Seit der Trockenlegung durch Friedrich II. im 18. Jahrhundert ist das Oderbruch eine einzigartige Kulturlandschaft. Sie zu unterhalten, ist allerdings sehr aufwändig. Schon gibt es Stimmen, die fordern, das Oderbruch der Natur zurückzugeben.
Was ist das Besondere an diesem Landschaftsraum, der in der Eiszeit als Urstromtal geformt, später in bemerkenswerter Weise in einen Kulturraum transformiert wurde und heute politisch als Grenzbereich zwischen Deutschland und Polen eine neue Bedeutung im zusammenwachsenden Europa erfährt? Ist die Landschaft an Oder und Warthe ein Modellgebiet für zukünftige Flussrenaturierungen, gleichsam als späte Korrektur der Eindeichungen des 18. Jahrhunderts? Oder gehört der kulturellen Prägung des Oderbruchs mit seinen fruchtbaren Ackerflächen als Kornkammer, Gemüsegarten und neuerdings auch Energielandschaft die Zukunft? In kaum einen anderen Landschaftsraum Brandenburgs bündeln sich Zukunftsfragen wie diese.
Welche Leitbilder?
Immerhin handelt es sich beim Oderbruch um den größten Flusspolder Deutschlands. Er wird begrenzt durch die Hangkanten des Barnim und des Lebuser Landes im Südwesten sowie von ausgedehnten Waldgebieten auf polnischer Seite. Das Relief, durch die Erosionswirkung des Wassers als breites Urstromtal ausgebildet, hebt sich deutlich von den umliegenden Diluvialplatten ab. Das träge fließende Wasser der Flusssysteme von Oder und Warthe hat über Jahrhunderte hinweg fruchtbare Ton- und Schlammschichten abgelagert, die den späteren Reichtum als Gemüsegarten Berlins begründeten.
Die ursprüngliche – also nicht von Menschenhand beeinflusste – Vegetation ist unter diesen Bedingungen ausgesprochen vielseitig. Abhängig von der Dynamik des Flusses, der immer wieder seinen Lauf verändert hat und im jahreszeitlichen Verlauf mit Frühjahrs- und Sommerhochwasser erhebliche Schwankungen des Wasserstandes aufweist, bildet sich eine Zonierung von Pionierfluren und -gehölzen, Weich- und Hartholzauen aus, bestehend aus Weidengehölzen, Pappeln, Eichen und Eschen. Ein anschauliches Bild einer solchen Naturlandschaft bietet heute noch das Warthebruch, das im Mündungsbereich zur Oder nahezu unbesiedelt geblieben ist. In diesem Teil des Bruchs ist die Gewässerdynamik bis heute erhalten, da die Eindeichungen unvollendet geblieben sind.
Aber selbst dort, wo bei vordergründiger Betrachtung heute großflächige industrielle Landwirtschaft dominiert, hat sich die Flussdynamik ins Gedächtnis der Landschaft eingegraben. Mit den Methoden der Luftbildarchäologie lassen sich die früheren Flussschleifen auch auf den Mais- und Zuckerrübenäckern nachweisen. Sie geben wertvolle Anhaltspunkte für Renaturierungen und verdeutlichen die große Spannbreite zukünftiger landschaftlicher Leitbilder, die sich mit drei Schlagworten umreißen lassen: 1. Zurückeroberung durch die Natur. 2. Wiederentdeckung der friderizianischen Kulturlandschaft. 3. Intensivlandwirtschaft und neue Szenarien energetischer Nutzung.
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Die Passagierboote gehen von Frankfurt aus zweimal wöchentlich, Mittwoch und Sonnabend, und machen die Fahrt nach Küstrin in zwei, nach Schwedt in acht, nach Stettin in zehn Stunden. Die Benutzung erfolgt mehr stationsweise und auf kleineren Strecken als für die ganze Tour. Schon deshalb, weil die Eisenbahnverbindung die Reisenden eher und sicherer ans Ziel führt. Eher und allen Umständen, und zwar umso mehr, als es bei niedrigem Wasserstande vorkommt, dass die Fahrt auf Stunden unterbrochen oder gar wohl ganz eingestellt werden muss. (…) Flussregulierungen sind nicht unsre starke Seite.
