Zumeist scheinen Frausein und Muttersein mit der Vorstellung von Fürsorglichkeit und Häuslichkeit eng verknüpft: In der griechischen Mythologie gibt es die Göttin Hestia, Hüterin des heiligen Feuers, d. h. Göttin von Heim und Herd. Hier spiegelt sich die (weit verbreitete) gesellschaftliche Zuschreibung der Hausarbeit als eine Tätigkeit, die "typischerweise" Frauen erledigen. Neben der Fürsorglichkeit ist auch die Fruchtbarkeit Bestandteil der Definition von Weiblichkeit: In der Kunst z. B. werden Frauen häufig als Fruchtbarkeitsgöttinnen dargestellt, in einigen Kulturen erlangen Frauen durch die Mutterschaft ein höheres soziales Ansehen. Auch in politischen Ideologien wie im Mutterkult der Nazi-Zeit (z.B. Mutterkreuz für Frauen, die mindestens vier Kinder geboren hatten) wird die Mutter in besonderer Weise hervorgehoben.
Jenseits dieser historischen Dimension ist die Mutterrolle auch in der heutigen Zeit in der Medienlandschaft stark präsent: Mütter werden besonders in der TV-Werbung vielfach als perfekt organisierte und attraktive Familienmanagerinnen inszeniert, gleichermaßen vielfach medial berichtet werden tagespolitische Debatten über das Betreuungsgeld, die Wirkung des Elterngeldes oder über den Ausbau der Krippen- und Kindergartenplätze, die von den verschiedenen politischen Lagern zum Teil mit wertenden Kommentaren in die Bevölkerung hineingetragen werden. Die Frage, was eine "gute Mutter" bedeutet, ist eine ganz und gar persönliche Frage. Jedoch ist sie, wie die erwähnten kulturhistorischen, politischen und medialen Beispiele zeigen, auch eine gesamtgesellschaftliche, von der sich Einzelne schwer lösen können. Und daher sehen sich (werdende) Mütter, aber auch Frauen generell, ob mit oder ohne Kinderwunsch, im Kontext der gesellschaftlichen Definition von Frausein und Muttersein mit vielen Fragen und einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung konfrontiert. Gesellschaftliche Leitbilder, persönliche Wünsche und die Rahmenbedingungen, die Lebensrealität, in denen Frauen und Mütter sich befinden, hängen zusammen und führen zu vielschichtigen Herausforderungen. Wie die genannten Aspekte miteinander wirken, soll nachfolgend erläutert werden.
Leitbilder der Familie sind Normalitätsvorstellungen
Jeder Mensch hat eine eigene Vorstellung davon, wie eine Familie im "Normalfall" aussehen kann. "Normal" ist zunächst das Selbstverständliche, Unhinterfragte, von dem ausgegangen wird, dass es meist oder immer der Fall und unter Umständen sogar unumgänglich sei. Und dementsprechend haben Menschen ein Bild im Kopf, wie eine dazu gehörige Mutter idealerweise sein soll. Demnach gibt es ein individuelles Leitbild (Diabaté und Lück 2014; Giesel 2007), das als Orientierungspunkt für das eigene Verhalten dient. Was eine Mehrheit als "normal", richtig und wichtig empfindet, bewerten einzelne andere als "anormal", falsch und unwichtig. Geht man davon aus, dass bestimmte Familienleitbilder aber von vielen Menschen geteilt werden, könnte man auch von gesellschaftlichen Leitbildern sprechen. Solche Familienleitbilder entstehen im Laufe des Lebens durch Erziehung und Erfahrungen. Mutterleitbilder können je nach Kontext unterschiedlich aussehen: Ihre Beschaffenheit hängt von verschiedenen Ländern, Kulturen, sozialen Milieus oder bestimmten gesellschaftlichen Gruppen ab. Zudem sind sie nicht fixiert, sondern unterliegen einem gesellschaftlichen Wandel. Es ist jedoch anzunehmen, dass Wandel nur langsam geschieht und daher weit verbreitet Familienleitbilder über den Zeitverlauf recht stabil sind. Allerdings können Leitbilder von den Menschen auch neu definiert oder an die Rahmenbedingungen angepasst werden, so dass sich Leitbilder inhaltlich leicht verschieben, sich ausdifferenzieren oder auch alte, lang bestehende Familienleitbilder an Bedeutung verlieren zugunsten von neuen. Am Beispiel des Mutterleitbildes wird nachfolgend deutlich, dass es historisch äußerst stabile Elemente gibt, die seit vielen Jahrzehnten bestehen, jedoch auch (neuere) Elemente hinzugekommen sind, die das Mutterleitbild über die vergangenen sechs Jahrzehnte vielschichtiger haben werden lassen.
