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Analyse: Zum "Siegesplan" von Präsident Selenskyj: Probleme der Umsetzung in die Praxis | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Zum "Siegesplan" von Präsident Selenskyj: Probleme der Umsetzung in die Praxis Ukraine-Analysen Nr. 309

Martin Malek

/ 10 Minuten zu lesen

Der zentrale Punkt des ukrainischen Siegesplans ist ein NATO-Beitritt der Ukraine, was die Umsetzung des Plans vor große Schwierigkeiten stellt.

Am 16. Oktober 2024 stellte Präsident Wolodymyr Selenskyj dem ukrainischen Parlament seinen „Siegesplan“ vor. (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Ukraine Presidency)

Zusammenfassung

Im Oktober 2024 stellte Präsident Selenskyj den sogenannten Siegesplan vor, der die offiziellen Vorstellungen der ukrainischen Führung zur Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg sowie für die Zeit nach dessen Ende zusammenfasst. Der wohl zentrale Punkt ist die – wenngleich lange bekannte – Absicht der Ukraine, der NATO beizutreten. Dieser stehen allerdings zahlreiche Hindernisse entgegen.

Der "Siegesplan", den der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Oktober 2024 der Öffentlichkeit präsentierte (President of Ukraine, 2024), besteht aus fünf Punkten:

  1. Beitritt der Ukraine zur NATO.

  2. Verteidigung der Ukraine: Das meint eine Stärkung der Positionen des ukrainischen Militärs auf dem Territorium Russlands, um die Schaffung von Pufferzonen auf ukrainischem Gebiet zu vermeiden; eine Aufhebung der Beschränkungen für ukrainische Angriffe mit westlichen Waffen innerhalb Russlands; eine Stärkung der ukrainischen Luftverteidigung; einen Zugang zu nachrichtendienstlich relevanten Satellitendaten der Partnerländer der Ukraine in Echtzeit, eine Stärkung der Positionen der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte der Ukraine; und eine Zerstörung des russischen Offensivpotenzials auf dem besetzten Gebiet der Ukraine.

  3. Abschreckung Russlands: Ein umfassendes nicht-nukleares strategisches "Paket" zur Abschreckung der Aggression Russlands auf dem Territorium der Ukraine.

  4. Strategisches Wirtschaftspotenzial: Investitionen internationaler Partner in die Gewinnung strategisch wichtiger ukrainischer Bodenschätze wie Uran, Titan, Lithium, Graphit usw.

  5. Sicherheitspolitik: Bezieht sich bereits auf die Zeit nach dem Krieg. Im Fall entsprechender Vereinbarungen könnten ukrainische Einheiten einzelne in Europa stationierte US-Militärkontingente ersetzen.

Dazu kamen drei geheime Anhänge, aus denen aber in der Folge verschiedene Einzelheiten bekannt wurden, wie z. B. der Wunsch, von den USA Marschflugkörper des Typs "Tomahawk" (mit einer Reichweite von bis zu 2.500 Kilometern) geliefert zu bekommen, um Ziele tief im russischen Hinterland angreifen zu können (The Kyiv Independent, 2024). In der vorliegenden Analyse soll es vorrangig um den ersten Punkt gehen – dem Beitritt der Ukraine in die NATO.

Weshalb die Ukraine auf die NATO setzt

Die Ukraine sieht den raschen Beitritt zur NATO als effektivste Sicherheitsgarantie. Doch bereits hier beginnen die Probleme. Mit Stand Ende Oktober 2024 waren zumindest sieben Mitgliedsländer der NATO (USA, Deutschland, Ungarn, Slowakei, Belgien, Slowenien, Spanien) skeptisch gegenüber einer solchen Einladung oder lehnten sie überhaupt ab. Mitte Januar 2025 hob Selenskyj die USA, Deutschland, Ungarn und die Slowakei hervor (RBC-Ukraine, 2025). Bedeutend ist neben den USA natürlich vor allem auch die Position Deutschlands – und diese steht in der Tradition seiner langjährigen Russland-Politik. So trat die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am NATO-Gipfel im April 2008 in Bukarest unter Hinweis auf die sehr kritische Position Russlands vehement gegen einen Beitritt der Ukraine und Georgiens auf – und setzte sich durch. Davon fühlte sich Wladimir Putin (wenngleich damals gerade nicht Präsident, sondern Premierminister) natürlich ermutigt: Nur wenige Monate später, im August, fiel Russland in Georgien ein und zerschlug dessen territoriale Integrität "endgültig", indem es die bereits seit Beginn der 1990er Jahre separatistischen Provinzen Südossetien und Abchasien, die zusammen ca. 18 % der Fläche Georgiens einnehmen, militärisch besetzte und als "unabhängige Staaten" anerkannte (de facto waren sie schon lange zuvor von Moskau kontrolliert worden). Ein vom französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy in seiner damaligen Eigenschaft als Vorsitzender des Europäischen Rates vermittelter Sechs-Punkte-Plan sah u. a. einen Rückzug der Streitkräfte Georgiens und Russlands auf den Stand von vor diesem sogenannten "Fünftagekrieg" vor, doch dachte Moskau nicht daran, ihn umzusetzen – und zwar bis heute. Die EU kümmerte sich in der Folge nicht weiter darum, d. h. sie übte weder politischen Druck auf Russland aus noch verhängte sie wirtschaftliche Sanktionen. Moskau war also aus seiner Sicht "ungestraft davongekommen", was es als Ansporn für künftige Militärinterventionen interpretierte, wie ab Februar 2014 auf der ukrainischen Krim und im Donbas sowie ab Februar 2022 vollumfänglich in der gesamten Ukraine zu "besichtigen" war. In Kyjiw wiederum zog man aus diesen Vorgängen den Schluss, dass im Westen verschiedentlich diskutierte, mit Moskau auszuhandelnde Varianten wie "Minsk 3" oder "Budapest 2" keine Sicherheit vor Russland bieten, sondern letztlich nur ein Beitritt zur NATO mit ihrer Beistandsklausel. Das Ziel der NATO beizutreten war bereits 2019 in die Verfassung aufgenommen worden.

