Die Familienpolitik besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen, die sich in die drei Bereiche Geldleistungen, Zeit und Infrastruktur aufteilen lassen. Geldleistungen sind beispielsweise Kindergeld oder Ehegattensplitting, Zeitpolitik meint Maßnahmen wie den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit oder die Elternzeit und Infrastruktur umfasst Kitas oder Spielplätze. Die deutsche Familienpolitik orientiert sich dabei besonders und stärker als viele andere Länder an den Geldleistungen. Zu den bekanntesten Leistungen zählen Kindergeld und Ehegattensplitting sowie die in den vergangenen Jahren eingeführten Instrumente Elterngeld und Betreuungsgeld. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer Geldleistungen, die für bestimmte Gruppen oder bestimmte Lebenssituationen eingerichtet sind. Charakteristisch ist auch, dass viele Geldleistungen über das Steuersystem und die Sozialversicherungen umgesetzt werden. Die Geldleistungen sind vielfältig, heterogen und dadurch in ihrer Gesamtheit nur schwer zu überblicken. Dies ist auf vier Ursachen zurückzuführen:
den unterschiedlichen Bedarf in einer ausdifferenzierten Gesellschaft mit höchst verschiedenen Lebensrealitäten und Familienformen,
den im Lebensverlauf unterschiedlichen Bedarf, an dem sich zielorientierte Maßnahmen ausrichten müssen,
die Berücksichtigung von Kindern oder Ehe in vielen gesetzlichen Regelungen vom Gesundheitssystem über Steuerrecht, Grundsicherung und Wohnraumförderung bis zur Arbeitslosenversicherung, was zu institutionell verteilten Zuständigkeiten zwischen verschiedenen Ministerien, aber auch zwischen föderalen Ebenen führt und
eine historisch gewachsene Aneinanderreihung verschiedener Maßnahmen, die nicht aus einem Guss entstanden sind, sondern sich im Laufe von vielen Jahrzehnten angesammelt haben.
Geldleistungen aus der Sicht von Familien
Eine Familie profitiert im Lebensverlauf von vielen Geldleistungen: Bereits bei der Geburt werden – neben der ärztlichen Betreuung und der Hebammenhilfe – das Mutterschaftsgeld und Zuschüsse zur Haushaltshilfe über die GKV (gesetzliche Krankenversicherung) aus Bundeshaushaltsmitteln finanziert. In den ersten 14 Monaten nach der Geburt können beide Eltern zusammen bis zu 14 Monate Elterngeld beziehen, das einkommensabhängig zwischen 300 und 1.800 Euro pro Monat liegt. Ab Beginn des 15. Lebensmonates bis zum Ende des 36. Lebensmonates erhalten Eltern ein Betreuungsgeld von 100 (bzw. 150 Euro), sofern das Kind nicht in einer öffentlich geförderten Einrichtung betreut wird. Eltern erhalten für ihre Kinder von der Geburt bis zum 18. oder gar 25. Geburtstag jeden Monat 184 bis 215 Euro Kindergeld. Alternativ zum Kindergeld kann auch ein steuerlicher Freibetrag gewählt werden, dazu kommen ebenfalls für 18 oder mehr Jahre Kinderfreibeträge beim Solidaritätszuschlag und bei der Kirchensteuer. Dazu können ggf. Kosten für Kinderbetreuung, Haushaltshilfen oder Schulgeld steuerlich abgesetzt werden. Wenn die Kinder in die berufliche Ausbildung kommen, gibt es auch entsprechende familienpolitische Geldleistungen wie Bafög-Zuschüsse an Schüler und Studierende, den steuerlichen Freibetrag bei der Berufsausbildung von Kindern und die Berufsausbildungsbeihilfe der Arbeitslosenversicherung.
Dazu gibt es familienpolitische Geldleistungen für spezielle Gruppen: Für Familien mit geringem Einkommen werden mehrere spezielle Geldleistungen wie Kinderzuschlag, Kinderwohngeld, Sozialgeld (Grundsicherung) sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung für Kinder von Arbeitslosengeld II-Empfängern angeboten. Für Alleinerziehende gibt es spezielle Leistungen wie Unterhaltsvorschuss, den steuerlichen Entlastungsbeitrag und spezielle Mehrbedarfszuschläge beim Arbeitslosengeld II. Beamte erhalten Kinderzuschläge und eine Familienkomponente bei der Beihilfe.