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Die Oder ist ein edles Bauernweib. Mit stillen, sicheren Schritten geht sie durch ihre Lande. Kalk- und Kohlestaub liegen manchmal auf ihrem Kleid, zu ihrem einförmigen Lied klopft der Holzschläger den Takt. Sie hat immer Arbeit, schleppt ihren Kindern Kohle und Holz, Getreide und hundertfachen Lebensbedarf ins Haus. Zu Grünberg nippt sie ein gutes, bescheidenes Haustränklein. Die bei ihr wohnen, sind geborgen und glücklich, und wenn sie ans Meer kommt, breitet sie angesichts der Ewigkeit weit und fromm ihre Arme aus.
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Die Oder, der Fluss, der von weither kommt (…) Hier geschieht das Vollkommene nicht, hier bändigt niemand zu edlem Maße das Ungebärdige, und das Dunkle ist wie vor der Schöpfung ungeschieden vom Hellen.
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Ich ging weiter über die Brücke. Rechts neben mir war ein Gitter. Unter mir war ein Fluss. Ich ahnte sofort, dass der Fluss Oder hieß, und ich stellte mich erst mal an das Gitter, um in die Oder zu spucken. Nach Möglichkeit spucke ich von jeder Brücke, vorausgesetzt, unter der Brücke ist Wasser.
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Die Oder ist wie eine Enzyklopädie. Zwischen Mährischer Pforte und Oderhaff bekommt man fast alles zu sehen, was die Welt Mitteleuropas zu bieten hat.
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Es flanieren viele Leute entlang der Oder. In Frankfurt sind das eher Rentner, die viel Zeit haben und die schönen Aussichten und den schönen Boulevard genießen. In Slubice sind es eher Leute, die Hunde haben, da der Oderdamm eine hervorragende Hundespazierstätte ist. Mit der Zeit wird es sich so entwickeln, nehme ich an, dass die Strecken sich verzweigen werden. Die Rentner werden über die Brücke gehen und ihren Spaziergang auf der polnischen Seite fortsetzen. Und die Hundefreunde werden in den Hundeladen in den Oderturm gehen, wo sie gutes Futter kaufen können. Und das ist auch richtig so.
Kaum Kritik
Kaum ein anderer europäischer Strom ist in so kurzer Zeit "gebändigt" worden wie die Oder. In einer Zeitspanne von nur sechs Jahren wurde der ehemals ständig wechselnde Lauf der zahlreichen Flussmäander von 1747 bis 1753 durch ein striktes wasserbauliches Programm mit Durchstichen und Eindeichungen scheinbar für alle Zeiten festgelegt. Damit verbunden war eine komplette Veränderung der Landschaft und ihrer tradierten Nutzungsformen. Die vormalige "Sumpf- und Wasserwüste" mit wenigen eingestreuten Fischersiedlungen wurde in einen geometrisch geordneten, hochproduktiven Kulturraum mit ausgedehnten Landwirtschaftsflächen und regelhaften Plansiedlungen verwandelt. Nur wenige geistige Größen jener Zeit, wie Rousseau, Novalis und Klopstock, kritisierten diese Eingriffe in die Natur. Bis in die 1970er Jahre war das Prinzip der Interner Link: Naturbeherrschung gesellschaftspolitisch weithin unumstritten.
Die "Peuplierung" unter Friedrich dem Großen, der in den 1750er Jahren Siedler aus der französischsprachigen Schweiz, Österreich und Südwestdeutschland ins Land holte, hat diesen Prozess der Flussbändigung für lange Zeit besiegelt. Die Ortsnamen Vevais und Beauregard zeugen noch heute von der französischen Sprachkultur. Das Oderbruch war zu jener Zeit ein Schmelztiegel unterschiedlichster europäischer Kulturen. Die preußische Staatsraison der religiösen Toleranz bewirkte ein weitgehend friedvolles Miteinander.
