Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Analyse: Der Vendée-Krieg der Ukraine? Ein Blick auf die Widerstandsidentität des Aufstands im Donbass | Ukraine-Analysen | bpb.de

Ukraine Verhältnis zur belarusischen Opposition (28.11.2024) Analyse: Kyjiws strategische Distanz zur belarusischen Opposition dekoder: "Die Belarussen müssen verstehen, dass unsere Zukunft von uns selbst abhängt" Umfragen: Meinung in der Ukraine zu Belarus’ Kriegsbeteiligung Umfragen: Unterstützung in Belarus von Russlands Krieg gegen die Ukraine Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Energieversorgung / Grüne Transformation (09.10.2024) Analyse: (Wie) Lässt sich die Energiekrise in der Ukraine abwenden? Analyse: Eine stärkere Integration des Stromnetzes in die EU kann der Ukraine helfen, die nächsten Winter zu überstehen Statistik: Stromimporte aus EU-Staaten Analyse: Resilienz wieder aufbauen: Die Rolle des ukrainischen Klimabüros bei der grünen Transformation Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik EU-Beitrittsprozess (29.07.2024) Analyse: Die Ukraine und die EU: Erweiterungspolitik ohne Alternative? Analyse: Wie schnell bewegt sich die Ukraine auf die EU zu, in welchen Bereichen gibt es große Fortschritte und in welchen nicht? Statistik: Stand der Ukraine im EU-Beitrittsprozess Umfragen: Öffentliche Meinung in der Ukraine und in ausgewählten EU-Ländern zum EU-Beitritt der Ukraine Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Beziehungen zu Polen / Beziehungen zur Slowakei (26.06.2024) Analyse: Die Entwicklung der ukrainisch-polnischen Beziehungen seit Beginn der russischen Vollinvasion Analyse: Pragmatisch, indifferent, gut? Über den Zustand der ukrainisch-slowakischen Beziehungen Statistik: Handel der Ukraine mit ihren Nachbarländern Statistik: Ukrainische Geflüchtete in den Nachbarstaaten der Ukraine Umfragen: Die Einstellung der ukrainischen Bevölkerung zu den Nachbarländern der Ukraine Umfragen: Die Einstellung der polnischen Bevölkerung zu Geflüchteten aus der Ukraine Chronik: 21. bis 31. Mai 2024 Exekutiv-legislative Beziehungen und die Zentralisierung der Macht im Krieg (30.05.2024) Analyse: Das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive in Zeiten des Krieges: Die Ukraine seit Beginn der russischen Vollinvasion Analyse: Wie schnell werden Gesetzentwürfe von der Werchowna Rada verabschiedet? Wie kann der Prozess effizienter gestaltet werden? Chronik: 1. bis 30. April 2024 Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter / Ukrainische Community in Deutschland / Deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften (29.04.2024) Analyse: Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Statistik: Integration in den Arbeitsmarkt Analyse: Die ukrainische Community in Deutschland Analyse: (Un)genutzte Potenziale in den deutsch-ukrainischen Kommunal- und Regionalpartnerschaften Dokumentation: Übersicht deutsch-ukrainischer Partnerschaften Chronik: 11. bis 31. März 2024 10 Jahre Krim-Annexion / Donbas nach der Annexion 2022 (21.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Dokumentation: Reporters Without Borders: Ten years of Russian occupation in Crimea: a decade of repression of local independent journalism Dokumentation: Europarat: Crimean Tatars’ struggle for human rights Statistik: Repressive Gerichtsverfahren auf der Krim und in Sewastopol Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Öffentliche Meinung zur Krim und zum Donbas Chronik: 22. Februar bis 10. März 2024 Wirtschaft / Rohstoffe / Kriegsschäden und Wiederaufbau Analyse: Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in einer schwierigen Gesamtlage Analyse: Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Chronik: 11. Januar bis 21. Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? Statistik: Internationale Hilfen für die Ukraine Analyse: Selenskyjs Appelle an russische Staatsbürger:innen im ersten Jahr des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine Dokumentation: Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das russische Volk am Vorabend der großangelegten Invasion Chronik: 28. Oktober bis 20. November 2023 Der Globale Süden und der Krieg (24.11.2023) Analyse: Der Blick aus dem Süden: Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Krieg gegen die Ukraine und Afrika: Warum die Afrikanische Union zwar ambitioniert, aber gespalten ist Analyse: Eine Kritik der zivilisatorischen Kriegsdiplomatie der Ukraine im Globalen Süden Umfragen: Umfragedaten: Der Globale Süden und Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Chronik: 16. bis 27. Oktober 2023 Zwischen Resilienz und Trauma: Mentale Gesundheit (02.11.2023) Analyse: Mentale Gesundheit in Zeiten des Krieges Karte: Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur der Ukraine Analyse: Den Herausforderungen für die psychische Gesundheit ukrainischer Veteran:innen begegnen Umfragen: Umfragen zur mentalen Gesundheit Statistik: Mentale Gesundheit: Die Ukraine im internationalen Vergleich Chronik: 1. bis 15. Oktober 2023 Ukraine-Krieg in deutschen Medien (05.10.2023) Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? Analyse: Die hohen Kosten des Krieges: Wie Russlands Krieg gegen die Ukraine die Armut verschärft Chronik: 22. Februar bis 7. März 2023 Besatzungsregime / Wiedereingliederung des Donbas (27.03.2023) Analyse: Etablierungsformen russischer Herrschaft in den besetzten Gebieten der Ukraine: Wege und Gesichter der Okkupation Karte: Besetzte Gebiete Dokumentation: Human Rights Watch: Torture, Disappearances in Occupied South. Apparent War Crimes by Russian Forces in Kherson, Zaporizhzhia Regions (Ausschnitt) Dokumentation: War and Annexation. The "People’s Republics" of eastern Ukraine in 2022. Annual Report (Ausschnitt) Dokumentation: Terror, disappearances and mass deportation Dokumentation: Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland Analyse: Die Wiedereingliederung des Donbas nach dem Krieg: eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung Chronik 11. bis 21. Februar 2023 Internationaler Frauentag, Feminismus und Krieg (13.03.2023) Analyse: 8. März, Feminismus und Krieg in der Ukraine: Neue Herausforderungen, neue Möglichkeiten Umfragen: Umfragen zum Internationalen Frauentag Interview: "Der Wiederaufbau braucht einen geschlechtersensiblen Ansatz" Statistik: Kennzahlen und Indizes geschlechterspezifischer Ungleichheit Korruptionsbekämpfung (08.03.2023) Analyse: Der innere Kampf: Korruption und Korruptionsbekämpfung als Hürde und Gradmesser für den EU-Beitritt der Ukraine Dokumentation: Statistiken und Umfragen zu Korruption Analyse: Reformen, Korruption und gesellschaftliches Engagement Chronik: 1. bis 10. Februar 2023 Kriegsentwicklung / Jahrestag der Invasion (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg hat die Profile der EU und der USA in der Ukraine gefestigt Kommentar: Wie der Krieg die ukrainische Gesellschaft stabilisiert hat Kommentar: Die existenzielle Frage "Sein oder Nichtsein?" hat die Ukraine klar beantwortet Kommentar: Wie und warum die Ukraine neu aufgebaut werden sollte Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Chronik: 17. bis 31. Januar 2023 Meinungsumfragen im Krieg (15.02.2023) Kommentar: Stimmen die Ergebnisse von Umfragen, die während des Krieges durchgeführt werden? Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Analyse: Der Vendée-Krieg der Ukraine? Ein Blick auf die Widerstandsidentität des Aufstands im Donbass

