Schlachtengetümmel
Allein das Schicksal Napoleons entschied sich gleich mehrmals an den diversen Flüssen Europas. So schloss der französische Kaiser im Juli 1807 im ostpreußischen Tilsit auf einem Floß auf der Memel mit König Friedrich Wilhelm III. und Zar Alexander I. einen Friedensvertrag, der seinen Triumph besiegelte und die Unterwerfung Preußens bedeutete.
Der Russlandfeldzug, mit dem der Franzose 1812 seine Vormachtstellung auf dem Kontinent zementieren wollte, begann mit dem
Zum nationalen Mythos für beide Völker wurde dann während des hastigen Rückzugs die Beresina: Als hier Ende November 1812 die Grande Armee von den Russen zur Schlacht gestellt wurde, verloren zehntausende französische Soldaten ihr Leben. Immerhin konnte der Korse dabei den Kern seiner Armee retten. Doch ein gutes Jahr später wurde wieder ein Fluss zum schicksalhaften Wendepunkt: Als das preußische Heer unter dem Fürsten Blücher in der Silvesternacht 1813 bei Kaub zum Rheinübergang ansetzt, läutet dies den Siegeszug der Verbündeten gegen Napoleon ein.
Was geschieht, wenn fließende Wasser partout nicht genommen werden können, zeigten die Ereignisse an zwei französischen Flüssen im Ersten Weltkrieg. So blieb im Juli 1916 an der Somme eine britisch-französische Großoffensive gegen das deutsche Heer stecken. Am Ende des folgenden monatelangen Ringens, das keine Seite voranbrachte, hatten rund eine Million Soldaten ihr Leben verloren.
Die Somme steht seitdem nicht nur für die verlustreichste Einzelschlacht des Ersten Weltkriegs, sie wurde auch zum Sinnbild des sinnlosen Stellungskrieges insgesamt. Die Marne wiederum wurde gleich zweimal zum unüberwindbaren Hindernis für deutsche Angriffsbemühungen. Im September 1914 kam hier der bis dato ungebremste Vormarsch des deutschen Heeres zum Stehen. Doch da die Kraft der Alliierten nicht ausreichte, um das kaiserliche Heer entscheidend zu schlagen, wurde die Marne nicht zum Symbol des Sieges, sondern ebenfalls eines langen mörderischen Stillstands. Erst als im Juli 1918 wieder eine deutsche Offensive an der Marne scheiterte, wurde der Fluss zum Fanal für den Auftakt der Niederlage des Kaiserreichs.
Auch im Zweiten Weltkrieg entschied sich das deutsche Schicksal mitunter wieder an Flüssen. So verdeckt der Symbolgehalt des Wortes Stalingrad, dass es weniger der Ortsname war, der das Ende der 6. Armee besiegelte, als vielmehr der Umstand, dass diese Stadt an der Wolga liegt. Als Hitler der deutschen Öffentlichkeit im Herbst 1942 die Umzingelung Stalingrads meldete, tönte er, dass die Stadt quasi schon genommen und die Rote Armee teilweise bis auf wenige Dutzend Meter an die Wolga zurückgedrängt sei. Doch genau diese wenigen Meter waren der Grund dafür, dass die Russen fortan nicht mehr zurückwichen: Mit der Wolga im Rücken gab es schlichtweg keinen Ort mehr, wohin sie entfliehen konnten, und deshalb kämpften sie bis zum letzten Mann – und zur Wende.
Auch das Ende des Krieges war mit den Namen großer Ströme verbunden. So stoppte die Rote Armee ihre Sommeroffensive 1944 am Weichselbogen, um sich für den Entscheidungskampf vorzubereiten. Als sie dann am 12. Januar 1945 ihre Winteroffensive begann, fand nach wenigen Tagen
In allen Fällen war der Kampf um die Flüsse von Propaganda begleitet, bedeutete ihre Überquerung nach vorne Triumph – und in der Rückwärtsbewegung die Niederlage.
Falsche Symbolik
Über Jahrhunderte hinweg galten die großen Ströme als Bindeglieder: zwischen Fürstentümern und Stadtstaaten wie
Dass
In
Auch andernorts wurden Flüsse zu politischen Programmen. So strebte Frankreich danach, den gesamten
Tatsächlich wird die Oder zusammen mit der Neiße nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Verlust des deutschen Ostens lange Zeit zum Knackpunkt des Verhältnisses zwischen Deutschen und Polen (wie es Stalins Kalkül gewesen war). Zwar erkennt die DDR beide Flüsse als
Irrwege
Bekommen ist die symbolische Aufladung den Flüssen freilich nicht, ganz im Gegenteil. Da Flüsse in der Regel eben keine natürlichen Grenzen waren, folgte auf das Markieren der Trennlinien zu ihrer Absicherung oftmals die Errichtung von Stacheldraht und vielfach auch die Vertreibung derjenigen, die auf der "falschen" Seite zuhause waren.
Die Memel in Vilkynė. Vor dem Krieg war hier ein blühendes jüdisches Schtetl. (© Inka Schwand)
Die Memel in Vilkynė. Vor dem Krieg war hier ein blühendes jüdisches Schtetl. (© Inka Schwand)
Erst die Entwicklung der Europäischen Union und insbesondere die Überwindung alter Grenzen durch das
Doch sollten wir uns hüten, die positive Entwicklung der letzten Jahre gleich wieder mit neuen Botschaften aufzuladen, zum Beispiel im Sinne von Flüssen als Symbole der europäischen Einigung. Stattdessen sollten wir uns einfach an ihrem Anblick – an den kulturellen Reichtümern zu ihren Ufern und an ihren landschaftlichen Reizen – erfreuen. Und manchmal können wir durchaus daran denken, was passiert, wenn Flüsse ideologisch aufgeladen werden.