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Analyse: Privatisierung in der Ukraine: Hochsprung nach Jahren des Kriechens? | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Privatisierung in der Ukraine: Hochsprung nach Jahren des Kriechens?

Dmytro Yablonovskyy Bohdan Prokhorov Kiew) Von Bohdan Prokhorov und Dmytro Yablonovskyy (Zentrum für Wirtschaftsstrategie

/ 12 Minuten zu lesen

Die Entwicklungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zeigen, dass die Bemühungen um die Privatisierung staatlicher Betriebe und Unternehmen in der Ukraine nur mäßig erfolgreich waren. Eine neue strategische Vorgehensweise, inklusive der Verabschiedung eines neuen Gesetzes, soll die Chancen für eine zukünftige Privatisierung erhöhen.

Das Logo des ukrainischen Energiekonzerns Naftohas am Eingang des Firmengebäudes in Kiew. Anders als andere Betriebe soll das Unternehmen nicht privatisiert werden, sondern staatlich bleiben. (© picture alliance/NurPhoto)

Zusammenfassung

Die Regierung der Ukraine beabsichtigt, in diesem Jahr mindestens 300 kleinere Staatsbetriebe zu privatisieren und fünf große Unternehmen für einen Verkauf vorzubereiten, wodurch bis zu 500 Millionen US-Dollar (12 Mrd. Hrywnja) eingenommen werden könnten. Wie realistisch sind diese Zahlen? Und warum ist die Privatisierung für den wirtschaftlichen Gesamterfolg der Ukraine von entscheidender Bedeutung?

Ziele der Privatisierung

Für einige Politiker und in der öffentlichen Wahrnehmung in der Ukraine scheinen Privatisierungseinnahmen zu den wichtigsten Zielen zu gehören. In der ukrainischen Realität sind sie jedoch weitaus weniger bedeutend.

Der internationalen Erfahrung und früheren Studien des Zentrums für Wirtschaftsstrategie (ZWS) zufolge ist für junge Marktwirtschaften die Überführung von Besitztümern in private Hände aus folgenden Gründen wichtig:

  • Private Eigentümer sind im Allgemeinen effizienter als der Staat;

  • Die Privatisierung von staatlichen Unternehmen beseitigt die Notwendigkeit, in ihnen Korruption zu bekämpfen;

  • Der Staat hat gewöhnlich keine Anreize, privaten Unternehmen Präferenzen zu gewähren, wenn in der Branche Wettbewerb herrscht;

  • Privatisierung kann zu neuen Direktinvestitionen führen, wenn institutionelle Investoren gewonnen werden können.

Diese vier Ziele wurden in der Ukraine nicht erreicht, weil das Land im Verlauf der bisherigen Privatisierungen folgende wichtige Voraussetzungen noch nicht erfüllt hatte:

  • Aktives Engagement ausländischer Investoren;

  • Reduzierung der Informationsasymmetrie durch die Beteiligung internationaler Investitionsberater;

  • Verknüpfung von finanziellen und nichtfinanziellen Anreizen (Key performance indicators – KPI; dt.: "zentrale Kennzahlen") für das Spitzenmanagement von Unternehmen in staatlichem Besitz und dessen Bereitschaft zur Privatisierung;

  • Vorrangige Privatisierung von Unternehmen, die auf wettbewerbsgeprägten Märkten tätig sind;

  • Keine staatlichen Beteiligungen an bereits privatisierten Unternehmen.

Knapp drei Jahrzehnte nach dem Beginn der marktwirtschaftlichen Transformation ist die Ukraine immer noch ein Land mit rund 3.700 Unternehmen in Staatsbesitz.

Im Folgenden werden die bisherigen Privatisierungsphasen in der Ukraine beschrieben.

Die Privatisierungsphasen und deren Ergebnisse

Als postsowjetisches Land hat die Ukraine das Erbe einer Kommandowirtschaft zu schultern. Das hat zu fehlendem privaten Kapital in der ukrainischen Volkswirtschaft geführt. In den frühen 1990er Jahren war das Land nicht bereit, den Sprung in die freie Marktwirtschaft zu unternehmen.

Die Ukraine hatte 1993 mit der Zeichnung von Vorzugsaktien (für die Belegschaft der Unternehmen) begonnen, führte Ende der 1990er Jahre eine Voucher-Privatisierung durch und gelangte schließlich zur Direktprivatisierung an institutionelle Investoren.