Bruno De Cordier

/ 14 Minuten zu lesen

Wer die Gründe für die Proteste im Donbass einzig auf von Russland initiierte Separatismusbestrebungen reduziert, macht es sich zu leicht. Diese Analyse widmet sich weiteren gesellschaftlichen und historischen Faktoren der Aufstände.

Welche Faktoren beeinflussten die Proteste in Donezk und Lugansk? Die Begründungen des Autors dieser Analyse gehen über den Einfluss Russlands hinaus. (© picture-alliance/AP)

Der Reaktionär sympathisiert mit dem Revolutionär von heute, denn er verkörpert die Rache am Revolutionär von gestern. Nicolás Gómez Dávila (1913–1994)

Dieser Artikel vertritt die Ansicht, dass die treibenden Kräfte hinter dem Aufstand in Donezk und Lugansk bei weitem nicht nur den Klischees vom durch Moskau unterstützten Separatismus entsprechen und auf zynischen geostrategischen Kalkulationen und Ressourcen gründen. Vielmehr spielen auch psychologische Faktoren eine Rolle, nicht zuletzt das Gefühl, dass eine Gesellschaft und ein Lebensstil bedroht sind. Dementsprechend werden sechs zentrale Bestandteile der ideologischen Orientierung und der Widerstandsidentität der Aufständischen in der Südostukraine vorgestellt: die Donbass-Identität, das Erbe der UdSSR, der Große Vaterländische Krieg (d. h. der Zweite Weltkrieg) und der Antifaschismus, die christliche Orthodoxie, die Freiheitsidentität der neurussischen Steppe und der anti-koloniale Widerstand.

