Familienrecht regelt verschiedene Aspekte von Ehe und Familie. Dazu gehören Aufgaben innerhalb der Familie, auch das Eltern-Kinder-Verhältnis bis hin zur Gleichberechtigung der Ehepartner. Damit fördert das Familienrecht auch gesellschaftlich erwünschtes Verhalten. Die Expertin für Familienpolitikforschung Irene Gerlach beschreibt die verschiedenen gesetzlichen Grundlagen, die für Ehe und Familie von Bedeutung sind, wie das Grundgesetz oder auch das Bürgerliche Gesetzbuch. Dabei skizziert sie auch die Entwicklung und Reformen des Familienrechts.
Familie, Familienrecht und Reformen
/ 13 Minuten zu lesen
Das Recht legt Regeln sowie Erwartungen fest, damit Menschen die Folgen ihres eigenen Handelns und das Dritter kalkulieren können - beziehungsweise müssen. Über Recht und insbesondere über die Grundrechte sowie das Grundgesetz geschieht dies auch im Hinblick auf das Handeln des Staates und seiner Institutionen gegenüber den Bürgern. Andererseits kann Recht auch dazu dienen, sozial erwünschtes Verhalten zu erzeugen: Dies gilt für den gesamten Bereich des Familienrechts vielleicht in viel stärkerem Maße als für irgendeinen anderen Rechtsbereich. Dabei umfasst das deutsche Recht in Bezug auf Familie das gesamte Instrumentarium der rechtlichen Steuerung und Regelung der Beziehungen von Familienmitgliedern untereinander sowie der Beziehungen zwischen Familien und Gesellschaft – und zwar unter dem Dach des Grundgesetzes (GG) als deutsche Verfassung. Artikel 6 (GG) sichert die Institutsgarantie sowie das Schutz- und Förderungsgebot der Familie als Grundrecht. In der Rechtswissenschaft gelten Ehe und Familie als sogenannte (Rechts-)Institute.
Wie Ehe und Familie als Rechtsinstitute zustande kommen, wird im Vierten Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) umfassend und detailliert geregelt. Dazu gehören zum Beispiel auch die Auflösung der Ehe und wer wem gegenüber welche Aufgaben und Pflichten, aber auch Rechte hat. Seit 2001 ist hier auch die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft geregelt. Familie und die Wahrnehmung von Familienaufgaben spielen aber auch in anderen Rechtsbereichen eine wichtige Rolle. Hier sind etwa das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das (nicht nur für Familien) ein Anrecht auf Teilzeit in der Erwerbstätigkeit schafft, zu nennen oder das Sozialgesetzbuch (SGB), das an vielen Stellen die Lebenswirklichkeit von Familien mitgestaltet. Etwa im SBG II, wo die Bedingungen der Grundsicherung für die Familienmitglieder festgelegt sind; im SBG III, das die Höhe des Arbeitslosengeldes für Bezieher mit Kind(ern) von der für Kinderlose unterscheidet und im SGB VIII, das den Rahmen der familienergänzenden Tagesbetreuung oder die Jugendhilfe regelt. Entscheidend für Eltern ist auch das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG). Auch das Kinderförderungsgesetz von 2008, mit dem ein Recht auf einen Betreuungsplatz für Unter-Drei-Jährige geschaffen wurde, prägt Familienrealität. Das Gesetz trat im August 2013 in Kraft. Und schließlich regelt auch das Betriebsverfassungsgesetz in seiner Fassung seit 2001, dass es Aufgabe der Betriebsräte ist, sich um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu kümmern.
Bei der Beurteilung der Lebenswirklichkeit von Familien muss im Rahmen wesentlicher konzeptioneller Rechtsreformen auch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) genannt werden, das 1991 in Kraft trat. Es löste das Jugendwohlfahrtsgesetz ab und war über mehrere Legislaturperioden hinweg vorbereitet worden. Das neue KJHG (im Sozialgesetzbuch VIII) setzt im Unterschied zu seinem Vorgänger präventiv an. Es enthält eine breite Palette von unterstützenden Hilfen für Familien, um deren Erziehungskraft zu stärken. Dementsprechend kann seine Intention durchaus auch darin gesehen werden, Eingriffe des Staates in das Eltern-Kind-Verhältnis durch geeignete präventive Maßnahmen zu reduzieren. Auch hinsichtlich der Familien ergänzenden Unterstützung lässt sich eine systematische Entwicklung im SGB VIII nachzeichnen, der zufolge der Staat immer früher Verantwortung für die Betreuung von Kindern übernommen hat.
