Die Europawahlen werden in der politikwissenschaftlichen Forschung sowie in den Medien oft als
Wahlkampf zwischen nationaler vs. europäischer Orientierung
Seit der
Schon 1979 zeigte sich, dass es nicht so sehr das gemeinsame Ereignis Europawahl war, das den Wahlkampf bestimmte. Vielmehr waren die Wahlkampagnen national geprägt. Auch die Medien bewältigten die neue Situation – besonders die Berichterstattung im Fernsehen – anhand ihrer für nationale Wahlen eingefahrenen Bearbeitungsmuster. Es ließen sich kaum europäische Orientierungen und Perspektiven erkennen, die der Qualität dieser Wahl, die in allen Mitgliedstaaten gleichzeitig stattfand, gerecht geworden wären.
Die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten, von denen mit Martin Schulz für die
Die Erwartung einer stärkeren Europäisierung der Wahl 2014 gründete sich auch auf die Erfahrungen aus der
Auch europäische Kampagnen im Sinne von grenzüberschreitend konzipierter, gemeinsamer Wahlwerbung der Parteienfamilien sind selten. Ein prominentes Beispiel dafür lieferte jedoch die Europäische Grüne Partei zur Europawahl 2004. Die Grünen konzipierten damals eine Werbekampagne mit gemeinsamen Plakatmotiven und einem gemeinsamen, in die jeweilige Landessprache übersetzten Slogan.
Europawahlkampf als Medienwahlkampf
Um die Wählerschaft anzusprechen, zielen die politischen Akteure im Wahlkampf vor allem auf die Medien, die ihnen weite Verbreitung und Glaubwürdigkeit für ihre Auftritte bieten. In ihnen spiegelt sich das Engagement der Politik im Wahlkampf. Allerdings liegt es auch bei den Medien, eigene Themen und Formate zu suchen und die politischen Akteure herauszufordern. Es kommt den Medien daher entgegen, dass auch Europawahlkämpfe Personalisierung, also die Fokussierung auf einzelne Kandidatinnen und Kandidaten, aufweisen. Allerdings setzen zum Beispiel die Wahlplakate oft auf die Parteiprominenz, um deren Bekanntheit und Popularität zu nutzen, obwohl diese gar nicht für die Europawahl antritt. Das Spitzenkandidatenverfahren bedeutete einen weiteren Schritt zur Personalisierung und brachte für den Medienwahlkampf sogar ein neues Format mit sich. Vor den Wahlen 2014 und 2019 traten die Kandidaten der aussichtsreichsten Parteien, der Sozialdemokratischen Partei Europas und der Europäischen Volkspartei, zu Fernsehduellen an, wie sie in vielen Ländern vor den nationalen Wahlen gängig sind. An deren Einschaltquoten kamen die europäischen Fernsehduelle jedoch nicht heran.
Gegenüber den klassischen Instrumenten der Wahlwerbung wie Plakaten oder Spots in Radio und Fernsehen, die als solche gut zu erkennen ist, tritt bei der medialen Vermittlung der Wahlkampagnen, also der von den Redaktionen verantworteten Berichterstattung wie den Fernsehnachrichten, der werbende Charakter zurück. Diese birgt allerdings für die politischen Akteure das Risiko der Veränderung ihrer Botschaften aufgrund der üblichen Selektions- und Produktionstechniken der Medien. Mit den sozialen Medien haben sich indessen für die Kampagnen neue Kanäle der Wahlwerbung ergeben, die den politischen Akteuren an den klassischen Medien vorbei die unvermittelte Ansprache der Wählerschaft ermöglichen. Obendrein erlauben sie den Zuschnitt der Werbung auf spezielle Gruppen der Wählerschaft
Wahlbeteiligung
Bei der ersten Direktwahl 1979 betrug die Wahlbeteiligung in den neun Mitgliedstaaten 62 Prozent. Da dieser Durchschnittswert durch die in manchen Ländern bestehende Wahlpflicht und am gleichen Tag angesetzte nationale Parlamentswahlen beeinflusst wurde, machte sich Enttäuschung über das vermeintlich geringe Interesse der Wählerschaft an der Stimmabgabe für das Europäische Parlament breit. Die damals noch schwache Position des Parlaments sowie die Qualifizierung der Europawahl als „second-order election“ bot eine plausible Erklärung dafür, dass die Wahlbeteiligung unerwartet niedrig blieb.
Während sich die Beteiligungsquote bei den folgenden Europawahlen im EU-Durchschnitt noch bei über 55 Prozent halten konnte, stürzte sie ab der Wahl 1999 ab und erreichte bei den Wahlen 2009 und 2014 mit etwas mehr als 42 Prozent einen Tiefpunkt. Der zuletzt durch den Vertrag von Lissabon (2009) erfahrene
Ungeachtet der unterschiedlichen Konstellation und der im Vergleich zu nationalen Parlamentswahlen niedrigen Beteiligungsquote haben Europawahlen durchaus Konsequenzen für die politische Hauptarena. Das gilt vor allem für die Regierungsparteien. Je nach zeitlichem Abstand zur letzten oder nächsten Hauptwahl zeigen die Ergebnisse von Europawahlen ein gewisses Muster. Findet die Europawahl kurz nach der Hauptwahl statt, können Regierungsparteien ihr Ergebnis oftmals noch verbessern. Bei einer Europawahl etwa zur Mitte ihrer Amtszeit wendet sich der Trend eher gegen die Regierungsparteien. Liegt der Termin der Europawahl später im Hauptwahlzyklus, können von ihr Signale für die nächste Hauptwahl ausgehen.