Überleben und kollidierende soziale Ordnungen

In mancher Hinsicht erinnert der Aufstand im Donbass, der sich nun im dritten Jahr befindet, an den Vendée-Krieg, der von Frühjahr 1793 bis Anfang 1796 im post-revolutionären Frankreich stattgefunden hat. Ein pauschaler Vergleich dieser beiden Episoden macht angesichts der Unterschiedlichkeit ihrer historischen Umstände, Ursprünge und lokalen Gegebenheiten natürlich überhaupt keinen Sinn. Der häufig missverstandene Charakter des Vendée-Kriegs und die massive Vertreibung sowie die humanitären Folgen, mit denen der Aufstand und seine Bekämpfung einhergingen, sind aber höchst lehrreich. So ging diese konterrevolutionäre Bewegung etwa weit über die Haltung ignoranter katholischer Bauern hinaus, die durch Klerus und Adel – in Reaktion auf den Verlust von Besitz, Status und Privilegien – zum Aufstand gegen Vertreter und Unterstützer des republikanischen Regimes in Paris manipuliert oder gezwungen worden waren.

Tatsächlich wurde die post-revolutionäre jakobinische Ordnung von weiten Teilen der einfachen Landbevölkerung genauso wie von Teilen der Provinzeliten als existentielle Bedrohung ihrer traditionellen Identitäten und Lebensweisen und ihrer unabhängigen regionalen Bräuche wahrgenommen, gleichzeitig spielte eine gewisse Loyalität gegenüber der abgesetzten Monarchie eine Rolle. Die post-revolutionären Reformen und die Umverteilungsmaßnahmen kamen hauptsächlich einer bourgeoisen städtischen Minderheit und nicht der Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung zugute. Das Fass zum Überlaufen brachte dann die Einführung der Wehrpflicht. Auch wenn die Guerilla von Adligen und Gildenmeistern angeführt wurde, war sie im Kern eine Volksbewegung. Im Vendée-Krieg stießen eher gegensätzliche gesellschaftliche und kulturelle Bestrebungen und verschiedene Auffassungen von Freiheit aufeinander, als dass eine progressive republikanische Regierung einem reaktionären Rückschlag gegenübergestanden hätte. Hauptsächlich lehrt dieser Krieg, dass emanzipatorische Ideale, werden sie umgesetzt – ganz gleich, ob schleichend oder mit harter Hand –, oft von genau den Teilen der Bevölkerung als destruktiv erlebt werden, die sie "emanzipieren" oder "aufklären" sollen.

Eben dieser Aspekt ist zur Beurteilung der Vorgänge in Donezk und Lugansk relevant. Wäre der Aufstand im Donbass wirklich lediglich eine Aktion von Moskau unterstützter Söldner, die die Bevölkerung zugunsten zynischer Interessen des organisierten Verbrechens, regionaler Oligarchen und des ehemaligen ukrainischen Präsidenten terrorisieren, oder würde er ohne jegliche lokale Unterstützung, ideologisches Narrativ und wirklichen Glauben an ein gesellschaftliches Projekt betrieben, dann wäre er sehr wahrscheinlich schon vor einiger Zeit zusammengebrochen oder gekauft worden. Es spielt keine Rolle, dass die von der ukrainischen Regierung und ihren Verbündeten nicht kontrollierten Teile von Donezk und Lugansk angeblich von Informationen aus der Außenwelt abgeschottet sind – eine hermetische Abschottung ist heutzutage nicht mehr möglich. Der Krieg, seine humanitären Konsequenzen und psychologischen Auswirkungen, haben einen Punkt erreicht, an dem sich Identitätsfragen und soziologische Unterschiede, die schon viel länger in der Ukraine existieren, so zugespitzt haben, dass eine psychologische Wiedereingliederung der betroffenen Regionen nicht mehr möglich scheint.

Sollte es also tatsächlich eine Identität und ein gesellschaftliches Konzept geben, welche von den Aufständischen gegen externe Aggression und existentielle Bedrohungen verteidigt werden, woraus bestehen diese dann und welche Eigenschaften haben sie? Natürlich unterscheiden sich die Kämpfer und die formelle und informelle Führung der Republiken von Donezk und Lugansk stark in ihren persönlichen Motivationen und dem Ausmaß an ideologischem Bewusstsein. Analysiert man aber den Kern von Diskurs, Symbolen, Ikonographie und auch Propagandamaterial der Aufständischen, so wird meiner Meinung nach ein ideologisches Narrativ sichtbar, das sich um sechs Komponenten gruppiert: die Donbass-Identität, das Erbe der UdSSR, der Große Vaterländische Krieg (d. h. der Zweite Weltkrieg) und der Antifaschismus, die christliche Orthodoxie, die Freiheitsidentität der neurussischen Steppe und der anti-koloniale Widerstand.