Familien profitieren mehrfach im Sozialversicherungssystem. Dabei muss man wissen, dass die Erziehungsleistung von Familien zentrale Grundlage im Generationenvertrag ist. Denn der Generationenvertrag besagt, dass die junge Generation die Renten und die medizinische Versorgung der Rentnergeneration finanziert und nachfolgende junge Generationen werden in Familien geboren und erzogen. Kinder und Jugendliche bis 20 Jahre sind beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert. Während der Elternzeit sind Eltern beitragsfrei mitversichert. Beides gilt auch für die Pflegeversicherung. Zudem sind Reha-Maßnahmen für Mütter und Väter bereitgestellt. Bei Lohnersatzleistungen wie Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld gibt es Kinderkomponenten. In der Rentenversicherung werden Beiträge des Bundes für Kindererziehungszeiten an die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt. Dazu gibt es eine Kinderzulage im Rahmen der Altersvorsorgezulage, Waisenrenten, Erziehungsrenten und Leistungen für Kindererziehung von vor 1921 geborenen Frauen ("Trümmerfrauen").
Während die oben genannten Leistungen sich an Familien mit Kindern richten, werden einige kostenintensive Geldleistungen, die an die Ehe gekoppelt sind, auch dann gezahlt, wenn keine Kinder vorhanden sind: Durch das Ehegattensplitting zahlen Ehepaare, bei denen die Einkommensunterschiede zwischen den Partnern groß sind, weniger Steuern. Beamte erhalten Familienzuschläge. In der gesetzlichen Krankenversicherung sind Ehegatten beitragsfrei mitversichert. Zudem erhalten in der Rentenversicherung Ehepartner Witwenrenten, wovon insbesondere Frauen profitieren, deren eigene Rentenansprüche nach dem Tod des Partners sonst oft sehr gering wären. Diese Leistungen, die nicht an das Vorhandensein von Kindern gekoppelt sind, werden vielfach auch als Familienleistungen klassifiziert und – wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird – mitgerechnet. Kindbezogene Leistungen sind nur ein Teil der Familienleistungen.
Geldleistungen aus Haushaltsperspektive
Im Folgenden wird die Perspektive gewechselt und die Geldleistungen aus Sicht des Haushalts systematisiert und in ihrer Höhe dargestellt. Von den 156 verschiedenen familienpolitischen Maßnahmen, die die Bundesregierung auflistet, sind 63 direkte Geldleistungen, 24 Steuererleichterungen und 53 Maßnahmen beziehen sich auf die Sozialversicherung. Die restlichen 16 sind Infrastrukturleistungen. Die direkten Geldleistungen kosten den Staat 61,4 Milliarden Euro
Insgesamt betragen die Familienleistungen von Bund, Ländern und Kommunen nach dieser breiten Definition 200,3 Mrd. Euro. Die Zahl 200 Mrd. Euro ging intensiv durch die Presse, oft mit einem kritischen Kommentar zu der Höhe und einer Diskussion der Ziele und Wirkungen. Um die Größenordnung einzuordnen, eignet sich das Sozialprodukt Deutschlands, das 2010 bei 2.531,9 Mrd. Euro lag. Die Familienleistungen nach der breiten Definition betragen 7,9 Prozent davon. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass es erhebliche Unterschiede in der Abgrenzung und Definition von Familienpolitik gibt (vgl. Stutzer/Lipinski 2006): Ohne die ehebezogenen Leistungen kosten die familienpolitischen Leistungen den Steuerzahler 125,5 Mrd. Euro und zusätzlich ohne die Sozialversicherungen nur 86,3 Mrd. Euro, etwa 3,4 Prozent des Sozialprodukts. Die OECD kommt mit 3,1 Prozent auf einen ähnlichen Wert. Zwischen 200 Mrd. Euro und 86 Mrd. Euro liegen Welten. Viele öffentliche Bewertungen zur Familienpolitik, die diese Zahl in Relation zur Geburtenrate oder zur Kinderarmut stellen, orientieren sich an der höheren Zahl – ohne zu wissen, dass darin ehebezogene Maßnahmen, Witwenrenten, Rentenanwartschaften und die kostenlose Mitversicherung enthalten sind.