Wie soll Erwerbs- und Familienarbeit innerhalb der Familie verteilt werden?
Die Frage nach einer angemessenen Verteilung der beiden Bereiche von Erwerbs- und Familienarbeit bewegt sich zwischen zwei teilweise widerstreitenden Polen und ist mit der Rollenverteilung in Partnerschaften verknüpft: Zwischen der Orientierung am Kindeswohl und dem am Elternwohl bzw. am Partnerschaftswohl. Wer sich eigentlich um ein Kind kümmern soll, sei es Windeln wechseln oder bei der Unterstützung in schulischen Belangen, für den konkurrieren zwei Prinzipien miteinander (Schneider, Diabaté und Lück 2014): Hier steht das Prinzip der Gleichberechtigung innerhalb der Partnerschaft (Erwerbs-, Haus- und Familienarbeit werden zwischen den Elternteilen gleich verteilt) dem Prinzip der "verantworteten Elternschaft" (Kaufmann 1990) und dem "Mythos Mutterliebe" (Schütze 1986) gegenüber. Darunter wird verstanden, dass eine leibliche Mutter von Natur aus stärker mit ihrem Kind verbunden ist, als es der Vater sein kann. Aus dieser Vorstellung folgt, dass die Mutter intuitiv, also "naturgegeben", für ihr Kind immer weiß, was es braucht und sich aufgrund ihres besonders engen Verhältnisses zum Kind stärker engagieren sollte. Diese Norm von Mutterschaft, dass Mütter die "wichtigeren" Elternteile für die Kindesentwicklung wären, spiegelt sich auch im Bürgerlichen Gesetzbuch wider: "Mutter" ist rechtlich gesehen ein biologischer Begriff, weil das Kind durch die Geburt eindeutig der Mutter zugeordnet werden kann. Eine Mutter hat von Geburt an das (alleinige) Sorgerecht für ihr Kind. Der Begriff "Vater" hingegen ist nicht nur biologisch, er ist aus dem juristischen Verständnis in Deutschland ein sozial konstruierter: Der Vater eines Kindes ist nach § 1592 Nr. 1 BGB der Ehemann der Mutter, unabhängig davon, ob er auch der biologische Vater ist. Ohne bestehende Ehe muss die Vaterschaft anerkannt werden, entweder durch den Erzeuger selbst oder durch eine gerichtliche Feststellung. Erst durch die Eheschließung vor der Geburt oder die Anerkennung der Vaterschaft nach der Geburt, bei nicht verheirateten Elternpaaren, kann der biologische Vater auch gesetzlich als Vater anerkannt werden und damit das Sorgerecht erhalten. Ein weiterer Beleg für die besondere Rolle der Mütter für die Erziehungsarbeit ist, dass der überwiegende Anteil der Alleinerziehenden Frauen sind. Auch hier spiegeln sich die zentrale Rolle, die einer Mutter gesellschaftlich zugesprochen wird – und auch das Selbstverständnis von Müttern und Vätern (siehe hierzu auch
Neben dem Prinzip der Mutterliebe steht das Prinzip der "Verantworteten Elternschaft", die beide Hand in Hand gehen: Damit verknüpft sind gesellschaftlich weit verbreitete Vorstellungen davon, wie Kindheit heutzutage idealerweise aussehen sollte. Dazu zählt das Aufwachsen in "optimalen und risikoarmen Lebensbedingungen" (pädagogisch wertvolles Spielzeug, Platz zum Spielen, Natur etc.), mit gesunder Ernährung und frühzeitiger (elterlicher UND institutioneller) Förderung, um nur