Artikel 6, Grundgesetz
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Der zentrale "Familien"-Artikel im Grundgesetz ist Artikel 6. Dabei ist Absatz 1 des Artikels mehrdimensional angelegt. Zunächst stellt der Artikel ein klassisches Abwehrrecht dar, das heißt er schützt die Familie zunächst einmal vor Ein- und Übergriffen von Außen. Daneben enthält er eine Instituts- oder Einrichtungsgarantie, was bedeutet, dass die staatliche Gemeinschaft garantiert, als Familie leben zu können. Artikel 6 ist als wertentscheidende Grundsatznorm zu verstehen. Das bedeutet ganz konkret, dass sich der Staat verpflichtet, Störungen und Schädigungen der Familie durch ihn selbst sowie durch Dritte zu vermeiden und darüber hinaus Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern und Benachteiligungen zu verhindern.
Familienrecht und Grundgesetz
Diese Garantien sind in ihrer Umsetzung im Zusammenhang mit einer Reihe weiterer Artikel des Grundgesetzes zu sehen. Dazu gehört neben der Zusicherung des Rechtes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Artikel 1 Absatz 1 und in Artikel 2 vor allem der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3. Eingebunden ist der staatliche Schutz- und Förderungsauftrag für die Familie in die Geltung des Sozialstaatsprinzips nach Artikel 20 Absatz 1 und Artikel 28 Absatz 1. Artikel 6 blieb in seiner Formulierung seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 unverändert, obwohl es vor allem in der Folge der deutschen Einigung Diskussionen um Reformvorschläge gab. Artikel 3 des Grundgesetzes dagegen erfuhr 1994 eine Ergänzung durch die Aufnahme eines zusätzlichen Satzes in Absatz 2, der seitdem lautet: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Diese zusätzlich formulierte Handlungsverpflichtung des Staates ist nicht zuletzt für die reale Lebenssituation von Familien bedeutsam.
Artikel 6 Absatz 1 sieht den besonderen Schutz von Ehe und Familie vor und nimmt damit einen engen Familienbegriff ein. Der Kreis von Lebensgemeinschaften, die als Familien angesehen werden (sollen) ist heute größer und bezieht sich nicht mehr allein auf die Ehe. Das Lebenspartnerschaftsgesetz führte 2001 zu umfangreichen Änderungen unter anderem im BGB. Damit wurde einerseits ein weiterer Schritt auf dem Weg der Verrechtlichung und damit Institutionalisierung pluraler, privater Lebensorganisation getan, andererseits wurden aber auch staatliche Regelungsbefugnisse deutlich ausgeweitet. Der Gesetzgeber hat dabei nicht die Form der Verfassungsänderung (Artikel 6) gewählt, sondern die Lebenspartnerschaft im BGB geregelt, da keine vollständige Gleichstellung mit der Ehe angestrebt wurde. Allerdings ist faktisch durch die Rechtsprechung und insbesondere die Verfassungsrechtsprechung eine sukzessive Angleichung an Ehe und – bis auf die Ausnahme der paarweisen Adoption an die Familie – zu beobachten.
Schutz der Familien: Förderungsgebot und Schädigungsverbot
Das Schutzgebot für die Familie ist nicht nur als Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen (Schädigungsverbot) zu verstehen, sondern auch als Förderungsgebot. Dabei wurde das Schädigungsverbot von Familie, das zugleich als Benachteiligungsverbot verstanden werden kann, durch eine Vielzahl von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes konkretisiert. Im Hinblick auf eine konkretisierende Festlegung des Förderungsgebotes dagegen blieb das Bundesverfassungsgericht zunächst eher zurückhaltend.