Die Donbass-Identität

Zum ersten haben sich die lokalen Proteste gegen (nicht umgesetzte) Pläne der neuen ukrainischen Führung, das Sprachengesetz abzuschaffen und die Anerkennung der russischen sowie anderer Minderheitensprachen zurückzunehmen, zu einem Kampf entwickelt, der von etwas mobilisiert wurde, das man den Spirit des Donbass nennen kann, also jener Gegend, die grob gesprochen zwischen Lugansk und dem Asowschen Meer liegt.

Dieser Spirit verweist auf einen für diese alte Industrieregion typischen Menschenschlag. Ein häufig erwähnter Aspekt ist die Tradition von Unruhen, die in dem historischen Umstand wurzeln, dass die Region – ursprünglich eine von nomadischen Turkvölkern wie den Kuman und den Kipçak bewohnte Steppe – schon früh Zufluchtsort für slawische Dissidenten war. Die Gegend um Lugansk zog beispielsweise protoukrainische Bevölkerungsgruppen an, die während Bogdan Chmelnizkis Kosakenaufstand zwischen 1648 und 1654 vor der polnischen Herrschaft geflohen waren. Nach 1685 siedelten sich große Gruppen verfolgter abtrünniger altorthodoxer Gläubiger in der damaligen Peripherie des russischen Großraums an, getrieben vom eschatologischen Glauben an ein baldiges Weltende. Teile der heutigen Südostukraine gehörten auch lange zu den freien Gebieten der Don-Kosaken. Die derzeitige soziologische Identität der Region geht aber auf die schrittweise Industrialisierung zurück, die nach der ersten Entdeckung der Kohlevorkommen 1720 begann und mit Kohle, Stahl und Eisenbahn sowie mit dem Einsetzen internationaler Investitionen zwischen 1860 und 1890 in Schwung kam.

Als industrielles Herz des zaristischen Russlands und später der UdSSR wurde der Donbass ein Epizentrum verschiedenster Arbeiter- und sozialer Bewegungen. Aus ihnen heraus wurde etwa 1918 die Sowjetrepublik Donezk-Kriwoi Rog gegründet, die nur kurz existierte und deren Fahne die heutige Republik Donezk verwendet. Zum Ende der Sowjetunion 1989/90 führten diese Bewegungen zu den Bergarbeiterstreiks im Donbass. Noch wichtiger ist für die Verfechter der Donbass-Identität jedoch das Bild vom Donbass als Heimat rauer, aber ehrlicher und zuverlässiger Arbeiter, denen harte Arbeit eher liegt als reden und heiße Luft und deren Lebensstil, Einstellungen und Werte dementsprechend denjenigen der arroganten Kosmopoliten und wetterwendigen "New Economy"-Geschäftsleute aus Kiew komplett zuwiderlaufen, genauso wie denen der galizischen (d. h. westukrainischen) Mitteleuropäer, deren Identität auf ihrer langen Zugehörigkeit zum Habsburger Reich und zum polnischen Einflussbereich gründet.

Antipathie und soziales Vorurteil beruhen übrigens auf Gegenseitigkeit, die Bevölkerung des Donbass wird in europhilen Salons und Hipster-Cafés als hinterwäldlerischer und prolliger Menschenschlag beschrieben, der es nicht schafft, mit der Globalisierung zurechtzukommen.

Auf der Seite des Donbass ist hingegen die Vorstellung dominant, dass vor allem der Donbass für das wirtschaftliche Wohlergehen des Landes verantwortlich ist – hier befand sich bis zum Krieg ein Großteil der ukrainischen Industrie und des ukrainischen Bergbaus und hier wurde zwischen 1997 und 2007 ein beträchtlicher Beitrag zur wirtschaftlichen Erholung des Landes geleistet.

