Schwarz-Weiß-Malerei – Stereotypen und ihre Hinterfragung im griechisch-deutschen Mediendialog
Dr. Georg Tzogopoulos
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Georg Tzogopoulos meint, dass griechische Politiker wohl unfähig oder unwillig seien, eine effiziente Reformpolitik durchzuführen. Sie interpretierten die Politik der Reformen als Forderung aus dem Ausland und übernähmen damit keine Eigenverantwortung. Die griechischen Medien hätten diese Logik der Politiker nicht nur ungenügend kritisiert, sondern auch akzeptiert und reproduziert.
Der ehemalige Chefredakteur der Financial Times Richard Lambert argumentierte im Jahre 2003, Medien könnten die Meinung ihrer Leser sowohl wiederspiegeln als auch verstärken. Besonders augenfällig wird diese Doppelrolle der Medien angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise und aller damit einhergehenden griechisch-deutschen Missverständnisse. In der heutigen Berichterstattung sind negative Einstellungen und Stereotypisierungen sehr gängig. Eine Analyse der Meinungsumfragen in beiden Ländern mag diese Tendenz verdeutlichen.
Um das Bild Deutschlands in Griechenland zu analysieren, bietet die VPRC Umfrage vom Februar 2012 eine aussagekräftige Diskussionsgrundlage. Laut dieser Umfrage verbinden immerhin 32,4 % aller Griechen Deutschland in irgendeiner Form mit Hitler, dem Nationalsozialismus und dem Dritten Reich, während ganze 79 % der Griechen die Rolle Berlins gegenüber ihrer Heimat als "negativ" oder 76% sogar als "feindlich" einschätzen. Bei 81 % der Befragten findet sich eine negative Einstellung der Bundeskanzlerin Merkel gegenüber. Es ist auch bemerkenswert, dass 91 % der Griechen mit dem Anspruch auf die Zahlung der Kriegsreparationen von Deutschland einverstanden sind, und dass 77 % ein ‘Viertes Reich’ in Deutschlands Aspirationen sehen.
Mit Blick auf die in Deutschland zirkulierenden Griechenland-Bilder kommt die Harris Interactive Umfrage vom August 2012 zu interessanten Ergebnissen., August 2012, im Juni 2014 besucht worden. Laut dieser Umfrage glauben nur 54 % der Befragten in Deutschland, dass Griechenland in der gemeinsamen Währungsunion bleiben soll, während 19 % darüber unsicher sind. Ausserdem möchten nur 26 % der Deutschen, dass die Mitglieder der Eurozone mehr tun sollen, um Griechenland zu helfen. 74 % der Befragten schließlich sind nicht überzeugt, dass Griechenland seine Rettungskredite zurückzahlen wird.
Es ist offensichtlich, dass die griechisch-deutschen Beziehungen unter den Vorzeichen der Wirtschaftskrise in eine "Krise der Kommunikation" geraten sind. Auf der einen Seite betrachtet die Mehrheit der Griechen Deutschland als verantwortlich für die Krise und insbesondere den Sparkurs, der in Griechenland so schmerzhaft empfunden wird. Auf der anderen Seite sehen viele Deutsche Griechenland sorgenvoll als einen Sonderfall in Europa, der die Fortexistenz der gesamten Eurozone bedroht: ein Widerspruch der unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen, der sich für ganz Europa als kritisch erweiset. Denn eine weitere europäische Integration kann nicht erreicht werden, wenn die öffentliche Meinung in den verschiedenen Ländern über diese Verwerfungen hinaus keine gemeinsame europäische Identität mehr ausprägen kann.
Gemäß der Hauptlogik der europäischen Architektur arbeiten verschiedene Staaten zusammen, um gemeinsame Ziele zu verwicklichen. Allerdings hat dieses Leitbild der "Zusammenarbeit" in der Krise tiefe Risse bekommen. Sind die Griechen mit der deutschen Unterstützung zufrieden? Sind die Deutschen mit den Hilfspaketen für Griechenland einverstanden? Die Antworten fallen negativ aus. Stattdessen glaubt die Mehrheit der Griechen, dass Deutschland seinen ökonomischen Einfluss in ihrem Land ausbaut. Und die Mehrheit der Deutschen fühlt sich frustriert, weil Griechenland sich als unwillig oder unfähig erweist, das deutsche Model zu imitieren.
Die Berichterstattung
Viele Medien in Griechenland und Deutschland haben den Anstieg der Spannungen zwischen den Ländern von dem Ausbruch der Krise bis zum Sommer 2012 beeinflusst. Einige Beispiele mögen diesen "Krieg der Bilder" verdeutlichen. Im Februar 2010 porträtierte das Deckblatt der Zeitschrift Focus die griechische Göttin Aphrodite von Melos als Bettlerin. Die sofortige Reaktion von Eleftheros Typos war entsprechend; Die griechische Zeitung veröffentlichte ein Bild der Victoria-Statue auf dem Brandenburger Tor, die statt einer Fackel ein Hakenkreuz in die Höhe hielt. Seither hat das negative Klima der Berichterstattung auch den kulturellen, ja selbst den sportlichen Bereich durchdrungen. Als Griechenland und Deutschland für das Viertelfinale der Europameisterschaft im Juni 2012 gegeneinander antraten, sahen griechische Medien das Spiel als politischen Schaukampf, deutsche Zeitungen publizierten in der Folge ironische Artikel.
