Estland ist EU-weit das einzige Land, in dem die Wähler ihre Stimme für die Europawahl im Mai per Internet abgeben können. Bei der jüngsten Externer Link: Parlamentswahl am 3. März nutzten 28 Prozent aller Wahlberechtigten diese Möglichkeit - ein Rekordergebnis, seitdem e-voting in Estland 2005 eingeführt wurde.
Trotz Befürchtungen, dass e-voting nicht sicher sein könnte, konnten bisher keine Fälle von Wahlmanipulation nachgewiesen werden. Die Wahlkommission in Estland beteuert, dass die elektronische Stimmenabgabe sicher und demokratisch sei. In einem Interview mit Externer Link: tagesschau.de sagte Tõnu Tammer von Estlands staatlicher Behörde für Informationssysteme, das System sei mindestens so sicher wie die analoge Wahl: "Wie der analoge Stimmzettel in zwei Briefumschläge eingeschlagen wird, ist auch das digitale Votum doppelt verschlüsselt. Das System und seine Vorgänge sind als Protokolle verfügbar - Sie können also überprüfen, dass Ihre Stimmabgabe nicht von einem Hacker angegriffen wurde."
Besonders gern nutzen die Wähler der liberalen Reformpartei das Angebot. Bei der Parlamentswahl bekam sie 40 Prozent aller e-votes, das Wahlergebnis der Partei lag bei 29 Prozent. Sie war offenbar am effektivsten dabei, die wachsende Zahl der Onlinewähler anzusprechen. So wurde sie auch überraschend stärkste Partei, nach drei Jahren in der Opposition. Die Umfragen zur Europawahl lassen ebenfalls einen Zuwachs für die Reformpartei erwarten.
Nutzer der Onlinewahl sind jung und urban
Der große Anteil der Reformpartei an den elektronisch abgegebenen Stimmen lässt sich mit ihrer Wählerschaft erklären - jung, mobil, unternehmerisch, städtisch. Die Zentrumspartei von Premier Jüri Ratas kritisierte hingegen e-voting jahrelang, weil ihre Stammwähler in der digitalen Welt weniger zu Hause sind. Damit verloren sie allerdings auch Stimmen bei den Onlinewählern. So schreibt die Tageszeitung Õhtuleht: "Noch bis vor kurzem hatte die Zentrumspartei eine Einstellung gegenüber der e-Wahl, die von Verschwörungstheorien geprägt war. Wer weiß, vielleicht hätte die Partei schon früher an die Macht kommen können, hätte sie sich mit dieser Einstellung nicht selbst der e-Stimmen beraubt."
Die lauteste Kritik gegenüber der elektronischen Stimmabgabe kommt paradoxerweise von der Externer Link: rechtspopulistischen Ekre. Paradox deshalb, weil Ekre immerhin 13,5 Prozent der online abgegebenen Stimmen und damit das zweitstärkste Ergebnis bei dieser Wahlmethode einfuhr. Dennoch kritisierte Martin Helme, eine der führenden Figuren der Partei, die Onlinewahl scharf: "Die E-Wahl ist ein Schandfleck. Sie besitzt keine Glaubwürdigkeit. Uns wird einfach gesagt, dass wir glauben sollen - aber ich glaube nicht, ich will beobachten und kontrollieren", sagte er in einem Interview mit dem Estnischen Rundfunk.
Wahlkommision wirbt für e-voting bei Europawahl
Der Generalsekretär der Grünen, Joonas Laks sieht es so, dass "44 Prozent der Wähler ihre Stimme mit einem Software abgaben, deren Funktionsweise sie nicht komplett verstanden". Die Sprecherin der Wahlkommission, Kristi Kirsberg, entgegnete, dass das Verfahren von ausländischen Wahlbeobachtern kontrolliert wurde: "Auch vor der Europawahl sind alle Interessenten, die das System besser kennenlernen wollen, zu einer speziellen Wahlbeobachterschulung für e-Wahlen am 22. April willkommen."
IT-Experte Agu Kivimägi findet in der Tageszeitung Postimees: "E-Wahl ist sehr bequem und wer es einmal probiert hat, will es nicht wieder aufgeben. Die Onlinewahlen sind wie ein hoher Turm, den wir gebaut haben, der weithin sichtbar ist und von anderen Staaten bewundert wird". Kommunikationsexperte Raul Rebane prophezeit im Estnischen Rundfunk, dass die e-Wahl 2025 die meistverbreitete Wahlmethode sein wird: "Gerade beim Online-Voting liegt Estland den anderen Ländern 15-20 Jahre voraus."