Der derzeitige Konflikt wird nicht als ethnischer Krieg zwischen Ukrainern und Russen verstanden, obwohl der Donbass zwischen 1926 und 1959 durch die Ansiedlung nichtukrainischer Gruppen aus anderen Teilen der UdSSR, die in der Industrie arbeiten sollten, demographisch betrachtet russifiziert oder zumindest diversifiziert wurde. Tatsächlich haben viele aufständische Kämpfer und deren Unterstützer selbst (zum Teil) ukrainische Wurzeln. Es ist eher ein Kampf für einen inklusiven Donbass, der sich definiert über Multiethnizität, regionale Verbrüderung, bestimmte Formen der sozialen Organisation und die verbindende Kraft der russischen Sprache – die für etwa zwei Drittel der Bevölkerung der beiden Provinzen laut offiziellen Volkszählungen Muttersprache oder zumindest Alltagssprache ist.

Sowjetische Restauration

Der zweite zentrale Bestandteil der Donbass-Widerstandsidentität sind Erinnerungen an die sozialen Errungenschaften und die soziale Gerechtigkeit in der Sowjetunion. Dabei haben wir es weder mit einem Bekenntnis zur marxistischen Ideologie noch zur politischen Führung der lokalen kommunistischen Parteien unter den Aufständischen zu tun. Wichtig ist hier vielmehr die Idee eines großen und starken Vaterlands, in dem der Donbass als Herzstück und historisches proletarisches Zentrum eine besondere Position einnahm, die ihm zu Selbstvertrauen und einer Reihe von Privilegien verhalf. Die Zugehörigkeit zu einem organischen russisch dominierten Großraum gilt als Bedingung für das Überleben des Donbass sowohl als Wirtschaftsraum als auch als soziale Identität. Die Donbass-Widerstandsidentität erkennt zwar Privatbesitz und Marktwirtschaft an, ihr Mobilisierungsdiskurs betont jedoch auch die Notwendigkeit, die sozialökonomische Rolle des Staates als Emanation des Volks und die staatliche Kontrolle über die wichtigsten Wirtschaftssektoren im Donbass wiederzubeleben, und stellt sich damit komplett in Opposition zu angelsächsischem Neoliberalismus und Marktfundamentalismus. Die Bevölkerung im Donbass kann durch eine Integration in die Europäische Union, bei der in Westeuropa seit den 1980er Jahren alte Industriegebiete und -gesellschaften durch Zechenschließungen und Deindustrialisierung demontiert und marginalisiert wurden, nicht gewinnen.

Die UdSSR wird außerdem mit sozialer Stabilität bei ziemlich gleichmäßiger Einkommensverteilung, niedriger Verbrechensrate, ziemlich gut entwickelten sozialen Dienstleistungen, einer Arbeitsplatzgarantie und starkem Humankapital assoziiert. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der ukrainischen Unabhängigkeit funktionierte ein beträchtlicher Teil der Donbass-Industrie mit neuen Besitzstrukturen und innerhalb der neuen Finanzoligarchien national und global wirtschaftlich weiter. Viele der sozialen Errungenschaften der UdSSR gingen allerdings verloren. Direkt nach dem Untergang der Sowjetunion war der Donbass auch von einem starken Bevölkerungsrückgang geprägt. Zwischen 1989 und 1998 verlor die Region mehr als 1,5 Millionen Einwohner durch Wirtschaftsmigration, einbrechende Geburtenraten und die gesamten Auswirkungen des sozialen Zerfalls, der als existentielle Bedrohung für Lebensnerv und Identität des Donbass wahrgenommen wurde. Die sozialen und psychologischen Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion sind ganz eindeutig ein polarisierendes Erlebnis größeren Ausmaßes, das die derzeitige Identität des Donbass geformt hat.

Anti-faschistischer Widerstand

Die Bedeutung der UdSSR oder zumindest einiger ihrer Aspekte und Episoden für den ideologischen Kontext des Donbass-Widerstands bringt uns zu dessen dritter Komponente, dem Großen Vaterländischen Krieg (1941–45) und seinem antifaschistischen Kampf. Die Aufständischen sehen sich als neue Generation von Männern, die die Pflicht zur Verteidigung des Donbass erfüllen und damit zum einen den Revolutionären der Sowjetrepublik Donezk-Kriwoi Rog nachfolgen, die die ukrainischen Nationalisten und 1918 die antibolschewistischen Don-Kosaken und ihre deutschen und polnischen Unterstützer bekämpft haben, und zum anderen natürlich auch den Partisanen, die sich von Oktober 1941 bis Februar 1943 der deutschen Besetzung des Donbass widersetzt haben. Als solche sind sie Teil einer noch stark in der alten Sowjetunion verankerten Erinnerungskultur an den Großen Vaterländischen Krieg. In der Sicht der Aufständischen haben ukrainischer Nationalismus und Ultranationalismus immer Auftrieb durch die Unterstützung ausländischer Invasoren und Besatzer bekommen.