Trotz "Zähmung der Natur" blieb das Wasser die bestimmende landschaftsgestaltende Kraft. Die Reliefausprägung mit einem Süd-Nord-Gefälle von 14 Meter über Normal Null (NN) im Süden auf vier Meter über NN im Norden und einem Ost-West-Gefälle von zwei bis drei Metern führt dazu, dass große Teile des Oderbruchs – vergleichbar mit der Situation in Holland – ständig unterhalb des Wasserspiegels der Oder liegen. Immer wieder kam es im Laufe der Geschichte zu Hochwasserereignissen, die viele Siedlungsbereiche existenziell bedrohten. Durch eine kluge Standortwahl und angepasste Siedlungsformen konnten die Gefahren des Wassers wenngleich nie ganz beherrscht, so doch einigermaßen gebändigt werden. In den speziell für diese Region entwickelten Grabendörfern mit Entwässerungsgraben in der Mitte des Straßenraums wurde der Aushub verwendet, um die Häuser etwas erhöht und damit hochwassersicherer anzulegen. Kleine Geländekuppen wurden für die Ansiedlung der Dörfer genutzt. Das Oderbruch ist nur vordergründig eine völlig flache Landschaft, die gestaltende Kraft des Wassers hat kleinere Sandinseln und Anhöhen hinterlassen.
Hochwassergefahr und kulturelles Erbe
Nach wie vor ist die bedrohliche Wucht des Wassers im Oderbruch erfahrbar, zuletzt in den Jahren 1997 und 2010. Jährlich ein- bis zweimal kommt es zu Hochwasserereignissen – im Frühjahr und im Sommer oder Herbst. Hier zeigt sich, dass insbesondere neuere Siedlungen, die in der DDR- oder Nachwendezeit errichtet worden sind, auf Standorten erbaut wurden, die stark hochwassergefährdet sind. Wie soll man zukünftig mit solchen Gebieten umgehen? Hat es Sinn, durch Hochwasser zerstörte Siedlungsbereiche immer wieder neu aufzubauen? Soll man die Deiche von Jahr zu Jahr erhöhen, um auf künftige Starkregenereignisse vorbereitet zu sein? Oder sollte man nicht besser eine langfristige Strategie verfolgen, die Teile des Oderbruchs der Natur zurückgibt und dem Fluss wieder mehr Raum lässt? Dies sind die entscheidenden Zukunftsfragen für das Oderbruch.
Eine weitere, wesentliche Frage stellt sich zum Umgang mit dem kulturellen Erbe, wie den historischen Siedlungsstrukturen, den Relikten der Entwässerung unter Friedrich dem Großen und dem Netz alter Eichen- und Apfelalleen. Diese Landschaftselemente machen als „geronnene Geschichte” die kulturelle Aneignung des Oderbruchs erlebbar. Es gibt die Idee, das Oderbruch als Weltkulturerbe auszuweisen. Auch wenn es zweifelhaft ist, ob dieses Ansinnen realistisch ist, ist doch der Grundgedanke bedenkenswert, mit der geschichtlichen Entwicklung dieser Landschaft sorgfältig umzugehen. Es gibt nicht mehr viele Landschaften in Deutschland, in denen die historischen baulichen Strukturen noch so authentisch erlebbar sind: Mittelflurhäuser in den Dorfkernen, Deichalleen mit jahrhundealten knorrigen Eichen, Loosegehöfte, die seit mehr als zweihundertfünfzig Jahren als Inseln in der Agrarlandschaft den gesellschaftlichen Umbrüchen trotzen.