1992–1994: Undurchdachter Auftakt ohne ausländische Investoren

Das erste Privatisierungsgesetz der Ukraine wurde im März 1992 verabschiedet. Bis 1994 beruhte die Privatisierung auf dem Mechanismus der Zeichnung von Vorzugsaktien: Theoretisch konnten Mitarbeiter Aktien ihrer Unternehmen zu Vorzugsbedingungen kaufen, in der Praxis sicherte sich jedoch in der Regel die damalige Geschäftsleitung die Aktien.

Ziel der ersten Privatisierungswelle war es, den Unternehmensbesitz 1) wegen eines fehlenden einheimischen Kapitalmarktes schnell und 2) mit gesellschaftlichem Rückhalt (ohne "den nationalen Reichtum an Ausländer zu verscherbeln") in private Hände zu überführen.

Die Folge dieser Art der Privatisierung war, dass nur selten strategisch agierende Investoren zu Besitzern hochwertiger Aktiva wurden, während die Anteile der meisten Bürger in Treuhandfonds verblieben. Diese Privatisierung zementierte die Stellung der sogenannten Roten Direktoren, indem politisch gut vernetzte Personen Zugriff auf staatliche Vermögenswerte erhielten. Von den fast 12.000 Unternehmen, die von 1992 bis 1994 privatisiert wurden, sind rund 80 Prozent auf diese Art privatisiert worden, wobei kein Raum für ausländische institutionelle Investoren blieb.

Am Ende dieser Phase war es das Parlament, das den Privatisierungsprozess verlangsamte. Dabei ging es um zweierlei Dinge:

  • Das Parlament verschob den Fokus auf die fiskale Rolle der Privatisierung, weniger auf andere Ziele. Im Widerspruch zu einer klar definierten Bestimmung des Privatisierungsgesetzes verabschiedete die Werchowna Rada das Gesetz über den Staatshaushalt der Ukraine für 1993, dem zufolge 50 Prozent der Privatisierungserlöse in den Haushalt wandern sollten.

  • Das Parlament musste den Listen mit den Privatisierungsobjekten (den sogenannten Privatisierungsprogrammen) jährlich neu zustimmen. Im Juli 1994 erließ die Rada ein achtmonatiges Moratorium über die Erstellung der Liste der Staatsunternehmen, die von der Privatisierung ausgenommen sind. Im März 1995 wurde die Liste schließlich verabschiedet. Sie umfasste 6.102 Unternehmen, darunter viele, die für Investoren attraktiv waren (Werften, Reedereien, Raffinerien, Unternehmen der Treibstoff- und Energiebranche). Viele waren den politischen Interessen der Fachministerien unterworfen.

Die Kombination aus den beiden genannten Umständen führte zum Entstehen der Oligarchie in der Ukraine.

1995–1998: Voucher-Privatisierung durch den Fonds für Staatseigentum

Der Mechanismus der Voucher-Privatisierung geht auf zwei Gesetzesänderungen von 1994 zurück. Zum einen wurde per Präsidialerlass die massenhafte Voucher-Privatisierung (Privatisierungszertifikate) eingeleitet. Dann wurde das (Privatisierungs-)Gesetz dahingehend geändert, dass die politischen Entscheidungsbefugnisse dem Fonds für Staatseigentum übertragen wurden. Von 1995 bis 1998 wurden fast 50.000 Objekte privatisiert, darunter mehr als 11.000 mittlere und große Unternehmen.

Durch das Entstehen eines ukrainischen Finanzsystems und der Einführung einer neuen Landeswährung 1996 begann sich nun der Verkauf von Aktienpaketen zu entwickeln (anstelle der Privatisierungszertifikate). Ein wachsender Anteil der Aktien gelangte jetzt an die Börsen. Die größte Nachfrage bestand nach Unternehmen aus den Bereichen Energie (54 Prozent des gesamten Geldflusses), Maschinenbau, Metallverarbeitung, Chemie, Petrochemie und Nahrungsmittelindustrie.

Allerdings fand bei nur einem Drittel dieser Unternehmen ein tatsächlicher Eigentümerwechsel (Übergang von mehr als 70 Prozent des Eigentums in private Hände) statt; bei den übrigen Objekten blieb der Besitz überwiegend in staatlicher Hand.

