Die "Straßburg-Wochen" gelten als die anstrengendsten für die Europaabgeordneten. Sie reisen früh am Montagmorgen aus Brüssel an, die Plenarsitzungen dauern bis spät in der Nacht, die Büros sind so klein, dass die Abgeordnete mit ihren zwei bis drei Mitarbeitern eng zusammensitzen, zahlreiche Dokumente müssen in Riesenkisten ein- und ausgepackt werden – und diesen Stress haben die Abgeordneten einmal im Monat. Das liegt an einer Klausel im EU-Vertrag, die vorgibt, dass das EU-Parlament einmal im Monat im französischen Straßburg tagen soll.
"Brüssel-Wochen" sind vergleichsweise weniger anstrengend. Die Abgeordneten treffen sich in den Fraktionen und in den Ausschüssen des Parlaments. Sie stimmen Abstimmungsstrategien in der Fraktion ab und erarbeiten Änderungsanträge zu Gesetzentwürfen. Manchmal reichen die Abgeordneten dutzende oder sogar hunderte Änderungsanträge ein – zu einem Regulierungsentwurf für die Finanzmärkte gab es sogar 2.000 Anträge.
14 Stunden als Vermittler im Einsatz
Die tägliche Arbeit eines Abgeordneten ist sehr unterschiedlich. Ist er gerade "Berichterstatter" für ein Gesetz, können es 12 bis 14 Stunden am Tag sein, in der kritischen Phasen vor Abstimmungen im Parlament oft auch an Wochenenden. Als Berichterstatter ist ein Abgeordneter verantwortlich für einen Bericht zu einem Gesetzesentwurf. Dieser soll so gestaltet sein, dass ihm die Mehrheit im Parlament zustimmen kann. Deshalb agiert der Berichterstatter als Vermittler, der versucht, unterschiedliche Positionen zusammenzuführen.
Exemplarischer Wochenkalender eines deutschen Abgeordneten in einer Straßburg-Plenarwoche im Januar 2014
Montag
09:00-09:30 | Interview mit einem Journalisten |
10:30-15:00 | Fahrt von Brüssel nach Straßburg |
15:30-16:30 | Hotel |
17:00-18:00 | Beginn der Plenarsitzung, Abstimmungen |
18:00-19:00 | Fraktionssitzung |
19:00-22:00 | Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses (ECON) |
Dienstag
08:00-11:30 | Treffen des Wirtschaftsausschusses, danach: Treffen einer Arbeitsgruppe zur Bankenaufsicht |
12:00-13:00 | Plenarsitzung |
14:30-15:00 | Anhörung von Neven Mimica, Mitglied der EU-Kommission |
15:00-21:00 | Sitzung Trilog (Verhandlungsteams von EU-Kommission, Europäischem Parlament und EU-Ratspräsidentschaft) |
Mittwoch
09:00-09:30 | Interview mit einem Journalisten |
09:30-11:30 | Vorstellung der griechischen EU-Präsidentschaft im Plenarsaal |
12:00-14:00 | Plenarsitzung |
14:00-15:00 | Mittagessen mit einer Ausschussvorsitzenden |
15:00-17:00 | Anhörung von Klaus Regling, Euro-Rettungsschirm |
17:00-18:00 | Besprechung mit einer Finanzexpertin |
18:00-19:00 | Sitzung Trilog |
Donnerstag
08:30-09:30 | Bericht zur Aktivität der Troika in Griechenland, Irland, Portugal und Zypern |
09:30-11:15 | Sitzung Trilog |
12:00-14:00 | Plenarsitzung |
14:15-20:00 | Fahrt von Straßburg nach Paris, Flug von Paris nach Dublin |
21:00-Ende des Tages | Termine mit der Delegation in Dublin |
Das Arbeitsvolumen hängt zudem stark von den Ausschüssen ab, in denen der Abgeordnete sitzt. In der Eurokrise tagte der Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON) fast jede Woche, während EU-Abgeordnete im Binnenmarkt- und Verbraucherschutzausschuss sich nur einmal im Monat trafen. Ein Europaabgeordneter ist in der Regel Mitglied in einem oder zwei Ausschüssen und stellvertretendes Mitglied in mehreren anderen Ausschüssen.
In "Grünen Wochen" unterwegs
Dazu kommt die Arbeit in Delegationen, die Verbindungen zu den Parlamenten außerhalb Europas ermöglichen sollen. Je nach Delegation stehen Reisen in die unterschiedlichsten Länder – beispielsweise nach China oder Lateinamerika – an. Die Abgeordneten reisen mit der jeweiligen Delegation in den "Grünen Wochen", so werden die Wochen genannt, in denen keine Plenarsitzungen terminiert sind und die Abgeordneten sich externen Aktivitäten widmen können. Diese Wochen sind sowohl für die Arbeit in den heimischen Wahlkreisen gedacht als auch für Reisen im Ausland. Generell hat das Europaparlament erheblich mehr Sitzungen als der Bundestag: 2013 hatte das Europäische Parlament 40 Plenar-, Ausschusssitzungs- und Fraktionssitzungswochen, der Bundestag hatte 2012 nur 20 Sitzungswochen.
Ob Besuche in Schulen oder die Teilnahme an EU-Veranstaltungen in Deutschland, im Vergleich zu einem Bundestagsabgeordneten ist der Kontakt eines Europaabgeordneten zu den Wählern wesentlich seltener. Gelegenheiten dazu gibt es meist nur am Wochenende oder freitags, wenn in Brüssel oder Straßburg nicht so viel los ist.
Hinzu kommt, dass Europaabgeordnete in Deutschland auf Listen gewählt werden und nicht über Direktmandate für Wahlkreise. Deswegen sind die "Wahlkreise" quasi ein innerparteiliches Konstrukt: Je nach Anzahl der gewählten Mitglieder teilt sich jede deutsche Fraktion die Wahlkreise ein. Ein Europaabgeordneter aus einer kleineren Fraktion – etwa von den Grünen oder von der Linkspartei – muss ein deutlich größeres Gebiet abdecken als einer aus einer mitgliederreichen Fraktion wie der SPD oder der CDU.
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