Die erste Direktwahl des Europäischen Parlamentes (EP) fand im Jahr 1979 statt. Damals gehörten nur neun Mitgliedstaaten zur Europäischen Gemeinschaft (EG) – die EU gab es noch nicht, sie wurde erst 1992 gegründet. Vor 1979 existierte zwar auch schon ein EP, welches aber nicht direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt wurde. Die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten entsandten ihre eigenen Abgeordneten, die dann nationale und Europaabgeordnete zugleich waren.
Der erste europäische Vertrag, der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), unterzeichnet 1951 von den Benelux-Staaten, Frankreich, Italien und der Bundesrepublik Deutschland, schuf die Parlamentarische Versammlung. Dieses Gremium setzte sich aus 78 von den Parlamenten der Mitgliedstaaten entsandten Parlamentariern zusammen und hatte überwiegend beratende Funktionen, wenngleich ein Misstrauensvotum gegen die Hohe Behörde, die Vorläuferin der Kommission, möglich war. Der EGKS-Vertrag sah bereits die Möglichkeit der Direktwahl der Abgeordneten vor, wovon jedoch kein Gebrauch gemacht wurde. Die Versammlung konnte ihre Meinung äußern, hatte aber keinen Einfluss auf die Entscheidungsträger des europäischen Integrationsprozesses.
Von einer Versammlung zum Parlament
Mit den Römischen Verträgen (EWG und EURATOM, unterzeichnet 1957 in Rom) wurde die Parlamentarische Versammlung der EGKS als gemeinsames Organ der drei Europäischen Gemeinschaften geschaffen. Nach wie vor wurden die Abgeordneten von den Parlamenten der sechs Mitgliedstaaten nach Straßburg entsandt. Die 142 Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung traten erstmals im März 1958 zusammen. 1962 benannten sich die Mitglieder der Versammlung in "Europäisches Parlament" (EP) um und unternahmen damit einen ersten Aufwertungsversuch ihres Gremiums im europäischen Institutionengefüge.
Die übrigen Organe und die Mitgliedstaaten nahmen diese Terminologie nur sehr zurückhaltend auf. Die förmliche Anerkennung als EP erfolgte erst mit der 1986 unterzeichneten Einheitlichen Europäischen Akte (EEA), der ersten EWG-Vertragsreform. Die Parlamentarier wollten mit der Verwendung des Begriffes "Europäisches Parlament" das von ihnen avisierte Leitbild umschreiben.
Kompetenz statt Symbolik
Das EP begnügte sich seit seinem ersten Zusammentritt nicht mit begrifflicher Symbolik, sondern beanspruchte immer wieder über die Vertragstexte hinausgehende Beratungsrechte. So kam es aufgrund des Engagements des EP zu Vertragsreformen, welche die Parlamentarier am Haushaltsrecht (1970 und 1975), am Gesetzgebungsverfahren (1986) sowie den Interorganvereinbarungen (1975, 1982, 1988) teilhaben ließ. Die Gründungsverträge der drei Gemeinschaften sahen vor, dass "die Versammlung Entwürfe für allgemeine unmittelbare Wahlen nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten" ausarbeiten und der Ministerrat "einstimmig die entsprechenden Bestimmungen erlassen und sie den Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften empfehlen" sollte.
Es dauerte aber noch bis 1976, ehe der Ministerrat den Rechtsakt über die ersten Direktwahlen erließ. Bis zur Umsetzung dieser Direktwahlakte in den Mitgliedstaaten, d.h. bis zur ersten Direktwahl des EP, sollten noch weitere drei Jahre bis zum Juni 1979 vergehen. Ursache für das lange Hinauszögern der ersten Direktwahlen war die Furcht der nationalen Regierungen und Parlamente vor Machtverlusten.
