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Neustart für Europa? | Europäische Union | bpb.de

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Neustart für Europa?

Otto Schmuck

/ 18 Minuten zu lesen

Mehr als 60 Jahre nach ihrer Gründung steht die Europäische Union vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die zweifellos zu den schwerwiegendsten in ihrer Geschichte gehören.

Ein großer Schriftzug ziert eine Hauswand an der Rue de la Loi im Europaviertel in Brüssel. (© picture-alliance)

Die EU in schwierigem Fahrwasser

Mit der Brexit-Entscheidung vom 23. Juni 2016 wird erstmals ein Mitgliedstaat die Gemeinschaft verlassen. Damit folgen äußerst komplizierte und langwierige Verhandlungen über die Austrittsmodalitäten, die das künftige Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur EU beeinflussen werden. Auch darüber hinaus gibt es weitere tiefgreifende Probleme und Verwerfungen, auf die die EU überzeugende Antworten finden muss.

Herausforderung zunehmende Heterogenität der Mitgliedstaaten


Durch die große EU-Erweiterungsrunde 2004 / 2007, bei der zwölf mittel- und osteuropäische Staaten beigetreten sind, denen 2013 noch Kroatien nachfolgte, hat die Heterogenität der von 15 auf 28 Staaten angewachsenen Gemeinschaft erkennbar zugenommen. Diese Erweiterungen wurden nicht von den notwendigen institutionellen Reformen begleitet. Nach wie vor müssen Weiterentwicklungen der Verträge, aber auch wesentliche Entscheidungen in der Steuer- und Sozialpolitik oder in außenpolitischen Fragen mit Einstimmigkeit getroffen werden. Im Kreis der 28 Mitglieder ist ein Konsens zunehmend schwerer zu erreichen. Häufig verfolgen die süd-, die mittelost- und die nordeuropäischen EU-Staaten aus unterschiedlichen Gründen divergierende Interessen. In Finanzfragen ist ein Kompromiss zwischen Geber- und Nehmerländern nur schwer zu erreichen und auch der Stellenwert von Finanzstabilität, Verschuldungskriterien und Achtung der gemeinsamen Werte ist im Kreis der EU-Staaten hoch umstritten. Bei der Suche nach notwendigen Kompromissen für zentrale Fragen sorgt die erforderliche Einstimmigkeit für ein erhebliches Erpressungspotenzial. Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten der EU zunehmend auseinanderdriftet. Dies wird vor allem daran deutlich, dass die globale Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 noch immer nicht in allen EU-Staaten überwunden ist. Während in Deutschland, Österreich und einigen der nördlichen Mitgliedstaaten die Wirtschaft boomt, ist die Situation im Süden Europas weiterhin kritisch. In Spanien, Portugal, Griechenland und auch in Italien gibt es nach wie vor eine hohe Arbeitslosigkeit. Dabei sind vor allem Jugendliche und junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen.

Herausforderung Asyl und Zuwanderung


Ein besonderes Problem stellt die anhaltende Zuwanderung von Flüchtlingen dar. Bürgerkriege und eine kontinuierlich schlechte wirtschaftliche Situation in den Nachbarregionen sowie folgenreiche Klimaveränderungen in Afrika haben zunehmend Migration nach Norden zur Folge. Der vorläufige Höhepunkt der Migration nach Europa und vor allem nach Deutschland wurde im Jahr 2015 erreicht, als mehr als eine Million Menschen in die EU flüchteten. Damals wurde deutlich, dass die Regelungen der sogenannten Dublin-Vereinbarungen den vorhandenen Problemen nicht gerecht werden. Diese Regelungen sehen vor, dass ein Asylbewerber in dem EU-Staat, den er als Erstes betreten hat, das Aufnahmeverfahren durchlaufen muss. Die Frage, was danach zu geschehen hat, insbesondere, ob und in welcher Weise eine Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU erfolgen soll, wurde nicht geklärt. Dies hat zur Folge, dass sich vor allem die im Süden Europas gelegenen EU-Staaten mit einer EU-Außengrenze im Stich gelassen fühlen. Bei all dem ist zu bedenken, dass die Zahl der Flüchtlinge seit 2015 deutlich zurückgegangen ist: Nach Angaben des Statistischen Amts der Europäischen Union, Eurostat, beantragten 2017 insgesamt 708 585 Menschen erstmals Asyl in einem der 28 EU-Staaten. Im Jahr zuvor waren es noch 1,26 Millionen. Das ist ein Rückgang um 44 Prozent. In Deutschland wurde ein besonders deutlicher Rückgang um 70 Prozent von 745 155 auf 222 560 Personen registriert.