Definition familienpolitischer Leistungen | Ausgaben in Mrd. € | Anteil am Sozialprodukt |
Ehe- und familienbezogene Leistungen (breite Definition) | 200,3 | 7,91 % |
davon: familienbezogene Leistungen (breite Definition) | 125,5 | 4,96 % |
davon: ehebezogene Leistungen (breite Definition) | 74,8 | 2,96 % |
Familienpolitische Leistungen (ohne ehebezogene Leistungen, ohne Sozialversicherung) | 86,3 | 3,41 % |
Familienausgaben: Geld, Dienstleistungen, Steuer (OECD) | (2009) 73,9 | 3,07 % |
Betrachtet man die Größenordnung familienpolitischer Geldleistungen, wird deutlich, dass sie finanziell den Großteil der Familienpolitik ausmachen. Familienpolitische Infrastrukturleistungen haben eine weitaus geringere Größenordnung (siehe auch "
In der breiten Definition umfassen die familienpolitischen Geldleistungen 172,9 Mrd. Euro, ohne Sozialversicherungen 79,3 Mrd. Euro und zieht man davon die ehebezogenen Leistungen ab, verbleiben 58,9 Mrd. Euro, wovon das Kindergeld etwa zwei Drittel ausmacht. Diese erheblich unterschiedlichen Ausgabenvolumen der Familienpolitik je nach Definition verdeutlichen, wie sehr das Sozialversicherungssystem und das Steuersystem mit der Familienpolitik verwoben sind.
Definition familienpolitischer Geldleistungen | Ausgaben in Mrd. € | Anteil am Sozialprodukt |
Geldleistungen inkl. Steuer und Sozialversicherung | 172,9 | 6,83 % |
Geldleistungen inkl. Steuer (nach BMFSFJ) | 94,2 | 3,72 % |
Geldleistungen inkl. Steuer (nach Bujard) | 79,3 | 3,13 % |
Familienbezogene Geldleistungen inkl. Steuern (ohne Ehe) | 58,9 | 2,33 % |
Quelle: BMFSFJ 2012, OECD. Bei den Geldleistungen inkl. Steuer wurden Maßnahmen, die funktionell der Alterssicherung zuzuordnen sind, abweichend von der Einordnung des BMFSFJ nicht berücksichtigt. |
Welche dieser Zahlen ist am ehesten geeignet, die Ausgaben des deutschen Staates für Familien einzuschätzen? Und wie hoch sind diese Zahlen in Relation zu anderen Ausgaben? Die folgende Grafik gibt hier einen Überblick. Die breiten Definitionen für Familienleistungen insgesamt (200,3 Mrd. Euro) und für Geldleistungen (172,9 Mrd. Euro) sind schwer zu interpretieren, da hier ein großer Anteil an Sozialversicherungsausgaben mitgezählt wird. Diese sind weniger ein Transfer hin zu Familien, sondern Familie (Ehe, Kinder) ist hier der Bezugspunkt. Zudem sind Familien insgesamt im Sozialversicherungssystem vielmehr Leistungserbringer als Leistungsempfänger, denn sie sorgen dafür, dass es eine nächste Generation gibt, die die jetzigen Einzahler finanziert, wenn diese in Rente sind. Ohne den Sozialversicherungsanteil betragen die Geldleistungen mit 79,3 Mrd. Euro weniger als die Hälfte. Dieser Wert ist sinnvoller, um die Ausgaben der Familienpolitik einzuschätzen. Hierin sind Ausgaben, die sich auf die Kinder beziehen und solche, die sich auf die Ehe beziehen (v.a. das Ehegattensplitting) enthalten. Die Ausgaben nur für Kinder – die enge Definition der familienpolitischen Ausgaben – liegen bei 58,9 Mrd. Euro für Geldleistungen und 86,3 Mrd. Euro insgesamt.
Die 86,3 Mrd. Euro, die der Staat pro Jahr (hier 2010) für Kinder ausgibt, sind etwas höher als die staatlichen Ausgaben für Zinsen (65 Mrd. Euro) und mehr als das Doppelte des Verteidigungshaushalts (31,4 Mrd. Euro). Interessant ist der Vergleich mit der Rentenversicherung, deren Ausgaben von 253,7 Mrd. Euro fast drei Mal so hoch sind wie die hier errechneten Ausgaben für Kinder. Auf eine ähnliche Größenordnung kommt der Sachverständigenrat (2013), der die Leistungen des Sozialbudgets nach Funktionen errechnet hat und für "Kinder" auf den Wert 75,1 Mrd. Euro kommt. Die Relation von Leistungen für Familien bzw. Kinder im Vergleich zu Leistungen für Senioren hat auch Franz-Xaver Kaufmann (1990: 154) betont. Der Generationenkoeffizient, der durch den Quotienten aus Familientransferausgaben (enge Definition) und Rentenausgaben gebildet wird, liegt nach OECD-Daten in Deutschland bei etwa 0,2. Die finanziellen Transfers für Senioren sind vereinfacht gesagt also fünf Mal so hoch wie die für Kinder. Der Generationenkoeffizient stellt also die kindbezogenen Ausgaben für Familien in Relation zu den Ausgaben für Ältere. Bei einem Wert von Eins wären beide Ausgaben gleich hoch, je kleiner der Koeffizient, desto geringer sind die kindbezogenen Familienausgaben im Wohlfahrtsstaat berücksichtigt. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland im hinteren Mittelfeld: In Japan und den südeuropäischen Ländern sind Senioren noch stärker im sozialpolitischen Fokus, während vor allem die nordeuropäischen Länder die junge Generation stärker unterstützen (Bujard 2011: 260 ff.).