Deutschlands Ostpolitik als Hürde auf Kyjiws Weg in die NATO

Auch und gerade die Wirtschaftsgroßmacht Deutschland hätte es ab 2008 durchaus in der Hand gehabt, Russland zu "zügeln", arbeitete stattdessen aber sogar Putin zu – so u. a. dadurch, dass Berlin (und zwar trotz heftiger Kritik insbesondere von den EU-Mitgliedern Ostmitteleuropas) den Bau der Erdgaspipelines Nord Stream I und II, die nichts anderes waren als ein geopolitisches Projekt des Kremls, umsetzte. Nord Stream I wurde 2011 eröffnet und half Moskau, unter Umgehung der Ukraine und Polens Erdgas direkt nach Deutschland zu pumpen und dadurch viele Milliarden Euro zu verdienen, die in die Finanzierung von Militär und Rüstung, der Geheimdienste und überhaupt des ganzen Putin-Regimes flossen.

Merkels Nachfolger Olaf Scholz (SPD), der nach Kriegsbeginn im Februar 2022 die "Zeitenwende" ausgerufen hatte, sprach sich im Oktober 2024 gegen eine Einladung der Ukraine zum NATO-Beitritt aus. Zudem bemängelte er, dass die "Definition eines Sieges" der Ukraine weiterhin "unklar" sei (Zoria, 2024). Selenskyj zeigte sich all dessen bewusst. Es sei aber wichtig, dass die Ukraine noch während des Krieges eine Einladung erhalte, auch wenn sie wohl erst nach dessen Ende beitreten werde (Lau et al., 2024). Auch wiederholte Scholz seine lange bekannte Ablehnung der Lieferung von deutschen "Taurus"-Raketen an die Ukraine, weil er weiterhin eine "Eskalation" des Krieges befürchtete – wie wenn eine solche überhaupt vomVerteidiger und nicht ausschließlich vom Aggressor ausgehen könnte. Jedenfalls hilft Deutschland mit dieser seiner Position gewollt oder ungewollt Russland und dessen Krieg gegen die Ukraine. Scholz kann sie aber kaum noch ändern, weil er damit eingestehen würde, dass er die ganze Zeit vorher falsch lag. Zudem gedenkt er von dem Umstand abzulenken, dass Deutschland gar keinen vollständigen Sieg der Ukraine will – wie immer ein solcher zu bestimmen wäre (eine sehr naheliegende Definition wäre eine Vertreibung ausnahmslos aller russischer Soldaten von ukrainischem Territorium). Einer der wichtigsten Gründe dafür ist, dass große Teile der deutschen (und überhaupt westeuropäischen) politischen Eliten für einen solchen Fall "Instabilität" in Russland oder sogar dessen "Zerfall" befürchten (was sich freilich eindeutig nicht abzeichnet). Der britische "Daily Telegraph" meinte: "An invitation would not automatically allow Ukraine into NATO, but it would send a clear statement of intent to Vladimir Putin about the West’s resolve in defeating Russia” (Rothwell, 2024). Aber genau dieses Signal will der Westen ja nicht senden.

