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Kommentar: Regierungswechsel als Zeichen der Schwäche | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. 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Kommentar: Regierungswechsel als Zeichen der Schwäche Ukraine-Analysen Nr. 304

Mattia Nelles

/ 5 Minuten zu lesen

Der Regierungswechsel in Kyjiw zeigt: Die Personaldecke derjenigen, denen die Entscheidungsträger im Präsidialamt vertrauen, ist dünn.

Trotz scharfer Kritik an Energieminister Herman Haluschtschenko, dessen Stellvertreter in einen Korruptionsskandal verwickelt ist, behielt er seinen Posten. (© picture-alliance/dpa, Sebastian Gollnow)

Die jüngste Regierungsumbildung hatte sich seit Anfang des Jahres angedeutet und dennoch kam sie für viele westliche Beobachter überraschend. In Zeiten der russischen Vollinvasion sind Neuwahlen des Präsidenten und des Parlaments per Verfassung verboten. Der Regierungsumbau des halben Kabinetts und die Präsentation "neuer Gesichter" bieten dem Präsidenten aber eine Möglichkeit zu zeigen, dass gewisse Veränderungen dennoch möglich sind.

Lange wurde unter Insidern spekuliert, wer den wenig beliebten Premierminister Denys Schmyhal ersetzen könnte. Aber ausgerechnet Schmyhal überstand die Kabinettsumbildung mangels zur Verfügung stehender Alternativen. Sein Abgang, so heißt es, ist damit lediglich vertagt. Auch unter den neuen Ministerinnen und Ministern sind im Kern keine neuen Gesichter. Die meisten sind der breiten Öffentlichkeit kaum bekannte Personen, die in erster Linie durch ihr Vertrauensverhältnis zur und ihre Erfahrung in der Präsidialverwaltung, der Bankowa, in Erscheinung getreten sind.

Das zentrale Prinzip der Auswahl der neuen Ministerinnen und Minister ist und bleibt also Loyalität. Wichtig ist zu verstehen, dass die Regierungsgeschäfte im Kern nicht von den Ministern oder gar dem nominellen Regierungschef Schmyhal geleitet, sondern aus der Präsidialverwaltung – und maßgeblich dessen Leiter Andrij Jermak und seinen engsten Vertrauten – gesteuert werden. Genau das schreckte fähige bzw. erfahrene Leute aus der Wirtschaft und Zivilgesellschaft ab, um die sich Selenskyjs Team teils bemüht hatte. Dass es Selenskyj und Jermak nicht gelungen ist, wirklich neue, kompetente Gesichter zu rekrutieren, ist in aller erster Linie als ein Zeichen der Schwäche zu werten. Die Personaldecke derjenigen, denen die Entscheidungsträger in der Bankowa vertrauen, ist dünn.

Gerade bei der anstehenden Eröffnung der EU-Verhandlungskapitel wirft das die Frage auf, wie realistisch das Ziel der Regierung, möglichst viel EU-Recht möglichst schnell umzusetzen. Mit Olha Stefanischyna hat die Ukraine zwar eine fähige Justizministerin, Vize-Premierministerin und Chefunterhändlerin im Amt. Sie und ihr Team koordinieren die Verhandlungen mit der EU und die Umsetzung innerhalb der Regierung. Bei der Umsetzung kommt es aber auf die Qualität, Professionalität und das Zusammenspiel von zahlreichen Ministerien und Behörden an. Wenn der EU-Beitrittsprozess nicht zügig auch durch die Fortsetzung der angestoßenen Reform der öffentlichen Verwaltung ergänzt wird, droht hier viel wertvolle Zeit vergeudet zu werden, da schlicht nicht genügend kenntnisreiche, ausgebildete und motivierte Bürokraten zur Verfügung stehen, die diesen Mammutakt der Umsetzung des EU-Rechts in nationale Gesetze und Rechtsakte in die Tat umsetzen können.

Ein Hauptargument für die Umbildung war laut Selenskyj zudem, dass die entscheidenden Ministerien vor dem anstehenden schwierigen Herbst und Winter gestärkt werden sollten. An den strukturellen Schwächen der Ministerien selbst, der Ausdünnung bei fähigem Personal, ändert sich kaum etwas. Gerade zwei der Schlüsselministerien blieben von den Veränderungen unangetastet. Zuletzt warfen führende Köpfe der Zivilgesellschaft dem Verteidigungsminister Rustem Umerow "administratives Chaos" vor. Die scharfe Kritik am Minister bezog sich neben der mangelnden internen Steuerung vor allem auf die schleppende Reform des militärischen Beschaffungswesens und die für die Ukraine überlebenswichtige Koordinierung internationaler Militärhilfen. Gerade beim Aufbau der Expertise, um U.S.-amerikanische Hilfen korrekt abzurufen, seien wertvolle Monate vergeudet worden.

