Der Rhein ist aufgrund seiner Schiffbarkeit, aber auch wegen der 300 Millionen Tonnen Fracht, die jährlich auf ihm befördert werden, die bei weitem bedeutendste Wasserstraße in Europa. 80 Prozent der auf Wasserwegen beförderten Güter führen heutzutage über den Rhein. Damit bildet er eine wichtige Verkehrsachse, die die großen Ballungs- und Industriezentren am Rhein erschließt und sie miteinander verbindet. Dank eines perfektionierten Radarsystems ist der Rhein selbst bei Nebel rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr befahrbar.
Der Handelsstrom
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Lange Zeit vor der Gründung der Europäischen Union wurde der Rhein in ein Geflecht internationaler Abkommen und Verträge gebettet. So entstand über einen Zeitraum von zweihundert Jahren ein Wirtschaftsraum, der den beteiligten Staaten wichtiger war als ihre partikularen Interessen. Was kann Europa lernen vom internationalen Rhein?
Für die Nacktheit des verengten Rheinufers unterhalb Bingen erhält der Landschaftskenner keine Entschädigung. Die Hügel zu beiden Seiten haben nicht jene stolze, imposante Höhe, die den Beobachter mit einem mächtigen Eindruck verstummen heißt; ihre Einförmigkeit ermüdet endlich, und wenngleich die Spuren von künstlichem Anbau an ihrem jähen Gehänge zuweilen einen verwegenen Fleiß verraten, so erwecken sie doch immer auch die Vorstellung von kindischer Kleinfügigkeit. Das Gemäuer verfallener Ritterfesten ist eine prachtvolle Verzierung dieser Szene; allein es liegt im Geschmack ihrer Bauart eine gewisse Ähnlichkeit mit den verwitterten Felsspitzen, wobei man den so unentbehrlichen Kontrast der Formen sehr vermisst.
Ja, mein Freund, der Rhein ist ein edler Fluss: aristokratisch, republikanisch, kaiserlich, würdig, sowohl Frankreich als auch Deutschland anzugehören.
Wo heute noch der laute und wirre Jahrmarkt der Eitelkeiten tummelt, kann morgen der Garten der deutsch-französischen Freundschaft im Licht stehen. Nur hier.
Geboren bin ich in Köln, wo der Rhein, seiner mittelrheinischen Lieblichkeit überdrüssig, breit wird, in die totale Ebene hinein auf die Nebel der Nordsee zufließt.
Der Rhein als Grenze und Wirtschaftsraum
Dass der Rhein zur zentralen Wirtschaftsachse Europas werden konnte, war nicht selbstverständlich. Je mehr Nationalstaaten an seinem Lauf entstanden, desto größer wurden die nationalen Interessen. Dennoch hat es der Rhein geschafft, eine zusammenhängende Verkehrsachse auf dem Kontinent zu bilden. Fast dreihundert Jahre haben sich die Diplomaten der Anrainerstaaten darum bemüht, die Schifffahrt auf dem Rhein unabhängig von den politischen Auseinandersetzungen zu machen; die Rheinachse sollte "politisch neutralisiert" werden. Mit der Unabhängigkeit der Schweiz waren davon zunächst die Alpenpassagen des Rheins betroffen, es folgten mit der Unabhängigkeit der Niederlande die nördlichen Rheinmündungen. Auf dem Wiener Kongress 1815 hat dann der Zugang zum Fluss einen internationalen Status erhalten, womit er der alleinigen Kontrolle der Anrainerstaaten entzogen wurdet. Flussabwärts sind schließlich im 19. Jahrhundert Belgien und Luxemburg souveräne Staaten geworden.
Nach den beiden Weltkriegen haben einige Diplomaten versucht, den umkämpften Raum zwischen Deutschland und Frankreich, also Elsass-Lothringen, das Rheinland, die Ruhr und auch die Saar, für neutral zu erklären, da eine Annexion schwer zu legitimieren war. Allerdings ohne Erfolg. Der französische Geograf Jacques Lévy hat den Rheinraum darum einmal als "Zerstückelungszone" bezeichnet.