einige der Ansprüche zu nennen. Daraus wiederum leitet sich ein hohes Bedürfnis vieler (werdender) Eltern nach umfassender Information ab. Dies zeigt sich in den vielen Internetforen für Eltern, aber auch in der Fülle von Ratgeberliteratur. Diese Faktoren, die aus Sicht vieler Menschen zum Gelingen einer "glücklichen" Kindheit beitragen sollen, stellen (werdende) Eltern vor eine große Herausforderung und erzeugen Druck, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Das heißt, Eltern müssen, wenn das Kind da ist, bereit sein, sich komplett darauf einzustellen bzw. sich aufzuopfern. Aus dieser Idee der "verantworteten Elternschaft" resultiert wiederum die Entscheidung, sich die Aufgaben auch dementsprechend aufzuteilen und die Mutterschaft zu professionalisieren: Die Frau trägt in dem daraus abgeleiteten Mutterleitbild die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung, das dazu komplementär ergänzende Vaterleitbild besagt, dass der Vater der Mutter den Rücken finanziell freihalten sollte, damit sie sich ganz um die Kinder kümmern kann. Diese Vorstellung eines Familienleitbildes und diese Art der Aufgabenteilung war seit den 1950ern in Deutschland weit verbreitet, ist heute aber nicht mehr das alleinige Familienleitbild: War beispielsweise das Mutterleitbild in den 1950er Jahren in Deutschland mit klaren Aufgaben assoziiert, ist das gesellschaftliche Bild der "idealen Mutter" oder einer "richtigen Familie" heutzutage vielfältiger geworden. Sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene gibt es ein breites Spektrum an Familienmodellen und Lebensrealitäten, in denen Mutterschaft unterschiedlich gelebt wird, wie beispielsweise in einer sogenannten "Regenbogenfamilie" mit gleichgeschlechtlichen Elternteilen (Gründler und Schiefer 2013, Rupp 2009). Insgesamt ist festzustellen, dass neben das früher sehr weit verbreitete Modell der Alleinverdienerpartnerschaft heutzutage das Hinzuverdienermodell weit verbreitet ist. Dies bedeutet, dass die Mutter nach der Geburt Teilzeit arbeiten geht und ihren Erwerbsumfang schrittweise an die Bedürfnisse des Kindes anpasst, solange sie ausreichend für ihr Kind da sein kann, so die Sicht derjenigen, die dieses Familienmodell favorisieren. Auch der Vater soll sich aus dieser Vorstellung heraus nun um das Kind kümmern, aber nur so, dass er noch in der Lage ist, für das Familieneinkommen zu sorgen. Dies zeigt sich auch empirisch in den Familienleitbildern:
In einer Studie zu Elternleitbildern (FLB 2012) fällt auf, dass die Frauen im Gegensatz zu den Männern einerseits eine höhere Zustimmung (83% vs. 71%) aufweisen, dass Mütter nachmittags Zeit für ihre Kinder haben sollten, um ihnen beim Lernen zu helfen. Andererseits stimmen die weiblichen Befragten jedoch häufiger als die männlichen Befragten den Aussagen zu, dass Mütter erwerbstätig sein sollten, um unabhängig vom Mann zu sein (84% vs. 73%) und dass Mütter, die nur zu Hause sind und sich um die Kinder kümmern, irgendwann unzufrieden werden (76% vs. 72%).