Seit vielen Jahren wird in der EU intensiv über neue Regelungen zu Asyl und Einwanderung diskutiert. Eine solidarische Lösung in dieser Frage ist jedoch wegen unterschiedlicher Auffassungen der Mitgliedstaaten und fehlender Zuständigkeiten der EU nicht in Sicht. In der Sache geht es bei diesem Streit vor allem darum, ob eine europäische Lösung gelingt, zu der unter anderem eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik, eine gemeinsame Kontrolle der Außengrenzen sowie eine solidarische Verteilung der Asylberechtigten gehören. Die Alternative eines nationalen Vorgehens hätte die erneute Errichtung von Grenzen zwischen den EU-Staaten und damit die Zerstörung der Schengen-Regelungen zur Folge.

Herausforderung Separatismus


Konfliktpotenzial ergibt sich auch aus separatistischen Bestrebungen innerhalb mehrerer EU-Staaten. Im Baskenland, in Nordirland und in Südtirol konnten diese bestehenden Konflikte durch die Vorteile der EU-Mitgliedschaft, die vor allem die Regionalpolitik und die Öffnung von Grenzen betrafen, weitgehend überwunden werden. Als problematisch erwiesen sich dagegen die Entwicklungen in Schottland und Katalonien. In Schottland brachte ein von der britischen Regierung akzeptiertes Unabhängigkeitsreferendum am 18. September 2014 keine Mehrheit für die Loslösung Schottlands vom Vereinigten Königreich. Demgegenüber erwies sich der Versuch der Loslösung Kataloniens von Spanien als ungleich dramatischer.

Die damalige spanische Zentralregierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy versuchte mit allen Mitteln eine Volksabstimmung zu dieser Frage zu verhindern. Trotzdem erklärte das katalanische Regionalparlament Katalonien am 27. Oktober 2017 nach einem umstrittenen Referendum einseitig zu einer von Spanien unabhängigen Republik. Katalanische Politiker hatten damals von der EU zu Unrecht eine Unterstützung ihrer Unabhängigkeitsbestrebungen erwartet. Denn die EU hat keine Befugnis, in die interne Struktur der Mitgliedstaaten einzugreifen. Zwar unterstützt sie mit ihrer Politik eine starke Stellung der Regionen, doch ist Separatismus nicht das Ziel des Regionalismus in Europa. Ungeklärt ist bis heute die Frage, ob und unter welchen Bedingungen ein durch Abspaltung entstehender neuer Staat EU-Mitglied werden kann. Ein Beitrittsbeschluss setzt nach geltendem Recht die Einstimmigkeit der vorhandenen Mitglieder voraus. Die hierzu erforderliche Zustimmung eines von der Loslösung direkt betroffenen Staates wäre aber wenig wahrscheinlich, vor allem, wenn diese wie im Fall Kataloniens nicht einvernehmlich erfolgt ist.

Herausforderung veränderte Weltordnung

Bevölkerungsentwicklung 1950, 2010, Prognosen 2060 (© bpb)

Seit der Jahrtausendwende hat sich die internationale Ordnung in vielerlei Hinsicht tiefgreifend verändert. China ist zu einer politischen und wirtschaftlichen Weltmacht aufgestiegen, in der Türkei werden die Grundrechte zunehmend missachtet, Russland hat mit der Annexion der Krim das Völkerrecht gebrochen und der US-amerikanische Präsident stellt die Sicherheitsgarantie für die europäischen NATO-Mitglieder infrage. Die EU muss außenpolitisch mehr Verantwortung übernehmen (und sich wohl auch in militärischer Hinsicht weltweit stärker engagieren), sonst wird sie zum Spielball der Weltpolitik und kann ihre Interessen nicht wirksam vertreten. Allerdings sollte die EU vorrangig nach diplomatischen Lösungen im multilateralen Rahmen suchen. Hier verfügt sie über große Erfahrungen und über ein reichhaltiges Instrumentarium, das effektiv genutzt werden kann: Entwicklungshilfe, Handelsverträge, Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Von Bedeutung ist dabei, dass in der EU lediglich sieben Prozent der Weltbevölkerung leben – mit abnehmender Tendenz. Dennoch macht ihre Wirtschaftskraft mehr als 16 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung aus; mehr als die Hälfte der weltweit geleisteten Entwicklungshilfe wird von der EU und ihren Mitgliedstaaten geleistet.

Herausforderung Erstarken der europakritischen Kräfte


In nahezu allen EU-Staaten hatten und haben europaskeptische und europafeindliche Parteien Zulauf. Im Europäischen Parlament sind diesem Lager zehn bis 15 Prozent aller Abgeordneten zuzurechnen. Bei den Europawahlen 2019 könnte sich dieser Trend weiter verstärken. Ein besonderes Problem besteht darin, dass auch traditionell europafreundliche Parteien Gefahr laufen, ihre konstruktive Europahaltung zu ändern, um keine Wählerstimmen zu verlieren. Besonders die Regierungen der mittelosteuropäischen Visegrád-Staaten zeigen sich gegenüber europäischen Anliegen zunehmend ablehnend.

Aber auch in den EU-Gründungsstaaten Italien, Niederlande und Belgien sowie in Österreich existieren starke europakritische Parteien mit entsprechender Wählerunterstützung. Europakritische Parteien haben sogar Regierungsverantwortung übernommen: In Österreich ist seit 2018 die FPÖ an der Regierung beteiligt, in Italien die Lega Nord sowie die Bewegung fünf Sterne. Zu diesem Bild passt es auch, dass die Zustimmung zur "immer tieferen" europäischen Integration in den Bevölkerungen schwindet. Untersuchungen haben deutlich gemacht, dass die EU-Mitgliedschaft des eigenen Landes keineswegs mehr unumstritten ist: In Schweden, den Niederlanden, Frankreich, Italien und der Tschechischen Republik sahen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einer repräsentativen Umfrage vom Mai/Juni 2017 mehr Nach- als Vorteile der EU-Mitgliedschaft, während in Deutschland 64 Prozent der Befragten die Vorteile deutlich höher bewerteten.

Der "Brexit" und die Folgen

Mit unwahren Parolen wie dieser warb die Pro-Brexit-Fraktion vor dem Referendum um Unterstützung für den EU Austritt. (© picture-alliance, empics)

Am 23. Juni 2016 votierte eine knappe Mehrheit von 51,9 Prozent der an der Abstimmung teilnehmenden Britinnen und Briten für den Austritt ihres Landes aus der EU. Der Ausgang dieses Referendums war für die meisten Beobachter und auch für die handelnden Akteurinnen und Akteure überraschend. Umfragen hatten bis zuletzt die Befürworter der EU-Mitgliedschaft vorn gesehen. Will man den Ausgang dieser Abstimmung bewerten, ist darauf hinzuweisen, dass das Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur EU und zum Vorläufer Europäische Wirtschaftsgemeinschaft von Anfang an von Spannungen und Missverständnissen geprägt war: Der Einladung zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1957 war das Land zunächst nicht gefolgt. Die Briten traten der Gemeinschaft erst 1972 bei, nachdem der wirtschaftliche Erfolg der EWG absehbar war. Auch danach war das Vereinigte Königreich kein einfacher Vertragspartner. Immer wieder wurden Sonderregelungen und -vereinbarungen gefordert und durchgesetzt. So gilt zum Beispiel seit 1984 ein "Britenrabatt", der das Land in seinem Beitrag zum EU-Haushalt bis heute spürbar entlastet.

Wird die EU durch den Brexit geschwächt oder gestärkt? (© bpb)

Bei anderen wichtigen europäischen Weiterentwicklungen wie der Grenzöffnung im Schengen-Raum oder der Einführung des Euro als gemeinsamer Währung verweigerte sich das Land. Trotz immer wieder erlangter, weitreichender Zugeständnisse seitens der EU gewann die Forderung nach einem britischen EU-Austritt – angefeuert von der United Kingdom Independent Party (UKIP) – letztlich Zustimmung in der britischen Bevölkerung. Der damalige britische Premierminister David Cameron hatte ursprünglich die Absicht, die Diskussion um einen möglichen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs mit einer Volksbefragung ein für alle Mal zu beenden. Er war überzeugt, diese gewinnen zu können, und setzte für den 23. Juni 2016 ein entsprechendes Referendum an. Entgegen aller Erwartungen konnten die EU-Gegnerinnen und -Gegner die Abstimmung jedoch für sich entscheiden. Nur in Schottland und Nordirland sprachen sich 62,0 bzw. 55,8 Prozent – also die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler – für den Verbleib in der EU aus. Analysen ergaben, dass vor allem jüngere Menschen, Personen mit höherem Bildungsabschluss und die Bewohnerinnen und Bewohner der Großstädte für den Verbleib gestimmt hatten. Cameron musste nach der Brexit-Entscheidung zurücktreten. Die Regierung seiner Nachfolgerin Theresa May übermittelte am 29. März 2017 offiziell den Austrittsantrag. Danach sehen die Verträge einen konkreten Zeitraum zur Aushandlung des Austritts vor. Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union legt fest, dass die EU-Verträge auf einen Staat ab jenem Tag keine Anwendung mehr finden, an dem ein Austrittsabkommen in Kraft tritt.

Kommt keine Vereinbarung zustande, gilt dies spätestens zwei Jahre nach der Übermittlung des Austrittsantrags – im Fall Großbritanniens also ab März 2019. Seither werden die Sitzungen der EU-Gremien weitgehend von den Modalitäten des britischen EU-Austritts bestimmt.

Zahlreiche offene Fragen gilt es zu lösen:

  • Wie soll künftig das Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur EU und vor allem zum europäischen Binnenmarkt gestaltet werden?

  • Welche Rechte sollen EU-Bürgerinnen und -Bürger im Vereinigten Königreich haben und wie soll umgekehrt die Rechtsstellung der britischen Staatsbürgerinnen und -bürger in den EU-Staaten ausgestaltet sein?

  • Soll das Land Zugang zu EU-Programmen, etwa im Forschungsbereich oder bei ERASMUS, erhalten?

  • Welche Finanzzahlungen – etwa für Pensionslasten britischer EU-Beamtinnen und -Beamter oder für die Teilhabe an EU-Programmen – muss Großbritannien auch künftig an den Gemeinschaftshaushalt leisten?

Vor allem in der Beantwortung der zuerst genannten Frage liegt erheblicher Sprengstoff, denn Großbritannien möchte weiterhin den ungehinderten Zugang zum europäischen Markt im Hinblick auf den freien Warenverkehr genießen. Zugleich will man aber die Personenfreizügigkeit reglementieren und die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs überwinden. Darüber hinaus hängt von einer befriedigenden Regelung des britischen Zugangs zum Binnenmarkt auch die künftige Ausgestaltung des Grenzregimes zwischen der Republik Irland und Nordirland ab – ein Thema, das früher Anlass für gewaltsame Zusammenstöße lieferte. Der Zeitplan für eine Einigung ist sehr eng, da entsprechend der vertraglichen Vorgaben der Austritt bereits zum 29. März 2019 rechtskräftig wird. Weil alle Seiten verhindern möchten, dass ein Austritt ohne Rechtsvereinbarung stattfindet, wird über mögliche Übergangslösungen nachgedacht. Die Brexit-Entscheidung hat in der EU zu verstärkten Reformbemühungen geführt. In der Vergangenheit hatten die Briten in vielen Fällen Entscheidungen blockiert und – etwa bei der Finanzierung des Haushalts, beim Euro, bei Schengen und in vielen anderen Bereichen – Sonderregelungen eingefordert.

Auch im Hinblick auf Reformen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU zeigte sich das Vereinigte Königreich als Bremser und sah sich in Krisenfällen häufig eher an der Seite der USA als im europäischen Geleitzug. Dies könnte sich ab 2019 ändern. Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich am 16. September 2016 ohne die britische Premierministerin in Bratislava getroffen und sich bei dieser Gelegenheit sehr klar zur Fortführung der europäischen Einigung bekannt.

Grafiken

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Das Weißbuch der Kommission zur Zukunft Europas

Auch vonseiten der Europäischen Kommission gab es wesentliche Impulse zur Überwindung der Krise. Anlässlich des 60. Jahrestags der feierlichen Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 2017 eröffnete Kommissionspräsident Juncker in der italienischen Hauptstadt eine neue Debatte zur Überwindung der Krise und legte hierzu das "Weißbuch zur Zukunft Europas – Die EU der 27 im Jahre 2025 – Überlegungen und Szenarien" vor. Dieses Weißbuch enthält eine kritische Analyse zum Zustand der EU und zeigt fünf Szenarien zur Zukunft Europas auf. Die Kommission betont, dass sie die Zukunftsdebatte nicht dominieren möchte. Vielmehr fordert sie die nationalen und europäischen Akteurinnen und Akteure und auch die Zivilgesellschaft zur Positionierung auf. Fünf Diskussionspapiere konkretisieren die Auswirkungen der Szenarien im Hinblick auf die Bereiche Globalisierung, Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, soziale Dimension, Zukunft der EU-Finanzen und europäische Verteidigung.

Zur Beschreibung der Ausgangslage wird auf eine Reihe von Fakten verwiesen, die nach Auffassung der Kommission die Zukunft Europas im nächsten Jahrzehnt prägen. Hierzu gehören unter anderem der geringer werdende Anteil der EU an der Weltbevölkerung (siehe Interner Link: Schaubild) und am weltweiten BIP sowie die Überalterung der Menschen in der EU. Der Euro sei jetzt eine Weltwährung, doch würden andere Währungen erkennbar an Bedeutung gewinnen. So würden zum Beispiel neue Technologien und die Automatisierung eine Herausforderung darstellen, die neue Antworten erforderlich macht. Zugleich wird darauf verwiesen, dass Europa die gerechtesten Gesellschaften der Welt aufweise und in der Bekämpfung des Klimawandels führend sei. Allerdings gebe es wachsende Bedrohungen und Sorgen um die Sicherheit der Außengrenzen. Die Veränderungen in der Welt und das Gefühl der Unsicherheit hätten zu einer wachsenden Unzufriedenheit mit der EU und der Politik insgesamt geführt. Die EU werde vielfach für Probleme verantwortlich gemacht, deren Lösung nicht in ihrer Kompetenz liegt. Zugleich würden Erfolge, die auf die EU zurückgehen, für nationale, regionale und lokale Akteure reklamiert. Die Kluft zwischen Versprechen und Realität sei eine ständige Herausforderung für Europa. Die Kommission stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich Europa von den Ereignissen treiben lassen oder die Zukunft gestalten möchte.

