Die Frage ist, was sagt man jetzt.
Gut haben wir gegessen und getrunken
Bisher haben wir unser Leben gut geführt
Kleinverluste und Kleingewinne aufrechnendDie Frage ist, was sagt man jetzt.
Manolis Anagnostakis
Auftakt - Die Krise
Wie man in einem Wirbelsturm keinen klaren Blick gewinnt und warten muss, bis der Staub sich legt um wieder klar sehen zu können, so ähnlich fehlen einem die Worte, wenn man versucht, die heutige Krise Griechenlands mit künstlerischen Mitteln zu begreifen und sinnlich im Theater auszudrücken. Als ob die geeignete Sprache fehlen würde, scheinen viele der bekannten Begriffe, die seit dem Beginn der Eurokrise den Diskurs bestimmen, ganz unfähig zu vermitteln, was da gerade geschieht: Eine Wirtschaft in Rezession, eine Bevölkerung in Depression; grassierende Arbeitslosigkeit und Armut, Gefühle von Erniedrigung und verletztem Nationalstolz, Verdächtigungen und Verschwörungstheorien; neofaschistische Tendenzen und bürgerkriegsähnliche Zustände auf den Straßen zwischen Angst, Wut und Hoffnung.
Theaterschaffen heute
Wie ist es, in einer solchen "dramatischen" Situation Theater zu produzieren? Was will das Publikum sehen? Was muss man ihm zumuten? Wie wurde das Theater von der ganzen Situation finanziell, ästhetisch und inhaltlich beeinflusst? Welche Narrative und welche Dramaturgie sind entstanden? Lassen sich die Konflikte des Alltags im politischen und sozialen Umfeld auf der Bühne kreativ und wirksam dramatisieren oder sind wir schon an einem Punkt angelangt, wo alles egal ist und selbst die Bühne still steht?
"So lange es die Theater noch aushalten, steht noch die Stadt", so steht es in einem Artikel der Tageszeitung Kathimerini von 02.02.2013, in dem über die 110 Bühnen des Athener Stadtzentrums berichtet wird. Tatsächlich bilden die Bühnen in einer von Kriminalität und Armut schwer betroffenen Stadt nach wie vor ein hoffnungsvolles Zeichen von städtischem Bewusstsein und kulturellem Leben. Schon vor der Krise war Athen eine dynamische Theaterstadt: dadurch, dass es im Lande kaum staatliche Institutionen gibt, hat es hier die Grenze zwischen Staatstheater und Off-Szene, wie man sie aus dem deutschsprachigen Raum kennt, nie gegeben. Im Gegenteil, die Szene ist ein komplexes Mosaik von großer Formendiversität. Eine spannende Frage in diesem Zusammenhang bleibt: Knüpft das zeitgenössische griechische Theater an den öffentlichen Diskurs an? Beschränkt es sich lediglich auf seine Unterhaltungsfunktion? Oder ist das Theater vielleicht mittlerweile zu einer Trost- und Therapie-Anstalt für Zuschauer und Macher mutiert?
Die griechische Theaterlandschaft
Zwei Staatstheater, das National Theater in Athen, das Staatstheater Nordgriechenlands in Thessaloniki und das große Sommerfestival von Athen und Epidaurus, als auch acht kleinere, regionale Stadttheater (ΔΗ.ΠΕ.ΘΕ) bilden die staatlich strukturierte Szene. Der Rest der Theaterproduktion, der aber den größeren Teil ausmacht, war schon vor der Krise privatwirtschaftlich organisiert und nur teilweise staatlich subventioniert. In diesem Feld agieren sowohl Privatproduzenten, die mit Fernsehstars Unterhaltungstheater produzieren, wie auch eine immer schon spannende, freie Kunst- und Theater-Szene.
Aufgrund der Krise wurden in den letzten drei Jahren die Etats der großen staatlichen Institutionen deutlich gekürzt. So musste z. B. das Nationaltheater in Athen in der Spielzeit 2012- 2013 sein Angebot von 18 auf 12 Produktionen reduzieren. Bei den kleineren Regionaltheatern wurden die Subventionen von Seiten des Kulturministeriums von 200.000 € im Jahr 2009 auf 93.000 im Jahr 2013 und 46.000 im Jahr 2014 gekürzt.
