von Familien zu stärken. Mit ihrer fachlichen Arbeit zu den Schwerpunkten Armut von Familien, Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben, Infrastruktur für Familien und Familienbildung wollen sie ihrerseits einen Beitrag zur familienfreundlicheren Gestaltung der Gesellschaft leisten. Familienverbände verstehen sich hierbei auch als Instrumente einer kritischen Beratung und Begleitung der staatlichen Familienpolitik, zum Beispiel indem sie Gesetzesvorhaben der Bundesregierung kritisieren und eigene Vorstellungen einer "besseren" Politik für Familien an politische Entscheidungsträger herantragen.
Tabelle: Familienverbände
Deutscher Familien- verband e.V. (DFV) | Familienbund der Katholiken (FDK) | Evangelische Aktionsge-meinschaft für Familienfragen e.V. (eaf) | Verband binationaler Familien und Partner-schaften e.V. (iaf) | Verband allein-erziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV) | Zukunftsforum Familie e.V. (ZFF) | |
Gründung | 1924 gegründet. | 1953 gegründet. | 1953 gegründet. | 1972 gegründet. | 1967 gegründet. | 2002 gegründet. |
Organi-sation | Der DFV hat mehr als 15.500 Mitglieder, 16 Landes- verbände und mehrere Orts- und Kreisverbände. (Stand 2013). | Mitglieder im Bundes- verband sind die Diözesan- und Landes-verbände, 15 katholische Verbände sowie einzelne Familien- und Familien- gruppen. | Die eaf ist der familien- politische Dachverband evangelischer Institutionen und Verbände auf Bundes- und Landesebene. | Der iaf ist die Interessen-vertretung binationaler und multinationaler Familien und Partner-schaften. | Der VAMV vertritt die Interessen von 9000 Mitgliedern und über 3 Mio. Eineltern- familien in Deutschland (Stand 2013). | Das ZFF wurde auf Initiative der Arbeiter-wohlfahrt als Fachverband gegründet. Mitglieder des ZFF sind deshalb Gliederungen der AWO, aber auch andere Verbände und Einzel- personen. |
Selbst-verständ- nis | Die DFV ist politisch und konfessionell ungebunden und sieht seine Aufgabe darin, die Interessen der Familie gegenüber der Legislative und der Wirtschaft zu wahren. Dazu gehört u.a. der Schutz von Ehe und Familie, die gesetzliche Anerkennung der Erziehungs-leistung sowie die Schaffung einer kinder-freundlichen Umwelt. | Der FDK basiert auf christlichen Wert- vorstellungen. Neben seiner Interessen- vertretung von familien- bezogenen Anliegen in Kirche, Staat und Gesellschaft sieht er seinen besonderen Auftrag u.a. darin, für den Schutz und das Gelingen von Familie einzutreten. | Die eaf orientiert ihre Arbeit an christlichen Wert- vorstellungen. Sie betont die Notwendigkeit, der veränderten Lebens- wirklichkeit von Familien gerecht zu werden. Dazu setzt sie sich u.a. für die partner- schaftliche Fürsorge- verantwortung von Männern und Frauen, wirtschaftliche Sicherheit und Teilhabe-gerechtigkeit für Kinder ein. | Der iaf will das interkulturelle Zusammen- leben in Deutschland gleich-berechtigt und zukunfts-weisend gestalten. Er engagiert sich gegen Rassismus, Diskriminierung und rechtliche Ein- schränkungen binationaler Familien. | Der VAMV unterstützt Allein-erziehende durch Informationen, Beratung und Lobbyarbeit. Er setzt sich u.a. für gute Kinder-betreuung, garantierte Unterhalts-zahlungen und eine bessere Existenz-sicherung von Kindern ein. | Das ZFF setzt sich für eine zukunfts-orientierte Familienpolitik ein, der ein weiter Familien- begriff zugrundeliegt. Schwer- punkte der Arbeit des ZFF sind u.a. Elterngeld und Zeitpolitik sowie die Bekämpfung von Kinderarmut. |
Quelle: Johanna Possinger, Deutsches Jugendinstitut (DJI), eigene Zusammenstellung |
Zu den großen Familienverbänden in Deutschland gehören der Deutsche Familienverband (DFV), der Familienbund der Katholiken (FDK), die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (eaf), der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV), der Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf), der Verband kinderreicher Familien Deutschland (KRFD) sowie das auf Initiative der Arbeiterwohlfahrt gegründete Zukunftsforum Familie (ZFF). Auch die Selbsthilfeinitiativen Alleinerziehender (SHIA) sowie diverse Landesverbände und regionale beziehungsweise diözesane Gliederungen zählen zu den Familienverbänden. Die Verbände DFV, FDK, eaf, VAMV und iaf sind außerdem überkonfessionell in der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF) zusammengeschlossen. Die AGF fördert den Dialog zwischen den Familienverbänden und den Akteuren der staatlichen Familienpolitik. Sie arbeitet mit familienpolitischen Vereinigungen auf europäischer Ebene zusammen und unterstützt die Kooperation der Familienverbände untereinander.