Auszug aus der "Erklärung von Bratislava“, Ergebnis der informellen Tagung der 27 Staats- und Regierungschefs, Bratislava, 16. September 2016Entschlossen, die EU mit 27 zum Erfolg zu führen

"Obgleich ein Land seinen Austritt beschlossen hat, ist die EU nach wie vor für die übrigen Mitgliedstaaten unerlässlich. In der Zeit nach den Kriegen und den tiefen Spaltungen auf unserem Kontinent war es die EU, die Frieden und Demokratie sicherstellte und unseren Ländern Wohlstand ermöglichte. Viele Staaten und Regionen außerhalb der EU versuchen immer noch vergebens, solche Erfolge zu erzielen. Aufbauend auf diese gemeinsame Geschichte sind wir entschlossen, die EU mit 27 Mitgliedstaaten zum Erfolg zu führen. Die EU ist zwar nicht fehlerfrei, doch ist sie das beste Instrument, über das wir verfügen, um die neuen vor uns stehenden Herausforderungen zu bewältigen. Wir benötigen die EU, um nicht nur Frieden und Demokratie, sondern auch die Sicherheit unserer Bürger zu gewährleisten. Wir benötigen die EU, um ihren Bedürfnissen besser zu genügen, ihrem Wunsch, in ganz Europa frei zu leben, zu studieren, zu arbeiten, zu reisen und zu Wohlstand zu gelangen, besser zu entsprechen und um Nutzen aus dem reichen kulturellen Erbe Europas zu ziehen.“

Die fünf Szenarien des Weißbuchs


Zur Strukturierung der Debatte werden fünf Szenarien vorgestellt, die Einblicke geben sollen, wie die EU im Jahr 2025 aussehen könnte. Dabei geht es nicht um detaillierte Blaupausen, sondern um Denkanstöße. Rechtliche und institutionelle Auswirkungen werden bewusst ausgeklammert. Hierüber soll in einem zweiten Schritt entschieden werden, wenn man sich über die Ziele klar ist. Das Motto lautet also: "form follows function".Entsprechend dieser Überlegungen werden fünf Alternativen präsentiert:

Szenario 1: "Weiter so wie bisher"
Die EU mit ihren künftig 27 Mitgliedstaaten konzentriert sich auf die Umsetzung ihrer vereinbarten Reformagenda entsprechend den politischen Leitlinien der Kommission und der von allen verbleibenden EU-Staaten angenommenen Erklärung von Bratislava. Dieses Szenario ist bereits durch seine Beschreibung – "Weiter so wie bisher" – negativ konnotiert. In einer wie auch immer gearteten Krisensituation wird das Festhalten am bisherigen Kurs wohl kaum als erfolgversprechendes Rezept gelten können.

Szenario 2: "Schwerpunkt Binnenmarkt"
Die EU konzentriert sich eindeutig auf den Binnenmarkt, da – so die Prämisse – die 27 Mitgliedstaaten in immer mehr Politikbereichen nicht in der Lage sind, eine gemeinsame Haltung zu finden. Dieses Modell erscheint angesichts des bereits vorhandenen Integrationsstandes wenig interessant. Möglicherweise würden sich einige mittelosteuropäische EU-Staaten für diesen Ansatz interessieren, doch ist die EU heute bereits weit über diesen Aggregatzustand hinaus. Für die Mehrzahl der Mitglieder wäre dieses Modell deshalb wohl keinesfalls akzeptabel. Zudem ist hier zu bedenken, dass gerade die mittelosteuropäischen EU-Staaten in besonderem Maße Solidarität und finanzielle Unterstützung von der EU erwarten. Beides wäre in einem reinen Binnenmarktkonzept aber von untergeordneter Bedeutung.

Szenario 3: "Wer mehr will, tut mehr“
Die EU verfährt weiter wie bisher, gestattet jedoch interessierten Mitgliedstaaten, sich zusammenzutun, um in bestimmten Politikbereichen wie Verteidigung, innerer Sicherheit, Soziales oder Migration gemeinsam voranzuschreiten. Es entstehen eine oder mehrere "Koalitionen der Willigen". Angesichts der Notwendigkeit von Fortschritten bei fehlender Zustimmung aller Beteiligten kommt diesem Szenario besondere Aufmerksamkeit zu, da es auf den ersten Blick der Quadratur des Kreises gleicht. Das Konzept birgt allerdings auch erkennbare Risiken, da kein fester Kreis von Mitgliedstaaten – etwa die Mitglieder des Euroraums – bei der verstärkten Zusammenarbeit vorangehen soll. Stattdessen würden – je nach Materie – jeweils unterschiedliche Formationen entstehen, zum Beispiel im Verteidigungsbereich, bei der Terrorbekämpfung oder bei der Steuerpolitik. Damit rückt das Modell der variablen Geometrie oder gar eines "Europa à la carte" in Reichweite, das die Gefahr der Entsolidarisierung in sich birgt, weil jeder Beteiligte sich lediglich dort engagiert, wo er Vorteile sieht. Ein Interessenausgleich in Paketlösungen, wie es bisher der Fall war, findet in einem solchen Modell nicht mehr statt.