Bemerkenswert ist, dass der Etat des Familienministeriums mit 6,6 Mrd. Euro nur einen kleinen Bruchteil der öffentlichen Familienausgaben umfasst. Dies verdeutlicht, wie sehr die Familienpolitik eine politische Querschnittsaufgabe ist, bei der unterschiedliche Ebenen und Ministerien zusammenspielen müssen.
Abb. 2: Zentrale Maßnahmen familienpolitischer Leistungen (© bpb)
Abb. 2: Zentrale Maßnahmen familienpolitischer Leistungen (© bpb)
Der breiten Definition des Finanztableaus familienpolitischer Leistungen nach beträgt die Summe 200 Mrd. Euro und verteilt sich auf 156 Maßnahmen. Dabei gibt es 14 zentrale Maßnahmen, die über 90 Prozent der familienpolitischen Ausgaben ausmachen (siehe Abbildung 2).
Von den 14 zentralen Maßnahmen, die jeweils den Steuerzahler mindestens zwei Mrd. Euro kosten, sind drei der familienpolitischen Infrastruktur zuzuordnen, drei dem Rentensystem, eins der Ausbildungsförderung und drei der gesetzlichen Krankenversicherung. Die verbliebenen vier Maßnahmen sind die zentralen familienpolitischen Geldleistungen nach der engen Definition und auch in der öffentlichen Wahrnehmung: Kindergeld, Elterngeld, Ehegattensplitting und die Familienkomponenten in der Grundsicherung nach SGB II.
Detaillierte Darstellung der zentralen familienpolitischen Geldleistungen
Im Folgenden werden diese vier zentralen familienpolitischen Geldleistungen Kindergeld, Elterngeld, Ehegattensplitting und Grundsicherungskomponenten näher erläutert.
Kindergeld
Das Kindergeld ist die Schlüsselmaßnahme der familienpolitischen Geldleistungen. Es wird jeden Monat für mehr als 14 Mio. Kinder (Dez. 2011: 14,387 Mio.), meistens durch die Familienkasse, ausgezahlt. Rechtsgrundlage ist das Einkommenssteuergesetz (§§ 62 ff. EStG). Das mag überraschen, es liegt jedoch daran, dass statt der monatlichen Summe von 184 Euro über die Jahressteuerabrechnung der Kinderfreibetrag (7.008 Euro) abgesetzt werden kann. Für Besserverdienende, die einen höheren Steuersatz haben, ist der Freibetrag lohnender. Das Kindergeld kostet den Staat 39,2 Mrd. Euro, es wird zu je 42,5 Prozent von Bund und Ländern sowie zu 15 Prozent von den Kommunen finanziert, wobei vom Bund an die Länder eine Kompensation fließt. Zuständiges Ministerium ist nicht das Familien- sondern das Finanzministerium.
Abb. 3: Entwicklung der Kindergeldhöhe seit 1954 differenziert nach Paritäten, absolut (© bpb)
Abb. 3: Entwicklung der Kindergeldhöhe seit 1954 differenziert nach Paritäten, absolut (© bpb)
Kindergeld wird in vielen Ländern gezahlt, dabei gibt es drei zentrale Unterschiede: Die Höhe, die Länge der Zahlung und die Differenzierung nach der Geschwisterzahl. In Deutschland ist die Höhe relativ hoch, die Zahlung sehr lange und es gibt eine leichte Erhöhung für Mehrkindfamilien. Das Kindergeld wird mindestens bis zum 18. Geburtstag der Kinder gezahlt, und solange sie für einen Beruf ausgebildet werden sogar bis zum 25. Geburtstag. Die Höhe ist monatlich für erste und zweite Kinder jeweils 184 Euro, für dritte Kinder 190 Euro und für das vierte und weitere Kinder jeweils 215 Euro. Eine Familie mit zwei Kindern erhält also pro Jahr 4.416 Euro Kindergeld. Würde das Niveau beibehalten werden, wären es bis zur Volljährigkeit knapp 80.000 Euro, wenn beide studieren etwa 110.000 Euro.