Europawahl als Stimmungsbarometer
Bei der Interpretation der Ergebnisse einer Europawahl ist zu berücksichtigen, dass sich die Motive der Wählerschaft zur Wahlbeteiligung und die Gründe für ihre Wahlentscheidung von denjenigen der Hauptwahl unterscheiden können. Da aus Europawahlen keine Regierung hervorgeht, treten taktische Überlegungen, etwa hinsichtlich der bevorzugten Koalition, zurück und die Wahlentscheidung erfolgt eher "mit dem Herzen". In Deutschland gilt das erst recht, seitdem die Fünf-Prozent-Sperrklausel gefallen ist. Welche Folgen das hatte, lässt sich daran ablesen, dass bei den Europawahlen 2014 und 2019 je 14 deutsche Parteien Sitze im Europäischen Parlament erhielten. Nur sieben von den im Parlament vertretenen Parteien sitzen derzeit auch im Bundestag. Aufgrund des europäischen Direktwahlaktes von 2018 sollen jedoch in den Mitgliedstaaten bis zur Wahl 2029 Sperrklauseln von mindestens zwei Prozent und höchstens fünf Prozent eingeführt werden. Mit einer Sperrklausel lässt sich der parlamentarischen Zersplitterung entgegenwirken, sie könnte aber auch bei der Wählerschaft neue Überlegungen für die Stimmabgabe mit sich bringen und so das Wahlverhalten verändern. Die Europawahl lässt sich also dazu nutzen, mit der Stimmabgabe mal etwas anderes auszuprobieren, den Regierungsparteien einen Denkzettel zu verpassen oder Protest gegenüber den etablierten Parteien auszudrücken. Daher bieten Europawahlen kleineren und neuen Parteien besondere Erfolgschancen. Ein eindrückliches Beispiel dafür bieten die deutschen Grünen. Sie zogen bei der Wahl 1984 mit einem Anteil von 8,2 Prozent in das Europäische Parlament ein, nachdem sie ein Jahr zuvor nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde für den Bundestag überwunden hatten. Bei fast allen Europawahlen lag das Ergebnis für die Grünen über demjenigen der vorangegangenen Bundestagswahlen.
Außerdem hat sich gezeigt, dass die dezidiert europakritischen Parteien bei Europawahlen oftmals besonders gut abschneiden: Im Vereinigten Königreich schaffte es 2009 die Independence Party (UKIP) auf ca. 16 Prozent und steigerte ihren Stimmenanteil 2014 auf knapp 27 Prozent. Mit beinahe 25 Prozent wurde 2014 der französische Front National (heute Rassemblement National) stärkste Partei, und in Italien erreichte das Movimento 5 Stelle (M5S) auf Anhieb etwa 21 Prozent der Stimmen und damit den zweiten Platz unter den italienischen Parteien.
Bei der Europawahl 2019 konnten die europaskeptischen und rechtspopulistischen Parteien noch einmal zulegen. Zum Beispiel steigerte sich die AfD von rund sieben Prozent im Jahr 2014 auf elf Prozent der Stimmen. Der Wähleranteil für die Schwedendemokraten (SD) stieg in derselben Zeit von knapp zehn Prozent auf etwa 15 Prozent. Da der Brexit zum Zeitpunkt der Europawahl noch nicht vollzogen war, beteiligte sich das Vereinigte Königreich noch einmal an der Wahl und die Brexit Party erreichte mit gut 30 Prozent mit Abstand die meisten Stimmen.
Ausblick auf die Europawahl 2024
Die Europawahl 2024 findet wenige Monate vor Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern und anderthalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl statt, so dass ihr Testcharakter zukommt. Schon im Herbst 2023 ist aus Umfrageergebnissen eine beträchtliche Aufmerksamkeit für die Europawahl abzulesen: 65 Prozent der deutschen Befragten sagen, sie seien an der Europawahl "interessiert". Dieser Prozentsatz liegt deutlich über dem EU-weiten Durchschnittswert von 57 Prozent. In Deutschland weisen 53 Prozent der Befragten (im Vergleich zu 47 Prozent im EU-Durchschnitt) ihrer Stimmabgabe hohe Wichtigkeit zu, 72 Prozent (68 Prozent im EU-Durchschnitt) würden sich "wahrscheinlich" an der Wahl beteiligen, wenn diese schon in der kommenden Woche wäre. Für die hohe Teilnahmebereitschaft dürfte auch eine Rolle spielen, dass 58 Prozent der deutschen Befragten der Überzeugung sind "Meine Stimme zählt in der EU" (48 Prozent im EU-Durchschnitt), und sogar 76 Prozent sagen "Die Stimme Deutschlands zählt in der EU" (64 Prozent im EU-Durchschnitt). Danach gefragt, was ihrer Meinung nach für Wählerinnen und Wähler die Hauptgründe für die Beteiligung an der Europawahl sind, vermuten die meisten, dass es darum geht, eine politische Partei zu unterstützen, und dass sie generell an Wahlen teilnehmen (je 41 Prozent). Offenbar wird dem Europawahlergebnis durchaus Bedeutung beigemessen, denn beinahe jeder Dritte vermutet, dass andere sich an der Wahl beteiligen, weil sie Dinge verändern wollen (32 Prozent). Beinahe jeder vierte Befragte (23 Prozent) meint aber auch, die Teilnahme an der Wahl diene dazu, Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen.