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Warum Friedrich II. Dresden zerstörte

Uwe Rada

/ 15 Minuten zu lesen

Dresden, das war für den jungen Kronprinzen das Gegenteil von Preußen. Als 16-Jähriger erlebte er hier seine erste Liebe. Mehr als dreißig Jahre später kehrte er zurück – und zerstörte mit der Elbestadt auch das andere in ihm, das ihm Dresden aufgezeigt hatte.

Bernardo Belotto, genannt Canaletto (um 1750): Ansicht Dresdens vom rechten Elbufer. (Bernardo Bellotto; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc publicdomain/zero/1.0/deed.de

Eine Gräfin im Evakostüm

Eigentlich galt die Liebesfalle seinem Vater. Preußens König Friedrich Wilhelm I. und sein Sohn Friedrich, der Kronprinz, wurden an einem Januarabend des Jahres 1728 durch die Gemächer des Dresdner Schlosses geführt. August der Starke hatte den Besuch aus Berlin zuvor mit reichlich Alkohol aufgemuntert. Der Womanizer von der Elbe konnte es nicht glauben, dass der Königskollege von der Spree tatsächlich sittsam war und seiner Gattin treu ergeben.

Das abendliche Defilee durchs Dresdner Schloss war also eine Probe: Vor den Augen des Sohnes wollte August den preußischen Soldatenkönig der Untreue überführen. Wie geschickt er das inszeniert hatte, davon geben die Mémoires der Wilhelmine von Bayreuth Kenntnis, der Lieblingsschwester und Vertrauten des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich II. von Preußen:

"Eines Abends nach einem Trinkgelage führte der König von Polen den König wie von ungefähr in ein reich ausgestattetes Gemach von auserlesenem Geschmack. Mein Vater stand in Bewunderung vor all den Schätzen, als man plötzlich eine Tapetenwand hob und ein höchst unerwarteter Anblick sich darbot. Es war eine weibliche Gestalt im Kostüm der Eva, die nachlässig auf einem Ruhebett ausgestreckt dalag. Das Geschöpf war schöner, als man Venus und die Grazien darstellt; ihr Körper wie aus Elfenbein war weiß wie Schnee und schöner gestaltet als der der medizeischen Venus in Florenz. Das Kabinett, das diesen Schatz in sich barg, war von so vielen Kerzen beleuchtet, daß ihr Schein das Auge blendete und die Schönheit dieser Göttin noch strahlender erschien."

Eine "Komödie" nannte Wilhelmine den plumpen Versuch des sächsischen Hofs, den preußischen König zu verführen. Friedrich Wilhelm konnte August zwar nicht beeindrucken, wohl aber den Kronprinzen, auch wenn ihm der Vater angesichts der nackten Gräfin eilig einen Hut vor die Augen gehalten hatte. Das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen Vater und Sohn war auf eine weitere Probe gestellt.

Staatsbesuch in Dresden

Louis de Silvestre (vor 1733): August der Starke und Friedrich-Wilhelm am Hof in Dresden. (Louis de Silvestre; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc publicdomain/zero/1.0/deed.de

Friedrich Wilhelm hatte sich am 13. Januar 1728 auf den Weg an die Elbe gemacht. Anlass für den Berliner Staatsbesuch in Dresden war der Karneval an der Elbe. Selbst der so nüchterne Soldatenkönig empfand eine gewisse Vorfreude auf das Spektakel, wie er in einem Brief an den Alten Dessauer bekannte: "Ich gehe am Dienstag nach Dresden, da werde ich so viel neues wissen. Ich freue mich in eine andere Welt zu kommen."

Eine andere Welt war es tatsächlich, die den Soldatenkönig an der Elbe erwartete. Glich Berlin zu dieser Zeit eher einer Kaserne, war Dresden eine Stadt im Rausch. Interner Link: Im Mittelpunkt der Dresdner Pracht stand der Fluss. Zu seinen Ufern hatte August den Zwinger bauen lassen, die katholische Hofkirche und, auf der Neustädter Seite, das Japanische Palais. Von dort wird später auch der Venezianer Bernardo Bellotto, besser bekannt als Canaletto, seine erste Vedute Dresdens malen.

Auch für Friedrich, der seinem Vater nachgereist war, war Dresden eine Offenbarung, wie seinem erstem Brief aus der Fremde an die vertraute Schwester zu entnehmen ist: Beeindruckt zeigte er sich von August ("Er ist geistvoll, sehr höflich gegen jedermann und hat viel Lebensart"), von der Pracht am Hofe ("Lustbarkeiten, fast alle Tage Redoute (Maskenball, U.R.), nur die Sonn- und Feyertage ausgenommen") und dem Empfang, der ihm bereitet wurde ("Ich habe mich als Musiker hören lassen. Richter, Buffardin, Quantz, Pisendel und Weiß haben mitgespielt. Ich bewundere sie. Sie sind die besten Künstler bei Hofe"). Unterschrieben war der Brief mit "Frédéric le Philosophe".

Natürlich fand auch Friedrichs Schwester Wilhelmine in ihren Memoiren Worte des Erstaunens und wohl auch der Bewunderung über den Hof, der so anders war als der in Berlin oder Potsdam:

"Der Hof zu Dresden war damals der glänzendste Deutschlands. Die Pracht war hier bis aufs Äußerste getrieben, und man frönte allen Genüssen; mit Recht durfte er mit der Insel Cythere verglichen werden: die Damen waren sehr liebenswert und die Herren sehr galant."

Kythera, das ist in der griechischen Mythologie die Insel der Aphrodite. Hier soll die Göttin der Liebe aus dem Meer gestiegen und an Land gegangen sein. Was für ein Gegensatz zum Hof des Vaters also auch bei Wilhelmine. In ihren Briefen sprach sie von Schloss Wusterhausen, dem Lieblingsschloss des Vaters, in dem er zu reichlich Bier und derben Zoten sein Tabakskollegium empfing, von einem Hades, einer Hölle also, gelegen am Styx, jenem Fluss, der das Reich der Lebenden von der Totenwelt trennte.

Erste Liebe an der Elbe

Friedrich vergnügte sich ganz offensichtlich im sächsischen Reich der Lust- und Kostbarkeiten. Der Anblick der nackten Gräfin Formera soll für den Kronprinzen – zumindest der Legende nach – alles andere als eine Zumutung gewesen sein. Die Gräfin soll den Kronprinzen sogar ins Liebesleben eingeführt haben. Friedrich, der in Dresden am 24. Januar seinen 16. Geburtstag feierte, begehrte allerdings eine andere. Er hatte sich in die Gräfin Orzelska verliebt, eine uneheliche Tochter Augusts mit seiner Lieblingsmätresse. Die Orzelska wurde Friedrichs Freundin und vermutlich auch Geliebte – und Dresden, die neue Welt, ein Ort der amourösen Entdeckungen und der sexuellen Leidenschaft. Noch viele Jahre später sollte er aus Rheinsberg seinem Philosophenfreund Voltaire über die Orzelska schreiben:

"Sie hauchte mir in meiner zartesten Jugend zwei Leidenschaften auf einmal ein: Sie können sich denken, es waren die Liebe und die Dichtkunst. Dieses kleine Wunder der Natur, mit allen nur möglichen Reizen begabt, besaß Geschmack und Zartheit und versuchte mir beides mitzuteilen. In der Liebe gelang es mir vortrefflich, in der Dichtkunst schlecht."

Dresden mit seiner Pracht und der Verheißung sinnlicher Genüsse war Friedrich so sehr ans Herz gewachsen, dass er, nach Berlin zurückgekehrt, alsbald schwermütig wurde. "Der König hatte ihn in argem Verdacht", schrieb Franz Kugler in seiner zum Klassiker des 19. Jahrhunderts avancierten Biographie, "dass das freie Leben in Dresden schuld an seinem kränkelndem Zustand sei." Man kann es auch nüchterner sagen: Bei seinen Amouren an der Elbe hatte sich der Kronprinz eine Geschlechtskrankheit zugezogen.