Erschwert wurde das Problem durch die häufig unreflektierte und unkritische Übernahme problematischer Aspekte und "Spitzen" dieser polemischen Berichterstattung durch anderen Medien und das Internet. Das Deckblatt von Focus beispielsweise zirkulierte immer weiter als Chiffre für eine angeblich grundsätzliche deutsche Feindseligkeit gegenüber Griechenland. Kommentare der griechischen Politiker und Reaktionen gegen Berlin sind ebenso in vielen deutschen Medien als Zeichen ihrer angeblichen Undankbarkeit - trotz der finanziellen Unterstützung - regelmäßig hochgespielt worden. Dagegen finden sich alle positiven Aspekte dieser alten kulturellen Verbundenheit nur selten produziert oder reproduziert. Und somit bestätigt auch diese Berichterstattung der Krise einmal mehr die Hauptregel der politischen Kommunikationwissenschaft: Only bad news are good news.
Seit August 2012 begannen einige Medien in Griechenland wie auch in Deuschland ihre voreingenommene Haltung gegenüber dem jeweils anderen Land wieder zu mildern bzw. auszudifferenzieren. Offenbar hatte ‘Grexit’ – also die Möglichkeit eines Ausscheidens Griechenlands aus der EU nach der griechischen Wahl von Juni 2012 – keinen Platz auf der europäischen Agenda gefunden. Das Interview, das der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras am 22. August der Bild gegeben hat, markiert den Anfang dieser relativen Entspannung in der deutsch-griechischen Berichterstattung. Im Gespräch mit der Zeitung versuchte Herr Samaras einer neuen Kommunikationsstrategie zu folgen, wonach Griechenland nun vor allem daran gelegen sei, "gemeinsam mit Deutschland" für das "Wohl Europas" zu arbeiten. Ein paar Tage später traf sich der griechische Ministerpräsident den Mitgliedern der Bild-Redaktion Kai Diekmann, Nikolaus Blome und Paul Ronzheimer in Berlin. Bereits im August 2011 hatte Herr Samaras auch der Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben, um in der deutschen Öffentlichkeit eine griechische Standortbestimmung zu versuchen.
Auch die Echos in den griechischen Medien vielen nun positiver aus. Nach einigen Aussagen von deutschen Politikern zur Unterstützung Griechenlands – hier sei nur an die kalkuliert emotionale Äusserung von Bundeskanzlerin Merkel erinnert, ihr "Herz blutete" angesichts der Not in Griechenland berichtete TA NEA zustimmend über einen Perspektivwechsel in der deutschen Berichterstattung. Die Tageszeitung veröffentlichte außerdem zwei Merkel-Karikaturen, die ebenfalls die Annäherung zeigen: Die erste zeigte die deutsche Kanzlerin im traditionellen Griechen-Gewand und mit griechischer Fahne gerüstet; in der anderen Zeichnung vergoss die Kanzlerin Tränen, da sie das griechische Drama zu bemerken angefangen hatte. Im letzten Fall empfahl die Chefredaktion von TA NEA augenzwinkernd: ‘Macht es wie die Kanzlerin’.
Die hoffnungsvollen Zeichen der Berichterstattung seit August 2012 haben eine Verbesserung angedeutet. Allerdings hat diese Aufhellung der Stimmung die Missverständnisse des griechisch-deutschen Verhältnisses nicht wirklich aus der Welt geschafft. Deutschland behält in Griechenland sein Negativ-Image. Obwohl es immer wieder Ausnahmen gibt: Die Mehrheit der Journalisten setzt ihr Vertrauen nicht in Deutschland. Der Kolumnist George Delastik zum Beispiel unterminierte die Bedeutung des ersten offiziellen Treffens von Herrn Samaras in Berlin und diagnostizierte, Deutschland werde nun wieder mehr Druck auf Griechenland ausüben. Als Kanzlerin Merkel Athen im Oktober 2012 besuchte, begrüsste sie die Proto Thema Zeitung in alter Reflexhaltung mit dem Wort ‘Heil’. Ausserdem haben manche Demonstranten die deutsche Fahne in Brand gesteckt, während die Protestierenden selbst sich in Nazi-Uniformen präsentierten. Auf diese Weise "protestierten" die Demonstranten auch gegen den Griechenlandbesuch von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Juli 2013 in Athen. Mit Schlagzeilen wie "WANTED" stellen griechische Boulevardmagazine wie Crash einflussreiche deutsche Politiker wie Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble nach wie vor gern an den Pranger.