Obwohl im Fokus vieler Konflikte – aber vielleicht auch gerade aufgrund des Wettbewerbs zwischen den Staaten – hat sich das Rheingebiet als Handelsschiene Europas am Ende durchgesetzt. Selbst aus Zeiten, in den das Grenzregime verschärft wurde, ist der Rhein mit einer Intensivierung des Transports und der Wirtschaftsleistung hervorgegangen. Das ist die Erfolgsgeschichte des Rheins. Geblieben sind allerdings national recht unterschiedliche Strategien, den Rhein zur Wasserstraße auszubauen.
Deutsche und französische Flussumgestaltungen
An der deutsch-französischen Grenze sind die großen Flussumgestaltungen stark von der politischen Entwicklung der Nationalstaaten und den jeweiligen Grenzziehungen beeinflusst worden. Die jeweiligen Eingriffe fanden dabei in mehreren Etappen statt.
Die Periode des "konfiszierten Rheins" (1881-1918) ist das Ergebnis der Annexion des Elsass durch das neu gegründete deutsche Kaiserreich im Jahr 1871. Damals wurde Frankreich der direkte Zugang zum Fluss untersagt, was die Rheinschifffahrt flussaufwärts bei Mannheim und schließlich bei Straßburg erschwerte.
Frankreich reagierte darauf nach dem Ersten Weltkrieg mit dem "abgewandten Rhein" (1919-1956). Zentrale Bedeutung hatte der Bau des Grand Canal d’Alsace, des Rheinseitenkanals, von Kembs bis Brisach. Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Mühlhauser Ingenieur René Koechlin den Bau eines Kanals parallel zum Fluss für den Transport und zur Energiegewinnung vorgeschlagen. Aufgegriffen wurde die Idee, als sich Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg als Rheinmacht behaupten wollte.
1919 erhielt Frankreich im Artikel 358 des Versailler Vertrages außerdem das alleinige Recht auf Flussumgestaltungen zu Energiezwecken – allerdings unter der Bedingung, dass die freie Schifffahrt gewahrt bleibe. Von den acht vorgesehenen Staustufen zwischen Basel und Straßburg wurden vier auf dem Grand Canal d’Alsace realisiert. Jede befindet sich an einer Kanalschleuse mit zwei Schleusenkammern: bei Kembs (1932), Ottmarsheim (1952), Fessenheim (1956) und Vogelgrun (1957). Die Umgestaltungen und grundlegenden Eingriffe erfolgten vor allem auf der linken Uferseite – auf Kosten der elsässischen Rheinauen. Auf der deutschen Uferseite blieb hingegen die
Die nächste Etappe war das Luxemburger Abkommen vom 21. Oktober 1956. Als Gegenleistung für ihren endgültigen Verzicht auf das Recht zur Produktion von Wasserenergie erhielt die Bundesrepublik das Recht, das eigene Rheinufer auszubauen und für die Schifffahrt zu nutzen. Dafür verzichtete Frankreich auf den weiteren Ausbau des Grand Canal d’Alsace. Stattdessen wurden nun die Staudämme von Marckolsheim (1961), Rheinau (1963), Gerstheim (1967) und Straßburg gebaut. Man kann das auch als die Periode des "ausgehandelten Rheins" bezeichnen.
Das deutsch-französische Abkommen vom 4. Juli 1969 führte das Prinzip der gemeinsamen Entscheidungsgewalt bei Eingriffen in den Fluss flussabwärts von Straßburg ein. Das ist die Periode des "geteilten Rheins", der zum Bau von gemeinsamen Staudämmen auf der Höhe Gambsheim-Freistett (1974) und Iffezheim (1978) führt. Diese Phase zeugt bereits von einer größeren Rücksicht auf ökologische Belange, nachdem die natürliche Landschaft im Süden größtenteils zerstört worden war.
