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Europa aus Beton

Karen Denni Karen Denni (D)

/ 9 Minuten zu lesen

1960 wurde die Europabrücke über den Rhein gebaut. Seitdem gelten Straßburg und Kehl als Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung und als Vorbild für die europäische Integration. Ins Herz haben Straßburger und Kehler aber eine andere Brücke geschlossen: Die Passerelle des deux Rives.

Die Passerelle des deux rives zwischen Kehl (Foto) und Straßburg. (© Inka Schwand )

"Heute ist der Rhein keine Grenze mehr. Er ist die Hauptschlagader Europas, ein Träger von Reichtum und Kultur. Aber dazu braucht es Brücken und Übergänge"

Der elsässische Grafiker, Schriftsteller und Illustrator Tomi Ungerer weiß um die Rolle von Brücken für den deutsch-französischen Handel, aber auch für den Kulturtransfer zwischen beiden Ländern. Brücken sind schließlich die Voraussetzung für Brückenschläge. Und sie sind Indikatoren für den Austausch zwischen zwei Ländern.

Das gilt auch für die Europabrücke zwischen Straßburg und Kehl. Sie ist beides: baulicher Ausdruck der deutsch-französischen Beziehungen wie auch Symbol der europäischen Integration. Das gilt im übrigen auch für ihre Vorgängerbrücken. So ist der Brückenschlag zwischen Straßburg und Kehl auch ein Teil der deutsch-französischen Beziehungsgeschichte.

Zitat

Für die Nacktheit des verengten Rheinufers unterhalb Bingen erhält der Landschaftskenner keine Entschädigung. Die Hügel zu beiden Seiten haben nicht jene stolze, imposante Höhe, die den Beobachter mit einem mächtigen Eindruck verstummen heißt; ihre Einförmigkeit ermüdet endlich, und wenngleich die Spuren von künstlichem Anbau an ihrem jähen Gehänge zuweilen einen verwegenen Fleiß verraten, so erwecken sie doch immer auch die Vorstellung von kindischer Kleinfügigkeit. Das Gemäuer verfallener Ritterfesten ist eine prachtvolle Verzierung dieser Szene; allein es liegt im Geschmack ihrer Bauart eine gewisse Ähnlichkeit mit den verwitterten Felsspitzen, wobei man den so unentbehrlichen Kontrast der Formen sehr vermisst.

Georg Forster, 1790
Zitat

Ja, mein Freund, der Rhein ist ein edler Fluss: aristokratisch, republikanisch, kaiserlich, würdig, sowohl Frankreich als auch Deutschland anzugehören.

Victor Hugo, 1842
Zitat

Wo heute noch der laute und wirre Jahrmarkt der Eitelkeiten tummelt, kann morgen der Garten der deutsch-französischen Freundschaft im Licht stehen. Nur hier.

René Schickele, 1932
Zitat

Geboren bin ich in Köln, wo der Rhein, seiner mittelrheinischen Lieblichkeit überdrüssig, breit wird, in die totale Ebene hinein auf die Nebel der Nordsee zufließt.

Heinrich Böll, 1959

Die Rheinbrücken im Grenzraum Straßburg-Kehl

Die Existenz der Europahauptstadt Straßburg und ihrer kleinen deutschen Nachbarstadt Kehl ist aufs Engste mit den Rheinbrücken verbunden. Nachdem bereits 1225 in Basel und 1283 in Breisach Brücken über den Rhein gebaut worden waren, entschlossen sich die Bürger von Straßburg 1388 zum Bau der so genannten "Langen Bruck". Bis zur Errichtung einer Brücke in Mainz 1661 war sie die nördlichste Brücke am Rhein.

Seit ihrer Eroberung durch Ludwig XIV. 1681 hat Straßburg, von Albert Demangeon und Lucien Febvre "die Stadt der zwei Gesichter" und "Vermittlungsraum zwischen zwei Ländern und zwei Zivilisationen" genannt, fünfmal die Herrschaft gewechselt, der Brückenkopf Kehl im selben Zeitraum gar zwölfmal. Straßburg bekam daher früh zu spüren, dass sich mit dem Rheinübergang nicht nur Geld einnehmen ließ. Er stellte auch eine Bedrohung für die Stadt dar, da viele Armeen auf diese Weise ins Land eindringen konnten. Im Dreißigjährigen Krieg stand die Rheinbrücke im Feuergefecht von kaiserlichen und schwedischen, französischen und badischen Truppen.