Doch den Kronprinzen plagte nicht nur die Krankheit. Der Staatsbesuch an der Elbe war Geschichte, nun hieß es wieder exerzieren. Dem ebenso bildungshungrigen wie sensiblen jungen Mann war es untersagt, Flöte zu spielen und Französisch zu parlieren. Friedrich sollte Dresden erst im Siebenjährigen Krieg wiedersehen. Diesmal kam er als Zerstörer. Elbflorenz wurde dem Erdboden gleichgemacht.

Sachsens Glanz und Preußens Gloria

Zeitgenössischer Stich des Zeithainer Lustlagers. (Johann Alexander Thiele; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc publicdomain/zero/1.0/deed.de

Es gibt da diese Szene mit Silvio Hildebrandt als Friedrich II. in Hans-Joachim Kasprziks legendärem und bald auch sprichwörtlichen Sechsteiler Sachsens Glanz und Preußens Gloria. Während des so genannten Zeithainer Lustlagers, einer opulenten Heeresschau an der Elbe, tanzt die Gräfin Orzelska und lächelt hinter ihrem Fächer dem preußischen Kronprinzen zu. Friedrich Wilhelm durchschaut die Szene, und der Skandal nimmt seinen Lauf. Unaufhörlich auf ihn einprügelnd, treibt er Friedrich vor sich her – das sächsische Publikum wirft sich staunende Blicke ob dieser "sensiblen Reprimanden" zu.

Fasziniert und zugleich abgestoßen von der Szene erlaubt sich der Graf Brühl, dargestellt vom noch jungen Leander Haußmann, bei einem gemeinsamen Ausritt mit Friedrich die Frage: "Wer konnte denn ahnen, dass die preußische Majestät so gehässig reagieren würde?" Friedrichs Antwort: "Er ist Puritaner. Er lässt nur das familiär hausbackene gelten. Alles andere ist gotteslästerliche Lotterwirtschaft und staatsgefährdende Verschwendung."

Kasprziks Film ist ein bemerkenswertes Dokument der Defa-Filmgeschichte – und ein erstaunlich preußenkritisches dazu. In den achtziger Jahren hatte Preußen auch unter dem SED-Regime eine Renaissance erlebt – weithin sichtbarer Ausdruck war die Wiederaufstellung des Rauchschen Reiterstandbilds von Friedrich II. Unter den Linden. In der DDR sollte wieder an die positiven Errungenschaften Preußens erinnert werden. Nicht mehr nur Kriegstreiber war Friedrich nun, sondern auch Modernisierer, Philosoph und Aufklärer.

Ähnlich verhielt es sich mit August. In ihm entdeckte die DDR-Geschichtspolitik plötzlich den Förderer der Künste und den umsichtigen Kurfürsten, ohne den es Dresden als Ebflorenz nie gegeben hätte. Hier nun setzte Kasprziks Filmprojekt an, das bald zum teuersten werden sollte, das die DEFA je produziert hat. In einem Brief an die künstlerische Leiterin des Deutschen Film- und Fernsehfunks in Berlin-Adlershof schrieb Kasprzik, das "sächsisch-preußische Duell" sei "schon deshalb interessant, weil es der bürgerlichen Geschichtsdarstellung entgegenwirkt, die dazu neigt, die Geschichte des deutschen Volkes auf die Geschichte Preußens zu reduzieren."

So entstand unter Mitwirkung der versammelten DDR-Schauspielerprominenz das Bild Sachsens als glänzender europäischer Großmacht, die im Siebenjährigen Krieg im Kanonendonner Preußens untergehen sollte. Preußisch-sächsische Konfliktgeschichte für ein Massenpublikum wurde da in der Primetime präsentiert, personalisiert in der erbitterten Fehde zwischen Friedrich und dem Grafen Brühl, die zu Beginn ihrer Begegnung noch freundlich miteinander ausgeritten waren.

Ob die Szene mit der Orzelska in Zeithain sich tatsächlich so zugetragen hat, wissen wir nicht. Sicher ist allerdings, dass Friedrich die Gräfin bereits im Jahr davor wiedergesehen hat beim Gegenbesuch Augusts am preußischen Hofe. Augenblicklich war Friedrich wieder guter Laune, notierte Wilhelmine: "Seine Freude, die Orzelska wiederzusehen, und ihr Entgegenkommen, das sie ihm durch geheime Zusammenkünfte bewies, stellten ihn vollends her."

In einem trifft Kasprziks Filmszene wohl aber die Realität. "Täglich bekomme ich Schläge, werde behandelt wie ein Sklave und habe nicht die mindeste Erholung", zitiert Wilhelmine aus einem Brief ihres Bruders. "Man verbietet mir das Lesen, die Musik, die Wissenschaften, ich darf fast mit niemand mehr sprechen, bin beständig in Lebensgefahr, von lauter Aufpassern umgeben, mir fehlt es selbst an der nötigen Kleidung, noch mehr an jedem andern Bedürfnis."

Der Gedemütigte sah in seiner Verzweiflung schließlich keinen anderen Ausweg als den Hof des Vaters zu verlassen. "Sage nun selbst, ob mir ein anderes Mittel übrigbleibt als die Flucht?", fragte er die Schwester – und weihte sie in seine Pläne ein. In Zeithain, bei der großen Heeresschau an der Elbe unweit der sächsisch-preußischen Grenze, sollte es soweit sein.

Das Zeithainer Lustlager an der Elbe

Zeithainer Lustlager ist eigentlich ein Euphemismus für das damals größte Manöver, das der Kontinent gesehen hat. Der Anlass für das vierwöchige Spektakel war die wachsende Konkurrenz zwischen Sachsen und Preußen, den beiden Territorialstaaten an der mittleren Elbe. Friedrich-August I., der sächsische Kurfürst, hatte als August II. bereits 1697 die Interner Link: polnische Königswürde erhalten. Der Zusatz "der Starke" war nicht nur ein Hinweis auf seine ungebrochene Manneskraft, sondern auch auf den Rang, den das wettinische Sachsen unter seiner Herrschaft in Europa eingenommen hat.

Doch schon 1701 zog Preußen nach. Kurfürst Friedrich III. ließ sich in Königsberg zu Friedrich I., König in Preußen krönen. Die Rangerhöhung war etwas unschicklich und musste daher außerhalb des Heiligen Römischen Reiches stattfinden. Gleichwohl sah man in Dresden den Aufstieg Brandenburg-Preußens mit Sorge, zumal der Soldatenkönig seit seinem Regierungsantritt 1713 aus dem Königreich einen modernen Verwaltungs- und Militärstaat gemacht hatte.

Das megalomane Truppenmanöver, das vom 31. Mai bis zum 28. Juni 1730 zwischen Riesa und Zeithain stattfand, war so etwas wie die Antwort Sachsens auf die preußische Aufrüstung durch den Soldatenkönig. August der Starke wollte es den Preußen also zeigen in Zeithain. Als der preußische König und der Kronprinz samt 150 Offizieren und Gefolge Sachsens Grenze erreichten, wurden sie von August persönlich in Empfang genommen, so wie es Ehrengästen gebührt. Für Friedrich war es die zweite Begegnung mit der Elbe nach dem Besuch in Dresden zwei Jahre zuvor. Die Erinnerung an 1728 war wohl nicht nur in ihm, sondern auch im Vater wach geblieben. Entsprechend groß war die Zahl der Aufpasser, die der König dem Sohn zur Seite stellte. Drei Kammerdiener, ein Page, ein Jäger, ein Leibkutscher, zwei Vorreiter, zwei Reitknechte und ein Stalljunge sollten den Künstler-Kronprinz daran hindern, erneut Kapriolen zu schlagen.

Die Obelisken sind die einzigen Relikte des Zeithainer Lustlagers. (© Inka Schwand)

Doch nicht nur den preußischen Nachbarn gedachte der sächsische Hof zu beeindrucken, sondern auch die Fürstenhäuser Europas. Neben Friedrich Wilhelm waren 47 Fürsten und Herzöge an die Elbe gekommen, 15 europäische und außereuropäische Gesandte, 69 Grafen und 38 Barone. Der Aufbau einer Zeltstadt für die Gäste und 30.000 Soldaten oblag keinem Geringeren als Daniel Pöppelmann, dem Architekten des Dresdner Zwingers.

Was das Manöver dann zu einem Lustlager machte, waren die Feste. Für sie zeichnete der sächsische Graf Heinrich von Brühl verantwortlich. Er war es auch, der zum Abschluss des Zeithainer Lagers ein gigantisches Feuerwerk auf der Elbe inszenierte. Schon Monate zuvor hatten 200 Zimmerleute in Riesa begonnen, ein 80 Ellen hohes und 200 Ellen breites Gerüst zu bauen, für das 18.000 Holzstämme gefällt wurden. Auf das Gerüst wurden 6000 Ellen Leinwand gespannt, der Hintergrund für eine Illumination, wie sie Sachsen zuvor nicht gesehen hatte. 20.000 Zuschauer waren an diesem 24. Juni 1730 ans Ufer der Elbe gekommen, "aus allen Teilen Sachsens", wie in einer wissenschaftlichen Beilage der Leipziger Zeitung noch 1885 zu lesen war. Sie alle bestaunten die illusionistische Malerei auf der Leinwand, von der ein Augenzeuge berichtete:

"Die perspectivischen Stücken, als die Portals, waren von so ungemeiner Kunst, dass man hätte wetten sollen, man sähe würckliche Durchgänge und hinter selbigen wieder andere Quergänge, die von vielem Lichte ganz helle waren, und in welchen man die Thüren und Eingänge derer Zimmer sahe. (…) Die Mahlerey war von solcher Vortrefflichkeit, dass auch die Erfahrensten gestehen mussten, dergleichen sey noch niemalen gesehen worden, und wäre würdig, dass es die gantze Welt sehen möchte."

Der Höhepunkt des Abends war ein Wasser-Feuerwerk auf der Elbe, das es sogar ins deutsche Anekdoten-Lexikon schaffte. Dort war zu lesen, dass "Menschenleben so wenig als Geld geschont ward". Tatsächlich war da Außergewöhnliches auf der Elbe zu bewundern. Punkt halb neun näherte sich ein riesiger Walfisch, umgeben von vier Delfinen, den Zuschauerrängen. In den Walfisch-Bäuchen steckten Gefangene, deren Aufgabe es war, das Feuerwerk abzubrennen. Wer überlebte, dem sollte die Freiheit geschenkt werden. Doch nicht wenige verbrannten.

Zur Anekdote wurde das Elbfeuerwerk aber wegen einer anderen Begebenheit. Auf Befehl Augusts hatte der kommandierende Oberstleutnant Jauch mit brennenden Raketen ein "Vivat" an den Himmel über dem Strom zu zaubern. Weil sich Jauch mit der lateinischen Sprache aber etwas schwer tat, wurde aus dem "Vivat" ein "Fifat" – verewigt im Lexikon der Anekdoten: "Allgemeines Gelächter war die Folge, nur nicht bei August dem Starken, der Jauch befahl, 'irgend einen gescheiten Mann aufzugattern, welcher dem dummen Streiche ein kluges Mäntelchen umzugeben vermöchte".

So wurde aus dem Rechtschreibfehler im Nachhinein ein kluger Spruch: "Fausta iubila fecerunt tempora" - "Glückliche Zeiten machen Feste". Jauch aber, immerhin königlicher Baumeister, sollte bis an sein Lebensende den Spitznamen "Fifat" tragen.

Falls Friedrich noch Skrupel gehabt haben sollte, seinen Fluchtplan in die Tat umzusetzen – die Hiebe in Zeithain dürften sie endgültig zerstreut haben. Dass die Flucht zunächst aber unterblieb, lag daran, dass eine noch viel günstigere Gelegenheit winkte. Während des Manövers an der Elbe erfuhr Friedrich, dass sein Vater mit ihm im Sommer die preußischen Gebiete in West- und Süddeutschland besuchen wolle. Weit weg von Berlin und Potsdam sollte bei dieser Gelegenheit der Plan umgesetzt werden. Allein, die Flucht aus dem "Lerchennest", einem Stall in Steinsfurt bei Sinsheim, misslang, und diesmal sollte Friedrich nicht mit Stockschlägen davonkommen wie in der Filmszene von Sachsens Glanz und Preußens Gloria.