Die ganze Debatte über die Rolle der Medien ist ergänzungsbedürftig. Obgleich Journalisten eine Feindschaft zwischen Griechenland und Deutschland zweifellos häufig geschürt haben, stellt sich doch die kritische Frage: Wer oder was hat sie dazu verleitet? Normalerweise folgen die Medien in Krisenzeiten den politischen Eliten. Das ist auch im laufenden Drama Griechenlands nicht anders. Viele Griechische Politiker haben Deutschland für die Krise des Landes verantwortlich gemacht und auch das Thema der Kriegsreparationen betont – nicht zuletzt, um von der eigenen Verantwortung für die eklatante Misswirtschaft in Griechenland selbst abzulenken. Hätten die Journalisten diese Debatten ignorieren können? Wäre es ihnen nicht möglich gewesen, die Schuldzuweisungen ihrer Politiker zu hinterfragen?
Die Hauptaufgabe der Journalisten ist die Berichterstattung. Trotz aller Übertreibungen sind Journalisten darum nur teilweise für die sich vertiefenden griechisch-deutschen Missverständnisse verantwortlich. Das gilt auch von deutscher Seite. Als Bild zum Beispiel den Verkauf der griechischen Inseln und der Akropolis vorschlug, bezog sich die Zeitung bloß auf die Ansicht des CDU-Politiker Josef Schlarmann, ein bankrottes Land müsse eben alles tun, um seine Schulden zu bedienen. In der Aufforderung, gewissermaßen die "heiligen Kühe" der alten griechischen Kulturnation zu schlachten, wollten die griechischen Medien wiederum eine gezielte deutsche Provokation sehen - erneut ein willkommener Anlass, mit einem gerüttelten Maß Anti-Germanismus zu reagieren. Ironischerweise hat die Partei Nea Dimokratia selbst den Politiker Gerasimos Giakoumatos später ermutigt, die Akropolis zu vermieten. Weiterhin hat das griechische Parlament ein Gremium gegründet, das laufend über die Kriegsreparationen recherchiert und diskutiert.
Die negativen Stereotypisierungen Deutschlands in Griechenland können nicht tiefgreifend begriffen werden, ohne die Kommunikationsstrategien griechischer Politiker, also gewissermaßen die "Innenpolitik" mit ins Kalkül zu ziehen. Es ist leicht und "billig", Berlin die Schuld für den langsamen Tod der griechischen Wirtschaft zu geben. Das ‘Memorandum of Understanding’ enthält viele Anregungen, wie Griechenland die Krise überwinden, seine Wirtschaft modernisieren und die staatliche Verwaltung umstrukturieren kann. Die Reform des Justizsystems und die Privatisierung von staatlichen Unternehmen sind zum Beispiel notwendige Voraussetzungen für eine ständige Erholung. Aber die griechischen Politiker konzentrieren sich in ihren öffentlichen Verlautbarungen besonders gern auf Sparmaßnahmen und Steuern. Privatisierungen und der Kampf gegen Steuerhinterziehung und Korruption sind bisher - mit einigen Ausnahmen –Papiertiger geblieben. Es ist wichtig, das einzuräumen: Neue Runden von Sparmaßnahmen wurden erforderlich, weil die griechischen Behörden nicht richtig und rechtzeitig handelten.
Griechische Politiker scheinen unfähig oder unwillig, eine effiziente Reformpolitik durchzuführen. Sie interpretieren die Politik der Reformen als Forderung aus dem Ausland - vor allem aus Deutschland -, und übernehmen damit keine Eigenverantwortung. Deswegen propagieren gerade auch linksextreme und rechtsradikale Parteien in Griechenland einfache Lösungen: sie behaupten, den Gordischen Knoten der Krise mit einem Hieb zu lösen. Die griechischen Medien haben diese Logik der Politiker ungenügend kritisiert. Im Gegenteil haben sie diese Taktik vielmehr akzeptiert und reproduziert. Die Folge ist, dass die Gesellschaft, die unter der Krise leidet, dieses Erklärungsmodell wiederholt und Deutschland als Inbegriff der Fremdherrschaft in Griechenland und in Europa hinstellt. Eine der letzten verfügbaren Umfragen zeigt, dass ganze 92 % der Befragten in Griechenland mit der deutschen Wirtschaftspolitik in Europa nicht zufrieden sind. Gleichzeitig demonstriert diese Umfrage, dass die Mehrheit der Griechen gar keine Verbindung sieht zwischen den wirtschaftlichen Interessen ihres Landes und den Wirtschaftsinteressen Deutschlands. Angesichts der Wahlerfolge der AfD bei der Europawahl 2014 mag man mutmaßen, dass viele Deutsche das ähnlich sehen: Was aber sagt das über den Wirtschaftsraum Europa aus? Noch sitzt der Schock der Krise tief. Und der Weg, wieder gemeinsam Vertrauen zu setzen in die Einheit der Europäischen Union, ist lang.
ist Journalist, Mitarbeiter der Griechischen Stiftung für Europäische und Auswärtige Politik (ELIAMEP) und Kolumnist an Global Times (China). Seine jüngst erschienene Monographie The Greek Crisis in the Media. Stereotyping in the International Press (Ashgate 2013) liefert einen einschlägigen Forschungsbeitrag zur öffentlichen Wahrnehmung der Griechenlandkrise.
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