In dieser ruinösen Theaterlandschaft gründete sich zur Spielzeit 2010-11 das Theater der Onassis Stiftung – Home of Letters and Fine Arts
Theater unter prekären Bedingungen
Doch abgesehen vom institutionellen Rahmen, hat es in Griechenland nie an romantischen Taten gemangelt. Am 11.11.2011 hat das aus jungen Theatermachern bestehende Mavili Kollektiv
Die neue Dramaturgie
Die Situation in Griechenland ist sehr speziell und dementsprechend auch kreativ für die Kunst. Trotz aller Schwierigkeiten: die griechische Theaterszene ist rege. Kleine und große Theatersäle sind zu Krisenzeiten gut besucht – wozu bestimmt auch die Senkung der Eintrittspreise vieler Häuser beigetragen hat.
Zahlreiche Autoren und Theatermacher haben sich in den letzten Jahren inhaltlich wie ästhetisch mit der Krise beschäftigt – dem Nationalismus und der Identitätssuche der Gesellschaft, der griechischen Familie als Ursache und Ausweg (aus) der Krise, dem Absturz der Mittelklasse, der Schuldzuweisung und der eigenen Verantwortung. Als bemerkenswerte Beispiele einer solchen Selbstbefragung kann man die Autorin Lena Kitsopoulou betrachten, deren stets provokante Haltung gegen das lokale Patriarchat für Aufregung sorgt, das Schauspielerkollektiv Blitz, die Truppen HOROS, Kanigunda, Vasistas, Nova Melancholia, Sforaris. Außerdem den in Litauen geborenen, aber in Griechenland aktiven Regisseur Cezaris Grauzinis, dessen dunkle, melancholische Inszenierung von Aristophanes "Ploutos" im Regionaltheater Patras den korrupten Reichtum der antiken Vergangenheit kritisierte. Ebenfalls erwähnenswert ist die Regisseurin Georgia Mavragani, die in ihrer Arbeit "Das Leben ist nicht leicht" mit SchülerInnen griechische Poplieder chorisch interpretierte und mit Briefen von krisengeplagten Eltern der Schule verknüpfte.
Andererseits tendieren Teile des Theater-Mainstreams zum Populismus, in Produktionen des Athener Nationaltheaters darf sich das große Publikum immer wieder in seiner Einstellung als unschuldiges Opfer der Krise bestätigt fühlen, weswegen der neue Intendant des Theaters Sotiris Chatzakis von einem Teil der Presse und dem Großteil zeitgenössischer Künstler auch heftig kritisiert worden ist. Chatzakis hat populäre Fernsehstars auf die Bühne geholt und somit in der wichtigsten Schauspielinstitution des Landes eine Art spektakuläres "Brot und Spiele" inszeniert.
Diese eskapistische Tendenz zeichnete sich letzthin auch in der Musikkultur des Landes ab: So betont die Kritikerin Matina Kaltaki in einem Artikel in der Wochenzeitung LIFO am 15.01.2014 die Rückwärtsgewandtheit des griechischen Musiktheaters, wie sie in einer neuen Retrowelle zum Ausdruck kommt: in Operetten und leichter Muse der 1930er Jahre, im urbanen Lied der 1940er wie in der Revueästhetik der 1950er und 1960er Jahre; oder auch in theatralischen, sentimentalen Hommagen an berühmten Persönlichkeiten der reichen Musikkultur des Landes – wie etwa in Tableau vivant-Vorstellung aus dem Leben des mittlerweile 90-jährigen Komponisten Mikis Theodorakis. Laut der Kritikerin Matina Kaltaki handelt sich hier um einen "nostalgischen appeal: emotionale Verschönerung und Beschwörung eines Griechenland, das noch unschuldig, schön und sorglos schien."
(© picture-alliance/dpa)
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Doch vielleicht ist gerade das eine wesentliche Erkenntnis unserer Situation: in ruhigen Zeiten erwartet man vom Theater einen Riss im Vorhang der Zufriedenheit; doch zu Zeiten totaler Verunsicherung und politischer Spaltung ist fraglich, ob gesellschaftliche Kritik überhaupt noch auf der Bühne stattfinden kann. Will man abschließend noch einmal nach der Rolle von Kunst in Krisensituationen fragen, wenn die Menschen von ihrem alltäglichen Überlebenskampf stets übermüdet sind, sollten wir uns vielleicht der grundlegenden, humanistischen Funktion des Theaters erinnern, um mit seinen Mitteln den mentalen Raum zu erweitern und damit hoffentlich dem grassierenden Zynismus des griechischen Alltagslebens entgegenzuwirken.
Dank an Mersiha Karasalihovic und Prodromos Tsinikoris für ihre Hilfe bei der Abfassung dieses Textes.