Die Konflikte an der Rheinmündung
Auch am Niederrhein gab es Konkurrenz und Konflikte, sicherlich abgeschwächter, aber nicht weniger tiefgreifend. Vier Jahrhunderte lang stritten sich Belgien und die Niederlande um die Frage, ob der Hafen von Antwerpen oder der von Amsterdam und Rotterdam die Kontrolle über die rheinischen Meeresmündungen haben soll. Dieser Konflikt ist immer noch aktuell und führt regelmäßig zu politischen Spannungen. Tatsächlich lag Amsterdams Aufstieg im Niedergang Antwerpens begründet. Die niederländische Blockade der Schelde im Jahr 1585 hat Antwerpens Wirtschaftswachstum stark beeinträchtigt. Das flämische Handelszentrum konnte erst viel später mit dem Bau der Eisenbahnlinie über Lüttich und Köln freien Zugang zum Rhein zurückgewinnen.
Immer wieder war der junge belgische Staat bemüht, den niederländischen Riegel zu lockern, der ihm den Zutritt zum rheinischen Markt versperrte. Der
Die Debatte, bei der die Antwerpener Interessen auf die niederländischen stoßen, ist bis heute nicht beendet. Nach 15 Jahren Verhandlungen hat der Den Haager Gerichtshof schließlich Belgien Recht gegeben. Der Konflikt hat zu sehr unterschiedlichen Beziehungen zwischen den belgischen und holländischen Häfen mit dem rheinischen Hinterland geführt. Die partikularen Interessen haben lange Zeit überwogen, das System der parallelen Kanäle an der Grenze erinnert immer noch daran.
Die Europäische Union und ihr rheinisches Erbe
Kriege und ihnen folgende Friedensabkommen haben die Rechtsgeschichte auch am Rhein tief geprägt. Am Ende aber haben sie zu einer gemeinsamen Verwaltung des Flusses unter Wahrung der Rechte eines jeden Staates geführt – die Machtansprüche der Nachbarstaaten wurden eingegrenzt. Eigens für den Rhein wurden spezielle Artikel in mehreren wichtigen Verträgen der Geschichte verfasst. So führte die Schlussakte des Wiener Kongresses 1815 zur Gründung der Rheinkommission 1831. Von der wiederum führt eine Linie zur Mannheimer Akte von 1868. Beide gelten heute noch für die Rheinschifffahrt.
Bei der internationalen Rheinkommission handelt es sich um die älteste noch existierende internationale politische Institution der Welt. Sie zeugt von der bewegten deutsch-französischen Geschichte. Ihren ersten Sitz hatte sie in Mannheim. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte der Versailler Vertrag die Verlegung nach Straßburg festgelegt, das wieder an Frankreich gefallen war. Seitdem befindet sich ihr Sitz im Gebäude des "Palais du Rhin", des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Palastes. Der Kommission obliegt die Festlegung des juristischen Rahmens der Rheinschifffahrt, der die Freiheit und Unentgeltlichkeit der Schifffahrt gewährleistet und die Anrainerstaaten in die Pflicht nimmt, für einen guten Zustand der Fahrrinne Sorge zu tragen. Sie regelt die Einhaltung der Verträge, an die die Anrainerstaaten gebunden sind, und bestimmt die Sicherheitsvorkehrungen, die Arbeitsbedingungen der Rheinschiffer, die Einheit der Schifffahrt und die Entwicklung des Schiffsverkehrs.
Die Internationalisierung des Rheins liegt also weit vor dem Aufbau der Europäischen Gemeinschaft und unterscheidet sich in vieler Hinsicht von ihr. Auch wenn die internationale Rheinkommission größtenteils auf ähnlichen Mechanismen wie die EU beruht – etwa auf einer ordnungspolitischen Funktion und einem Souveränitätsverzicht der Anrainerstaaten zugunsten einer gemeinsamen Verwaltung – bleibt sie doch eine intergouvernementale Instanz mit Einstimmigkeitsbeschluss. Außerdem unterscheiden sich die Ziele der beiden Institutionen erheblich. Die Rheinkommission beruht auf einem durch Neutralisierungspolitik geschaffenen geopolitischen Gleichgewicht, während die EU eine immer engere Union der Völker anstrebt.
