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Ist in Griechenland die Normalität wiederhergestellt?

Cerstin Gammelin

/ 7 Minuten zu lesen

Zwar hat Griechenland wieder begonnen, sich am Markt zu finanzieren. Normalität ist aber noch nicht eingekehrt, meint Cerstin Gammelin. Die vergangenen Jahre hätten noch einmal gelehrt, dass es falsch war, eine gemeinsame Währung einzuführen, ohne zugleich eine Politische Union zu bilden.

Athen im Februar 2014: Eine ältere Frau geht an einem Graffito vorbei, das einen Mann in Business-Anzug und Spartaner-Helm zeigt. (© picture-alliance/AP)

Griechenlands Regierung hat begonnen, sich wieder am Markt zu finanzieren. Sie hat Staatspapiere mit einer Laufzeit von mehreren Jahren ausgegeben, die Nachfrage war größer als das Angebot. Hätte es eines überzeugenden Beweises bedurft, dass die oft umstrittene und über die Troika durchgedrückte Rettungspolitik der vergangenen Jahre eine erfolgreiche war - hier ist er, freuen sich Europas Politiker. Athens jüngst gelungener Gang an die Finanzmärkte wird bejubelt als Rückkehr des Landes zur Normalität. Genau das ist es aber nicht.

Chefsessel in der verlassenen Teppichfabrik "John Phil", Xanthi, Nordgriechenland 2011. (© Nikos Pilos)

Dass griechische Staatsanleihen wieder nachgefragt werden, hat insbesondere nicht-innergriechische Gründe. Die Nachfrage ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass weltweit Investoren nach Möglichkeiten suchen, Billionen von Euro oder Dollar gewinnbringend anzulegen. Als im Jahr 2009 die Krise um Griechenland und später die gesamte Euro-Zone begann, sind die Investoren aus Europa nach Asien und in andere aufstrebende Entwicklungsländer geflüchtet. Doch auch dort gilt der normale marktwirtschaftliche Zyklus, der besagt: es geht auf und ab.

Aus den damals sichereren Ländern sind aus vielfältigen Gründen "unsichere Kandidaten" geworden. Die Wirtschaft in China wächst nicht wie geplant. Die Türkei hat große innenpolitische Probleme. Es gibt Krawalle in Brasilien. Da trifft es sich gut, dass sich die Euro-Zone gerade wieder fängt. Vor allem aber trifft es sich gut, dass die Euro-Länder beschlossen haben, beieinander zu bleiben – und sich gegenseitig im äußersten Notfall finanziell beizustehen. Investoren, die griechische Anleihen kaufen, oder auch portugiesische, bekommen drei bis vier Prozent Zinsen, was angesichts der Niedrigzinspolitik der Notenbanken in aller Welt ein respektabler Betrag ist.

Und sie können sicher sein, dass die Euro-Zone haftet, falls es Griechenland nicht schafft, aus der Krise zu kommen. Der Euro-Rettungsfonds ESM ist eingerichtet und mit 500 Milliarden Euro gefüllt. Die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel hat beschlossen, dass Athen Mitglied im Euro-Klub bleiben wird. Ein Austritt Athens würde Deutschland und alle anderen Euro-Länder härter treffen als der Verbleib. Nur angesichts dieser Garantien kehren auch die Investoren zurück, die vor zwei Jahren beim griechischen Schuldenschnitt Milliarden Euro verloren hatten.

Steuerbehörde, Athen 2011. (© Nikos Pilos)

Und deshalb ist Griechenlands erster Gang an die Kapitalmärkte keine Rückkehr zur Normalität. Normal wäre, dass ein Land, das Kredite aufnehmen muss, sich den besten Kreditgeber auswählen kann. So wie das grundsätzlich jeder Bürger, jedes Unternehmen macht. Solide soll der Kreditgeber sein, niedrige Zinsen bieten und beste Rückzahlungskonditionen. Gemessen an diesen Kriterien gibt es für ein derart krisengeschütteltes Land wie Griechenland nur einen einzigen Kreditgeber, der infrage kommt: den Euro-Rettungsfonds.