Dies bezieht sich auch auf die Unterstützung des Deutschen Kaiserreichs für die Ukrainische Räterepublik und für Hetman Skoropadskis ukrainischen Staat von 1917/18. Besonders hervorgehoben wird die Rolle ausländischer Unterstützung in Bezug auf die galizisch-ukrainischen Nationalbewegungen und ihre Hilfseinheiten, die mit den nationalsozialistischen Besatzern der Ukraine und mit Stepan Banderas Unabhängigkeitserklärung der Ukraine im Sommer 1941 kollaborierten. Die "Banderiten", die derzeitigen ukrainischen Ultranationalisten, die in der Regierung und in den paramilitärischen Einheiten vertreten sind, die die Aufständischen im Donbass bekämpfen, gelten als direkte Nachfolger der Nazi-Kollaborateure. Aus der Perspektive der Aufständischen ist der einzige Unterschied, dass sie heute nicht mehr der deutschen Expansion dienen, sondern der Übernahme und Besetzung des Landes wie letztlich auch der russischen Welt durch die NATO und Amerika. Das erklärt die starke anti-amerikanische und Anti-NATO-Linie der Aufständischen im Donbass.

Orthodoxie als kulturelle Verteidigung

Der vierte Bestandteil der aufständischen Ideologie in der Südostukraine ist die russische Orthodoxie. Russisch-orthodoxe Symbole tauchten beim Aufstand schon früh auf und einige Kosakeneinheiten wie die Orthodoxe Armee beziehen sich explizit auf den religiösen Charakter des Kampfs. Unabhängig davon, wie sehr einzelne Aufständische und ihre Unterstützer die Religion aktuell im Alltag praktizieren, sind die russische Orthodoxie und die orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats zentrale Momente der russischen Identität und ein Bindeglied für den russischen Großraum, von dem der Donbass sich in der Perspektive der Aufständischen als ein unveräußerlicher Teil versteht. Zudem gilt die Orthodoxie als Wächterin über die traditionellen Werte und Normen der Familie sowie jener sozialen Organisation, auf denen die Gesellschaft aufgebaut sein müsste. Damit wird sie als Teil der eigenen Mission gesehen, die als kulturelle Verteidigung gegen den Liberalismus und eine verweichlichte, entchristianisierte und zum Vassallen degradierte Europäische Union beschrieben wird.

Da globalisierte Liberale ein persönliches Interesse daran hätten, die christlich-orthodoxe Zivilisation zu zerstören, werde diese von verschiedenen Seiten attackiert: von protestantischen und pfingstkirchlichen Missionaren und verschiedenen Sekten, die seit den 1990er Jahren in vielen Teilen der alten UdSSR aktiv waren, von einer ausländisch finanzierten "Zivilgesellschaft", von breit organisierten internationalen Gay- und Transgenderkampagnen, durch militärische Aggression gegen Serbien und die Serben im ehemaligen Jugoslawien und jetzt auch noch gegen den Donbass und die russische Orthodoxie im Rest der Ukraine. Die Aussage, dass eine Reihe führender Persönlichkeiten in der aktuellen ukrainischen Regierung und in der vom Ausland unterstützten Protestbewegung Protestanten und Scientologen seien, gilt als Beleg der destruktiven Rolle von nichttraditionellen Gläubigen. An der Front im Donbass stehe daher das Überleben einer Zivilisation und des wahren Christentums auf dem Spiel.

Freiheitsidentität der neurussischen Steppe

Eine fünfte Komponente der aufständischen Ideologie, die die geographischen Grenzen des eigentlichen Donbass überschreitet, sind die für "Neurussland" und die "wilde Steppe" typische Grenzidentität. Historisch betrachtet bezieht sie sich auf die dünn besiedelte Kipçak-Steppe und die Nordküste des Schwarzen und des Asowschen Meers, die seit dem Russisch-Ottomanischen Krieg von 1768 bis 1774 als militärisches Grenzgebiet zum russischen Großraum gehörten. Nach und nach wurden diese Gebiete dem militärischen Gouvernement Novorossiisk ("Neurussland") einverleibt, dessen Territorium sich schließlich bis zum Dnjestr und nach Bessarabien (also dem heutigen Moldawien an der Grenze zu Rumänien) erstreckte. Der aktuelle Bezug auf Neurussland ist in zweierlei Weise relevant.

