Mit der offen nationalsozialistischen Partei Chrysi Avgi ("Goldene Morgenröte") ist Griechenland ein starker Feind im Inneren gewachsen. Antidemokratische Strömungen und Parteien haben hier zwar eine lange Tradition. Dennoch überrascht der Zuspruch in einem Land, das massiv unter der nationalsozialistischen Besatzung gelitten hat.
Der Einzug einer nationalsozialistischen Partei ins griechische Parlament sorgte für weltweites Aufsehen. Man wusste, dass in der Vergangenheit die Demokratie in Griechenland von antidemokratischen Kreisen in der Armee für lange Zeit bedroht und 1967 durch einen Putsch für sieben Jahre abgeschafft worden war. Aber zugleich galt Griechenland in der Vorstellung der Menschen als die "Wiege der Demokratie" und für die Historiker der neueren Geschichte als ein Land, das im Krieg gegen Mussolini und auch während der Besatzungszeit durch Hitler-Deutschland erbitterten Widerstand geleistet hatte: Mit der Aktion zweier neunzehnjähriger Studenten, die Hakenkreuzfahne von der Akropolis herunterzuholen, demonstrierte Griechenland für ganz Europa: "der Nationalsozialismus ist unvereinbar mit der Zivilisation und wird wieder verschwinden". Die Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung zählten zu den höchsten in Europa. Deswegen standen im Nürnberger Prozess oft die Verbrechen der Nationalsozialisten in Griechenland im Mittelpunkt, zu denen das Niederbrennen und die Liquidierung der Bevölkerung vieler Orte und die Auslöschung der Jahrtausende alten blühenden jüdischen Gemeinden gehörten, wie der Hungertod von hunderttausenden Menschen im Winter 1941 in der Hauptstadt Athen, verursacht durch die Konfiszierung aller Lebensmittel durch die Besatzer für den Bedarf ihrer Armee. Wie ist es möglich, dass in einem Land mit solcher Geschichte eine rechtsextreme Partei mit deutlichen Bezügen zum Nationalsozialismus bei den Wählern einen derartigen Zuspruch erhält? Welche rechtsextremen Strömungen gibt es in Griechenland? Und, wichtiger noch, wird seine Demokratie unter den Bedingungen der schweren Wirtschaftskrise stark genug sein, die Bedrohung erfolgreich zu bekämpfen?
Nationalsozialistische Vorläufer in Griechenland
Wie in anderen Ländern Europas hat es auch in Griechenland bereits in der Vorkriegszeit einige Gruppierungen gegeben, die mit den Ideen des Nationalsozialismus sympathisierten. Charakteristisch ist die Geschichte der Nationalen Union Griechenlands (Ethniki Enosis Ellados), die 1927 in Thessaloniki als eine militante antisemitische und antikommunistische Organisation gegründet wurde. Sie war verantwortlich für wiederholte Angriffe auf jüdische Geschäfte sowie für das Pogrom im jüdischen Stadtteil Kambel am 25. Juni 1931, bei dem neben Geschäften und Häusern auch die Schule und die Synagoge niedergebrannt wurden. Nach dieser Tat, die von der lokalen Presse unterstützt und gefeiert wurde, erhielt die Gruppierung finanzielle Unterstützung von Ministerien, Stadt und Banken, darunter der Nationalbank, und konnte innerhalb weniger Monate ihre Mitgliederzahl vervielfachen. Ermutigt durch diese Entwicklung und in Anlehnung an Mussolini unternahmen ihre Anführer mit ihrer paramilitärischen Truppe der "Stahlhelme" am 25. Juni 1933 einen "Marsch auf Athen". Dort trafen sie allerdings auf den Widerstand der Kommunisten und der Gewerkschaften und konnten in Griechenland darum Mussolinis Erfolg nicht wiederholen. Danach verloren sie ihre Geldgeber und somit zunächst auch ihren Einfluss. Als am 4. August 1936 durch den Ministerpräsidenten Ioannis Metaxas eine faschistische Diktatur errichtet wurde, schlossen sich die meisten ihrer Führer dem Regime an und dienten in wichtigen Stellen des Staatsapparates. Ähnlich verhielten sich die meisten Mitglieder der anderen nationalsozialistischen Kreise, darunter auch Sizza Karaiskakis, eine enge Mitarbeiterin von Goebbels und Rosenberg, die nach dem Krieg zunächst zum Tode verurteilt und dann amnestiert wurde.
