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Beitritt oder nicht? Die Türkei als Thema im Europawahlkampf | Themen | bpb.de

Beitritt oder nicht? Die Türkei als Thema im Europawahlkampf

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Die Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei laufen seit Oktober 2005. In der EU ist ein möglicher Beitritt umstritten – einige Mitgliedstaaten sprechen sich dafür aus, andere dagegen. Im Europawahlkampf spielt das Thema aber kaum eine Rolle.

Türkische Staatsflagge neben EU-Fahne (© picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Entgegen der Ankündigung des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdoğan ist ein Durchbruch in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union (EU) und der Türkei nicht in Sicht. Wegen der Interner Link: Polizeigewalt gegen die Proteste im Sommer 2013 und den jüngsten Eingriffen in Justiz, Sicherheitsapparat und Medien, die den Rechtsstaat und die Demokratie gefährden, haben sich die Chancen auf einen EU-Beitritt noch einmal verschlechtert.

Die jüngsten antidemokratischen Entwicklungen in der Türkei nehmen Kritiker zum Anlass, gegen einen Beitritt der Türkei in die EU oder für eine Aussetzung der Beitrittsverhandlungen zu plädieren. Im Europawahlkampf wird die Türkei allerdings kaum thematisiert – auch nicht in Deutschland, Österreich oder Frankreich, deren Bevölkerungen sich laut Umfragen mehrheitlich gegen einen EU-Betritt der Türkei aussprechen.

Franzosen sollen in Referendum entscheiden

Frankreich, Österreich oder Deutschland zählen zu den Türkei-Skeptikern, während beispielsweise Spanien, Großbritannien, Italien oder Polen generell einen Beitritt der Türkei in die EU befürworten. Schweden, Finnland, Italien, Irland und Großbritannien gehören zu den wenigen Ländern in der EU, deren Bevölkerungen laut Umfragen positiv gegenüber einem möglichen EU-Beitritt der Türkei eingestellt sind.

Der britische Premier David Cameron hatte sich bei einem Türkeibesuch 2010 für einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen und die "Bremserrolle" Frankreichs und Deutschlands kritisiert. Beide Länder würden von der Türkei verlangen, sich zwischen Ost und West zu entscheiden, weil sie die Geschichte als Zusammenstoß von Zivilisationen betrachten würden, sagte er.

Der französische Präsident François Hollande hat sich zwar von der ablehnenden Haltung seines Vorgängers distanziert, von einem Durchbruch in den türkisch-französischen Beziehungen kann jedoch nicht die Rede sein. Über die Aufnahme der Türkei in die EU sollen die Franzosen in einem Referendum entscheiden, dessen Ausgang angesichts der aktuellen Umfragewerte – 83 Prozent sind gegen einen EU-Beitritt der Türkei – wohl wenig überraschend sein wird.

Debatte in der deutschen Politik

Die deutschen Parteien diskutieren kontrovers über einen möglichen Beitritt der Türkei. Die Mitte-Links-Parteien äußern sich positiv, die Linkspartei zurückhaltend und konservative Parteien eher ablehnend. Während die Bundesregierung für die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ist, lehnen CDU und CSU eine Mitgliedschaft der Türkei ab. Die CDU hat in ihrem Externer Link: Wahlprogramm für die Europawahl ihre ablehnende Haltung noch einmal bekräftigt. Die Türkei erfülle nicht die Voraussetzung für einen EU-Beitritt und würde mit ihrer geographischen Größe und Wirtschaftsstruktur die EU-Aufnahmekapazitäten überfordern. Gleichzeitig betont die CDU die Bedeutung einer engen Partnerschaft mit der Türkei, plädiert für eine enge Zusammenarbeit in außen- und sicherheitspolitischen Fragen und lobt die Brückenfunktion der Deutsch-Türken zwischen Deutschland und der Türkei.

Die Grünen sprechen sich in ihrem Externer Link: Wahlprogramm für "faire und transparente Beitrittsverhandlungen mit der Türkei mit dem Ziel eines Beitritts" aus, auch wenn die Türkei derzeit die Voraussetzungen für einen Beitritt nicht erfülle. Dies habe sich zuletzt an der "unangemessenen Polizeigewalt gegen die Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park und anderen Teilen des Landes" gezeigt. Eine glaubwürdige Beitrittsperspektive würde jedoch neue "Dynamik in die demokratischen und rechtsstaatlichen Veränderungen bringen und die Reformkräfte im Land stärken".

"Die laufenden Verhandlungen mit der Türkei führen wir mit dem erklärten Ziel eines Beitritts weiter", schreibt die SPD in ihrem Externer Link: Wahlprogramm. Die Linkspartei plädiert hingegen dafür, bei künftigen EU-Erweiterungen auf die Externer Link: Sicherung sozialer Standards zu achten.

Kritiker: Zu groß und zu instabil

Generell begründen Kritiker eines Beitritts ihre Skepsis mit dem Hinweis auf die kulturellen und religiösen Unterschiede, mit den Demokratiedefiziten sowie der geographischen und demographischen Größe der Türkei. Zu groß sei das Land, zu instabil die Wirtschaft - und die türkische Politik würde die EU überfordern. Hintergrund der Besorgnis ist der mögliche Machtverlust im Falle eines EU-Beitritts der Türkei, die sich binnen weniger Jahre zum bevölkerungsreichsten Land und politisch mächtigen Entscheidungsträger der EU entwickeln würde. Bei den Befürwortern des EU-Beitritts der Türkei überwiegen wirtschaftliche, geostrategische und demokratietheoretische Überlegungen. Die Türkei sei ein bedeutender Absatzmarkt für europäische Exportgüter, ein sicheres Transitland für Energielieferungen und ein zuverlässiger Partner für Sicherheitsfragen. Außerdem würde ein starker EU-Anker die türkische Demokratie stabilisieren.

Für die Befürworter besteht die Herausforderung darin, dass ihre Pro-Argumente bei der europäischen Bevölkerung wenig Resonanz finden. Die Skeptiker versuchen hingegen, die Türkei für eine Interner Link: privilegierte Partnerschaft statt eines Beitritts zu begeistern.