Eine wichtige Herausforderung ist die Harmonisierung der Rheinkommission mit den Richtlinien der Europäischen Union. Die gegenwärtige Verwaltung des Rheins liegt in den Händen der Anrainerstaaten und entzieht sich damit der governance der EU, obwohl letztere seit 1992 für die europäische Transportpolitik zuständig ist. Die Situation stellt einen Präzedenzfall dar, den die Europäische Kommission mit einem einheitlichen Regelwerk für alle Flüsse der EU gern beseitigen würde.
Diese Harmonisierungswünsche bereiten manchen Anrainerstaaten Sorgen, da im Falle ihrer Realisierung das bestehende juristische und technische System beeinträchtigt werden könnte. Die Angleichung an die ökonomischen und sozialen Gegebenheiten anderer internationaler Flüsse, welche als weniger effektiv gelten, könnte zu einem Aufweichen der aktuellen Standards und einem Abbau ihrer Errungenschaften führen. Diese Sorge wird vor allem von der Schweiz getragen, die Schwierigkeiten hätte, sich gegen EU-Entscheidungen durchzusetzen. Nicht wenige Mitgliedsstaaten befürchten einen Autonomieverlust und eine technokratische Schwerfälligkeit bei den Entscheidungen, falls sich das Machtzentrum verschiebt und der Rhein nur einer von vielen Flüssen wäre, deren Entscheidungen den EU-Staaten unterliegen, das heißt mehrheitlich Staaten, die nicht am Rhein liegen.
Lernen für Europa
Eine historische Analyse des Rheins und seiner Rechtsgeschichte bewahrt vor einer allzu einfachen Interpretation von einem alten konfliktreichen Raum hin zu einer friedfertigen Europäisierung der Beziehungen. Die Öffnung des Flusses war zunächst das Ergebnis eines Bemühens um ein klassisches Gleichgewicht zwischen den Staatsmächten. Die Flussumgestaltungen tragen ganz klar die Spuren der vergangenen Konflikte und ihrer Lösungen.
So erinnert der Rhein die EU daran, dass Konkurrenz auch einen positiven Antrieb für transnationale Umgestaltungen darstellen kann. Diese Geschichte steht im Kontrast zu den Reden von einer Vertiefung der Integration und dem Aufbau eines einheitlichen Europas. Der Rhein zeigt, dass Europäisierung auch anders möglich ist.
Chronologie
1815: Auf dem Wiener Kongress bekommt der Rhein, wie auch andere europäische Flüsse wie die Elbe und die Oder, einen internationalen Status.
1831: Die Mainzer Akte regelt die Gründung der Rheinkommission, der ältesten internationalen Institution der Welt. Der Sitz ist in Mannheim.
1868: Die Mannheimer Akte erweitert die Zahl der Staaten, die sich der Rheinkommission anschließen.
1871: Das deutsche Kaiserreich annektiert Elsass. Frankreich wird der direkte Zugang zum Rhein untersagt.
1919: Mit dem Versailler Vertrag erhält Frankreich das alleinige Recht auf Energieproduktion am Rhein. Der Sitz der Rheinkommission wird nach Straßburg verlegt
1924: Beginn des Baus des Grand Canal d'Alsace, des Rheinseitenkanals.
1956: Im Luxemburger Abkommen erhält die Bundesrepublik Deutschland das Recht, das rechte Rheinufer auszubauen.
1969: Im deutsch-französischen Abkommen wird geregelt, dass beide Staaten bei den Eingriffen in den Rhein kooperieren.
1992: Zuständig für die Transportpolitik und damit auch die europäischen Wasserstraßen ist die EU-Kommission. Bis heute ist das System aus alten Verträgen nicht in das EU-Recht integriert.
Aus dem Französischen von Karen Denni
Weitere Inhalte
Antoine Beyer, geboren 1968, hat 1986 das deutsch-französisches Abitur in Freiburg i. Breisgau abgelegt. Seine weiteren Studien haben ihn nach Paris geführt, wo er Geografie studiert hat. Er ist heute im französischen Forschungsinstitut für Verkehrswissenschaften (Ifsttar) in Marne-la-Vallée tätig. Zuvor hatte er an den Universitäten in Straßburg und Paris-Sorbonne Verkehrsgeografie gelehrt.
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