1998–2017: The good, the bad, and the ugly – selektive Privatisierung durch Vetternwirtschaft

Zu Beginn der 2000er Jahre begann der private Sektor eine bedeutende Rolle in der Wirtschaft zu spielen. 2002 erreichte sein Anteil 57,7 Prozent in der verarbeitenden Industrie und etwas über 50 Prozent in der Textilindustrie, der Nahrungsmittelindustrie und bei der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte.

Meist angetrieben durch Partikularinteressen einiger Weniger, reduzierte das Parlament die Liste der Unternehmen, die nicht privatisiert werden können, beträchtlich. Umfasste sie 1994 noch 6.102 Unternehmen, waren es Anfang 2000 nur noch 1.307.

Seit den 2000er Jahren verstärkte sich die Vetternwirtschaft in der Ukraine. Große Objekte aus den Bereichen fossile Rohstoffe und Energie wanderten in die Hände weniger Auserwählter; das Parlament verabschiedete hierzu spezielle Gesetze. So wurde der Weg, auf dem 10 Unternehmen der staatlichen Aktiengesellschaft UkrRudProm verkauft werden sollten, durch ein eigenes Gesetz festgelegt. Dieses sah vor, dass nur Anteilseigner, die mehr als 25 Prozent plus eine Aktie an UkrRudProm halten, Anteile der UkrRudProm-Unternehmen erwerben konnten.

Auf diesem Wege kauften die größten Oligarchen der Ukraine (Achmetow mit seiner System Capital Management – SCM, Nowinskyj mit seiner Smart-Holding und Kolomojskyj mit seiner Privat-Gruppe) Unternehmen von UkrRudProm.

Darüber hinaus begann die Privatisierung allmählich zu einer Quelle von Mitteln zu werden, die eher zur Deckung des Haushaltsdefizits als zur Deckung von Investitionen dienen sollten. Seit 1997 (mit Ausnahme des kurzen Zeitraums von 2006–2007) sah der Staatshaushalt steigende Privatisierungszuflüsse als Einnahmequelle vor.

The good: Der Fall Kryworischstal

Im Oktober 2005 erwarb Mittal Steel 93,02 Prozent der Aktien des Metallurgie-Riesen Kryworischstal für 24,2 Milliarden Hrywnja (4,79 Mrd. US-Dollar) bei einem Startgebot von 10 Milliarden Hrywnja. Die Auktion wurde live im Fernsehen übertragen. Präsident Juschtschenko und Ministerpräsidentin Tymoschenko waren zugegen, um die transparente Reprivatisierung der Fabrik zu feiern.

Das Unternehmen war ursprünglich im Juni 2004 für 4,26 Milliarden Hrywnja (rund 800 Millionen US-Dollar) an das Investment and Metallurgical Union Consortium (IMC) verkauft worden. Die Eigentümer von IMC waren SCM (Rinat Achmetow) und Interpipe (Wiktor Pintschuk).

Präsident Juschtschenko und Premier Tymoschenko, die kurz zuvor im Zuge der Orangen Revolution an die Staatsspitze gekommen waren, drängten ukrainische Gerichte, die Ergebnisse der Auktion zu revidieren. Nach dem Weiterverkauf zahlte der Fonds für Staatseigentum 4,26 Milliarden Hrywnja an IMC zurück.

Auf diese Weise zog die Ukraine ausländische Direktinvestitionen an und erhöhte den Wettbewerb in der Metallindustrie, die bisher unter den Oligarchen aufgeteilt war.

The bad: Der Fall Ukrtelecom

In den frühen 2000er Jahren, als die rasche Ablösung von Festnetztelefonie zugunsten des Mobilfunks erfolgte, war der staatliche Telefonriese dazu verurteilt, seine Monopolstellung in der Kommunikationsbranche zu verlieren.

Um den Wert des Unternehmens vor der Privatisierung 2010 zu minimieren, wurden diskriminierende Wettbewerbsbedingungen geschaffen. Zu dieser Zeit erlaubten die Privatisierungsgesetze den Verkauf von "strategischen Objekten" nur an Investoren, die bereits Anteile auf einem ähnlichen Markt im In- oder Ausland besaßen und an deren Ausweitung interessiert waren.