War das EP in der Gründungsphase der Europäischen Gemeinschaften eine Versammlung, so hat es sich inzwischen zu einem Parlament mit zahlreichen Kompetenzen entwickelt, dass mittlerweile im europäischen Integrationsprozess eine bedeutsame Rolle spielt. Anders als im Gründungsvertrag 1951 als eine Versammlung der Völker der Mitgliedstaaten vorgesehen, versteht der Lissabonner Vertrag (2007) das EP als Versammlung der europäischen Bürgerinnen und Bürger, das von diesen in allgemeinen, freien, direkten und geheimen Wahlen gewählt werden.
Die ersten Wahlen
Zwischen dem 7. und 10. Juni 1979 waren zum ersten Mal die Wählerinnen und Wähler aus den damaligen neun Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft aufgerufen, ihre Europaabgeordneten zu wählen. Es wurden 410 Abgeordnete nach Straßburg entsandt, die nach dem Prinzip der fallenden Proportionalität (degressive Proportionalität) gewählt wurden. Diese Methode wird bis heute angewandt. Staaten mit einer relativ geringen Einwohnerzahl sind dementsprechend überproportional stark im EP vertreten, während die Länder mit den höchsten Bevölkerungsanteilen unterrepräsentiert sind.
Der quasi "familiäre" und integrationsfreundliche Charakter der Straßburger Abgeordneten ging verloren, da neue Kräfte wie die Abgeordneten der Dänischen Volksbewegung gegen die EG und italienische Radikale ins Parlament kamen. Darüber hinaus zogen wiederum proeuropäische Abgeordnete, die etwas bewegen wollten, in das Parlament ein.
Von den 410 neu gewählten Abgeordneten waren nur 67 bereits im vorigen Parlament vertreten gewesen. Die Wahl veränderte den Aufbau des EP erheblich, insbesondere bezüglich der Zahl der Fraktionen und Ausschüsse. Stärkste Fraktion wurde die Sozialistische Fraktion mit 113 Sitzen, gefolgt von der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christlich-Demokratische Fraktion, 107 Sitze) und der Fraktion der europäischen Demokraten (Konservative, 64 Sitze). Die Fraktion der Kommunisten und den ihnen nahestehenden Parlamentariern wurde mit 44 Sitzen viertstärkste Fraktion vor der Liberalen und Demokratischen Fraktion (40 Sitze).
Schließlich gab es noch die Fraktion der europäischen Demokraten für den Fortschritt (22 Sitze). Elf Abgeordnete schlossen sich als Fraktion für die technische Koordinierung und Verteidigung der unabhängigen Gruppen und Abgeordneten zusammen, um damit die Rechte einer Fraktion zu erhalten, während sich neun Abgeordnete keiner Fraktion anschlossen.
Wandel und Kontinuität
Das Grundmuster des europäischen Parteiensystems hat weiter Bestand. Es hat sich allerdings erweitert. In den 1980er Jahren sind die Grünen hinzugekommen, und die Kommunisten haben Einbrüche erlitten. Bei der Wahl zum EP 2014 haben erstmals auch die Rechtspopulisten zahlreiche Mandate erzielen können. Nach wie vor gibt es aber zwei zentrale Akteure: Christdemokraten (EVP) und Sozialisten/Sozialdemokraten (PES/SPE) bilden die größten Fraktionen. Das EP setzt sich 2019 aus acht Fraktionen sowie 22 fraktionslosen Abgeordneten zusammen. Diese Abgeordneten repräsentieren rund 160 verschiedene nationalen Parteien, die sich auf europäischer Ebene meistens zu Europaparteien zusammengeschlossen haben.
So hat sich nach der 8. Direktwahl 2014 folgende Konstellation (Zusammensetzung Anfang 2014) im EP ergeben: Stärkste Fraktion wurde die EVP (220 Sitze), gefolgt von der Progressiven Allianz der Sozialisten im EP (191 Sitze), der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (70), der Allianz der Liberalen und Demokraten (68 Sitze), der Fraktion der Grünen/Europäische Freie Allianz (50), der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (52) sowie Europa der Freiheit und der Demokratie (48). Dazu kamen 29 fraktionslose Abgeordnete.