Yin und Yang an der Elbe

Dresden als Kulisse. 1760 ließ Friedrich II. den „Balkon Europas“ zerstören. (© Uwe Rada)

In seinem ebenso kurzen wie intellektuell brillanten Essay Die Elbreise stellte Christian Graf von Krockow 2004 die Frage: "Sachsen und Preußen: Wie eigentlich soll man den Kontrast beschreiben? Und wie ihn erklären?"

Krockow selbst schlug zur Klärung der Frage einen Ausflug in die fernöstliche Philosophie vor. "Fast möchte man meinen, dass zwei menschliche Grundmöglichkeiten zu ihrer Gestalt gekommen sind. Yin und Yang, um es mit der chinesischen Weisheit zu sagen: das Weibliche und Weiche auf dem einen, das Männliche, Harte auf dem anderen Pol. Oder: Liebe und Pflicht, Schönheit und Macht."

Im Gegensatzpaar von Yin und Yang ist die Elbe nicht mehr nur die Kulturgrenze, die einst das Reich Karls des Großen von den Slawen trennte, dann die entwickelten Gebiete des Deutschen Reichs vom Junkerland Ostelbiens und später die Bundesrepublik vom "Asien" des Rheinländers Konrad Adenauer. Im Bild von Yin und Yang, in der Konkurrenz von Preußen und Sachsen, ist die Elbe keine natürliche Grenze, sondern ein fließender Raum, zu dessen Ufern sich, rechts wie links, kulturell höchst unterschiedliche Territorien und Territorialstaaten gebildet haben. Nicht mitten in der Elbe verläuft diese fließende Grenze, sondern dort, wo das Barocke langsam ins Nüchterne übergeht, der Sandstein in den Backsteinbau, das singende Idiom ins deklamierende, das Weibliche, wie es Krockow nennt, ins Männliche. Sachsen und Preußen, dieser "Elementargegensatz" ist also auch ein Schlüssel zum Verständnis der Kulturlandschaften an der Elbe.

In dieses Dieses Yin und Yang war auch der Kronprinz Friedrich bei seinem ersten Besuch in Dresden im Januar 1728 geraten. Rückblickend betrachtet, könnte dort ein psychologisches Programm entstanden sein, das sich später im Furor vollenden sollte – in der Zerstörung Dresdens und all der Schönheit, der Kunst und der Schwächen, die Friedrich in diesem Elbflorenz erlebt hatte.

Dresdens Inferno

Dem preußischen Offizier und späteren Schriftsteller Johann Wilhelm von Archenholtz verdanken wir die vielleicht ausführlichste Darstellung der Belagerung Dresdens im vierten Jahr des Siebenjährigen Krieges, 1760:

"Das Feuer wütete entsetzlich in und außer der Stadt; viele der vornehmsten Straßen brannten von einem Ende zum anderen. Prächtige Paläste, die jede Stadt Europas geziert hätten, wurden ein Raub der Flammen. Wo man hinblickte, stürzten Häuser von vielen Stockwerken ein, die Sitze der Betriebsamkeit und des Wohlstandes. Oft wurden die armen Einwohner unter dem Schutt begraben, oder flohen und ließen alles im Stich."

Bald hatten die Preußen auch schwere Artillerie herbeigeschafft. Von Archenholtz:

"Die Beschießung wurde indessen immer fortgesetzt. Eine Anzahl Bomben fiel auf die Kreuzkirche, eine der ältesten und schönsten Kirchen in Sachsen. Der festgebaute Thurm that langen Widerstand, endlich aber drangen die Eisenmassen ein, zerschmetterten das Dach der Kirche, und zerstörten das Innere des Gebäudes, so wie die umliegenden Häuser. Die wüthenden Flammen vollendeten das Werk."

Einzig der Frauenkirche, einem Bauwerk des Bürgertums, konnte der Hagel der Kanonenkugeln nichts anhaben. Zwar diente auch der prächtige Turm der Frauenkirche zum Ziel, beobachtete Archenholtz. "Allein die Kugeln prallten immer von der Kuppel ab und verursachten bloß Risse."