Abb. 4: Entwicklung der Kindergeldhöhe seit 1954 differenziert nach Paritäten, inflationsbereinigt (© bpb)
Abb. 4: Entwicklung der Kindergeldhöhe seit 1954 differenziert nach Paritäten, inflationsbereinigt (© bpb)
Das Kindergeld wurde am 13.11.1954 eingeführt, es sah 25 DM ab dem dritten Kind vor und wurde von den Arbeitgebern über Familienausgleichskassen finanziert. Ab 1964 wird es komplett vom Bund finanziert. Während es anfangs nur für Mehrkindfamilien gezahlt wurde, gibt es seit 1975 für alle Kinder Kindergeld. Die Abbildungen zeigen, dass es in mehreren Stufen angehoben wurde und dass das Kindergeld pro Kind für Mehrkindfamilien immer höher war. Allerdings ist die Differenz der Höhe nach der Kinderzahl – durch den Abstand der Kurven grafisch sichtbar – inzwischen sehr gering. Für den langfristigen Vergleich sind inflationsbereinigte Zahlen aussagekräftiger: Hier zeigt sich, dass das Kindergeld für das erste Kind noch nie so hoch war wie in den vergangenen Jahren. Jedoch ist das Kindergeld für das vierte Kind mit 215 Euro kaum höher als 1979 (210 Euro). Für Mehrkindfamilien ist inflationsbereinigt das Kindergeld seit mehr als drei Jahrzehnten nicht mehr angestiegen.
Elterngeld
Das Elterngeld wurde im Jahr 2006 eingeführt und für alle ab dem 1.1.2007 geborenen Kinder bezahlt. Es ist ein Paradigmenwechsel in der deutschen Familienpolitik: Zum einen, da die Höhe der Leistung sich am letzten Einkommen orientiert und zweitens aufgrund der speziellen Anreize für Väter, Elternzeit zu nehmen. Es kostet 4,6 Mrd. Euro (2010), während die Vorgängermaßnahme, das Erziehungsgeld, etwa 2,8 Mrd. Euro (2006) gekostet hat.
Durch die Einkommensorientierung unterscheidet es sich von anderen familienpolitischen Maßnahmen, die entweder gleiche Leistungen vorsehen (Universalprinzip, z.B. Kindergeld) oder nur Bedürftigen zustehen (Bedürftigkeitsprinzip, z.B. Grundsicherung). Die Höhe des Elterngelds liegt mindestens bei 300 Euro und höchstens bei 1.800 Euro. Der Wert berechnet sich aus 65 bis 100 Prozent des "Voreinkommens", dem durchschnittlichen Nettoeinkommen des betreuenden Elternteils im Jahr vor der Geburt. Bei 1.000 Euro Voreinkommen beträgt das Elterngeld 670 Euro, bei 2.000 1.300 Euro und ab 2.769 Euro wird der Höchstsatz von 1.800 Euro ausbezahlt. Dazu gibt es einen Geschwisterbonus von zehn Prozent, mindestens 75 Euro. Spitzenverdiener ab einem zu versteuernden Einkommen von 500.000 Euro für Paare erhalten kein Elterngeld.
Voreinkommen | Berechnungssatz | Elterngeldhöhe (ab 2011) |
<300 | Mindestelterngeld | 300 € |
300-1.000 | 67-100% des Voreinkommens | 300-670 € |
1.000-1.200 | 67% des Voreinkommens | 670-804 € |
1.200-1.240 | 65-67% des Voreinkommens | 804-806 € |
1.240-2.769 | 65% des Voreinkommens | 806-1.800 € |
>2.769 (zvEk<500.000) | Höchstbetrag | 1.800 € |
zvEk>500.000 | entfällt für Spitzenverdiener | 0 |
Zur Berechnung einzelner Werte: Externer Link: http://www.familien-wegweiser.de/Elterngeldrechner |
Eltern können bis zu 14 Monate Elterngeld erhalten, jeder Partner mindestens zwei und höchstens 12 Monate. Auf die 14 Monate kommen Elternpaare also nur, wenn beide Elterngeldzeit in Anspruch nehmen. Wie die 14 Monate aufgeteilt werden, ist relativ flexibel: Sie können parallel genommen werden oder nacheinander oder gestückelt. Die Väterquote an Elternzeit ist von unter 4 Prozent im Jahr 2006 auf 28,2 Prozent (im ersten Quartal 2012 geborene Kinder) gestiegen.