Zum einen bezieht sich Neurussland (Noworossija auf Russisch) auf Gegenden in der südlichen und südöstlichen Ukraine vom Donbass bis nach Odessa und Transnistrien, in denen das russische Element sehr präsent ist und die sich aus Sicht der aufständischen Ideologie letztendlich zu einem Staatenbund zusammenschließen sollten, wenn der derzeitige ukrainische Staat zusammenbricht.

Zum anderen gilt die alte wilde Steppe als Teil der russischen Welt mit einer starken Tradition von freien Bürgern und Pionieren. Einige Bereiche dieser Region waren bereits von slawischen Gruppen wie Kosaken, (Proto-)Ukrainern und Altorthodoxen besiedelt, bevor das Land vom zaristischen Russland offiziell annektiert wurde. Im 18. Jahrhundert kam es aber zu einer systematischeren Kolonisierung durch die Ansiedlung von slawischer Bevölkerung, die das Grenzgebiet demographisch stärker im russischen Großraum verankern sollte. Anders als viele Bauern im russischen Kerngebiet waren die Siedler meist keine Leibeigenen, sondern freie Bauern. Die kosakische, demokratisch-freie Selbstverwaltung, die Bauernräte und die gemeinschaftlichen Landbesitzstrukturen, die sie schufen, waren ihrer Zeit weit voraus, gelten als historische Präzedenzfälle und werden von den Aufständischen als Grundpfeiler einer nicht-liberalen Demokratie präsentiert, die in der Region errichtet werden soll.

Bürgerkrieg oder Kolonialkrieg?

Außerdem gibt es unter den Aufständischen die Überzeugung, dass sie, ihre Ideologen und die ihnen zugeneigten Meinungsmacher keinen separatistischen, sondern einen Kolonialkrieg kämpfen. Hier manifestiert sich zum einen eine starke Ablehnung der Oligarchen – vor allem, aber nicht nur der regierungsnahen Oligarchen, die die ukrainische Regierung als offizielle Gouverneure in der Ostukraine eingesetzt hat –, die die Ukraine und den Donbass aus dieser Sicht an ausländische Interessen verkauft und die sozialen Errungenschaften der Sowjetzeit zerstört haben.

Die aktuelle Regierung der Ukraine stehe unter der Vormundschaft des IWF, so die Vertreter dieser Überzeugung, der das Potential des Landes verschleudern will, indem er es zu einem bloßen Reservoir für billige Arbeitskräfte und zu einer Kolonie agroindustrieller transnationaler Konzerne und der Schiefergasindustrie macht, die um die zufälligerweise im Ostteil des Landes existierenden Reserven buhlt. Das bedeutet natürlich Privatisierung und über kurz oder lang die Demontage des Bergbaus und anderer Industriesektoren im Donbass.

Außerdem werden der Krieg und die sogenannte Anti-Terror-Operation im Donbass als Vorläufer einer physischen und sozialen Zerstörung des Donbass gesehen, in deren Folge der Wiederaufbau nach und nach an ausländische und mit dem Regime verquickte Unternehmen sowie aus dem Ausland finanzierte zivilgesellschaftliche und internationale Organisationen mit ihrer ideologischen Agenda übergeben werden könne.

Resümee

Mit ihren sowjetischen, zaristischen und traditionalistisch-christlichen Anleihen ist die Donbass-Widerstandsidentität so eklektisch wie paradox. Sie ist aber jenseits der klassischen Links-Rechts-Dichotomie angesiedelt und verfügt offenbar über ein gewisses internationales Flair. Das zeigt eine Reihe westeuropäischer und lateinamerikanischer Linker, die von einer militanten Linken enttäuscht sind, die sich – wie es einmal anekdotisch gefasst wurde – mehr um Transgenderrechte und einen fröhlichen Multikulturalismus sorgt als um die Probleme der Arbeiterklassen. Genauso gibt es militante Rechte, die den wirtschaftlichen Neoliberalismus vieler nationalistischer westeuropäischer Parteien ablehnen. Aus beiden Gruppen hat sich eine Reihe von Freiwilligen dem Donbass-Aufstand angeschlossen.