Eine weitere für die Ukraine höchst unerfreuliche Wahrheit ist: Fast alle westeuropäischen Politiker und Parteien machen sich sehr viel mehr Sorgen um ihre Ergebnisse bei Wahlen (die immer irgendwo bevorstehen) als um Existenz und Schicksal der Ukraine. Und für Wahlkämpfe ist "Friedensrhetorik" sehr oft nützlich – auch wenn sie letztlich wiederum ausgerechnet dem Militaristen Putin nützt. Am 23. Februar 2025 finden in Deutschland vorgezogene Bundestagswahlen statt – und mehrere Parteien führen einen "Friedenswahlkampf", was fast zwangsläufig zulasten der Ukraine geht. Es steht zu erwarten, dass diese Parteien die Ukraine "opfern" werden, wenn sie zu dem Schluss kommen sollten, dass das erforderlich ist, um an Popularität zuzulegen.

Westliche Parteien und Politiker gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine

Moskau hat längst ihm nahestehende Politiker und Parteien in Europa und Nordamerika gegen alle Bemühungen der Ukraine mobilisiert, sich an die NATO anzunähern. Es sind das natürlich nicht zufällig weitgehend die gleichen politischen Kräfte, die seit dem Beginn des russischen Großangriffs am 24. Februar 2022 ständig vor einer "Eskalation" warnen und damit militärische und sonstige Unterstützung an die Ukraine verhindern wollen. Gleichzeitig haben diese Kräfte wenig bis nichts am Völkermord, den Russland in der Ukraine verübt, und der Unterstützung Chinas, des Iran und Nordkoreas (das im Oktober 2024 Truppen nach Russland entsandte, um gegen die Ukraine zu kämpfen) für den russischen Krieg auszusetzen. Es wäre an der Zeit, in Politik, Medien, Sozialwissenschaften usw. offen anzusprechen, dass es das Ziel dieser Kräfte ist, zum militärischen Sieg Russlands über die Ukraine beizutragen, von dem sie sich politische, propagandistische und finanzielle Vorteile versprechen. In genau diesen Kreisen ist auch die Parole vom "Frieden mit Russland" sehr populär. Jene, die sie verbreiten, wollen damit suggerieren, dass dieser "Frieden" nicht etwa von Russland abhängt (das den Krieg natürlich jederzeit beenden könnte), sondern vom Westen; und jene Länder, die von Russland schon angegriffen wurden und möglicherweise noch werden, sollen sich nicht wehren. Diese "Fünfte Kolonne" Moskaus im Westen ist sehr aktiv – und zwar bevorzugt (aber eben nicht nur) in links- und rechtsradikalen Parteien sowie in Interessenvertretungen, Organisationen, Gruppen und Initiativen mit dem Ziel, die öffentliche Meinung in ihrem jeweiligen Land zugunsten Russlands (und damit zwangsläufig gegen die Ukraine) zu beeinflussen.

Die Ukraine, die NATO und Trump

Nicht einmal dann, wenn Russland – z. B. auf Druck bzw. unter Vermittlung des neuen und alten US-Präsidenten Donald Trump – seinen Krieg sofort beenden würde, wäre eine baldige Einladung der Ukraine zum NATO-Beitritt realistisch: Putins faktischer Verbündeter Viktor Orbán, Ministerpräsident Ungarns, würde einen solchen nicht gutheißen – er nannte Selenskyjs Siegesplan "mehr als schrecklich" (Körömi, 2024). Und auch bei der Slowakei (deren Premierminister Robert Fico warnte, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine "eine gute Basis für den Dritten Weltkrieg" wäre und er einem solchen "niemals zustimmen" würde; Lau u. a., 2024) und der Türkei sind massive Zweifel angebracht.

Es gab allerdings auch Unterstützung für den Siegesplan, doch diese stieß in den westlichen Medien nur auf sehr wenig Resonanz. So verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der Mitglieder der Joint Expeditionary Force (JEF), also Dänemark, Estland, Finnland, Island, Lettland, Litauen, der Niederlande, Norwegen, Schweden und Großbritannien, bei einem Treffen am 17. Dezember 2024 in der estnischen Hauptstadt Tallinn eine Erklärung, in der es u. a. hieß:

Zitat

We reiterate that Ukraine’s victory is vital to all our security and the preservation of rules based international order […]. We reaffirmed our unwavering and longstanding support for a sovereign Ukraine and its people for as long as it takes.

Und weiter:

Zitat

We supported the underlying principles of the Victory Plan proposed by President Volodymyr Zelenskyy and are working with Ukraine to contribute to its implementation. We reiterated that a comprehensive, just, and lasting peace requires full and unconditional withdrawal of all Russian forces and military assets from the entire territory of Ukraine within its internationally recognised borders.

Verschiedentlich wurde in Westeuropa ein NATO-Beitritt nicht der "ganzen" Ukraine in die Diskussion gebracht (womit sich die Beistandspflicht nach Artikel 5 des NATO-Vertrages nicht auf die russisch besetzen Territorien erstrecken würde). Doch würde das die Opposition der genannten Länder kaum (oder gar nicht) mindern und zudem zahlreiche Probleme der praktischen Umsetzung aufwerfen: Was würde etwa geschehen, wenn sich Russland um eine bestehende Frontlinie nicht kümmert und weiter vormarschiert?

Die Rückkehr Trumps in das Weiße Haus bedeutet eine signifikante Änderung der weltpolitischen Rahmenbedingungen, die auch und gerade die Ukraine betreffen. Er hat immer wieder angekündigt, die US-Unterstützung für das Land einzustellen oder zurückzufahren. Das wäre nur folgerichtig, verhehlten doch er und sein Vizepräsident JD Vance ihre "Bewunderung" für Putin kaum. Zudem polemisierten sie ständig gegen die Ukraine, machten sie selbst für den Krieg verantwortlich (Slattery, 2024) und behaupten auch sonst kuriose Dinge (wie dass sie den Krieg "innerhalb von 24 Stunden beenden" könnten). Aber auch wenn Trumps demokratische Gegenkandidatin Kamala Harris die Präsidentenwahl für sich entschieden hätte, wäre die Ukraine der NATO noch lange nicht beigetreten: Der Westen hat einfach zu viel Angst vor Russland – im offenkundigen Unterschied zur Ukraine, deren Mut vielen im Westen völlig unverständlich, ja geradezu unheimlich ist – und zwar insbesondere deswegen, weil man selbst schon lange (offiziell, "um weitere Opfer und Schäden zu vermeiden") vor Putins Soldateska kapituliert (oder erst gar nicht gekämpft) hätte.

Zukunftsperspektiven

Der "Siegesplan" Selenskyjs stellt eine Art Zusammenfassung der außenpolitischen Ziele der Ukraine zur Abwehr des russischen Vernichtungskrieges dar. Es ist allerdings nicht zu sehen, wie er unmittelbar dazu beitragen sollte, eben diesen Krieg zu beenden: Das ist nur auf dem Schlachtfeld möglich, auch wenn viele westliche Politiker, Journalisten, Geschäftsleute und Politikwissenschaftler (davon manche mit guten Kontakten nach Russland oder überhaupt in den Kreml) noch so vehement "Verhandlungen mit Putin" und die Übergabe von ukrainischen Territorien an Russland unter der (weitgehend sinnfreien) Parole "Land gegen Frieden" fordern. Das freilich ist schon von der Verfassung und mehreren Gesetzen der Ukraine ausgeschlossen, was Selenskyj in Rechnung stellen muss – auch wenn er zuletzt einräumte, dass die ukrainischen Streitkräfte derzeit nicht in der Lage sind, die russisch besetzten Gebiete des Landes zurückzuerobern. Die künftigen Chancen dafür würden sich allerdings verbessern, wenn westliche Länder – wie im Siegesplan verlangt – effektivere und weitreichendere Waffen liefern würden, anstatt sich (wie bisher) auf Hardware zu beschränken, die eine Niederlage der Ukraine immer gerade noch verhindert. Eine "Rückholung" der von Russland besetzten Gebiete mittels politischer und diplomatischer Mittel ist angesichts der maximalistischen Kriegsziele Putins in der Ukraine und der Methoden der Kriegführung seiner Armee derzeit und in der überschaubaren Zukunft ausgeschlossen – selbst wenn viele im Westen darauf hoffen mögen.

Das größte Hindernis für Selenskyjs "Siegesplan" ist, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine in der näheren Zukunft sehr unwahrscheinlich ist. Das weiß man natürlich auch in Russland, und dort wird alles getan, um größtmöglichen Nutzen aus diesem Umstand zu ziehen.

Der Kreml hat immer wieder deutlich gemacht, dass er überhaupt keine Konzessionen zu machen gedenkt. Zur Herstellung von Frieden in der Ukraine müsste daher Russland (also nicht nur seine Armee) mit militärischen und anderen Mitteln in einen Zustand versetzt werden, in dem es den Krieg nicht mehr fortsetzen kann – unabhängig davon, was Putin will. Die Alternative dazu ist eine Zerstörung der Ukraine als Staat und die Unterwerfung ihrer gesamten Bevölkerung. Was das bedeuten würde, lässt sich in den russisch besetzten Gebieten im Osten und Süden des Landes beobachten, wo die ukrainische Kultur zerstört und Menschenrechte systematisch verletzt werden durch Gewalt, Folter, Verschleppung und gar Ermordungen (United Nations Human Rights Monitoring Mission in Ukraine, 2024).

Weitere Inhalte

Dr. Martin Malek promovierte in Politikwissenschaften an der Universität Wien. Er arbeitet u. a. am Monitoring von ethnischen Konflikten in der früheren Sowjetunion, der Analyse von Sicherheits- und Militärpolitik der früheren Sowjetrepubliken, den Beziehungen zwischen früheren Sowjetrepubliken einerseits und EU bzw. NATO andererseits, failed-states-Theorien sowie Energiepolitik und Sprachpolitik in Eurasien.