Archenholtz, ein Bewunderer Friedrichs, als Schriftsteller und Chronist aber kein Schmeichler, berichtete auch von einer Taktik der Belagerung, die man heute psychologische Kriegsführung nennen würde. Es ging nicht um die Einnahme der Stadt, schrieb er, sondern darum, die Bewohner und die verbündeten Österreicher mürbe zu machen. Deswegen wurden auch nicht die Befestigungsanlagen beschossen, sondern öffentliche Plätze und Wohnhäuser. Die Bilanz der Belagerung war verheerend: 226 Häuser, das war ein Drittel aller Dresdener Bauwerke sowie nahezu der gesamte Osten der Stadt, lagen in Trümmern. Dresden, die stolze Residenzstadt an der Elbe, die vor dem Siebenjährigen Krieg 63.000 Einwohner gezählt hatte, brachte es nach dem Frieden von Hubertusburg 1763 nur noch 40.000 Bewohner. Als der junge Goethe zehn Jahre nach der Katastrophe auf die Kuppel der Frauenkirche stieg, notiert er: "Die Mohrenstraße im Schutt sowie die Kreuzkirche mit ihrem geborstenen Thurm drückten sich mir tief ein und stehen noch wie ein dunkler Fleck in meiner Einbildungskraft."

Woher nur dieser Hass? Dem Thema Friedrich und Dresden widmete sich 2012 eine Ausstellung. Sie fand statt in Pförten, dem ehemaligen Familiensitz des Grafen von Brühl. Auch Pförten, das heute in Polen liegt und Brody heißt, wurde von Friedrichs Truppen zerstört – auf ausdrücklichen Befehl des Königs, der gesagt haben soll: "Von Brühls Besitz soll nichts überdauern." Also legten am 5. September 1758 200 Soldaten das Pförtener Schloss in nur drei Stunden in Schutt und Asche. Zerstört wurden auch die Brühlschen Besitztümer Grochwitz, Nischwitz und Oberlichtenau bei Pulsnitz. Die größte Barbarei aber war die Zerstörung des Belvedere auf der Brühlschen Terrasse – jener wunderbar feierlichen Promenade am Dresdner Elbufer, von der Friedrich selbst einmal gesagt haben soll, sie sei "der Balkon Europas".

Die Ausstellung, die in Pförten gezeigt wurde, hatte den Titel "Friedrich II. und Brühl. Geschichte einer Feindschaft". Simone Neuhäuser, die Kuratorin, machte vor allem Brühls Rolle bei der Neuarchitektur der Kräfteverhältnisse in Europa als Grund für den Hass und die Zerstörungswut aus. Auf sein Drängen hin hatten sich Österreich und Russland nach den beiden ersten Schlesischen Kriegen überraschend gegen Preußen verbündet. Friedrich wiederum hatte auf jenes renversement des alliances mit dem Einmarsch in Sachsen reagiert, dem Präventivschlag, mit dem der Siebenjährige Krieg am 9. September 1756 begonnen hatte.

Doch der Hass auf Brühl hätte vielleicht die Zerstörung der Brühlschen Anwesen erklärt und auch die Vernichtung des Belvedere auf dem "Balkon Europa", nicht aber die Zerstörung Dresdens. Jener Stadt, von der Friedrich 1728 noch gesagt hatte, sie habe ihn so wunderbar empfangen. Die Zerstörung Dresdens erfolgte, um im Bilde des Christian Graf von Krockow zu bleiben, wohl nicht nur aus Hass. Vielmehr wird mit der Stadt auch das Alter Ego zerstört, die andere Möglichkeit zu herrschen und zu sein, die Friedrich an der Elbe begegnete, die ihm vom Vater aber ausgeprügelt wurde und ihn schließlich vor das Köpenicker Kriegsgericht brachte. Um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und seinen Anspruch auf die Thronfolge aufrechtzuerhalten, musste Friedrich widerrufen. Er widerrief damit auch Dresden, den Ort seiner ersten Liebe, die Stadt der Redouten, die Stadt des Weiblichen in ihm, die Stadt an der Elbe.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Uwe Rada ist Journalist und Publizist. Er koordiniert das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. 2013 erschien bei Siedler sein Buch Die Elbe. Europas Geschichte im Fluss, aus dem wir dieses Kapitel, stark gekürzt, entnehmen.