Damit ist das Leitbild der nicht-erwerbstätigen Mutter, die vor allem die Erziehungs- und Hausarbeit erledigt, nicht mehr weit verbreitet, dieses Bild scheint knapp ein Drittel der Befragten noch als bewährtes Lebenskonzept zugunsten des Kindeswohls zu sehen. Insgesamt ist festzustellen, dass es einerseits für die überwiegende Mehrheit der jungen Deutschen ein sehr deutliches Leitbild der Mutter gibt, welche nachmittags zu Hause präsent sein sollte, um sich um die Erziehung zu kümmern. Dem gegenüber steht aber auch eine große Akzeptanz von Lebensmodellen, bei denen die Mutter idealerweise für ihre Unabhängigkeit berufstätig sein sollte, weil sie sonst irgendwann unzufrieden mit ihrem Leben werden könnten bzw. weil wegen des Scheidungsrisikos auch nicht dauerhaft von einer finanziellen Versorgung durch den Partner ausgegangen werden kann. Aus diesen Zahlen könnte geschlossen werden, dass es mehrheitlich als optimal gesehen wird, wenn eine Mutter Teilzeit arbeitet und lediglich am Vormittag nicht zuhause ist. Die Ergebnisse zeigen auch die verschiedenen Anforderungen innerhalb der gesellschaftlichen Debatte über "gute Mütter": Eine ideale Mutter soll aus Sicht der jungen Erwachsenen nachmittags zu Hause, gleichzeitig aber auch erwerbstätig und unabhängig vom Mann sein.
Insgesamt lässt sich bei der Betrachtung des Mutterleitbildes feststellen, dass die beiden beschriebenen Grundprinzipien der Geschlechtergleichheit und der "Verantworteten Elternschaft" miteinander konkurrieren und sie werden in der öffentlichen Debatte breit diskutiert. Dabei wird jedoch eine weitere Frage eher überlagert: Wie soll die Arbeit zwischen Eltern und der Gesellschaft verteilt werden? Einerseits werden dabei Lösungen gesucht bzw. angeboten (z.B. "Vätermonate"), um das familiäre Engagement der Väter zu ermöglichen bzw. zu stärken, also die Familienarbeit innerhalb von Elternpaaren gleich zu verteilen und Mütter zu entlasten. Andererseits wird diskutiert, Eltern insgesamt von der Familienarbeit ein Stück weit zu entlasten, indem vermehrt in die Infrastruktur von Kinderbetreuung investiert wird.
Mutterwerden: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Die Aufgaben und Verantwortungsbereiche, die einer Mutter heute von Seiten der Gesellschaft zugeschrieben werden, sind breit gefächert. Frauen, die eine Familie gründen wollen oder bereits eine haben, sehen sich heute mit verschiedenen, teilweise miteinander konkurrierenden, Anforderungen konfrontiert. Wunsch und Wirklichkeit müssen irgendwie in Einklang gebracht werden: Frauen möchten sich vor der Familiengründung um ihre Ausbildung und ökonomische Absicherung kümmern, gleichzeitig eine für sie optimale Partnerwahl treffen und ein Arrangement mit Partner und Arbeitgeber finden, welches ihnen eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen kann. Und das nicht nur wegen des Geldes, sondern auch aus dem Bedürfnis heraus, Erwerbsarbeit als Teil der Selbstverwirklichung und persönlichen Weiterentwicklung in das individuelle Lebensmodell zu integrieren, als Gegengewicht zum Privat- und Familienleben. Dabei sind die Frauen selbst Regisseurin, müssen ihre Entscheidungen treffen und ihre Wünsche mit den gegebenen Möglichkeiten realisieren. Diese Aufgaben werden z. T. durch familienpolitische Maßnahmen (z.B. Kinder- und Elterngeld) unterstützt, die darauf abzielen, Eltern Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Lebensmodellen zu ermöglichen. Jedoch wird vielfach diskutiert (s. Gleichstellungsbericht; BMFSFJ 