Kollaborateure im Krieg und Bürgerkrieg
In der Zeit der Besetzung Griechenlands durch Deutschland, Italien und Bulgarien arbeiteten die griechischen Nationalsozialisten mit der SS und der Wehrmacht sowie mit der von den Deutschen eingesetzten Regierung zusammen und organisierten paramilitärische Truppen, welche die Bevölkerung terrorisierten und sich an Morden, Vergewaltigungen, Plünderungen sowie Zerstörung und Niederbrennen von Häusern beteiligten. Nach der Befreiung Griechenlands folgten ihre Anführer der deutschen Armee bei ihrem Rückzug und bildeten eine nationalsozialistische Exilregierung, die bis zum Ende des Krieges Hitler treu blieb. Die meisten von ihnen wurden zum Tode verurteilt, aber ihre Strafen wurden bald in Haftstrafen umgewandelt. Durch eine Amnestie in Jahre 1952 kamen die meisten griechischen Faschisten wieder auf freien Fuß. Es war die Zeit nach dem Bürgerkrieg, in der die Bekämpfung des Kommunismus zum Primat der Politik erklärt und die "nationale Sammlung" aller antikommunistischen Kräfte angestrebt wurde. Die Nationalsozialisten und ihre Kollaborateure wurden rehabilitiert und oftmals in Machtpositionen gebracht. Von nun an wirkten sie als der extreme Flügel der konservativen Großparteien.
Rechtsextreme Milieus unter der Obristenherrschaft 1967-1974
In der Zeit der Militärdiktatur bildeten diese rechtsextremen Kreise das politische Rückgrat des Regimes. Viele Rechtsextremisten betätigten sich in militanten antikommunistischen Organisationen. Berüchtigt waren ihre gewalttätigen Überfälle auf demokratische Versammlungen, zu denen sie auch Konzerte von Mikis Theodorakis zählten – antidemokratische Übergriffe, die als "spontane Reaktion empörter Bürger" dargestellt wurden. Nach dem Sturz der Junta blieben die Rechten wieder straffrei, weil eine Parlamentsentscheidung den Militärputsch nur für den Moment seiner Durchführung zum Verbrechen erklärte, womit alle Kollaborateure der Folgezeit und ihre Taten nachträglich legitimiert waren. Nach dem Sturz der Junta gründeten ihre Erben eine eigene Partei (EPEN), die in den Wahlen von 1977 350.000 Stimmen (6,82%) bekam. Dieser Prozentsatz scheint bei allen Wahlen bis heute den Kern der extremen Rechten in Griechenland zu bilden. Ob sie gerade als selbständige Partei auftreten oder nicht, hängt von der Politik der großen rechtskonservativen Partei ab.