Des Weiteren wurde im Jahr 2000 das Bundesforum Familie (BFF) gegründet. Dieses geht auf den Versuch zurück, ähnlich wie etwa in Frankreich, ein nationales Gremium aller Familienorganisationen zu schaffen. Es umfasst bundesweit knapp 120 Mitgliedsorganisationen, zu denen neben den Familienverbänden auch die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen, Stiftungen, Gewerkschaften oder auch Arbeitgeberverbände gehören. Über diese institutionalisierten Zusammenschlüsse von AGF und BFF hinaus gehen Familienverbände miteinander auch zu bestimmten Themen Kooperationen ein (wie etwa im Bündnis "7% für Kinder" oder im "Bündnis Kindergrundsicherung"). Mit einem solchen Schulterschluss versuchen sie ihren Positionen mehr politisches Gewicht zu verleihen und von der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen zu werden.
Verbände der Arbeitgeber und Gewerkschaften
Ebenfalls zu den zentralen Akteuren der Familienpolitik zählen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften. Zu den größten Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft gehören die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Bei den Gewerkschaften ist vor allem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zu nennen.
Genau wie die Wohlfahrts- und die Familienverbände bündeln auch die Arbeitgeber- und Gewerkschaftsverbände die Interessen ihrer Mitglieder und stellen deren tarif-, arbeitsmarkt- und sozialpolitisches Sprachrohr in die Gesellschaft dar. Arbeitgeberverbände und die Mitgliedsgewerkschaften des DGB (wie etwa IG Metall oder ver.di) handeln frei und unabhängig von Staat Tarife für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus, die in zeitlich befristeten Tarifverträgen festgelegt werden. Damit üben die Sozialpartner unmittelbaren Einfluss auf das Familienleben aus, indem sie zum Beispiel durch ihre Tarifverträge maßgeblich darüber bestimmen, wie viel Zeit und Geld Familien zur Verfügung steht.
Zugleich vertreten die Wirtschaftsverbände, im Unterschied zu den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege und den Familienverbänden, nicht unmittelbar die Interessen von Familien, sondern die Interessen der Arbeitgeber. Sie verfolgen damit familienpolitisch oft andere Ziele als es die gemeinnützigen Interessenverbände tun. So liegt es beispielsweise eher im Interesse von Arbeitgeberverbänden die Arbeitsmarktverfügbarkeit von Frauen und Männern für den Arbeitsmarkt zu steigern – unabhängig davon, welche Familienverpflichtungen diese zu leisten haben. Familienverbände vertreten hingegen die Interessen der Familien, das heißt sie wollen die Teilhabe von Eltern am Erwerbsleben zwar auch fördern, setzen sich darüber hinaus aber ebenso dafür ein, dass Eltern sowie Pflegende neben ihren Arbeitszeiten noch ausreichend freie Zeit für sich und ihre Kinder beziehungsweise bedürftigen Angehörigen haben. Nicht immer unproblematisch ist hierbei, dass die Arbeitgeberverbände über deutlich größere finanzielle Ressourcen verfügen und damit im politischen Beratungs- und Beeinflussungsprozess oftmals eine stärkere Durchsetzungskraft haben als die gemeinnützigen Interessenverbände.
Der demografische Wandel macht mehr Familienfreundlichkeit nötig
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels ist das Engagement der Sozialpartner im Bereich Familie in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Dies liegt daran, dass Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften selbst zunehmend erkennen, dass eine familienbewusste Personalpolitik für sie auch wirtschaftliche Vorteile hat. So trägt eine hohe Familienfreundlichkeit des Arbeitgebers dazu bei, Männer und Frauen mit Familienverpflichtungen im Unternehmen zu halten, deren Zufriedenheit und Motivation zu steigern sowie Krankheits- und Fluktuationsraten zu senken.
Darüber hinaus erweisen sich strategische Kooperationen zwischen dem Bundesfamilienministerium und den Spitzenverbänden von Arbeitgebern und Gewerkschaften als eine zielführende Strategie der Politik, die Wirtschaft bei der Gestaltung einer familienbewussten Arbeitswelt stärker in die Pflicht zu nehmen. Schon 2003 rief die Bundesregierung gemeinsam mit den großen Arbeitgeberverbänden, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, Stiftungen und einzelnen Unternehmen die "Allianz für Familie" ins Leben. In einem Spitzengespräch "Familie und Wirtschaft" einigte man sich auf Grundsätze einer familienbewussten Arbeitswelt und unterzeichnete eine gemeinsame Erklärung. 2011 bekannten sich die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft und des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur einer "Charta für familienbewusste Arbeitszeiten". Solche Willensbekundungen können zwar als positives Signal gewertet werden, führen jedoch alleine nur selten zu konkreten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen von Männern und Frauen mit Familienverpflichtungen.