Ehegattensplitting
Das Ehegattensplitting ist eine steuerliche Maßnahme, bei der beide Ehepartner (nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 2013 auch Eingetragene Lebenspartner) gemeinsam steuerlich veranlagt werden können. Dabei wird das zu versteuernde Einkommen zusammengerechnet, dann halbiert und quasi als zwei gleich hohe Einkommen besteuert. Dieses Verfahren sorgt dafür, dass die Steuerfreibeträge und die niedrigen Progressionsstufen beider Partner optimal genutzt werden. Es lohnt sich besonders bei höheren Einkommen und wenn das Einkommen zwischen den Paaren ungleich verteilt ist – also bei Einverdiener-Hausfrauen-Ehen. Maximal können Paare durch das Ehegattensplitting gut 15.000 Euro sparen, da das Splitting auch die Progressionsstufe der seit 2007 wirksamen Erhöhung der Einkommensteuer für hohe Einkommen (ab 501.462 Euro zu versteuerndes Einkommen bei Zusammenveranlagung, sogenannte "Reichensteuer") reduziert.
Das Ehegattensplitting wurde 1958 unter der Regierung Adenauer eingeführt, die gemeinsame Veranlagung gab es bereits zuvor. Heute kostet es den Staat pro Jahr etwa 20 Mrd. Euro. Die Maßnahme gilt inzwischen als umstritten. Ein Grund ist, dass auch kinderlose Paare davon profitieren. Ein zweiter, dass das Ehegattensplitting Anreize für die Partnerin reduziert, arbeiten zu gehen, da sie faktisch ab dem ersten verdienten Euro eine hohe Steuerprogression zahlen muss. Andererseits gibt es für Ehepaare diesen Steuervorteil nicht isoliert, sondern auch die gesetzliche Verpflichtung, finanziell füreinander aufzukommen beispielsweise durch Unterhalt. Eine Abschaffung des Ehegattensplittings würde nicht das ganze Volumen von 20 Mrd. Euro einsparen, wenn man das Unterhaltsargument und den Förderanteil von Familien mit Kindern berücksichtigt. Befürworter verweisen zudem auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe in Artikel 6 des Grundgesetzes. Allerdings steht das Ehegattensplitting mit seinen Anreizen in Widerspruch zu neueren Zielen der Familienpolitik wie Gleichstellung und die höhere Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen.
Familienkomponenten in der Grundsicherung nach SGB II
Die deutsche Grundsicherung, die im Sozialgesetzbuch geregelt ist, sieht mehrere Familienkomponenten vor. Beim Arbeitslosengeld II gibt es bei den Leistungen für Unterkunft und Heizung einen Kinderanteil, dessen Ausgaben sich auf 2,5 Mrd. Euro jährlich belaufen. Neben der anteiligen Regelleistung für Kinder existiert eine Kinderzulage zum befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld. Mehrbedarfszuschläge gibt es für Alleinerziehende und für die Phase der Schwangerschaft. Bei speziellen Ausgaben wie die Baby-Ausstattung oder Klassenfahrten können familienbezogene Einmalleistungen nach § 23 Abs. 3 Nr. 2 u. 3 SGB II beantragt werden. Die Ausgaben aller Familienkomponenten der Grundsicherung belaufen sich auf etwas mehr als 4 Mrd. Euro. An dem Betrag sieht man, dass die Grundsicherung das letzte Netz des Sozialstaates ist und die familienpolitischen Geldleistungen überwiegend vor der Bedürftigkeitsprüfung ansetzen und universell gewährt werden.
Familienlastenausgleich und Familienleistungsausgleich
Für familienpolitische Leistungen werden auch die Begriffe Familienlastenausgleich (FLA) und Familienleistungsausgleich verwendet, die juristische Begründungsnormen für Familienleistungen darstellen. Der FLA wird im Sozialgesetzbuch (§ 6 SGB I) als "Minderung des Familienaufwands" definiert: "Wer Kindern Unterhalt zu leisten hat oder leistet, hat ein Recht auf Minderung der dadurch entstehenden wirtschaftlichen Belastungen." Der FLA im engeren Sinne umfasst die oben genannten Geldleistungen inklusive Steuererleichterungen. Es geht dabei um einen gerechten Ausgleich zwischen Lebensformen ohne Kinder und Familien mit Kindern (sowie zwischen Alleinstehenden und Ehepaaren).