Aufstieg der rechtsextremen Parteien
Die rechtskonservative "Neue Demokratie" positionierte sich als Mitte-Rechts-Partei, gewann die Wahlen 2004 und 2007 und regierte mit einer breiten Mehrheit der Sitze von 2004 bis 2009. Bei ihrer politischen Neuausrichtung grenzte sie sich von nationalistischen Positionen ab und schloss den Vertreter des rechtspopulistischen Flügels wegen seiner extremen Auffassungen aus der Partei aus. Dieser gründete eine neue Partei (LAOS), gewann bei den Wahlen 2004 2,2 %, 2007 3,8 % und 2009 5,63 % (386.205 Stimmen) und wurde damit in Griechenland bereits zur viertstärksten politischen Kraft. Die Demoskopen sahen diese Partei mit mehr als 8 % schon an dritter Stelle, als sie im November 2011 ihre Position gegen die Troika aufgab, und sich an einer Regierung mit der PASOK (Panhellenische Sozialistische Bewegung) und der ND (Neue Demokratie) beteiligte. Ihr Anführer rechtfertigte diese radikale Wende, indem er die Gefahr einer bevorstehenden Pleite Griechenlands beschwor und sich angesichts dessen verpflichtet sah, "das Wohl des Vaterlandes vor das Parteiinteresse" zu stellen. Aufgrund dieser Entscheidung traten massenweise Mitglieder aus, eine Wählerdistanzierung, von der wiederum die nationalsozialistische "Goldene Morgenröte" profitierte. Die Frage ist also weniger, weshalb eine extrem rechte Partei in den Wahlen von 2012 auf Anhieb 6,9 % der Stimmen erreichen konnte, sondern, warum diese explizit nationalsozialistische und nicht eine andere Partei des rechten Spektrums den harten Kern der extrem rechten Wähler für sich gewonnen hat.
Die "Goldene Morgenröte"
Die "Goldene Morgenröte" wurde im Jahr 1980 als eine reine nationalsozialistische Organisation gegründet. Nikos Michaloliakos wurde vom ehemaligen Diktator Papadopoulos zu ihrem Führer ernannt. Michaloliakos war schon vorher an mehreren Bombenattentaten beteiligt gewesen und dafür zu Gefängnisstrafen verurteilt worden, aber bald wieder freigekommen. Zu den Aktivitäten der Goldenen Morgenröte gehörten kleine Versammlungen eingeschworener Nationalsozialisten, die Verbreitung nationalsozialistischer Schriften und, vor allem, Überfälle auf linksgerichtete Studenten, Gewerkschaftler und Einwanderer. Einige ihrer Mitglieder wurden wegen schwerer Körperverletzungen oder Mordversuchen zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, ohne dass daraus irgendwelche rechtlichen Konsequenzen für die gesamte Organisation entstanden.
Nazi-Methoden
Den Kennern des Parteiprogramms der NSDAP werden die Grundbegriffe in den "Verheißungen" der Goldenen Morgenröte bekannt vorkommen: "Das BLUT der Nation, welches durch den Körper der Volksgemeinschaft fließt, und der BODEN des Vaterlandes sind das solide Fundament für die Errichtung des nationalen Volksstaates." Die politische Ideologie der Goldenen Morgenröte ist insgesamt von NSDAP-Programmatik durchsetzt: von der Auffassung, die eigene Weltanschauung basiere auf der Biologie (ähnlich dem Satz des Kultusministers der NSDAP Hans Schemm "Nationalsozialismus ist politisch angewandte Biologie") , über die Wiedereinführung des Gedankens vom "unwerten Leben" (weil "das Schwache keinen Platz in der Natur hat") zur völligen Ablehnung von "Gleichheit" und "Freiheit" – das parteiinterne Führerprinzip wird ausdrücklich als Vorbild für die Organisation des gesamten Staates propagiert. All das verrät, wie vollständig die politische Programmatik der Goldenen Morgenröte der NSDAP-Propaganda entliehen ist. Das Gleiche gilt für ihre Organisationsstruktur und die Aktionen, mit denen sie ihre Präsenz zu zeigen versucht. Durch gewalttätige Aktionen ihrer "Sturmabteilungen" versucht die "Morgenröte", die Bürger ganz alltagsweltlich einzuschüchtern und die Polizei de-facto zu ersetzen.
Mitverantwortung
Die Tatsache, dass Staat und Parteien diesen Aktionen gegenüber lange Zeit untätig zusahen, schien die Methoden der Goldenen Morgenröte zu legitimieren. Der Aufstieg der Goldenen Morgenröte zu einer parlamentarischen Partei drängt dazu, einige gravierende Missstände und Mängel in Politik und Gesellschaft aufzudecken, um sie zu korrigieren. Charakteristisch sind folgende Beispiele aus dem politischen Alltag:
Anders als in anderen europäischen Ländern wurden in Griechenland Schriften, die die Nazi-Verbrechen leugneten oder sogar verherrlichten, als legitime "andere Meinung" betrachtet – so konnten sich selbst die Bücher des Holocaust-Leugners David Irving in Griechenland auf den vordersten Plätzen der offiziellen Bestsellerlisten finden.