Mehr bewegen konnte hier hingegen das vom Bundesfamilienministerium geförderte Unternehmensprogramm "Erfolgsfaktor Familie". In den vergangenen Jahren hat dieses zu einer stärkeren Sensibilisierung der Wirtschaft für das Thema familienfreundliche Arbeitswelt beigetragen, indem es unter anderem Erfolgsbeispiele einer familienbewussten Personalpolitik vorstellt, in einem Wettbewerb die familienfreundlichsten Unternehmen auszeichnet oder Förderprogramme zu einzelnen Maßnahmen einer betrieblichen Familienorientierung (wie zum Beispiel betriebliche Kinderbetreuung) unterstützt.
Politikberatung in der Familienpolitik
Wie arbeiten Verbände nun speziell im Bereich der familienpolitischen Politikberatung? In der Regel beginnt dieser Prozess mit der Meinungsfindung im eigenen Verband. Meist werden im Rahmen von Ausschüssen einzelne familienpolitische Themen diskutiert und gemeinsame Positionen dazu entwickelt. In diesen Ausschüssen sitzen oftmals nicht nur Vertreterinnen und Vertreter der jeweiligen Verbände und ihrer Mitglieder, sondern auch externe Experten, die zusätzliches Wissen in die Diskussionen einbringen. Die hier gebildeten Positionen werden dann in hierarchisch höheren Entscheidungsgremien weiter abgestimmt (zum Beispiel auf Bundesverbandsebene). Auf diese Weise entstehen innerhalb des jeweiligen Verbandes familienpolitische Positionspapiere, politische Empfehlungen sowie kritische Stellungnahmen zu aktuellen Gesetzentwürfen. Um ihren Positionen mehr politisches Gewicht zu verleihen, tauschen sich insbesondere die freien Verbände der Wohlfahrtspflege sowie die Familienverbände in bundesweiten Foren wie dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV) aus. Der DV stellt den Zusammenschluss der öffentlichen und freien Träger im Bereich soziale Arbeit dar und eignet sich als Plattform, damit Verbände unterschiedliche Standpunkte auszutauschen sowie im Konsens gemeinsame Positionen entwickeln können, um diese dann geschlossen in die Kanäle des politischen Beratungsprozesses einzuspeisen.
Das Spektrum an Methoden der familienpolitischen Politikberatung ist bei Verbänden sehr vielfältig. Neben der Beratung einzelner Abgeordneter sowie von Bundes- und Landesministerien, ist die Mitarbeit in politischen Gremien und Beiräten (etwa bei den Familienberichten der Bundesregierung) sowie die Teilnahme als extern geladene/r Sachverständige/r zu Anhörungen des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Bundestages von wesentlicher Bedeutung, um die Interessen des Verbandes gegenüber der Politik zu vertreten und politische Entscheidungen zu beeinflussen. Auch wenn Anhörungen von vielen Verbänden durchaus kritisch gesehen werden, da von den Fraktionen in der Regel nur solche Expert/innen als Sachverständige eingeladen werden, die deren parteipolitische Zielsetzungen unterstützen (Huber 2009, S. 19). So werden von der CDU/CSU-Fraktion neben Sachverständigen aus der Wissenschaft und Fachpraxis, die deren Position inhaltlich stützen, tendenziell häufig Arbeitgeber- und Industrieverbände geladen. Bei der SPD-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen und der Linken sind es dagegen häufiger Gewerkschaftsverbände. Trotz aller Kritik sind Anhörungen jedoch eine wichtige Plattform, um die eigene Position des Verbandes öffentlichkeitswirksam darzustellen.
Des Weiteren ist die Zusammenarbeit mit den Massenmedien etwa in Form von Interviews, Pressekonferenzen und Pressemitteilungen ein wichtiges Instrument, um familienpolitisch relevante Themen zu besetzen und so politischen Druck aufzubauen. Oft werden auch Fachtagungen zu einzelnen familienpolitischen Fragestellungen (wie etwa zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf) durchgeführt, die sich an eine breite Öffentlichkeit richten und Vertreter der Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik mit Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft sowie aus der Praxis der sozialen Arbeit in einen Austausch bringen. Zudem betreiben manche Verbände eigene Akademien, die mit ihren Fortbildungen (zum Beispiel zur Auswirkung eines Gesetzes in der Praxis) ebenfalls wichtige politische Beratungsarbeit leisten.