So ging es davon aus, dass sich aus dem Förderungsgebot kein verfassungsrechtlich gesicherter Anspruch auf bestimmte staatliche Leistungen ableiten lässt und dass der Staat insbesondere nicht verpflichtet ist, jede die Familie treffende Belastung auszugleichen. Allerdings lässt sich im Hinblick auf seine konkrete Auslegung der Förderungspflicht durchaus eine Tendenz nachweisen: Dass nämlich der Übergang zwischen allgemeinen Gleichheitsgrundsätzen und Familienförderung immer weiter "nach oben verschoben" und damit faktisch der Förderungskatalog immer verbindlicher gestaltet wurde. Das gilt zum Beispiel für diverse Urteile des Bundesverfassungsgerichtes aus den 1990er-Jahren. Darin wurde schrittweise festgelegt, dass Eltern und auch Kindern Steuerfreibeträge zustehen. Außerdem wurde bestimmt, welche Kosten für Kinder, die den Eltern entstehen, hier zu berücksichtigen sind. In ihrer Konsequenz haben die Urteile dazu geführt, dass es quasi seit ihrer Umsetzung Mindestgrenzen für die Familienförderung gibt, hinter die der Gesetzgeber auch bei schlechter Kassenlage nicht zurückfallen kann.
Die Institutsgarantie für Ehe und Familie ist dagegen präzise ausformuliert. Beide werden zunächst durch Artikel 6 als Lebensordnungen garantiert und konkret in anderen Rechtsgebieten, zum Beispiel im BGB näher bestimmt. Dazu gehört auch, dass der Staat Merkmale und Strukturprinzipien in ihrer Existenz schützt, die nach dem Verständnis des Grundgesetzes Ehe und Familie ausmachen. Zu nennen sind hier insbesondere das Prinzip der Einehe, die Freiheit zur Eheschließung, das Gebot äußerster Zurückhaltung bei der Formulierung von Ehehindernissen, die grundsätzliche (aber nicht ausnahmslose) Unauflösbarkeit der Ehe sowie das Prinzip der Gleichberechtigung der Ehepartner.
Das Grundgesetz erforderte Änderungen im Familienrecht
Das Grundgesetz prägt den rechtlichen Rahmen von Ehe und Familie, das verdeutlicht auch ein Blick zurück auf dessen Inkrafttreten (1949). Mit den durch Artikel 6 sowie Artikel 3 des Grundgesetzes geschaffenen Rechtverhältnissen war der Gesetzgeber vor die Aufgabe gestellt, familienrechtliche Regelungen zu reformieren. Artikel 6 Absatz 5 GG forderte, für nichteheliche Kinder die gleichen Bedingungen für leibliche und seelische Entwicklung zu schaffen wie für eheliche sowie ihre gleiche Stellung in der Gesellschaft zu fördern. Doch die Verfassungsmütter und -väter hatten für diesen Verfassungsauftrag keine Frist gesetzt. Und so wurde erst durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Jahr 1969 "Das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder" erzwungen, das 1970 in Kraft trat. Im Hinblick auf die Anpassung des BGB an das am Gleichheitsgrundsatz orientierte Ehebild des Grundgesetzes hatte Artikel 117 GG dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. März 1953 eingeräumt. Die gesetzte Frist verstrich jedoch, ohne dass entsprechende Maßnahmen getroffen wurden. Erst durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1953 wurde der Prozess der Gesetzesreform in Gang gesetzt. Das Resultat war das "Erste Gleichberechtigungsgesetz" von 1958. Gleiche Rechte hatten Ehemänner und Ehefrauen aber immer noch nicht: Die Ehefrau durfte zwar nun einer eigenen Erwerbstätigkeit nachgehen, allerdings nur so weit, als dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war (§ 1356). Die elterliche Gewalt stand nun beiden Elternteilen zu, in strittigen Fragen behielt der Vater jedoch zunächst noch das Recht zum "Stichentscheid", das heißt der Vater behielt quasi das letzte Wort. Dies wurde später vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt. Auch wurde die Verpflichtung zur Mitarbeit im Geschäft als auch die Unterhaltsverpflichtung, die zuvor nur für den Mann bestand, in eine gegenseitige umformuliert. Allerdings ging das BGB (§ 1360) weiter davon aus, dass die Verpflichtung der Frau in der Regel schon durch die Führung des Haushaltes erfüllt sei.