Durch das Jahressteuergesetz 1996 wird der Begriff "Familienleistungsausgleich" popularisiert. Der Grundgedanke baut auf dem Schreiberplan von 1955 und dem Fünften Familienbericht (1995) auf, der die Leistung der Familie für die Entstehung von Humankapital betont. Der neue Begriff verdeutlicht, dass nicht nur "Lasten", die Familien tragen, kompensiert werden, sondern "Leistungen" von Familien honoriert werden. Häufig werden die Begriffe synonym bzw. für die gleichen familienpolitischen Maßnahmen verwendet, obwohl sich die Begründungsnorm erheblich unterscheidet:
"Familienpolitische Leistungen, die aus dem Kriterium der Bedarfsgerechtigkeit und der Lebensstandardsicherung abgeleitet sind, zielen darauf ab, bestimmte Belastungen der Eltern zu kompensieren, die durch die Geburt und Erziehung der Kinder entstehen. Diese Instrumente lassen sich unter dem Oberbegriff des Familienlastenausgleichs zusammenfassen. Daneben ist es eine weitere Aufgabe der staatlichen Familienpolitik, jene Leistungen zu kompensieren, die die Familien für die Gesellschaft erbringen, die aber nicht über den Markt abgegolten werden. Diese Leistungen fasst man als Familienleistungsausgleich zusammen." (Deutscher Bundestag 2006, S. 56)
Charakteristika der familienpolitischen Geldleistungen Deutschlands im Ländervergleich
Wie sind diese familienpolitischen Leistungen im internationalen Vergleich einzuschätzen? Ist die deutsche Familienpolitik großzügig? Der internationale Vergleich verdeutlicht die Relationen und auch die typischen Charakteristika in der Ausgestaltung. Die familienpolitischen Gesamtausgaben Deutschlands liegen im Vergleich mit den anderen Industrieländern
Auch gibt Deutschland neben kindbezogenen Maßnahmen viel Geld für ehebezogene Familienpolitiken aus. Alle drei Verteilungsprinzipien des Sozialstaates kommen in der deutschen Familienpolitik vor: Universal-, Statuserhalt- und Bedürftigkeitsprinzip.
Definition | Beispiel Sozialstaat | Beispiel Familienpolitik | |
Universalprinzip | Die Sozialleistungen werden an möglichst viele in gleicher Höhe verteilt. | Gesetzliche Krankenversicherung | Kindergeld |
Statuserhaltprinzip | Die Sozialleistungen orientieren sich am Status und ihre Höhe ist differenziert je nach Einkommen. | Gesetzliche Rentenversicherung | Elterngeld |
Bedürftigkeitsprinzip | Die Sozialleistungen sind nur für diejenigen vorgesehen, die einen besonderen Bedarf – z.B. wegen Arbeitslosigkeit – haben. | Grundsicherung (Sozialhilfe) | Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende beim Arbeitslosengeld II |
Es dominiert, anders als im deutschen Wohlfahrtsstaat, das Universalprinzip, das gleiche Leistungen für alle Familien vorsieht. Bei dem Verteilungsprinzip ähnelt Deutschland der skandinavischen Familienpolitik, während die angelsächsischen Länder sich stärker am Bedürftigkeitsprinzip orientieren. Im Unterschied zu vielen anderen Ländern gewährt Deutschland Familienleistungen wie Kindergeld auch für erwachsene "Kinder", solange sie in Ausbildung und unter 25 Jahre sind. In einigen Ländern – wie Frankreich, Belgien oder Schweden beim Kindergeld – erhalten Mehrkindfamilien deutlich höhere Geldleistungen. So hilfreich der Ländervergleich für das Benchmarking ist, lassen sich einzelne Elemente der Komplexität weniger gut vergleichen. Dies gilt vor allem für die Verankerung von Familienleistungen in den deutschen Sozialversicherungen.
Fazit
Es gibt eine Vielzahl an familienpolitischen Geldleistungen, die die Heterogenität der Familien und den unterschiedlichen Bedarf im Lebensverlauf reflektiert – aber auch die historisch gewachsenen Strukturen. Familienleistungen umfassen mehr als direkte Zahlungen an Familien, da Familien im Gesundheitssystem, im Rentensystem, bei der Wohnraumförderung, im Bildungssystem, bei der Grundsicherung und der Arbeitsmarktpolitik speziell berücksichtigt werden. Es besteht ein Zielkonflikt zwischen zielgenauen Leistungen und Übersichtlichkeit in diesem Politikfeld.
Die deutsche Familienpolitik setzt im internationalen Vergleich stärker auf Geldleistungen und weniger auf Infrastruktur. Wie kein anderes Land setzt sie auf steuerliche Maßnahmen. Ein Charakteristikum ist zudem, dass die deutsche Familienpolitik neben den kindbezogenen Ausgaben auch viel Geld in ehebezogene Ausgaben investiert. Im Ländervergleich liegen die familienpolitischen Geldleistungen Deutschlands im vorderen Mittelfeld – jedoch hängen Vergleiche sehr von der Definition ab.