Szenario 4: "Weniger, aber effizienter“
Die EU konzentriert sich darauf, in ausgewählten Bereichen rascher Ergebnisse zu erzielen, und überlässt andere Tätigkeitsbereiche den Mitgliedstaaten. Die Verwirklichung dieses Modells würde eine Reduzierung der EU auf wenige Kernaufgaben bedeuten. Dort aber könnte die EU wirkungsvoll handeln. Allerdings ist kaum absehbar, wo neben dem Binnenmarkt derartige vorrangige Handlungsfelder – möglichst mit allen verbleibenden 27 Mitgliedern – zu identifizieren wären. Ob eine Vertiefung im Klima- und Umweltschutz beispielsweise von den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten mitgetragen würde, ist mehr als fraglich.

Szenario 5: "Viel mehr gemeinsames Handeln“
Die Mitgliedstaaten beschließen, in einer Vielzahl von Bereichen mehr Kompetenzen und Ressourcen zu teilen und Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Auf EU-Ebene werden rascher Entscheidungen getroffen, die zügig umgesetzt werden. Dieses Modell, in dem alle 27 EU-Staaten gemeinsam mehr auf der europäischen Ebene bündeln, liegt auf der Linie der 2005 gescheiterten europäischen Verfassung. Die Schaffung eines europäischen Bundesstaates wäre sowohl unter Demokratie- wie auch Effizienzgesichtspunkten zu begrüßen. Doch scheint ein derart weitreichender Vorstoß angesichts des Einstimmigkeitserfordernisses im Kreis der 27 und der gemachten Erfahrungen mit dem Europäischen Verfassungsvertrag auf absehbare Zeit wenig realistisch. Insofern erscheinen Fortschritte eher durch eine "Koalition der Willigen" entsprechend Szenario 3 möglich.

Die Szenarien des Weißbuchs haben vielfältige Reaktionen hervorgerufen. Politikerinnen und Politiker der europäischen, der nationalen und auch der regionalen Ebene haben sich zu den verschiedenen Szenarien positioniert und auch in der Wissenschaft und den Medien schlugen sich die Überlegungen der Kommission nieder.

Aktuelle Entwicklungen – frischer Wind für Europa


Die Debatte zur Zukunft Europas erhielt vor allem im Präsidentschaftswahlkampf 2017 in Frankreich neuen Auftrieb. Emmanuel Macron setzte bei der Weiterentwicklung Europas besondere Akzente und gewann im Mai 2017 die Wahl mit großem Vorsprung gegenüber seiner Konkurrentin vom populistischen Front National, Marine Le Pen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron bei einer Rede vor der Europäischen Kommission im März 2019. (© picture-alliance/dpa, Sputnik)

In einer viel beachteten Rede vor Studentinnen und Studenten der Universität Sorbonne in Paris entwickelte Präsident Macron am 26. September 2017 weitreichende Vorschläge zur "Neugründung" der EU. Er kündigte eine Europainitiative in enger Zusammenarbeit mit Deutschland an und legte den Fokus auf die Stärkung der Eurozone: Sie müsse das Zentrum der wirtschaftlichen Kraft Europas in der Welt werden. Notwendig sei hierfür ein eigener substanzieller Haushalt für den Euroraum, der die Finanzierung gemeinsamer Investitionen ermöglichen und Stabilität angesichts wirtschaftlicher Schocks gewährleisten könne. Innerhalb der EU müssten die Länder, die weiter und schneller vorankommen wollten, dies ohne Hürden tun können. Die Möglichkeiten zur Kooperation sollten jedoch allen jederzeit offenstehen – ausschlaggebend sei einzig das Kriterium der geteilten Zielsetzung. Macron sprach sich auch dafür aus, auf Grundlage der durch den Brexit frei werdenden Abgeordnetensitze europaweite Listen zu schaffen, damit die Europäer über ein kohärentes und gemeinsames Projekt abstimmen könnten.