Leitbildwandel der Ehe mit den Reformen der 1970er-Jahre
Erst mit dem "Ersten Gesetz zur Ehe- und Familienrechtsreform" von 1976 (BGB) sollte das Leitbild einer geschlechterorientierten Arbeitsteilung in der Ehe endgültig abgeschafft werden und damit der Weg für eine (rechtlich gesicherte) partnerschaftliche Ehe geebnet werden. Mit dieser Reform nahm der Entwicklungsprozess des Familienrechtes eine Wende. War zuvor die fehlende Übereinstimmung zwischen Verfassung und Gesetz Ursache für Änderungen, so ist es nun ein geändertes Leitbild. Mit der Reform wird es in das Belieben der Ehepartner gestellt, ob sie eine sogenannte Haushaltsführungsehe (verstanden als Hausfrauen- oder Hausmannehe), eine Doppelverdiener- oder eine Zuverdienstehe führen wollen (§ 1356). Beiden Ehepartnern stand nun ein Recht auf Erwerbstätigkeit zu.
Die vielleicht folgenschwerste Änderung bezog sich auf das Scheidungsrecht, in dem vom Verschuldens- zum Zerrüttungsprinzip bei den Scheidungsvoraussetzungen übergegangen (§ 1565) wurde: Es ging nicht mehr um die Schuldfrage, sondern die Feststellung, dass die Ehe gescheitert ist. Die Unterhaltsfrage wurde von der Schuldfrage, wer also das Ende einer Ehe möglicherweise verschuldet hatte, entkoppelt. Außerdem wurde das Prinzip des Zugewinnausgleichs bei der Unterhaltsberechnung eingeführt: Ehegatten konnten fortan nach einer Scheidung verlangen, dass das während der Ehe erworbene Vermögen geteilt wird. Mit diesen Änderungen zog sich der Staat deutlich zurück, wenn es darum ging, sittlich-moralische Beurteilungen von Ehe zu fällen, was eine Verstärkung des Privatheits-Charakters von Ehe zur Folge hatte.
Eltern-Kinder-Staat – der Wandel in den Erziehungsrechten und-pflichten
Ganz anders stellt sich die Entwicklung im Hinblick auf die staatliche Steuerung der Erziehungsaufgabe dar. Hier wurde der Privatheits-Charakter nicht gestärkt, sondern eingeschränkt. Mit dem "Gesetz zur Herabsetzung des Volljährigkeitsalters" aus dem Jahr 1974 tat der Gesetzgeber einen ersten Schritt zur Einschränkung der elterlichen Gewalt. Mit der Reform des Rechtes der elterlichen Sorge (1979) setzte der Staat einen Prozess in Gang, der das Leitbild des Eltern-Kind-Verhältnisses neu definierte. Das Leitbild einer einvernehmlichen Erziehung wurde geschaffen und rechtlich verankert. Dieses verpflichtet Eltern mit wachsendem Lebensalter des Kindes auf dessen Bedürfnisse und Interessen Rücksicht zu nehmen und verbietet entwürdigende Erziehungsmaßnahmen.
Dabei wurde die elterliche Gewalt nicht nur dadurch terminologisch zur elterlichen Sorge umformuliert, dass durch § 1618a (BGB) eine Generalklausel geschaffen wurde, die Kinder wie Eltern zu wechselseitiger Rücksicht und Verantwortung mahnt. Darüber hinaus gab es Änderungen, die sich auf das gegenseitige Verhältnis der Eltern als Erzieher bezogen. Zwar war die Regelung des Stichentscheids für den Vater aufgehoben worden. Doch mit der Reform wurde die "Schlichtungskompetenz" nicht gleichberechtigt auf die Eltern übertragen. Nun galt: Wenn sich die Eltern bei für das Kind bedeutsamen Fragen uneins waren, wurde die "Schlichtungskompetenz" zunächst aus der Familie ausgelagert und (auf Antrag) einem Elternteil durch das Vormundschaftsgericht übertragen. Aber nicht nur im Fall der Uneinigkeit zwischen den Eltern wurden für den Staat erweiterte Eingriffsmöglichkeiten geschaffen. Auch wenn die Eltern keine ausreichende Rücksichtnahmen auf Ausbildungs- und Berufswünsche der Kinder erkennen ließen. Ein erweiterter Schutz von Kindern sollte durch eine Pflichtbindung des Erziehungsrechtes der Eltern erreicht werden, die vor allem als Erziehungsverantwortung verstanden wurde. Die Reformen zielten dabei nicht auf eine Ersetzung der Familie durch öffentliche Erziehungseinrichtungen und -maßnahmen ab, sondern auf deren Ergänzung und Flankierung.