Eine weitere diskriminierende Bedingung für in- und ausländische Bieter bestand in der Beschränkung für Unternehmen, die zu 25 Prozent oder mehr in Staatsbesitz waren (über die gesamte Besitzerkette gesehen) – diese wurden ausgeschlossen. Aus diesem Grund wurden einige Unternehmen wie die staatliche Aktiengesellschaft MTS Ukraine nicht zugelassen. Kyivstar war damals im Besitz der norwegischen staatlichen Telenor-Gruppe, die Deutsche Telekom gehörte zu 15 Prozent dem deutschen Staat und zu 17 Prozent der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), usw.

Wie zu erwarten war, ging nur ein Angebot ein, und zwar vom bereits im Voraus feststehenden Gewinner ESU LLC, einer Tochtergesellschaft des österreichischen Unternehmens EPIC, die den Zuschlag für 10,6 Mrd. Hrywnja (1,3 Mrd. US-Dollar) erhielt. Seinerzeit wurde angenommen, dass es dem damaligen Präsidenten Janukowytsch oder den wichtigsten Oligarchen nahestand.

2018, sieben Jahre nach der Privatisierung von Ukrtelecom, warf ein Prozess in London Licht auf den eigentlichen Käufer. Es scheint der ehemalige Leiter des Sicherheitsdienstes, Walerij Choroschkowskyj, gewesen zu sein, der mit finanzieller Unterstützung durch Dmytro Firtasch vorging. 2013 wechselte die Kontrolle über Ukrtelecom zu Rinat Achmetow, der ESU für 860 Millionen US-Dollar kaufte.

The Ugly: Der Fall der Odessa Portside Plant (OPP)

Der Verkauf des Stickstoffdüngemittelwerks Odessa Portside Plant (OPP) nach dem Euromaidan hätte eine Erfolgsstory für die neue prowestliche Regierung werden können. Die beiden letzten Privatisierungsversuche 2016 waren allerdings erfolglos.

Ursprünglich war niemand bereit, das Startgebot von 521 Millionen US-Dollar zu zahlen, und zwar wegen eines Streits um 250 Millionen US-Dollar Schulden, die OPP gegenüber Dmytro Firtaschs Ostchem hatte. Später waren potenzielle Investoren nicht einmal an einem Kauf zum reduzierten Preis von 202 Millionen US-Dollar interessiert. Nachdem das Stockholmer Schiedsgericht 2019 die Schulden bestätigte, verschlechterten sich die Aussichten auf einen Verkauf nur noch weiter.

2009, noch bevor die toxischen Schulden bekannt waren, war Ihor Kolomojskyj bereit, 600 Millionen US-Dollar für das Unternehmen zu zahlen. Die Fabrik ist eines von vielen typischen Beispielen dafür, wie der Staat, weil er sich entweder hinter dem strategischen Wert des Objekts versteckt oder einen Preisrückgang befürchtet, so lange eine Privatisierung scheut, bis das Unternehmen durch verlustreiche Schulden an Wert verliert.

Nun könnte OPP allerdings eine Erfolgsgeschichte der Regierung von Präsident Selenskyj werden, allerdings nicht vor Sommer 2020, weil der Privatisierungsprozess etwa ein halbes Jahr in Anspruch nehmen wird.

Große Erwartungen nach dem Euromaidan

Änderungen in der Regierungspolitik

Nach der Revolution der Würde 2014 versprach die neue Regierung einen erfolgreichen Privatisierungsprozess für einen beträchtlichen Teil (mehr als 800) der verbliebenen 3.700 Unternehmen in Staatsbesitz.

Im Februar 2016 wurde das "Gesetz zur Verbesserung des Privatisierungsprozesses" unterzeichnet. Es sah die Einführung der Institution eines "Privatisierungsberaters" vor und ermöglichte es der Regierung, die Privatisierung strategisch wichtiger Unternehmen in die Wege zu leiten.

2018 wurde das Gesetz "Über die Privatisierung staatlichen und kommunalen Eigentums" verabschiedet. Es ändere das Verfahren bei der Privatisierung von großen Betrieben. Einer der wichtigsten Punkte besteht in dem Recht, bis zum 1. Januar 2021 alle Privatisierungsabkommen nach britischem Recht abschließen zu können. Es gewährleistet zudem eine größere Transparenz des Privatisierungsverfahrens und schützt die Investitionen besser.