Mit dem Ziel der Wiederbelebung der deutsch-französischen Rolle als Motor der EU richteten sich die Vorschläge Macrons vor allem an Deutschland. Dort verzögerte sich jedoch die Antwort durch die schwierige Regierungsbildung nach der Bundestagswahl vom 24. September 2017. Der schließlich vereinbarte Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vom 14. März 2018 enthält ein sehr europafreundliches Eingangskapitel. Unter der Überschrift "Ein neuer Aufbruch für Europa" werden darin wesentliche Anliegen des französischen Präsidenten konstruktiv aufgegriffen. Auf dieser Grundlage wurden inzwischen Vorschläge ausgearbeitet und bei einem Treffen der Regierungen Deutschlands und Frankreich am 19. Juni 2018 in Meseberg beschlossen. Das Vorschlagspaket umfasst unter anderem die Bereiche Außen- und Sicherheitspolitik, Migration und Asyl, Steuerharmonisierung und Banken. Für den Euroraum soll ein eigener Haushalt eingeführt werden, das Europäische Währungssystem soll zu einem Europäischen Währungsfonds weiterentwickelt werden. Bei künftigen Europawahlen sollen transnationale Listen die bisherigen nationalen Wahlregelungen ergänzen.

Die deutsch-französischen Vorschläge sind nunmehr Grundlage der Beratungen in den Fachministerräten der EU und nachfolgend auch im Europäischen Rat der EU-Staats- und Regierungschefs. Einige der Vorschläge lassen sich kurz- und mittelfristig im Rahmen der bestehenden Verträge verwirklichen, andere bedürfen jedoch vertraglicher Anpassungen. Einmal mehr steht die Europäische Union somit vor der Notwendigkeit, sich auf erforderliche Reformen zur Überwindung der Krisensituation zu einigen. Angesichts der vorhandenen Interessenunterschiede der größer gewordenen Gemeinschaft fällt es jedoch zunehmend schwerer, Entscheidungen zu treffen, denen alle EU-Staaten zustimmen können. Möglicherweise werden Fortschritte künftig nur noch im Rahmen des Szenarios 3 des Weißbuchs als "Koalitionen der Willigen" erreichbar sein.

Reformen in Europa gelingen nur mit Unterstützung der Menschen

Umfragen zeigen deutlich, dass die Unterstützung der europäischen Einigung heute keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Eine wesentliche Voraussetzung für Weiterentwicklungen in Europa ist es deshalb, die Menschen wieder verstärkt für europäische Ziele zu gewinnen. Es muss wieder deutlich werden, dass "Europa" keine Gefahr, sondern vor allem eine Chance für den Wohlstand und für das soziale Zusammenleben darstellt. Dazu muss die soziale Dimension der EU gegenüber den Anliegen der Wirtschafts- und Währungsunion deutlich gestärkt werden. Auch müssen in der EU die Interessenlagen und die Kompromissfindungsprozesse besser verdeutlicht werden. Positive Erfahrungen im Alltagsleben können dies verstärken: Begegnungen im Rahmen von Städtepartnerschaften, besserer Verbraucherschutz, effektivere Regelungen beim Umweltschutz, offene Binnengrenzen, Wegfall von Roaminggebühren und vieles mehr.

Auszug aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 14. März 2018.Ein neuer Aufbruch für Europa

"Deutschland hat Europa unendlich viel zu verdanken. Auch deshalb sind wir seinem Erfolg verpflichtet. Für Deutschland ist ein starkes und geeintes Europa der beste Garant für eine gute Zukunft in Frieden, Freiheit und Wohlstand. […] Europa muss sein Schicksal mehr als bisher in die eigenen Hände nehmen. Nur gemeinsam hat die EU eine Chance, sich in dieser Welt zu behaupten und ihre gemeinsamen Interessen durchzusetzen. Nur gemeinsam können wir unsere Werte und unser solidarisches Gesellschaftsmodell, das sich mit der sozialen Marktwirtschaft verbindet, verteidigen. Ein starkes, demokratisches, wettbewerbsfähiges und soziales Europa der Menschen muss unsere Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit sein. Deshalb braucht die EU eine Erneuerung und einen neuen Aufbruch. […] Um diese Ziele zu erreichen, wollen wir die EU in ihrer Handlungsfähigkeit stärken, insbesondere auch das Europäische Parlament. Wir wollen die EU finanziell stärken, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann. Dafür werden wir bei der Erstellung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens Sorge tragen. Dabei befürworten wir auch spezifische Haushaltsmittel für wirtschaftliche Stabilisierung und soziale Konvergenz und für die Unterstützung von Strukturreformen in der Eurozone, die Ausgangspunkt für einen künftigen Investivhaushalt für die Eurozone sein können. Wir sind zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit. Wir wollen einen Haushalt, der klar auf die Aufgaben der Zukunft mit europäischem Mehrwert ausgerichtet ist. Wir wollen in diesem Sinne und insbesondere auch in enger Partnerschaft mit Frankreich die Eurozone nachhaltig stärken und reformieren, so dass der Euro globalen Krisen besser standhalten kann. Dabei bleibt der Stabilitäts- und Wachstumspakt auch in Zukunft unser Kompass.“

Notwendig ist zweifellos auch eine stärkere Verankerung des Themas "Europa" in Schulen und Universitäten. Schulprojekttage, Partnerschaften mit Schulen und Hochschulen in anderen europäischen Staaten und die Teilnahme an Austauschprogrammen der EU wie ERASMUS tragen zur Herausbildung eines europäischen Bewusstseins bei. Mehr als vier Millionen vorwiegend jüngere Menschen nutzten seit dem Programmstart 1987 dieses Angebot und die Kommission hat angekündigt, die Mittel für ERASMUS für die EU-Finanzperiode 2021 bis 2028 deutlich zu erhöhen.