Staat und Familie: Wandel des Verhältnisses
Die Reform des Ehe- und Scheidungsrechts sowie der elterlichen Sorge können dahingehend interpretiert werden, dass sich der Staat aus der Beziehungsgestaltung und vor allem aus der moralischen Bewertung zurückgezogen hat. Das neu gestaltete Eltern-Kind-Verhältnis allerdings wurde durch eine verstärkte Verrechtlichung des familialen Binnenraumes geprägt, indem die Kompetenz zur Formulierung und Kontrolle von Erziehungsleitbildern zunehmend in den öffentlichen Raum verlagert wurde. Die zuvor vor allem durch das BGB als Institution nach außen geschützte und nach innen abgegrenzte und teilautonome Familie wurde also zumindest in Bezug auf das Eltern-Kind-Verhältnis aufgebrochen. Außerdem nimmt der Staat sein Wächteramt zunehmend auch als Gestalter dieses Eltern-Kind-Verhältnisses wahr.
Ein weiter Weg: Vom väterlichen Züchtigungsrecht zum kindlichen Recht auf gewaltfreie Erziehung
Schon im Rahmen der Diskussion um die im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerte Kindschaftsrechtsreform (1998) waren von Seiten der Opposition im Bundestag Forderungen nach einer Verankerung weitergehender Schutzrechte für Kinder in § 1631 Absatz 2 (BGB) formuliert worden. Im Jahr 2000 wurden diese Forderungen dann mit dem "Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung" von der rot-grünen Regierung umgesetzt.
Das Recht auf gewaltfreie Erziehung
Im Jahr 2000 wird in § 1631 (BGB) das Recht eines jeden Kindes auf gewaltfreie Erziehung verankert.
Rückblick:
1900: angemessene Zuchtmittel für den Vater
1958: Übertragung auf beide Elternteile
1979: Wechsel vom Prinzip der elterlichen Gewalt zum Prinzip der elterlichen Sorge und Verbot entwürdigender Erziehungsmaßnahmen
1998: der unbestimmte Begriff "entwürdigende Erziehungsmaßnahmen" wird präzisiert (§ 1631 Abs. 2): "Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Misshandlungen, sind unzulässig."
2000: Recht auf gewaltfreie Erziehung
2001: Gewaltschutzgesetz: gewalttätige Familienmitglieder können der Wohnung verwiesen werden
Quelle: Irene Gerlach, eigene Zusammenstellung
Nachdem nun in § 1631 (BGB) ein Recht eines jeden Kindes auf gewaltfreie Erziehung verankert wurde, kann ein vorläufiger Endpunkt eines langen Definitionsprozesses von Elternpflichten nachgezeichnet werden. Ursprünglich (in der Fassung des BGB von 1900) gestand § 1631 dem Vater das Recht auf den Einsatz "angemessener Zuchtmittel" zu, das mit dem Gleichberechtigungsgesetz 1958 auf beide Eltern überging. Eine konzeptionelle Wende ergab sich mit dem Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge erst 1979. § 1631 Absatz 2 hieß nun: "Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig." Damit wurde zwar eine eindeutige Wertung zum Ausdruck gebracht, dennoch blieb die Norm unbestimmt. Mit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 wurde der unbestimmte Rechtsbegriff "entwürdigende Erziehungsmaßnahmen" präzisiert. § 1631 Absatz 2 bestimmte nun: "Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Misshandlungen, sind unzulässig."
Die Qualität des Schutzes änderte sich dann 2000 noch einmal mit der folgenden Neuformulierung: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig." Damit wurde für die Eltern nicht nur das Gebot einer gewaltfreien Erziehung formuliert, sondern den Kindern wurde ein Recht auf gewaltfreie Erziehung zugestanden. Dieses wurde mit dem Gewaltschutzgesetz (Externer Link: Link zum Gesetz) von 2001 insofern noch einmal gestärkt, dass seitdem gewalttätige Familienmitglieder aus der gemeinsamen Wohnung gewiesen werden können.