Aufgrund des militärischen Konflikts beschränkt das neue Gesetz in erheblichem Maße die Beteiligung von Bietern aus Russland. Unternehmen mit zehn oder mehr Prozent der Aktien in russischem Besitz werden nicht zu Auktionen zugelassen. Auch die Teilnahme von Unternehmen, die sich zu 50 Prozent im Besitz von Offshore-Firmen befinden, ist begrenzt.

Das Gesetz formuliert darüber hinaus Kriterien, die festlegen, welche Unternehmen nicht privatisiert werden dürfen (Eigentum staatlicher Behörden und der lokalen Selbstverwaltung, militärische Objekte, Unternehmen der Atom- oder Raumfahrtindustrie, Denkmäler, U-Bahnen und viele andere mehr).

Im Anschluss an diesen Schritt wurde 2019 vom neugewählten Parlament ein weiteres Gesetz verabschiedet, das die alte Liste von Objekten aufhob, die von einer Privatisierung ausgeschlossen sind. Damit begann zugleich die Versteigerung kleinerer Objekte (mit einem Startpreis von weniger als 250 Mio. Hrywnja, ca. 10,6 Mio. US-Dollar) auf der elektronischen Versteigerungsplattform "Prozorro.Sale".

Wie ProZorro die Reform vorantrieb

Bis Ende 2019 wurden über Prozorro.Sale 3.950 kleinere Objekte zur Privatisierung registriert. Allerdings sind bisher weniger als die Hälfte der Auktionen terminiert worden. 1.500 Objekte wurden bereits verauktioniert, die meisten davon erfolgreich beim ersten Versuch.

Falls ein Objekt nicht beim zweiten Versuch verkauft wird, greift die "Holländische Auktion" – eines der wirksamsten Instrumente der Plattform. Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal dieser Rückwärtsauktion besteht darin, dass während der Auktion der Preis so lange automatisch reduziert wird, bis einer der Bieter kaufbereit ist und die Auktion per Angebot stoppt. Gibt es mehr als einen Bieter, haben die anderen Interessenten anschließend die Möglichkeit, den Preis zu erhöhen; in dieser Phase verläuft die Auktion wieder nach den üblichen Regeln.

Neues Gesetz plus neue Regierung minus Korruption – warum die Privatisierung dieses Mal ein Erfolg werden könnte

Der ukrainische Ministerpräsident Hontscharuk ist mit 35 Jahren der drittjüngste Regierungschef der Welt, und die regierende Fraktion von Diener des Volkes (Durchschnittsalter: 37,6 Jahre) ist die jüngste im ukrainischen Parlament. Deren Mitglieder sind in einer Marktwirtschaft aufgewachsen und haben (allem Anschein nach) kein Interesse an staatlichen Unternehmen – folglich drängen sie auf einen neuen Privatisierungsprozess.

In den letzten vier Monaten des Jahres 2019 legte das Wirtschaftsministerium fünf große Unternehmen fest, die 2020 privatisiert werden sollen, und überführte 530 Objekte in den Fonds für Staatseigentum, der deren Privatisierung vorbereiten soll. Insgesamt beabsichtigt der Staat einem kürzlich von der Rada verabschiedeten Gesetzesentwurf zufolge nur 219 von 3.663 staatlichen Unternehmen zu behalten. Dazu gehören:

  • 9 Unternehmen, bei denen der Staat Hauptaktionär bleiben soll (u. a. Naftohas und die Ukrainische Eisenbahn);

  • 101 Unternehmen, bei denen der Staat 100-prozentiger Eigentümer bleiben soll (die meisten sind Unternehmen aus dem Verteidigungsbereich sowie natürliche Monopole);

  • 109 Kultur- und Sportobjekte.

Die Staatsunternehmen, für die eine Privatisierung ansteht, lassen sich wiederum in folgende Gruppen unterteilen:

Präsidentenbüro. Von den 47 Objekten, die nachgeordneten Stellen des Präsidentenbüros unterstehen, sind fünf bereits für eine Privatisierung in den Fonds für Staatseigentum überführt worden. Neun weitere sollen folgen. Darunter sind eine Spirituosenfabrik und zwei Hotels auf der Kiewer Hauptstraße Chreschtschatyk.