Austauschprogramme ermöglichen persönliche Erfahrungen und können zu einem gestärkten europäischen Bewusstsein beitragen. Doch sind weitere Schritte zur Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit erforderlich. Der Informationsstand der EU-Bürgerinnen und -Bürger zu "Europa" ist noch immer viel zu gering. Es fehlt an einer ausführlicheren und objektiveren Berichterstattung in den Medien. Diese stellen im Hinblick auf die EU häufig lieber negative Klischees in den Vordergrund – oder sie verklären die europäische Integration. Über die tatsächlichen Errungenschaften und Vorteile eines sich immer weiter integrierenden Europas wird hingegen nur selten differenziert berichtet. Auch haben viele nationale und regionale Politiker die Neigung, Probleme mit der EU deutlich zu artikulieren. Bei gelungenen Projekten wird die Unterstützungen aus Brüssel jedoch kaum erwähnt.

Gemeinsame Werte

Erforderlich ist ein aktiver Dialog zwischen den europäischen Institutionen und den Bürgerinnen und Bürgern. Dazu können die politischen Parteien einen Beitrag leisten, wenn sie sich in europäischen Parteien zusammenfinden und Spitzenkandidaten und -kandidatinnen für das Amt des Kommissionspräsidenten vorschlagen. Transnationale Listen bei künftigen Europawahlen können dies unterstützen. Auch müssten die Repräsentierenden aller politischen Ebenen mit den Bürgerinnen und Bürgern verstärkt in einen politischen Dialog zu Europafragen treten. Darüber hinaus ist eine stärkere Konzentration der EU auf die Bereiche notwendig, in denen ein gemeinsames Vorgehen erkennbare Vorteile bringt. Viele der heute von der EU erfassten Themen müssen nicht auf der europäischen Ebene geregelt werden. Hier gilt es, die föderale Balance zwischen europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene besser auszutarieren. In den EU-Verträgen ist mit der Einführung der Prinzipien von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit bereits der richtige Weg vorgezeichnet.

Allem voran ist die kulturelle Vielfalt Europas der Reichtum, aus dem eine europäische Identität wächst. Es ist Aufgabe der Europäischen Union, diese kulturelle Vielfalt zu schützen und Einheit in Vielfalt zu fördern. Hierzu gehört es auch, die Begegnung und die Verständigung mit anderen Kulturen und Lebensverhältnissen sowie den Erwerb von Fremdsprachen zu fördern. Die gemeinsamen Werte der EU sollten einen deutlich größeren Stellenwert erhalten: Die Europäische Union ist gegründet auf die in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in der Europäischen Charta der Grundrechte niedergelegten Werte, zu denen vor allem die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die unveräußerlichen Rechte des Einzelnen gehören. Diese Werte sind Ziel und Maßstab ihres politischen Handelns. Bisher tut sich die EU aber erkennbar schwer, bei Verstößen einzelner Mitgliedstaaten gegen diese gemeinsamen Werte einzugreifen. Hierzu müssen wirksamere Instrumente eingeführt und tatsächlich auch genutzt werden.

Viele Veränderungen sind erforderlich, um die Menschen wieder stärker für die Einigung Europas zu motivieren. Die Europäische Union und ihre Vorläuferorganisationen haben ihren Mitgliedstaaten mehr als 60 Jahre Frieden und Wohlstand gebracht. Es wäre unverantwortlich, dies leichtfertig zu gefährden.

Dieser Beitrag ist zuerst in der Ausgabe der Zeitbilder Interner Link: Europäische Union in Dezember 2018 erschienen.

Fussnoten

Dr. Otto Schmuck, geb. 1953 in Oppenheim/Rhein, leitet den Arbeitskreises "Europa“ der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz und ist seit 2016 Vizepräsident der Union Europäischer Föderalisten (UEF). Er studierte Politikwissenschaften, Germanistik, Pädagogik und Geschichte an den Universitäten Bonn und Mainz. Von 1981 bis 1992 arbeitete er am Institut für Europäische Politik in Bonn, zuletzt als stellvertretender Direktor. Dr. Schmuck hatte Lehraufträge an den Universitäten Mainz, Köln und Berlin sowie am Europa-Kolleg Brügge.