Auch im so wichtigen Energieministerium gab es trotz zum Teil scharfer Kritik an Energieminister Herman Haluschtschenko keine Veränderung. Das überraschte insofern, da vor Kurzem erst die rechte Hand des Ministers, Vizeminister Oleksandr Cheilo, auf frischer Tat bei einer Schmiergeldzahlung ertappt wurde und in einen großen Korruptionsskandal verstrickt ist. Dem Energieminister selbst wurde in den vergangenen Monaten immer wieder vorgeworfen, ein starker Fürsprecher der Atomlobby des Landes zu sein. Da Russland erhebliche Teile der ukrainischen Strom- und Wärmeerzeugung zerstört hat, ist die Frage, wie sich Unternehmen und auch Städte und Gemeinden an der Energiegewinnung beteiligen, von größter Bedeutung. Aus Kyjiw hörte man immer wieder, dass der Energiemister sich zu wenig um alternative, dezentrale Energiegewinnung kümmere, die ein schwierigeres Ziel für russische Luftangriffe und somit gut geeignet für die stabile Energieversorgung wären.

Gleichzeitig gelang es Haluschtschenko im Zuge der Regierungsumbildung ausgerechnet Wolodymyr Kudryzkyj zu entlassen, der seit 2020 Chef des ukrainischen Netzbetreibers Ukrenerho war. Kudryzkyj selbst gilt als effektiver Manager und setze sich wie kaum ein anderer für Anreizsysteme zur dezentralen Energiegewinnung durch Unternehmen ein. Ohne konkrete Begründung wurde Kudryzkyj in einer Sondersitzung des Aufsichtsrates des Amtes enthoben. Das veranlasste die beiden einzigen internationalen, unabhängigen Mitglieder des Aufsichtsrates zum Rücktritt. In einem scharfen Statement bezeichneten sie die Abberufung als grundlos und politisch motiviert.

Der Ukrenerho-Skandal steht exemplarisch für Probleme mit der Corporate Governance der wichtigsten Staatsunternehmen. Nach 2014 versuchte die Ukraine, die Vorstände und Aufsichtsräte zu professionalisieren – auch durch die Einbeziehung internationaler Expertinnen und Experten in die Aufsichtsräte. Nun untersteht ein wichtiges Staatsunternehmen wieder größerer politischer Kontrolle.

Kritiker wie der Oppositionspolitiker Jaroslaw Schelesnjak mutmaßen, dass es bei der Abberufung um die Kontrolle wichtiger Mittelflüsse gehen könnte. Kurz zuvor hatten westliche Partner in einem Brief an Schmyhal vor der Abberufung Kudryzkyjs gewarnt und auf die Besetzung des freien Aufsichtsratspostens mit einem internationalen Experten gepocht. Dass diese Forderung ausgeschlagen wurde und danach nur ein schwaches Statement der G7-Botschafter in der Ukraine folgte, in dem diese fordern, die neue Ukrenerho-Leitung in einem fairen, kompetitiven Verfahren auszusuchen, zeigt, wie schlecht es um den Einfluss westlicher Partner in Kyjiw bestellt ist.

Das ist kaum nachzuvollziehen, da der ukrainische Staat von westlichen Hilfszahlungen und Unterstützungsleistungen abhängig ist. Trotz des Krieges sollten Probleme in einzelnen Ministerien, verschleppte Reformen oder alarmierende innenpolitische Entwicklungen klar angesprochen werden, erst hinter verschlossenen Türen und dann notfalls öffentlich. Sollte das nicht helfen, muss notfalls der politische Einfluss der einzelnen Staaten, der G7 und der EU konsequent geltend gemacht werden. Zahlungen von Krediten und Zuschüssen sind an klare Kriterien gebunden, die es zu überprüfen gilt. Bei Rückschritten sollten Zahlungen auch ausgesetzt werden. Das Prinzip der Konditionalität erfordert ein klares Verständnis über die innenpolitischen Entwicklungen der Ukraine unter den westlichen Partnern und eine starke Rolle der EU. Geschwächte Institutionen und verschleppte Reformen bedrohen die gesellschaftliche Resilienz und das angestrebte Ziel, möglichst schnell der EU beizutreten. Zur Freundschaft mit der Ukraine gehört es daher auch, mögliche Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und einzuordnen und entsprechend gegenzusteuern.

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Mattia Nelles ist Mitbegründer des Deutsch-Ukrainischen Büros (DUB) und arbeitet seit Jahren zur Ukraine und den innen- und außenpolitischen Veränderungsprozessen im Land.