Fonds für Staatseigentum. Einer der ersten Beschlüsse der neuen Leitung bestand darin, die Funktionen des Fonds von reiner Vermögensverwaltung in Richtung effektiver Privatisierung zu verschieben. Im Februar 2020 trat das neue Gesetz über die Verpachtung von staatlichem und kommunalem Eigentum in Kraft, was bedeutet, dass all dieses Eigentum über die Plattform Prozorro.Sale verpachtet wird.

Banken in Staatsbesitz. Zwei Banken in staatlichem Besitz (die Ukrgazbank und die PrivatBank) sollen gemäß einem Strategiepapier der Regierung bis 2020 bzw. 2022 privatisiert werden. Die Regierung beabsichtigt zudem, 45 Prozent der Oschtschadbank zu verkaufen. Banken im Staatsbesitz – sowohl für eine Privatisierung bestimmte, wie auch solche, die in staatlichem Besitz verbleiben – haben effektive Führungsstrukturen eingeführt. Die Reform der Unternehmensführung ist ein wichtiger Meilenstein, um staatliche Banken auf eine Privatisierung und auf Kapitalspritzen vorzubereiten.

Ukrspyrt. Im Juli 2020 wird das Gesetz zur de-Monopolisierung der Spirituosenherstellung in Kraft treten. Dadurch werden private Akteure in der Lage sein, eigene Brennereien zu betreiben; wodurch es keine Notwendigkeit mehr geben wird, sich auf den staatlichen Monopolisten Ukrspyrt zu stützen. Gleichzeitig wird die Privatisierung von 35 der 41 Brennereien von Ukrspyrt vorangetrieben.

Potenzielle Börsengänge. Am 29. Oktober 2019 unterzeichneten die Ukrainische Eisenbahn (Ukrsalisnyzja), das Infrastrukturministerium und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) ein Abkommen zur Vorbereitung eines Börsengangs. Das scheint zwar nicht schnell über die Bühne zu gehen (die Vorlaufphase dürfte mindestens drei Jahre dauern), doch könnte schon dieser Prozess die Transparenz des Unternehmens und die Kosten zukünftiger Anleihen erhöhen. Der Umfang der durch den Börsengang zu erwartenden Investitionen wird auf drei Milliarden US-Dollar geschätzt.

Andrij Kobolew, Vorstandschef des staatlichen ukrainischen Öl- und Gaskonzerns Naftohas, gab am 17. Februar auf Facebook bekannt, mit mehreren Investmentbanken und potenziellen Investoren über die Aussichten eines Naftohas-Börsengangs gesprochen zu haben, die darauf angesprochen sehr positiv reagierten. Bereits 2017 verkündete Kobolew, dass ein potenzieller Verkauf von 15 Prozent des Unternehmens dem Konzern etwa 10 Mrd. US-Dollar einbringen würden.

Fazit

Seit der Unabhängigkeit ringt die Ukraine mit der Privatisierung und der Umwandlung in eine effektive Marktwirtschaft. Da der Privatisierungsprozess von Anfang an schlecht durchdacht war, entstand eine Klasse von Oligarchen anstelle von starken lokalen Unternehmern und ausländischen Investoren. Die Ukraine hat bisher nur einige wenige große Privatisierungserfolge vorzuweisen. Dazu gehören die Privatisierung von Kryworischstal im Jahr 2005 und die transparente Privatisierung kleinerer Objekte in den vergangenen Jahren. Die strategische Herangehensweise und die jüngsten Entscheidungen der neuen ukrainischen Regierung versprechen jedoch weitere Erfolgsgeschichten – entweder als umfassende Privatisierung in konkurrenzfähigen Sektoren oder als Börsengang für die Staatsmonopole.

Die Chancen, dass die Ukraine mit der Privatisierung Erfolg haben wird, sind somit größer als je zuvor. Eine erfolgreiche Privatisierung würde leistungsfähigere Eigentümer und ausländische Direktinvestitionen in das Land holen, die Korruption senken und gerechte Wettbewerbsbedingungen wiederherstellen.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Lesetipps

Fussnoten

Dmytro Yablonovskyy ist stellvertretender Direktor des Zentrums für Wirtschaftsstrategie (Centre for Economic Strategy, CES) in Kiew. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen staatliche Monopole, Wettbewerb und Liberalisierung.

Bohdan Prokhorov ist Ökonom am Zentrum für Wirtschaftsstrategie, wo er zu Public Policy und Wettbewerb forscht.