Abseits aller Ideologie ist ein bedeutsamer psychologischer Faktor zur Erklärung der Verbissenheit des Donbass-Widerstands die Erwartung, dass die Reaktion der ukrainischen Zentralregierung, ihrer Armee und der ultranationalistischen Paramilitärs nach einem Fall von Donezk und Lugansk tatsächlich der republikanischen Repression in der Vendée vor dem Aufstand und nach seiner Niederschlagung ähnlich wäre. In dieser Region mit insgesamt etwa 800.000 Einwohnern wurden mindestens 170.000 Zivilisten und Kämpfer getötet, außerdem kam es zu Massenertränkungen "widerspenstiger Elemente" und zu etwa 7.000 Todesurteilen in Reaktion auf den Aufstand. Ein Element, das in diesem Zusammenhang in Diskurs und Ikonographie des Donbass-Aufstands auftaucht, sind die "42 Märtyrer vom 2. Mai". Gemeint sind damit die prorussischen Demonstranten, die beim Brand des Gewerkschaftsgebäudes in Odessa umkamen und die häufig herangezogen werden, um zu zeigen, was vermeintlich bevorstünde, würden die "Banderiten" den Donbass zurückerobern.

Insgesamt ähnelt die Widerstandsidentität des Donbass derjenigen, die sich im Laufe der Jahre in Transnistrien entwickelt hat, jener Region, die sich 1990 von Moldawien abgespalten hat. Der Transnistrische Krieg, der 1992 als Versuch einer Rückeroberung des Gebietes folgte, dauerte jedoch nur vier Monate und das Ausmaß der Zerstörung und die mit ihm einhergehende humanitäre Krise waren viel geringer als jetzt in der Südostukraine. Die Bedingungen für eine Konsolidierung einer Form von echter Staatlichkeit waren dort also günstiger. Im Donbass sind Separatismus und die internationale Anerkennung einer de-facto-Staatlichkeit an sich womöglich noch nicht einmal das Ziel. Sezession wird aber zumindest so lange als eine Notwendigkeit betrachtet, wie die Ukraine in der Sicht der Aufständischen von amerikanischen Vasallen, Liberalen und Banderiten regiert wird. Der de-facto-Staat soll außerdem als Versuchsfeld fungieren, auf dem das angestrebte gesellschaftliche und ideologische Modell in die Tat umgesetzt werden kann.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt

Lesetipps:

  • Hiroaki Kuromia: Freedom and terror in the Donbas — a Ukrainian-Russian borderland, 1870s–1990s, Cambridge University Press 1998.

  • Democratic Initiatives Foundation: Umfrage: Die ukrainische Bevölkerung zum Donbass-Konflikt, in: Interner Link: Ukraine-Analysen Nr. 150 (2015)

  • Für eine pro-aufständische Sichtweise, wie die gegenwärtige Politik der ukrainischen Regierung zu einer Kolonisierung des Landes führt, siehe Simon Uralow: Ziele der USA und Hauptaufgaben von Saakaschwili in Odessa, in: Réseau Voltaire, 15. Juni 2015,Externer Link: www.voltairenet.org/article187883.html

  • Proaufständische bzw. Ansichten der Aufständischen finden sich hier: Externer Link: novorossia.today/de/ und Externer Link: slavyangrad.de Anm. d. Red.: Die Redaktion der Ukraine-Analysen übernimmt grundsätzlich keine Verantwortung in irgendeiner Form für die Inhalte externer Internetseiten, deren Links angezeigt werden. Wir möchten an dieser Stelle explizit darauf hinweisen, dass der oben angegeben Link auf die Noworossija-Website auf einem Computer der Redaktion eine Virus-Warnung erzeugt hat.

  • Eine Untersuchung der Bedeutung der Industrialisierung für die starke Identifizierung des Donbass mit der UdSSR findet sich bei Andrej Baranow (Андрей Баранов): Политическая идентичность Новороссии: состояние и ресурсы конструирования, in: Каспийский регион: политика, экономика, культура, Nr. 2/2015 (43), S. 98–106.

  • Für eine eingehende Untersuchung der Gründe und Motivationen des Vendée-Kriegs siehe Jean-Clément Martin: La Vendée et sa guerre, les logiques de l’évènement, in: Annales, Economies, Sociétés et Civilisations, 40 (5), 1985, S. 1067–1085 und Tobias Birzer: ‘L’inexplicable Vendée’. Gegenrevolutionärer Aufstand und Bürgerkrieg in Westfrankreich 1793–1796, München: GRIN-Verlag 2003.

  • Für Einblicke in die Entstehung der transnistrischen "Widerstandsidentität" siehe Joris Wagemakers: National identity in Transnistria: a global-historical perspective on the formation and evolution of a ‘resistance identity’, in: Journal of Eurasian Affairs, 1(2), 2014, S. 50–55.

Fussnoten

Bruno De Cordier ist Professor an der Abteilung für Konflikt- und Entwicklungsstudien, Fakultät für Politik- und Sozialwissenschaften, Universität Gent.