Familie im Bundesgesetzbuch: Eine lange Reise
In den 114 Jahren seit Bestehen des BGB hat das Familienrecht eine Vielzahl von Änderungen erfahren, die mit erheblichen Neugewichtungen des Verhältnisses von Staat, Familie und Familienmitgliedern verbunden waren. 1900 war es eindeutig von der Vorstellung einer bürgerlichen Familie unter patriarchalischer Leitung geprägt. Dabei traten die Individualrechte der Mitglieder (soweit mit der Weimarer Reichsverfassung ausformuliert) lange deutlich hinter die Verwirklichung der sittlichen Idee von Familie in einer bestimmten Form zurück.
Mit den grundgesetzlich bedingten Änderungen (Gleichberechtigungsgesetz 1958, Nichtehelichen-Gesetz 1969) wurde Gleichheit zum bindenden Strukturprinzip für Ehe und Familie. Mit den Reformen im Zusammenhang des Konzeptes von Gesellschaftspolitik in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre wurde diese Tendenz verstärkt. Zum Beispiel, indem sich der Staat aus der Definition der binnenfamilialen Arbeitsteilung zurückzog, zugleich wurde die Bedeutung des Kindeswohls als Richtschnur zur Bewertung und Ausgestaltung des Eltern-Kind-Verhältnisses gesteigert. Konsequenz dieser Reformen war der Rückzug des Staates aus der Ausgestaltung von Ehe. Damit verbunden war eine "Versachlichung" im Sinne des Verzichts auf moralische Maßstäbe. Die normative wie die praktisch-inhaltliche Steuerung des Eltern-Kind-Verhältnisses wurde dagegen ein gutes Stück aus der Autonomie der Familie ausgelagert und der staatlichen Gemeinschaft überantwortet. An Bedeutung wuchs dabei die Ausrichtung am Kindeswohl. Zusammengefasst ließe sich also der Ersatz der sittlichen Wertidee durch die "Richtschnur" Grundrechtsverwirklichung und Kindeswohl feststellen. Dies führte allerdings zu einer sehr viel weniger homogenen Rechtsentwicklung als zunächst vielleicht zu vermuten war.
Einerseits gibt es eine Reihe von Ausnahmen im Hinblick auf den staatlichen Rückzug aus der Gestaltung des Ehegattenverhältnisses und die Deregulierungstendenz und zwar dort, wo Individualrechte eines Ehepartners in Frage gestellt werden. Das gilt für die Einführung des Straftatbestandes der Vergewaltigung in der Ehe von 1997 (im Strafgesetzbuch) ebenso wie für das Gewaltschutzgesetz von 2001 und die Reform der Reform des Unterhaltsrechts von 2013 (BGB). Andererseits ergab sich durch den zahlenmäßigen Rückgang der Eheschließungen und umgekehrt durch die Zunahme von nichtehelichen Lebensgemeinschaften Regelungsbedarf, der in den vergangenen Jahren in eine Vielzahl sozial- und privatrechtlicher Einzelregelungen mündete. Dies führte zu der paradox erscheinenden Situation, dass gerade die zunehmende Entscheidung für eine "destandardisierte" private Lebensorganisation Institutionalisierungsprozesse mit Hilfe des Rechts in Gang setzte.
Weitere Literatur
Gerlach, Irene: Familienpolitik. 2. Aufl. Wiesbaden 2010.
Köhler, Helmut: Bürgerliches Gesetzbuch BGB: mit Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz, BeurkundungsG, BGB-Informationspflichten-Verordnung, Einführungsgesetz, 73. Aufl. München 2014.
Schwab, Dieter: Familienrecht. 21. Aufl. München 2013.
Irene Gerlach ist Professorin für Politikwissenschaft an der Evangelischen Fachhochschule Bochum und Co-Leiterin des Forschungszentrums für Familienbewusste Personalpolitik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind u.a. das politische System der Bundesrepublik Deutschland, deutsche und internationale vergleichende Familienpolitik sowie Methoden der empirischen Sozialforschung. Zuletzt erschien ihr Buch "Betriebliche Familienpolitik: Kontexte, Messungen und Effekte" (2012).
Wir laden Sie zu einer kurzen Befragung zu unserem Internetauftritt ein. Bitte nehmen Sie sich 5 Minuten Zeit, um uns bei der Verbesserung unserer Website zu helfen. Ihre Angaben sind anonym.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!