Knapp 134 Milliarden Euro hat der Fonds bisher an Griechenland ausgezahlt, die durchschnittliche Laufzeit der Kredite beträgt 30 Jahre, der durchschnittliche Zinssatz liegt bei 1,5 Prozent. Wegen eines zehnjährigen Zinsmoratoriums zahlt Athen seit einiger Zeit keinerlei Zinsen. Und auch keine Tilgung, weil die meisten Kredite erst in den 2040er-Jahren fällig werden: Athen ist vom Schuldendienst befreit. Die Euro-Politiker haben sich auf diese Superkonditionen verständigt, weil das Euro-Land ohnehin unter einem unvorstellbaren Schuldenberg ächzt, der nur über mehrere Generationen abgezahlt werden kann. Jeder Euro, der in den Schuldendienst fließt, kann eben nicht in wirtschaftliche oder soziale Projekte gesteckt werden, was wiederum jeden nachhaltigen Aufschwung verhindert. Die Euro-Retter wissen um diesen Teufelskreis und haben deshalb versucht, Griechenland jeden unnötigen Euro an Kreditlasten zu ersparen.

Damit ist Schluss, wenn Athen sich Geld am Markt borgt, wo Verständnis und Solidarität unbekannte Währungen sind. Wer Geld am freien Markt verleiht, will daran verdienen. Wenn Griechenland also trotz des Schuldenberges und erdrückender Zinslasten an die Märkte zurückgeht, wohl wissend, dass dort drei, vier, fünf Prozent an Zinsen erwartet werden, ist das nicht wiederkehrender Normalität geschuldet, sondern dem noch immer andauernden "Ausnahmezustand" in Griechenland.

Hotel-Manager, einen Tag vor Schließung des traditionsreichen Esperia-Hotels von Athen. (© Nikos Pilos)

Die Euro-Kreditgeber wollen Griechenland nun keine neuen Kredite mehr zu Superkonditionen ausgeben. Vor allem aus innenpolitischen Gründen. Für die christdemokratischen und christsozialen Parteien muss angesichts der Europawahl am 25. Mai 2014 der Beweis geführt werden, dass die bisherige Rettungspolitik richtig war. Dass das Geld in Griechenland nicht versenkt ist. Dass es richtig war, über die Buchprüfer von Europäischer Zentralbank, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds, also über die Troika, strenge Sparvorgaben zu machen, auf Reformen zu drängen. Die Politik muss die Steuerzahler zu Hause überzeugen, vor allem die in Deutschland. Und deshalb begründen Politiker die erste gelungene Ausgabe von griechischen Staatsanleihen mittlerer Laufzeit mit der von ihnen maßgeblich bestimmten Krisenpolitik der vergangenen drei Jahre.

Der Jubel hat freilich auch innenpolitische Gründe: Der konservative Premier Antonis Samaras will seine nur noch mit zwei Stimmen Mehrheit agierende Regierungskoalition über die 2014 anstehenden Wahlen retten. Was im Übrigen ganz im Sinne der Euro-Kreditgeber ist. Die Gefahr ist real. Mit den Linkspopulisten von Alexis Tsipras als stärkster politischer Kraft in Griechenland wird unklar, wie es weitergeht in Athen. Lange schon versprochene Reformen dürften abgeschrieben werden. Vielleicht gibt es sogar ein Referendum über den Verbleib Griechenlands im Euro-Währungssystem. Athen könnte unregierbar werden, Griechenland wieder in der Krise versinken – und die Euro-Zone damit gefährdet sein.

Um dies zu verhindern, reden Kreditgeber und griechische Regierung jetzt der wiederkehrenden Normalität das Wort. Eine Krise sei immer auch psychologisch zu betrachten, hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble immer wieder verlauten lassen.

Mit einer gehörigen Portion Ignoranz übergehen viele Politiker, was im jüngsten Bericht der Buchprüfer der Kreditgeber, der Troika, steht. Dort sieht das "realistische Szenario" für Griechenland nämlich anders aus. Die Experten, die über Monate die Bücher in Athen geprüft haben, rechnen damit, dass das Land bis 2016 zwischen 16 und 17 Milliarden Euro an neuen Krediten brauchen wird – und damit ein drittes Hilfspaket aus dem Euro-Rettungsfonds.