Wesentlich sind daher heute noch die landschaftsprägenden Zeugnisse der wasserbaulichen Maßnahmen, die unter der Regentschaft Friedrichs II. und der fachlichen Leitung des niederländischen Wasserbauingenieurs Haerlem im Jahre 1747 eingeleitet worden sind. Ein Netz von Entwässerungsgräben und Kanälen mit Schöpfwerken gliedert die Landschaft. Mit den begleitenden Kopfweidenreihen und Apfelalleen geben sie ihr ein harmonisches kulturelles Gepräge. Deichanlagen in einer Länge von 80 Kilometern begleiten den Hauptstrom und die Altgewässer. 250 Jahre alte Eichen, ehemals zur Deichbefestigung gepflanzt, sind Ausdruck der Symbiose zwischen Ingenieurbau und Landschaftsgestaltung.
Zurück an die Natur
Der heute ausgetragene Streit um die Zukunft der Deichalleen steht beispielhaft für den Konflikt zwischen historisch wie landschaftsästhetisch gleichermaßen wertvollen Landschaftsstrukturen und einem Hochwasserschutz, der primär auf Deicherhöhung und -ertüchtigung setzt. Dabei wird ein wichtiges Ziel außer Acht gelassen, das angesichts der Hochwasserkatastrophe von 1997 beinahe schon politikfähig geworden ist: der Oder wieder mehr Raum zu geben. Dies würde allerdings voraussetzen, Flächen, die der Natur vor 250 Jahren abgerungen wurden, an den Fluss zurückzugeben. Eine zukunftsweisende ganzheitliche Strategie der Flächennutzung und Bewirtschaftung im hydrogeologischen Einzugsbereich von Warthe und Oder sollte das Ziel verfolgen, Hochwasserspitzen zu minimieren, indem Überschwemmungsflächen bereitgestellt werden. Hierbei wären durchaus einige Fehlentwicklung der Siedlungsentwicklung zu korrigieren. Dies setzt auch länderübergreifende Abstimmungen voraus, wenn man die Flusssysteme der Warthe und Oder als Gesamtheit begreift.
Bemerkenswert am Oderbruch ist auch heute noch der erlebbare Gegensatz zwischen kulturräumlich geprägten Räumen, die im Wesentlichen landwirtschaftlich genutzt werden, und naturnahen Bereichen, die auf den Zustand der Landschaft vor der Besiedlung unter Friedrich dem Großen hinweisen.
Alles zusammen macht die Eigentümlichkeit dieses Landschaftsraumes aus. Die Geschichtlichkeit der Landschaft in zukünftigen Szenarien zu berücksichtigen, bedeutet, die wechselseitige Bedingtheit zwischen Natur- und Kulturraum neu zu entdecken.
Chronologie
1730: In der Küstriner Festungshaft reift bei Friedrich, damals noch Kronprinz, der Entschluss, die Flussniederungen von Warthe und Oder trockenzulegen.
1747: Gleich nach Beendigung des Zweiten Schlesischen Krieges macht sich Friedrich II. an die Trockenlegung des Oderbruchs. Durch den Bau eines Kanals zwischen Güstebiese und Hohensaaten wird der Lauf der Oder um 20 Kilometer verkürzt. Städte wie Wriezen und Oderberg sind nun vom Oderlauf abgeschnitten.
1753: Beginn der Kolonisation im Oderbruch durch Siedler aus verschiedenen Ländern Europas. Das Oderbruch wird ein kultureller Schmelztiegel.
1763: Nach dem Siebenjährigen Krieg beginnt die Trockenlegung des Warthebruchs. Sie wird nicht vollendet. Noch heute ist der westliche Teil an der Odermündung natürliches Überschwemmungsgebiet. Polen hat diesen Teil als Nationalpark ausgewiesen.
1997: Jahrhunderthochwasser an der Oder. Das Oderbruch bleibt verschont.
2008: Der Oderbruchpavillon, ein Netzwerk von Landschaftsplanern, stellt vier Szenarien für die Zukunft des Oderbruchs vor. Landwirte fürchten, die Bruchlandschaft könnte der Natur überlassen werden.
2010: Erneutes Hochwasser. Vorschlag, die Kulturlandschaft als Unesco-Welterbe zu schützen.
Jürgen Peters ist Professor für Landschaftsplanung und Regionalentwicklung an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde.
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