Netzwerkpflege und Timing
Von besonderer Bedeutung, um überhaupt gehört und wahrgenommen zu werden, sind für Verbände persönliche Kontakte zur Politik und den Medien. Die Beziehungspflege zu Abgeordneten gilt als entscheidend, um familienpolitische Informationen zwischen der Verbandspraxis und der Politik fließen zu lassen und um an Beratungsprozessen in Gremien und Anhörungen beteiligt zu werden. Neben Beziehungen zu Abgeordneten selbst sind hierbei auch deren wissenschaftliche Mitarbeiter im Bundestag wichtige Netzwerkpartner. Diese filtern in der Regel die fachlichen Informationen, die den Abgeordneten vorgelegt werden und machen oftmals selbst Vorschläge, welche Verbände in Prozesse einzubeziehen sind. Wie auch in anderen Politikbereichen, kommt es in der familienpolitischen Beratung für Verbände dabei auf das richtige Timing an (Huber 2009, S. 19).
Denn der politische Apparat ist nur zu bestimmten Zeitpunkten aufnahmefähig für den Input von außen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn im Familienministerium ein Referenten-Entwurf erarbeitet werden muss, also eine Art Vorarbeit eines später von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwurfs. Da diese Zeitfenster von außen oft schwer zu erkennen sind, sind auch in diesem Fall persönliche Kontakte der Verbände zu Abgeordneten und ihren Mitarbeitern entscheidend.
Die Verbände sind fester Bestandteil der familienpolitischen Landschaft
Die Politikberatung ist nur eine der vielfältigen Funktionen, die Wohlfahrts-, Familien-, Arbeitgeber- und Gewerkschaftsverbände in der deutschen Familienpolitik erfüllen. Sie sind zum einen Interessenvertreter beziehungsweise "Anwälte" ihrer Mitglieder und vermitteln deren Positionen an die Öffentlichkeit sowie an politische Entscheider auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene. Im familienpolitischen Willensbildungsprozess sind sie zudem Berater, Kritiker und Mahner. Neben ihren Aufgaben im Bereich der Interessenvertretung, leisten insbesondere die Verbände der freien Wohlfahrtspflege sowie auch Familienverbände einen großen Beitrag zur Schaffung einer familienfreundlichen Infrastruktur, indem sie als Träger von Angeboten (zum Beispiel in der Kindertagesbetreuung, der Pflege, der Familienbildung oder -beratung) Frauen und Männer bei ihren Fürsorgeaufgaben unterstützen und entlasten. Aus der familienpolitischen Landschaft Deutschlands sind die Verbände damit nicht wegzudenken.
Literatur
Alemann, Ulrich von 1996: Was sind Verbände? In: Informationen zur politischen Bildung, Heft 253, Bonn.
Bertsch, Frank 2009: Auf der Suche nach einer verantwortlichen Familienpolitik. Archivheft für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, Berlin, 2/2009: S. 16-29.
Boeßenecker, Karl-Heinz 2005: Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege. Eine Einführung in Organisationsstrukturen und Handlungsfelder der deutschen Wohlfahrtsverbände. Juventa: Weinheim und München.
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2011: Fachlexikon der Sozialen Arbeit (7. Auflage). Nomos Verlag: Baden-Baden.
Enste, Dominik 2004: Die Wohlfahrtsverbände in Deutschland. Eine ordnungspolitische Analyse und Reformagenda. Deutscher Institut-Verlag: Köln.
Gerlach, Irene 2010: Familienpolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden.
Huber, Claudia K. 2009: Eine Frage der Präsentation? Kommunikationsprozesse und Darstellungsformen in der wissenschaftlichen Politikberatung. Eine Fallstudie im Bereich Familienpolitik. OPR Online-Papers, 1/2009, Bertelsmann Stiftung: Gütersloh.
Richter, Gregor 2002: Privatisierung und Funktionswandel der Freien Wohlfahrtspflege. Nomos: Baden-Baden.
Straßner, Alexander 2006:
Winter, Thomas von/Willems, Ulrich (Hrsg.) 2007: Interessenverbände in Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden.
Dr. Johanna Possinger ist seit 2012 Leiterin der Fachgruppe "Familienpolitik und Familienförderung" am Deutschen Jugendinstitut in München. Von 2007 bis 2012 war sie als wissenschaftliche Referentin für Familienpolitik beim Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge in Berlin tätig. Sie promovierte 2013 am Lehrstuhl für Mikrosoziologie der Humboldt Universität zu Berlin zum Thema "Vaterschaft im Spannungsfeld von Erwerbs- und Familienleben – Neuen Vätern auf der Spur".
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