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Meter lang ist die Hohenzollernbrücke in Köln. Die Eisenbahnbrücke wiegt 24.000 Tonnen. Die so genannten Liebesschlösser, die an der Brücke hängen, haben ein Gesamtgewicht von zwei Tonnen.

Erst Napoleon I. ließ 1808 eine feste Rheinbrücke bauen, die sogenannte Napoleon-Brücke. Davor sind die Rheinübergänge keine fixierten Bauwerke gewesen. Über Jahrhunderte hinweg musste man die Brücke zwischen Kehl und Straßburg immer aufs Neue verlegen, weil der Rhein nicht in seinem heutigen Bett floss, sondern sich in verschiedenen Armen schlängelte. Auf den dadurch entstandenen Inseln konnten die Brückenjoche errichtet werden. Seit der Rheinbegradigung durch Tulla im Jahr 1817 war nicht mehr die Natur der größte Feind der Brücke, sondern der Mensch. In den Kriegen, in denen sich Deutsche und Franzosen gegenüberstanden, sind die Rheinbrücken beschädigt oder zerstört worden.

Brückenbau als nationale Aufgabe

Da der Brückenbau zwischen zwei Ländern bis in die jüngste Zeit in der Hand der Staaten lag, standen die Brücken nicht nur im Fokus lokaler, sondern auch nationaler und internationaler Politik. Die Rheinbrücke und der Brückenkopf Kehl wurden explizit in den internationalen Verträgen der Versailler Konferenz genannt, da sie ein wichtiges strategisches Objekt darstellten.

Während der Zeit des Nationalsozialismus bildeten die Rheinbrücken zwischen Kehl und Straßburg auch die letzte Fluchtmöglichkeit aus Deutschland in die Freiheit. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges verließen über die Eisenbahnbrücke unter anderem Heinrich Mann und Sigmund Freud Deutschland, woran heute eine Gedenktafel im Kehler Bahnhof erinnert.

Allerdings haben weder die Eisenbahnbrücke noch die Straßenbrücke den Zweiten Weltkrieg überstanden. Ein Wiederaufbau ließ lange auf sich warten, denn dafür brauchte es nicht nur Geld. Es musste vor allem viel Vertrauen zwischen beiden Ländern zurückgewonnen werden.

So mussten vor dem Bau der heutigen Europabrücke im Jahr 1960 erst die tiefen Wunden, die die Nationalsozialisten mit ihren Verbrechen und der Zweite Weltkrieg gerade im Elsass verursacht hatten, gelindert werden. Die vielen Brückenprovisorien bis zum Bau der Europabrücke verraten viel über die fragilen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland.

Namentlich die provisorische Brücke von 1951, die das erste gemeinsame Projekt zwischen Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg darstellte, war von zahlreichen zwischenstaatlichen Spannungen gekennzeichnet. Hinzu kam: Weder die Höhe, noch die Länge der Brückenhälften passten zusammen.

Dies zeigt auf treffliche Weise die Schwierigkeiten der Deutschen und Franzosen, gemeinsame Ziele festzulegen. Dass ein Brückenbau zwischen Frankreich und Deutschland auch heute noch keinen selbstverständlicher Akt darstellt, unterstreicht die Tatsache, dass noch nicht einmal halb so viele Brücken den Rhein zwischen Frankreich und Deutschland überqueren wie beispielsweise die Seine in Paris.

Der Bau der Europabrücke als neuer Hoffnungsträger

Nach Jahren provisorischer Behelfsbrücken und der Eröffnung der eingleisigen Eisenbahnbrücke im Jahre 1956 richteten sich die Hoffnungen einer friedlichen Koexistenz in Europa auf die neue Europabrücke. Der Grenzübergang zwischen Kehl und Straßburg wurde mit der Europabrücke zu einem "der wichtigsten Tore für den gesamteuropäischen Wirtschafts- und Personenverkehr". Mit der Europabrücke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Hoffnung auf Frieden und die Einigung Europas verbunden, aber ein weiteres wichtiges Ziel bestand darin, den stark zugenommenen Autoverkehr aufzufangen, der allein zwischen 1959 und 1960 um 50 Prozent gestiegen war. Angesichts dieses hohen Verkehrsaufkommens war der Bau einer neuen Straßenbrücke dringend notwendig geworden.