2012), dass die aktuellen familienpolitischen Maßnahmen zwar eine Vielzahl von mütterlichen Lebensentwürfen fördern, jedoch widersprüchliche Signale setzen und lediglich bestimmte Familienmodelle finanziell begünstigen (z.B. verheiratete Elternpaare zuungunsten unverheirateter Elternpaare). Beispielsweise wird einerseits verstärkt auf die Eigenverantwortlichkeit von Frauen und Müttern gesetzt, indem sie im Falle einer Trennung nur eine begrenzte Zeit Ansprüche auf nachehelichen Unterhalt haben. Andererseits werden durch gesellschaftliche Werthaltungen zur Mutterschaft, die sich in institutionellen Regelungen wie den bestehenden steuerrechtlichen Regelungen widerspiegeln, die Versorgerehe in besonderer Weise begünstigt. Da insbesondere in Westdeutschland (ähnlich in Südeuropa und Österreich) die ersten drei Lebensjahre der kindlichen Entwicklung als besonders wichtig erachtet werden, ist hier gesellschaftlich die Vorstellung weit verbreitet, dass ein Kind unter drei Jahren leidet, wenn es nicht von der Mutter betreut wird (European Values Study 2008). Dementsprechend ist in diesem Lebensabschnitt Müttererwerbstätigkeit wenig akzeptiert. Neben diesem gesellschaftlichen Druck für Frauen, Kinder unter drei Jahren selbst zu betreuen, tragen familienpolitische Regelungen wie das Ehegattensplitting und die kostenlose Mitversicherung der (zumeist) Partnerinnen nach der Geburt eines Kindes häufig ebenfalls dazu bei, die Erwerbstätigkeit zu unterbrechen. Diese Unterbrechung kann die Erwerbsbiographie von Frauen nachhaltig und langfristig brüchig machen, nicht selten misslingt der Wiedereinstieg in den Beruf. Aufstiegschancen oder Jobsicherheit für Mütter werden erschwert, Rentenansprüche fallen geringer aus als bei Männern, so dass es insgesamt zu einem ökonomischen Ungleichgewicht in Partnerschaften kommen kann. Dies kann zur Unzufriedenheit für Mütter und Väter führen, da sie aufgrund ökonomischer und auch gesellschaftlicher Zwänge nicht die nötige Wahlfreiheit haben, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es sich wünschen und wie sie es brauchen. Dies kann Partnerschaften konfliktbehaftet und auch instabil machen (Beck-Gernsheim 1992). Eine Trennung bzw. Scheidung birgt zusätzlich das Risiko von Altersarmut, besonders für Frauen. Vor diesem Hintergrund können Entscheidungen, die junge Frauen hinsichtlich ihrer Familien- und Berufsplanung treffen, weitreichende lebenslange Konsequenzen nach sich ziehen. Die Abwägung dieser Wünsche und auch Risiken stellt eine große Herausforderung dar, die Entscheidung für eine Mutterschaft ist also voraussetzungsvoll.
Leitbild des idealen Timings: Wann ist der "richtige" Zeitpunkt, Mutter zu werden?
Angesichts der weitreichenden Konsequenzen der früh im Leben getroffenen Entscheidungen ist es nicht verwunderlich, dass junge Frauen (und auch Männer) die Familiengründung zeitlich weiter nach hinten aufschieben, bis sie die für sie notwendig erscheinenden Voraussetzungen erfüllt haben. Man könnte von einem Leitbild des idealen Timings für Familiengründungsprozesse sprechen: Zu dieser Normalitätsvorstellung könnte beispielsweise gehören, dass eine junge Frau zunächst eine Ausbildung absolvieren sollte, dann einen "idealen Partner" findet, mit diesem zusammenzieht und die Partnerschaft festigt. Beruflich erfolgt der Einstieg ins Erwerbsleben, dann die Etablierung im Job (im Idealfall mit einem sicheren Arbeitsplatz), auf privater Ebene ggf. die Eheschließung und dann wird eine Familie gegründet.
