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E-Lettisch | The Years of Change 1989-1991 | bpb.de

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E-Lettisch

Aiga Irmeja

/ 4 Minuten zu lesen

Lettisch ist eine der ältesten Sprachen Europas und gehört zur indoeuropäischen Sprachfamilie – wir haben tiefe, markige, wagemutige, starke Wurzeln. Doch inzwischen ist die lettische Sprache auf der Ebene der maschinellen Übersetzung und der künstlichen Intelligenz angekommen. Ist Lettisch ein Rockstar des 21. Jahrhunderts?

Die Ursprünge der lettischen Sprache reichen bis ins 10. Jahrhundert zurück, als verschiedene Volksgruppen langsam zu einer verschmolzen. Im 16. Jahrhundert beteten wir das Vaterunser schon auf Lettisch. Ab dem 19. Jahrhundert sagten wir:

"Letten – respektiert eure Sprache, und ihr werdet auf dieser Erde gedeihen. Denn wer sich selbst nicht respektiert, der wird auch nicht von anderen respektiert."

Dass die Lett*innen singen, ist die Norm, und wir haben in unserer Kultur nie Gewaltherrschaft geduldet. Der Song "Dzimtā valoda" ("Muttersprache"), 1986 von der Gruppe Līvi aufgeführt, war daher ein landesweites Phänomen. Warum? Die lettische Sprache hatte während der sowjetischen Besatzung eine zweitrangige Bedeutung, sie wurde bewusst abgewertet, ihr Gebrauch unterbunden, Formen des künstlerischen Ausdrucks standen unter Zensur. Unter diesen belastenden Umständen standen die Lett*innen mehr denn je zusammen. Dieser kraftvolle Song überstand die strenge Zensur und wurde zum Identifikationssymbol aller Lett*innen:

"Alle Menschen weinen
in einer gemeinsamen Sprache
In einer gemeinsamen Sprache –
lachen sie auch.
Der Schmerz lässt sich nur stillen
in der Muttersprache,
Der Welt gibt sie
Freude im Gesang".

Im Jahr 1988 stimmten die Lett*innen dafür, die lettische Sprache zur offiziellen Landessprache zu machen. Und zehn Jahre später wurde das erste Hip-Hop-Lied auf Lettisch im Radio gespielt. Heute sprechen etwa zwei Millionen Menschen Lettisch (von denen einige in der Sprache rappen). Was die Zahlen betrifft, so sind wir im globalen Maßstab eine kleine Volksgruppe. Und wie jede Volksgruppe haben wir unsere eigene Sprache, die ein wesentliches Merkmal unserer nationalen Identität ist. Wenn wir zurückblicken, spielte die Muttersprache in der Zeit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit – vor 30 Jahren – eine entscheidende Rolle. Sie hat uns zu unserem Nationalbewusstsein geführt und die Kraft des Lettischen ist nie langweilig geworden.

Während wir früher um die bloße Existenz unserer Sprache kämpfen mussten, gibt es im digitalen Zeitalter andere Herausforderungen; so sprechen beispielsweise virtuelle Assistent*innen wie Siri und Alexa nur die großen Weltsprachen. Nutzer*innen in Lettland und anderen nicht vertretenen Sprachregionen müssen mit dem zurechtkommen, was verfügbar ist. Dies könnte in Zukunft zu einer Bedrohung unserer Sprache werden. Um sicherzustellen, dass wir immer verstanden werden, arbeitet ein Team großartiger Linguist*innen mit Technologieexpert*innen zusammen, um die digitalen Referenzen des Lettischen zu verbessern, so dass die Welt mittels künstlicher Intelligenz Zugang zur lettischen Sprache bekommt. Bei Olympiaden für maschinelle Übersetzung haben in Lettland entwickelte Lösungen daher Goldmedaillen gewonnen und in Sachen Präzision Giganten wie Google und Microsoft geschlagen. Schauen wir uns die Erfolge unserer Rockstars also etwas genauer an:

Das Unternehmen "Tilde" hat Lettland zu einem europäischen Spitzenreiter in der Nutzung von Sprachtechnologie gemacht. Schwerpunkt der Firma sind kleine und morphologisch komplexe Sprachen. Die Erfahrung in der Arbeit mit dem Lettischen, das über 20 Millionen Wortformen besitzt, regte das Unternehmen dazu an, sich anderer Sprachen anzunehmen. "Können maschinelle Übersetzungen mehr leisten als Menschen?", fragt jemand. "Wenn der/die Übersetzer*in mittelmäßig ist, kann die maschinelle Übersetzung besser sein, aber definitiv nicht, wenn jemand professionell arbeitet“, sagt "Tilde".

Eine der außergewöhnlichen Erfolgsgeschichten in Lettland ist die einzigartige Übersetzungsplattform hugo.lv. Sie übersetzt nicht nur Websites, Dokumente und unterschiedliche Texte, sondern kann auch Audio- und Videodateien in Text umwandeln. Diese Plattform, die in lettischen Behörden häufig eingesetzt wird, ist einfach anzuwenden und übersetzt in die Sprachen Lettisch, Englisch und Russisch. Offizielle Chatbots der öffentlichen Verwaltung – Una (Firmenregister) und Toms (Finanzamt) – unterstützen Nutzer*innen der Websites rund um die Uhr. Während sie derzeit noch in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich agieren, werden unsere Chatbots in Zukunft voneinander lernen. Untersuchungen zeigen, dass Nutzer*innen in den ersten Monaten herauszufinden versuchen, wie menschlich die Chatbots sind, indem sie sie alles Mögliche fragen, wie beispielsweise nach Nudelrezepten, oder sich mit ihnen verabreden wollen, ihnen Witze erzählen usw. Aber die Erfahrung zeigt, dass spätere Nutzer*innen die Assistenz so wie vorgesehen nutzen.

Die lettischen Errungenschaften auf dem Gebiet der Sprachtechnologie sind vergleichbar mit den Drei-Punkte-Würfen des NBA-Stars Kristaps Porziņģis, den atemberaubendsten Posen des Models Ginta Lapiņa und den wunderschönen Arien der Opernsängerin Kristīne Opolais.

So wie die Lett*innen vor 30 Jahren für ihre Sprache eintreten mussten, um das Sowjetregime und die gezielte Abwertung zu überwinden, so muss heute jede kleine Nation hochwertige sprachtechnologische Werkzeuge schaffen, um in der digitalen Welt die eigene Identität und Sprache nicht zu verlieren. Den Lett*innen scheint das gelungen zu sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Juris Alunāns, ein radikales Mitglied der Junglettischen Bewegung, die das Ziel hatte, das lettische Nationalbewusstsein zu stärken

  2. Song "Muttersprache"

Aiga Irmeja, Geschäftsführerin des lettischen IT-Clusters, wo sie die Cluster-Vision und die Entwicklung neuer Services, den täglichen Betrieb und die erfolgreiche Projektimplementierung überwacht. Bevor sie zum Cluster kam, war sie mehr als 15 Jahre als Marketingleiterin und Fachfrau in der IT-Branche tätig.