Mit täglich ungefähr 30.000 Fahrzeugen bildet die Europabrücke auch im 21. Jahrhundert den am meisten genutzten Grenzübergang nach und von Frankreich. Äußerlich wenig ansprechend, entspricht die Europabrücke allen technischen Anforderungen und ist den funktionalen und wirtschaftlichen Erwartungen gerecht geworden. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sie einen wichtigen Beitrag für den Wiederaufbau Westeuropas dar.

Die Brücke als Symbol

Ihre symbolische Bedeutung unterstrich auch die Anwesenheit ranghoher Vertreter europäischer Institutionen wie des Europarates oder des Präsidenten des Europaparlamentes während der Eröffnungsfeier. In den Reden wurde der Brückenschlag als ein hoffnungsvolles Zeichen für die weitere europäische Einigung betrachtet und als Werk der fruchtbaren deutsch-französischen Zusammenarbeit gefeiert. Der damalige Bürgermeister von Straßburg und spätere Präsident des Europaparlamentes, Pierre Pflimlin, bezeichnete die Europabrücke als einen "Pfeiler des europäischen Aufbaus". Noch schwieriger als der kühnste Brückenbau sei die Überwindung der deutsch-französischen Zwiste und Kämpfe gewesen, die er zweieinhalb Jahre vor dem Élysée-Vertrag in den Versöhnungsbestrebungen von de Gaulle und Adenauer bestätigt sah.

Um die europäische Einigung zu unterstützen, brauche man Symbole, meinte Pflimlin, die "den schwierigen Weg erleuchten und die Hoffnung der Aufbauer Europas aufrecht erhalten". In der Europabrücke identifizierte Straßburgs Bürgermeister ein solches Symbol, da sie dort eine Verbindung hergestellt habe, wo früher Zwietracht geherrscht habe.

Auch der französische Verkehrsminister Buron unterstrich bei der Einweihung der Europabrücke deren symbolische Bedeutung. Er sah in ihr den gemeinsamen Willen manifestiert, die zwei Bilder des Rheins – das eines historisch bedeutenden Flusses und das einer mächtigen Handelsstraße – miteinander zu verbinden. Nirgendwo anders als an der Europabrücke konnte man seiner Meinung nach begreifen, was das im Aufbau begriffene Europa bedeute.

Die Europabrücke zwischen Straßburg und Kehl. (© Inka Schwand)

Mit der Einweihung der Europabrücke erfolgte eine weitere Öffnung zwischen beiden Ländern, die sich nicht nur in einem neuen Grenzübergang ausdrückte, sondern auch in einer Vereinfachung der Zoll- und Passkontrollen. Noch nicht einmal ein Jahr später sind die Menschen jedoch beim Bau der Berliner Mauer ohnmächtige Zeugen der schmerzlichen Schließung einer anderen Grenze geworden. Beide Ereignisse sind in einem engen Zusammenhang zu sehen. Der Brückenbau nach Westen stand für den Primat der Westintegration von Bundeskanzler Adenauer, der diese als Bedingung für ein freies und wiedervereintes Deutschland ansah. Für eine Westintegration waren die deutsch-französische Versöhnung und eine enge Kooperation beider Länder Voraussetzung.

Das Tor nach Osten dagegen blieb für mehrere Jahrzehnte verschlossen.

Ungeliebte Europabrücke

In den Eröffnungsreden ist die Europabrücke als ein Symbol des Aufbaus Europas angesehen worden, als ein Zeichen des Friedens und der Sicherheit. Für die Grenzbewohner jedoch schien die Europabrücke weniger das erhoffte Symbol zu werden. Zwar erfüllte sie ihre Funktionen und wurde dem angestiegenen Verkehr gerecht. Angesichts ihrer banalen und unästhetischen Erscheinung, die vielen Bauwerken der 1960er Jahre zu eigen ist, hatte sie es aber schwer, die erhoffte Symbolkraft zu entwickeln.