In der Realität werden jedoch mittlerweile rund ein Drittel aller Kinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften geboren. Die Forschung (FLB 2012) zeigt außerdem, dass die Ehe heute kaum noch als Voraussetzung für die Familiengründung gesehen wird: Lediglich 10% der Ostdeutschen und 18% der Westdeutschen bejahen diese Forderung. Die Ehe scheint in dieser Hinsicht an Bedeutung verloren zu haben; vor allem im Osten der Republik spielt sie kaum eine Rolle. Bei höher qualifizierten Frauen führen lange Ausbildungszeiten, Auslandsaufenthalte und das Streben nach einer gesicherten Stellung im Beruf auf einem eher unsicheren Arbeitsmarkt zu einer Verzögerung der Familiengründung oftmals in die Mitte oder auch das Ende des 4. Lebensjahrzehntes. In der Forschung wird diese Lebensphase, in der junge Erwachsene Ausbildung und Familiengründung parallel vereinbaren müssen, auch die "Rushhour des Lebens" genannt. Hinzu kommt der sogenannte "Mismatch" auf dem Partnermarkt, d.h. dass viele männliche und weibliche Singles nicht zueinander passen, da ihre Ansprüche sich widersprechen. Hier treffen hoch gebildete Single-Frauen auf Männer, deren Vorstellungen von Partnerschaft und Elternschaft nicht mit denen der Frauen kompatibel sind. Ergebnis vieler Studien zur Partnerwahl (Hassebrauck und Küpper 2002) besagen, dass Männer oftmals lieber Partnerschaften mit "statusniedrigeren" Frauen eingehen, d. h. mit Frauen, die z. B. einen niedrigeren Bildungsstand haben als sie selbst oder weniger Ambitionen, sich beruflich zu verwirklichen. Auch deswegen kann oftmals besonders der Wunsch von höher qualifizierten oder beruflich stark eingebundenen Frauen nach einer (früheren) Familiengründung nicht realisiert werden.
Die Diskrepanz zwischen dem genannten Idealalter für die Geburt des ersten Kindes und dem tatsächlichen Durchschnittsalter zeigt sich generell für alle Bildungsgruppen. Das geäußerte Idealalter liegt bei 27 Jahren (BiB 2012) und damit rund 2 Jahre unter dem von der amtlichen Statistik ausgewiesenen Durchschnittsalter von 29 Jahren bei der Geburt des ersten Kindes (im Jahr 2011). In vielen deutschen Großstädten ist eine Mutter bei der Geburt ihres ersten Kindes 35 Jahre alt und die Zahl der Erstgebärenden über 40 Jahre steigt.
Muttersein: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
In der Gesellschaft hat Mutterschaft gleichermaßen viele Gesichter: Mütter sind aufopferungsvolle Betreuerinnen oder unermüdliche Familienmanagerinnen, oftmals zerrissen zwischen den vielen Ansprüchen an sich selbst und solchen, die sie bei ihren Kindern, dem Partner, der Herkunftsfamilie, dem Arbeitgeber, der näheren Umgebung (z.B. Freunde) und auch in der Gesellschaft insgesamt wahrnehmen. So konkurrieren verschiedene, sich widersprechende Leitbilder von Mutterschaft miteinander. In dieser Gemengelage sind Mütter gleichzeitig noch auf der Suche nach einer inneren Balance, um ihre eigenen Bedürfnisse mit denen ihrer Umgebung ins Gleichgewicht zu bringen. Zusätzlich gibt es gängige und weit verbreitete Vorstellungen davon, wie eine "gute Mutter" sein sollte, wie sie sich gegenüber ihren Kindern und gegenüber ihrem Partner idealerweise zu verhalten hat. Und diese Vorstellungen und Erwartungen an Mütter, die eine breite Gruppe innerhalb der Bevölkerung für normal hält, spiegeln sich in den Medien, aber auch in alltäglichen Situationen, in denen Menschen miteinander über Beruf, Eltern und Familie sprechen, wider. Wenn Frauen von diesen Vorstellungen abweichen, werden sie als "Rabenmütter" (Ruckdeschel 2009) bzw. "egoistische Karrierefrauen" oder aber auch als "Heimchen am Herd" verunglimpft, je nachdem, in welchem Umfeld sich Mütter befinden.
Blickt man über den Tellerrand nach Frankreich, wird deutlich, wie unterschiedlich die Debatte um Mutterschaft geführt werden kann. Hier sind vor allem die Mütter, die nicht erwerbstätig sind und ihre Kinder selbst tagsüber betreuen, Zielscheibe von Kritik. In Frankreich hat sich dafür der Begriff der Gluckenmutter etabliert, die "Mère Poule". Seit einiger Zeit formiert sich in Frankreich jedoch auch eine Protestbewegung (Hesse 2013). Es gibt eine wachsende Zahl von Müttern, die ihre Kinder stillen: Zwischen dem Jahr 1995 und 2012 stieg die Stillquote in Frankreich von 45 auf 69 Prozent. Die neue Mutter-Generation in Frankreich wünscht sich mehr Zeit für sich und ihre Kinder und versteht sich als feministische Avantgarde. Von Kritikern werden sie als "hyper mères" beschimpft.