Aufgrund der Rollenfunktion des EP im Organgefüge der EU muss es immer eine Mehrheit seiner Abgeordneten erreichen, um sich gegen den Rat und die Kommission zu behaupten, so dass die beiden großen Fraktionen fast immer als eine "strategische Koalition" zusammenarbeiten. Die Wahlbeteiligung bei den Wahlen zum EP ist rückläufig. Erreichte sie bei der ersten Wahl noch durchschnittlich 66 %, so ging sie bei den folgenden Wahlen über 58,5 % (1994) auf zuletzt 42,61% (2014) zurück. Dabei gab es erhebliche Unterschiede in der Wahlbeteiligung der einzelnen Mitgliedsländer – von 18,2% in Tschechien bis zu 89,6% in Belgien.
Deutschland im Europaparlament
Bei den ersten Direktwahlen zum EP lag die Wahlbeteiligung in Deutschland mit 65,7% knapp über dem EG-Durchschnitt. Sie ging bei den dann folgenden Wahlen sukzessive zurück und erreichte 2009 mit 43,3 % einen Tiefpunkt. 2014 stieg die Wahlbeteiligung auf 48,1% und lag damit um 5%-Punkte über dem EU-Durchschnitt. CDU/CSU waren die großen Gewinner der ersten Europawahlen 1979, als sie 42 der 81 deutschen Sitze gewinnen konnten. Die SPD kam auf 35 Sitze, während die FDP vier Mandate auf sich vereinigen konnte. 1984 zogen die Grünen ein, während die FDP unter der Sperrklausel blieb.
1989 schafften die Republikaner mit 7,1 % den Einzug ins Europaparlament, während die FDP erneut außen vor blieb. 1999 konnte dann auch die PDS die Sperrklausel von damals fünf Prozent überwinden und zog mit sechs Abgeordneten in das Straßburger Parlament ein. Das Wahlergebnis 2009 spiegelte das inzwischen etablierte Fünfparteiensystem wider. Stärkste Kraft wurde erneut die CDU/CSU mit 37,9 % vor der SPD mit 20,8 %, den Grünen mit 12,1 %, der FDP mit 11,0 % sowie der Linken mit 7,5 %. Bei der Europawahl 2014 gab es in Deutschland keine Sperrklausel, da das Bundesverfassungsgericht erst 2011 die damals geltende Fünf-Prozent-Klausel und im März 2014 die dann in das Wahlgesetz genommene Drei-Prozent-Klausel für verfassungswidrig erklärt hatte. Folgerichtig zogen die Vertreter von insgesamt 14 Parteien in das Europaparlament ein. Die CDU erzielte mit 30% nahezu den gleichen Wert wie 2009. Die SPD konnte sich auf 27,3% (+6,5) steigern. Die Grünen büßten mit 10,7% leicht ein (-1,4). Große Verluste erlitt die FDP mit 3,4% (-7,6). Die Linke blieb mit 7,4% nahezu auf dem gleichen Stand wie 2009, während die CSU mit 5,4% 1.9 Prozent-Punkte weniger erreichte. Sieben Parteien entsandten lediglich je einen Abgeordneten wie z.B. Freie Wähler, Die Piraten, die Tierschutzpartei, ÖDP, Familienpartei und die NPD.
Aufgrund des deutschen Wahlsystems ohne Sperrklausel werden auch bei der Wahl 2019 die Vertreter/innen vieler Parteien in das Europaparlament einziehen. Ob diese Fundamentalpartizipation zu einer Verbesserung der Arbeit im EP beiträgt, kann allerdings bezweifelt werden. Ab 2024 sind alle Länder, die über mehr als 35 Sitze im EP verfügen, verpflichtet, eine Sperrklausel einzuführen. Es bleibt abzuwarten, ob dies zu mehr Effizienz führen wird.