Trotz seines starken persönlichen Engagements im Europawahlkampf ist es Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron nicht gelungen, mit seiner gemeinsam mit der Zentrumspartei MoDem und weiteren Partnern aufgestellten Liste Renaissance Marine Le Pens Rechtsaußenpartei Rassemblement National zu schlagen. Mit 23,31 Prozent wurde RN wie schon 2014 stärkste Kraft.
Eine herbe Niederlage, urteilt La Croix: "Es handelt sich um eine klare Abmahnung für Emmanuel Macron, der im Wahlkampf ein großes Risiko eingegangen ist, indem er das Duell zwischen La République en Marche und dem Rassemblement National ins Zentrum der Kampagne gerückt hat." Deutlich positiver für Macron interpretiert Externer Link: Le Point das Wahlergebnis: "Der geringe Abstand von 0,9 Prozent, der die beiden Listen trennt, ist eine göttliche Überraschung, mit der nach sechs Monaten Gelbwesten-Krise und einer ehrlich gesagt misslungenen Kampagne nicht zu rechnen war. Beide politischen Formationen werden (nach Rückzug der britischen Europaparlamentarier) gleich viele Abgeordnete nach Straßburg schicken."
Die Verschiebung des Kräfteverhältnisses im Europaparlament stärkt Macrons Macht, unterstreicht L'Opinion: "Der französische Einfluss, der in den beiden größten Fraktionen, Sozialdemokraten und Konservativen, abgeschwächt und durch die sterile, aber große Gruppe von RN-Abgeordneten reduziert wird, rettet dank der nunmehr unumgänglichen Schlüsselrolle, den die Fraktionen der Grünen und Liberalen spielen werden, was noch zu retten ist. Als größte Delegation der Liberalen wird LREM in Straßburg den wesentlichen Teil des aktiven Einflusses der französischen Parlamentarier ausüben."
Macron hat seinen Einfluss bereits im Wahlkampf, den er aus Sicht seiner politischen Gegner insbesondere durch die nationale Debatte absichtlich verzögert hat, geschwächt, kritisiert hingegen Mediapart: "Das Umgehen des Wahlkampfs hat es auch erlaubt, jegliche Debatte über die europäische Bilanz von Emmanuel Macron zu verhindern. Die ist nämlich sehr mager, gar inexistent. Schlimmer noch: In seinen zwei Jahren als Staatspräsident hat er einen großen Teil des enormen politischen Kapitals, über das er verfügte, verspielt."
Viel bessere Chancen auf dem europäischen Parkett malt Le Figaro für Frankreichs Präsidenten aus: "Emmanuel Macron hat seine europäische Energie zurückerlangt. Er fühlt sich durch das Wahlergebnis gestärkt und nutzt seinen Vorteil, um sich erneut im Mittelpunkt des Spiels zu platzieren und die neuen sogenannten proeuropäischen Kräfte in einer großen Zentrumsbewegung zu versammeln, einer 'fortschrittlichen' Mehrheit, die diejenigen aufhalten kann, die vom Élysée-Palast als 'negative Kräfte' oder 'Zerstörungskräfte' bezeichnet werden: die Nationalisten. … Macron wird von seinen EU-Partnern ungeduldig erwartet. Wird es ihm gelingen, den Elan zu erneuern, den er 2017 auszulösen schaffte?"
Nach der Bildung einer neuen liberalen Fraktion mit den bisherigen Alde-Parteien am Wahlabend stellte sich Macron der Nominierung von Manfred Weber, dem Spitzenkandidaten der EVP, als neuem Kommissionspräsidenten entgegen. Sein Argument: Das Spitzenkandidatenprinzip sei eine demokratische Irreführung, da es auf keiner rechtlichen Grundlage beruhe. Ein erstes Ziel im Poker um die Juncker-Nachfolge hat Macron erreicht, kommentierte daraufhin France 24: "Dass der Rat bestätigt, dass das Spitzenkandidatenprinzip nicht automatisch angewandt wird."