Familienpolitische Geldleistungen – und Familienausgaben insgesamt – lassen sich sehr unterschiedlich definieren, was zu höchst unterschiedlichen Berechnungen von Ausgabehöhen führt, die häufig irreführend sind. Nach der breiten Definition betragen die familienpolitischen Gesamtausgaben 200 Mrd. Euro, ohne ehebezogene Leistungen und Sozialversicherungen sind es je nach Berechnung 74 bis 86 Mrd. Euro. Die familienpolitischen Geldleistungen betragen nach breiter Definition 173 Mrd. Euro (6,8 Prozent des Sozialprodukts), ohne Sozialversicherungsleistungen 79 Mrd. Euro (3,1 Prozent) und zieht man davon das Ehegattensplitting ab, sind es 58,9 Mrd. Euro (2,3 Prozent). Die Summe von 200 Mrd. Euro mit der Geburtenentwicklung in Bezug zu setzen ist absurd, da die Witwenrenten und vieles andere damit mitgerechnet werden. Die kindbezogenen Leistungen ohne Sozialversicherungen umfassen weit weniger als die Hälfte dieser Summe. Insbesondere Analysen von Wirkungen bedürfen einer klaren Analyse der Ausgabenhöhe. Neben Geldleistungen sind die Infrastrukturpolitik (siehe auch "
Weiterführende Literatur und Links
Bertram, Hans; Bujard, Martin (Hrsg.) (2012): Zeit, Geld, Infrastruktur – zur Zukunft der Familienpolitik. Soziale Welt, Sonderband 19. Baden-Baden: Nomos; Externer Link: www.nomos-shop.de/_assets/downloads/9783832972431_lese01.pdf
Bujard, Martin (2011): Geburtenrückgang und Familienpolitik. Baden-Baden: Nomos, S. 260-280.
Bujard, Martin (Hrsg.) (2013): Elterngeld und Elternzeit in Deutschland: Ziele, Diskurse und Wirkungen. Schwerpunktheft der Zeitschrift für Familienforschung, 25. Jg., Band 2, Leverkusen: Verlag Barbara Budrich; Einleitung online verfügbar: Externer Link: http://www.bib-demografie.de/elterngeld2013
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2012): Familienreport 2012. Leistungen, Wirkungen, Trends. Berlin: BMFSFJ; Externer Link: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Familienreport-2012,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2010): Bestandsaufnahme der familienbezogenen Leistungen und Maßnahmen des Staates im Jahr 2010; Externer Link: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/familienbezogene-leistungen-tableau-2010,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf
Deutscher Bundestag (2006): Siebter Familienbericht. Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. Berlin: Drucksache 16/1360; Externer Link: www.bmfsfj.de/doku/familienbericht/download/familienbericht_gesamt.pdf
Elterngeldrechner online: Externer Link: http://www.familien-wegweiser.de/Elterngeldrechner
Gerlach, Irene (2010): Familienpolitik. 2. Aufl. 2010, Wiesbaden.
Kaufmann, Franz-Xaver (1990): Zukunft der Familie. Schriftenreihe des Bundeskanzleramtes Band 10, München: Beck.
OECD (2012): PF1.3: Family cash benefits, in: OECD Family Database; Externer Link: http://www.oecd.org/els/soc/PF1_3_Family_Cash_Benefits_Aug2013.pdf
OECD Family database, Public policies for families and children (Übersicht); Externer Link: http://www.oecd.org/els/soc/oecdfamilydatabase.htm#public_policy
Schreiber, Wilfrid (1955): Existenzsicherheit in der Industriellen Gesellschaft Köln; Externer Link: http://www.flegel-g.de/PDF/disk28schreiber.pdf
Statistisches Bundesamt (2013): Öffentliche Sozialleistungen. Statistik zum Elterngeld. Beendete Leistungsbezüge für im 1. Vierteljahr 2012 geborene Kinder. Wiesbaden; Externer Link: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Soziales/Elterngeld/
ElterngeldGeburtenVj5229208133224.pdf?__blob=publicationFile
Stutzer, Erich; Lipinski, Heike (2006): In Familien wirksam investieren – Familienleistungen in Deutschland, in: Monitor Familienforschung 6, BMFSFJ; Externer Link: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Newsletter/Monitor-Familienforschung/2006-02/Medien/familienleistungen-in-deutschland,property=pdf,bereich=,rwb=true.pdf