Während in den offiziellen Reden der Symbolwert der Brücke hervorgehoben wurde, erreichte sie weniger die Herzen der Menschen. Dieser Entfremdung wurde – mit beschränktem Erfolg – durch eine Aufstellung von Tafeln im Rahmen des fünfzigjährigen Bestehens des Europarates in Straßburg unter dem Leitmotiv "Die Grenzüberschreibung – écrire les frontières" begegnet. Auf den Tafeln wurden literarische Texte von 40 bedeutenden Autoren eines jeden Mitgliedstaates des Europarates abgedruckt. Was allerdings fehlte, waren die Übersetzungen der Texte ins Deutsche und Französische.

Die Bürger benutzten die Europabrücke also weniger als Ausdruck der Hoffnung und des Friedens. Vielmehr vereinnahmten sie deren symbolische Bedeutung bei ihren Protesten gegen die Politik des Europaparlaments, indem sie die Grenzübergänge blockierten. Forderungen nach einer einheitlichen europäischen Sozialpolitik wurden in der Vergangenheit etwa durch die Sperrung der Brücke für ausländische LKW unterstrichen. Europa, das ist in diesen Fällen der Adressat politischer Forderungen. Bei den Demonstrationen war die Europabrücke gesperrt, nicht aber bei Feierlichkeiten wie dem Rheinfest mit Bewohnern diesseits und jenseits des Stroms.

Die tatsächliche Europabrücke

Kein Wunder also, dass die "Brücke der Herzen" eine andere geworden ist. Im Rahmen der gemeinsamen Landesgartenschau zwischen Kehl und Straßburg hat der Pariser Architekt und Ingenieur Marc Mimram 2004 eine Fußgänger-und Radfahrerbrücke errichtet. Seitdem steht die Passerelle de deux rives für einen umweltfreundlichen Verkehr zwischen den beiden Nachbarstädten. Sie wird von Berufspendlern und Freizeitsportlern mit dem Fahrrad benutzt oder von Spaziergängern, die auf ihre leicht die Uferseite wechseln können.

Darüber ist die Fußgänger-und Radfahrerbrücke auch bei Grenzbewohnern beliebt, die über aktuelle Themen diskutieren wollen, etwa bei den monatlichen Begegnungen der "amis de la passerelle" und des Vereins "Garten/Jardin". Sie ist ein Begegnungsraum für Bürger, die ihre Ideen, Hoffnungen und Wünsche austauschen und damit ein Stück gelebtes Europa praktizieren. Auch die Regierungschefs der NATO-Staaten sind sich der Bedeutung der neuen Brücke bewusst. Sie haben die Passerelle bei der Jubiläumsfeier zum sechzigjährigen Bestehen der NATO im April 2009 für das offizielle Gruppenfoto ausgewählt.

Chronologie

1388: Straßburg baut die "Lange Bruck". Sie ist die erste Brücke über den Oberrhein und bis 1661 die nördlichste Brücke über den Fluss

1808: Napoleon I. lässt die erste steinerne Brücke über den Oberrhein errichten.

1817: Pläne zur Begradigung des Oberrheins durch Johann Gottfried Tulla.

1897: Einweihung der ersten festen Rheinquerung zwischen Straßburg und Kehl.

1939: Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs sprengt Frankreich den westlichen Brückenkopf.

1944: Nach dem Wiederaufbau sprengen deutsche Truppen die Rheinbrücke vollständig

1951: Aufbau einer provisorischen Brücke als erstes deutsch-französisches Projekt nach dem Krieg.

1960: Bau der Europabrücke.

1963: De Gaulle und Adenauer unterzeichnen den Élysée-Vertrag genannten Freundschaftsvertrag. In dessen Folge wird das deutsch-französische Jugendwerk gegründet.

2004: Bau der Fußgänger- und Radfahrerbrücke Passerelle de deux rives im Rahmen der gemeinsamen Landesgartenschau zwischen Straßburg und Kehl.

2009: Nato-Gipfel in Straßburg mit Fototermin auf der Passerelle.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Dr. Karen Denni ist Lehrbeauftragte an der Université de Strasbourg. Mit dem Thema der Rheinbrücken im Rahmen der deutsch-französischen Beziehungen hat sie 2006 an der Heinrich-Heine-Universität und der Université Marc Bloch Strasbourg promoviert.