Die Repräsentanten von LAOS waren in allen Talkshows immer gerngesehene Gäste, in gemeinsamen Fernsehauftritten machten sie auch die Vertreter der anderen politischen Parteien damit "salonfähig". Ausdrücklich und selbstherrlich meinten sich die Vertreter des politischen Establishments damit gegenüber dem "undemokratischen Umgang mit politisch Andersmeinenden" in anderen europäischen Ländern wie Deutschland positiv abzuheben. Die gleiche "normale" Behandlung erfuhren nach ihrem Wahlerfolg auch die Abgeordneten der Goldenen Morgenröte.
Die stillschweigend akzeptierte Beteiligung der Goldenen Morgenröte an den Massendemonstrationen der griechischen Bevölkerung gegen die Politik der Troika verschaffte ihr die lang ersehnte Legitimierung: Ihre radikalen Parolen gegen den Parlamentarismus fanden plötzlich ein tausendköpfiges Echo, und ihre Militanz wurde von einigen nicht mehr als verbrecherisches Verhalten, sondern als "tapferer Widerstand" angesehen.
Gesellschaftliche Gegenwehr
Die Unterlassungen und die Fehler der politischen Institutionen in Griechenland im Umgang mit Faschismus und Nationalsozialismus sind groß und finden sich in allen Bereichen der Politik. Aber seit dem Einzug der Goldenen Morgenröte ins Parlament entwickelte sich auch eine starke Bewegung gegen die Tatenlosigkeit der Polizei, der Justiz und der Regierung. Lehrer-, Eltern- und Schülerverbände verlangten die Einbeziehung relevanter Inhalte in die Lehrpläne und organisierten Veranstaltungen in den Schulen; Kirchenvertreter erhoben ihre Stimme und verwiesen auf die Unvereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus; Bürger bildeten in fast allen Städten Initiativen gegen die Goldene Morgenröte; Künstler engagierten sich sehr erfolgreich mit den Mitteln ihrer Kunst.
Es sollte der Mord an einem dieser Künstler und der darauffolgende Aufschrei im ganzen Land sein, welcher die Regierung und die Justiz endlich zum Handeln zwang: In der Nacht des 17. Septembers 2013 lauerten die "Sturmabteilungen" der Goldenen Morgenröte in einem Arbeiterviertel von Piräus dem beliebten Rapper und Antifaschisten Pavlos Fyssas auf und ermordeten ihn kaltblütig. Mit der Verhaftung des Täters wurde die gesamte Struktur der Sturmabteilungen der Goldenen Morgenröte aufgedeckt, was wiederum die Justiz unter Druck setzte, die Führer der Partei wegen der "Bildung einer verbrecherischen Organisation" anzuklagen und zu inhaftieren. Es scheint, dass diese Aktion der bisherigen Verharmlosung nationalsozialistischer Umtriebe in Griechenland ein Ende bereitete. Ob es auch das Ende aller nationalsozialistischer Aktivitäten selbst einläutete, wird von der Bereitschaft zum radikalen Umdenken in vielen Bereichen der Politik und der Gesellschaft abhängen.
Poliakov, Leon / Wulf, Joseph (1983) Das Dritte Reich und seine Denker. Ullstein, Berlin, Wien. Tsiakalos, Georgios (2006): Greece: Xenophobia of the Weak and Racism of the Mighty. In Donaldo Macedo, Panagiota Gounari (Eds.): The Globalization of Racism. Paradigm Publishers, Boulder - London, 192-208.
Architekt, Gründer der Informationsstelle "Griechenland Monitor“.
Prof. Dr.rer.nat., Dr.phil. ist Professor für Pädagogik an der Aristoteles Universität Thessaloniki.
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