Überaus hoffnungsvoll berufen sich die Euro-Politiker dagegen öffentlich auf das von der Troika als "optimistisch" beschriebene Szenario: Danach kommen in Griechenland aktuell die Unternehmen wieder in Schwung, bilden sich Zentren des wirtschaftlichen Aufschwungs wie etwa eine Gesundheitswirtschaft für Senioren, medizinischer Tourismus oder traditionelle Lebensmittelherstellung. Doch das ist eben nicht alles. Athen müsste auch stete Überschüsse erwirtschaften, griechische Banken müssten gesund sein und sich frei am Markt finanzieren – und die Regierung sollte das eigentlich für die Banken vorgesehene Geld nutzen, um anderweitig Löcher zu stopfen. Dann benötigte die Regierung bis 2016 nur vier bis fünf Milliarden Euro an Krediten, und die könnte sie womöglich am Markt aufnehmen. Könnte. Wenn. Falls. Müsste. Zur Ehrlichkeit müsste eigentlich das Eingeständnis gehören, dass in vier Jahren Griechenland-Krise schon diverse "optimistische Szenarien" gezeichnet wurden. Ebenso wie diverse "realistische Szenarien". Keines davon ist jemals eingetreten. Im Gegenteil, ein ums andere Mal wurden die als "realistisch" bezeichneten Ausblicke noch unterboten.

Diese Desillusionierungen beziehen sich auf: den Aufbau eines computerbasierten Steuererfassungssystems. Ein zentrales, flächendeckendes Katasteramt. Die Entlassung oder Versetzung von tausenden Staatsbeamten. Das Privatisierungsprogramm, das der hochverschuldete Staat der EU versprochen hat. Zum Verkauf stehen nach wie vor Flug- und Seehäfen, Kraftwerke und Kasernen, die Wasserwerke von Athen und Thessaloniki. Und auch die Reform der Landwirtschaft steht nach wie vor aus.

Universitätsstudenten an der Wirtschaftsuniversität von Athen beim Auszählen ihrer Stimmen, 2009. (© Nikos Pilos)

Dass sich die griechischen Unterhändler teilweise gegen die Vorgaben wehren, ist durchaus nachvollziehbar. Die Troika verlangt Reformen, die in Deutschland undenkbar sind: etwa die Privatsierung der Trinkwasserversorgung. Oder das Aufheben des Apothekenzwangs für Medikamente – die soll es in Griechenland künftig auch im Supermarkt geben. Eines der gravierendsten Hindernisse für einen nachhaltigen Aufschwung ist aber noch immer die Kreditklemme, und das aus zweierlei Gründen: Die griechischen Banken vergeben zu wenig Kredite an kleine und mittlere Betriebe. Und selbst die Kredite, die vergeben werden, sind vergleichsweise teuer. Griechische Unternehmen müssen deutlich höhere Risikoaufschläge zahlen als etwa deutsche oder österreichische Unternehmen. Weshalb sie von vornherein der Konkurrenz aus dem Norden unterlegen sind.

Unternehmen, die es sich leisten können, wandern deshalb aus. Der größte Metallbauer Griechenlands etwa hat seinen Firmensitz jetzt in Belgien. Um das wirtschaftliche Ausbluten zu verhindern, sinnen die Euro-Politiker auf Auswege. Deutschland hat kürzlich in Athen eine Art griechische Kreditanstalt für Wiederaufbau gründen lassen. Frankreich will sich daran beteiligen. Im Gespräch ist, Kredite über die Europäische Investitionsbank zu vergeben, die mit Mitteln aus den europäischen Fördertöpfen garantiert werden. Alle diese Aktivitäten sind beredtes Zeugnis dafür, dass der wirtschaftliche Aufschwung dauerhaft noch nicht eingesetzt hat. Dass die griechische Regierung allenthalben dafür gelobt wird, dass sie im vergangenen Jahr rein rechnerisch mehr eingenommen als ausgegeben hat, ist ein Versuch, die Lage psychologisch zu befrieden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Eine irreversible Rückkehr in die Normalität ist es nicht.

Diese Kluft zwischen Versprechen und Wirklichkeit haben die Bürger bemerkt. Weshalb den Euro-Politikern jetzt eine gehörige Portion Mut zu wünschen ist; Ehrlichkeit, um zu erklären, dass in Griechenland nach wie vor nichts normal ist - und womöglich um weitere Hilfe zu werben, und für einen langen Atem bei der Krisenbewältigung. Denn nicht nur Griechenland, auch die Währungsunion selbst steckt noch in der Krise. Die vergangenen Jahre haben noch einmal gelehrt, dass es falsch war, eine gemeinsame Währung einzuführen, ohne zugleich eine Politische Union zu bilden. Nach den Europawahlen sind dringend die nötigen Schritte zu tun, um der Währungsunion auch die Wirtschaftsunion zur Seite zu stellen: Nur dann ist der Euro sicher.

ist Fachjournalistin und arbeitete u.a. für die Financial Times Deutschland, Die Zeit und ist Europa-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in Brüssel.