Hierzulande mehren sich jedoch (offenbar gegenläufig zur Entwicklung in Frankreich) auch Stimmen in der Debatte, die Mütter zunehmend unter Druck sehen, kurz nach der Geburt wieder in den Job zurückzukehren. Deutlich werden diese Konfliktlinien in Deutschland auch im Kontext des viel diskutierten Betreuungsgeldes für Eltern, welches vom 1. Lebensjahr bis zum Einstieg in den Kindergarten an Eltern gezahlt werden soll. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich das aktuelle Mutterleitbild in der öffentlichen Debatte. Festzustellen ist, dass in vielen der genannten Positionen selten mit dem "Wohl der Mütter", sondern allein mit dem Kindeswohl argumentiert wird. Frauen sind daher, unabhängig davon, wie sie sich entscheiden, oftmals gezwungen, sich zu rechtfertigen. Es gibt wohl wenig andere Themen, die so stark polarisieren und sowohl positive als auch negative Gefühle wachrufen.
Wodurch zeichnet sich eine "gute Mutter" aus?
Viele Menschen haben eine konkrete Vorstellung, wie sich eine "gute Mutter" normalerweise zu verhalten hat. Das jedoch, was die einen als "normal" betrachten, lehnen andere wiederum ab: Während beispielsweise ein Teil der Bevölkerung eine Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern selbstverständlich und auch positiv findet, bewerten es andere als Zumutung für die Mütter selbst und als schädlich für die Entwicklung des Kindes.
In der Studie "Familienleitbilder" (FLB 2012, Gründler et al. 2013) werden Vorstellungen davon, wie ein normales Familienleben aussehen sollte, z. B. auch wie eine "gute Mutter" idealweise zu sein hat, von jungen Deutschen im Alter von 20 bis 30 Jahren untersucht. Besonders zum Leben in der Familie existieren solche konkreten Normalitätsvorstellungen: Beispielsweise dass sich eine Mutter Gedanken über eine optimale Entwicklung und Förderung ihres Kindes machen sollte. Es geht dabei um eine gesellschaftliche Bewertung des Mutterleitbildes, die nichts damit zu tun hat, wer denn nun "wirklich eine gute Mutter" ist oder nicht. Es geht vielmehr um abstrakte Vorstellung von dem Ideal.
(© bpb)
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Unter anderem wurde in dieser Studie die Zustimmung zu der Aussage erfragt, ob Mütter nachmittags Zeit haben sollten, um ihren Kindern beim Lernen zu helfen. Es wurde sowohl nach der persönlichen Meinung der Befragten gefragt als auch danach, was die Allgemeinheit in Deutschland dazu denkt. Mit der "Allgemeinheit" gemeint ist die vorherrschende Meinung in Deutschland, also was man im Alltag durch die Medien oder durch den Kontakt mit anderen Menschen besonders oft wahrnimmt. Eine große Mehrheit der Befragten stimmt dieser Aussage persönlich "eher" oder sogar "voll und ganz" zu (77%). In der Gesellschaft nehmen die Befragten dies mit 87% sehr deutlich wahr. Demnach gehört die regelmäßige Hausaufgabenbetreuung nach dem Mutterleitbild der Deutschen zu den selbstverständlichen mütterlichen Pflichten. Da dies allenfalls mit einer Teilzeitbeschäftigung vereinbar ist, entspricht der Befund dem Bild der Mutter als Hausfrau oder "Hinzuverdienerin". Bestandteil dieses Mutterleitbildes ist die Sorge, eine ganztägige Erwerbstätigkeit von Müttern sei schädlich für die kindliche Entwicklung. Dem gegenüber steht aber auch eine starke Zustimmung für Muttererwerbstätigkeit (79%), die auch etwas abgeschwächt in der Allgemeinheit wahrgenommen wird (65%). Gleichzeitig jedoch sind rund ein Drittel der Befragten der Ansicht (29%), dass die Allgemeinheit in Deutschland von Müttern erwartet, dass sie möglichst überhaupt nicht erwerbstätig sein sollten. Auf persönlicher Ebene stimmen dem lediglich 5% zu.
Herausforderung
Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit für Mütter zu verringern, ist eine der zentralen Herausforderungen, nicht nur für die Sozial- und Familienpolitik sowie für die Gesellschaft und Arbeitswelt, sondern auch für Partnerschaften und natürlich für Männer und Frauen selbst. Und sie stellt Männer heutzutage vor die Frage, wie sie ihre (zukünftige) Vaterschaft gestalten möchten und wie die Familien- und Erwerbsarbeit innerhalb der Partnerschaft gerecht verteilt werden kann. Familienarbeit ist auch von Männern immer stärker gewünscht: 64% der 20- bis 39-jährigen (FLB 2012) sind der Ansicht, dass Väter für ihre Kinder beruflich kürzer treten sollten. Junge Männer wünschen sich dies sogar signifikant häufiger als Frauen. Ein Teil der Lösung liegt daher sicherlich auch darin, wie sich das Selbstverständnis von Männern mit Kinderwunsch und Vätern entwickelt und wie sie ihr Bedürfnis nach aktiver Vaterschaft durchsetzen können. Und das nicht nur gegenüber den Interessen und Anforderungen von Arbeitgebern und der Gesellschaft insgesamt, sondern auch gegenüber den Müttern. Hinzu kommt, dass durch die bessere Bezahlung von Männern im Vergleich zu Frauen (gender pay gap) eine Erwerbsunterbrechung für Väter häufig nicht möglich ist, weil das Einkommen der Mutter oftmals nicht zur finanziellen Absicherung der Familie reicht. Außerdem ist neben dem Kindeswohl auch eine Diskussion über die des Elternwohls (Mutter und Vater) gewinnbringend. Der Qualitätsanspruch an Eltern, in der Erziehung ihrer Kinder "alles richtig" zu machen, führt zu einer Pädagogisierung und Hochstilisierung der elterlichen Rollen, zur "Professionalisierung von Elternschaft", besonders von Mutterschaft: Junge Frauen und Mütter sind heutzutage zwischen den tradierten und heutigen Vorstellungen hin- und hergerissen sind (Henry-Huthmacher 2008: 10). Darüber hinaus scheint es eine weit verbreitete Vorstellung von Mutterschaft zu geben, die aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit und Komplexität von Teilen der Gesellschaft als "überfrachtet" wahrgenommen wird (Diabaté 2015).
Die zu Beginn gestellte Frage, wie eine "gute Mutter" eigentlich sein soll, ist letztlich eine individuelle Frage. Jedoch scheint sie stark beeinflusst zu sein von den Vorstellungen, wie Mutterschaft in der Gesellschaft bewertet wird. Sie ist, so zeigt die Forschung, gesellschaftlich stark mit widersprüchlichen Vorstellungen und mit einer Idealisierung verbunden.
Es stellt sich daher die Frage, inwieweit der Staat bestimmte Modelle der Familie und damit auch der Mutterschaft fördern soll bzw. kann oder nicht. Und inwieweit Politik den Druck auf Eltern, besonders auf Mütter, relativieren helfen kann. Darüber hinaus ist überlegenswert, inwiefern die Gesellschaft durch ihre normativen Wertvorstellungen und Leitbilder zum Wohl von Familien, und damit zum Wohl von Kindern einerseits, andererseits aber auch von Müttern und Vätern, beitragen könnte. Denn letztlich sind Kindeswohl und Elternwohl schwer voneinander trennbar.
Quellen
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Diabaté, Sabine (2015). Spagat zwischen Job und Kind - Identifikation, Verbreitung und Zusammenhänge von Mutterleitbildern; In: Schneider, Norbert; Diabaté, Sabine; Ruckdeschel, Kerstin. Familienleitbilder in Deutschland. Kulturelle Vorstellungen zur Partnerschaft, Elternschaft und Familienleben. Beiträge zur Bevölkerungswissenschaft des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, Band 48 (im Erscheinen).
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Link:
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