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Kommentar: Regierungsumbau konsolidiert die Macht im Präsidialamt | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. 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Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. 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Kommentar: Regierungsumbau konsolidiert die Macht im Präsidialamt Ukraine-Analysen Nr. 304

Josh Rudolph Valeriia Ivanova

/ 6 Minuten zu lesen

Vom umfassenden Regierungsumbau profitieren vor allem Personen, die dem Präsidialamt nahestehen – auf Kosten der verfassungsmäßigen Ordnung.

Der Leiter des Präsidialamts, Andrij Jermak, hier bei einer Pressekonferenz, gilt als einflussreicher Strippenzieher und zweitmächtigster Mann in der Ukraine. (© picture-alliance, NurPhoto | Sergii Kharchenko)

In der ukrainischen Regierung fand der umfassendste Umbau seit Beginn der großangelegten russischen Invasion 2022 statt. Mehrere personelle Wechsel bauen die Macht des Präsidialamts auf Kosten der verfassungsmäßigen Ordnung weiter aus. Zahlreiche Minister:innen traten zurück, dazu gab es mehrere Wechsel im Präsidentenbüro sowie die Entlassung eines Leiters eines wichtigen Staatsunternehmens.

Klare Gründe für diese bedeutenden personellen Veränderungen wurden von der Regierung nicht genannt. Das Präsidialamt hatte auch nicht genügend Zeit für eine umfassende Beratung mit der Werchowna Rada, die verfassungsgemäß solche Personalentscheidungen genehmigen muss.

Zu den bekanntesten Personen die zurückgetreten sind, zählt Außenminister Dmytro Kuleba. Ein ehemaliger ukrainischer Spitzenbeamter vermutet hinter diesem Schritt einen Konflikt mit Andrij Jermak, dem Leiter des Präsidialamts. Personen aus dem Umfeld des Präsidialamts sagen, dass Kuleba – der weltweit als das Gesicht der ukrainischen Kriegsdiplomatie bekannt wurde – im letzten Jahr wenig anderes getan hat, als sein neues Buch zu promoten. Das ist allerdings keine triftige Erklärung, die solch einer weitreichenden Entscheidung angemessen wäre. Die mangelnde Transparenz über die tatsächlichen Gründe für diese Entlassung schadet dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierungsführung und hinterlässt auch bei den internationalen Partnern der Ukraine keinen guten Eindruck.

Nach Kulebas Rücktritt ernannte das Parlament umgehend Andrij Sybiha zum neuen Außenminister. Wie einige andere Personen bei diesem Regierungsumbau auch war Sybiha zuvor im Präsidialamt tätig, und zwar als Stellvertreter von Jermak. Sybihas Wechsel an die diplomatische Spitze bedeutet die weitere Konsolidierung informeller Macht in den Händen des nicht gewählten Jermak und seinen Leuten.

Zu den Minister:innen, die ihre Posten verlassen, zählen neben Kuleba der Minister für Umweltschutz, Ruslan Strilez, Justizminister Denys Maljuska, der Minister für strategische Industrien Oleksandr Kamyschin, die Ministerin für die Wiedereingliederung der temporär besetzten Gebiete Iryna Wereschtschuk und die stellvertretende Ministerpräsidentin für europäische und euro-atlantische Integration Olha Stefanischyna (die Denys Maljuska als Justizminister ablöst und gleichzeitig ihr Amt als Vize-Ministerpräsidentin für europäische und euro-atlantische Integration behält). Neben den umfangreichen Veränderungen im Ministerkabinett verlor auch Rostyslaw Schurma, für die Wirtschaft zuständiger stellvertretender Leiter des Präsidialamtes, seinen Posten.

Einige der personellen Änderungen scheinen auf individuelle Faktoren zurückzugehen statt auf eine systematische Machtkonzentration. Obwohl keine offiziellen Gründe für die Entlassung von Schurma bekannt wurden, soll dieser Wechsel auf internationalen Druck hin erfolgt sein. Zivilgesellschaftliche Organisationen misstrauen Schurma seit langem und werfen ihm Interessenkonflikte und unzulässige Einflussnahme auf Staatsangelegenheiten vor. Investigative Recherchen haben ergeben, dass Solarkraftwerke, die seinem Bruder gehören – selbst solche in den vorübergehend von Russland besetzten Gebieten – mit staatlichen Mitteln aus dem "Grünen Tarif"-Programm gefördert wurden. Schurma selbst erklärte, dass die Gründe für seine Entlassung über die Ukraine hinausgingen, was Spekulationen anheizte, dass internationale Partner auf seine Ablösung drängten.

Schurmas Nachfolger im Präsidialamt ist Oleksandr Kamyschin, der nach etwas mehr als einem Jahr den Posten als Leiter des Ministeriums für strategische Industrien aufgab. In einem politischen System, das im Einklang mit der Verfassung regiert wird, würde solch ein Wechsel von der Ministeriumsspitze zum stellvertretenden Leiter des Präsidialamts nicht gerade als Aufstieg gesehen werden – in der heutigen Ukraine schon. Iryna Wereschtschuk wechselte ebenfalls aus dem Ministerium ins Präsidialamt, wo sie in ihrer neuen Funktion als stellvertretende Leitung für ihr altes Portfolio, die temporär besetzten Gebiete, zuständig sein wird.

Eine weitere wichtige Änderung ist der Rücktritt von Justizminister Maljuska. Obwohl er mit Beifall verabschiedet wurde, unterstützte die Werchowna Rada seine Absetzung mit 249 Stimmen. Das kommentierte der Abgeordnete Jaroslaw Schelesnjak mit der rhetorischen Frage: "Wenn alle applaudieren, warum wird er dann entlassen?"

Werchowna Rada zum Scheinparlament degradiert

Eine andere Oppositionsabgeordnete, Iwanna Klympusch-Zynzadse, warnt: "Alle Handlungen der aktuellen Machthaber zeugen von einer systematischen Zentralisierung der Macht durch den Präsidenten und sein Präsidialamt. Diese Welle an Rücktritten von Regierungsbeamten spricht für eine schwere Regierungskrise im Land".

Eigentlich entscheiden das Parlament und der Premierminister, welche Personen die ukrainische Regierung bilden. Die Verfassung und die entsprechenden Gesetze schreiben vor, dass die Ernennung und Entlassung der meisten Minister:innen vom Ministerpräsidenten vorgeschlagen und von der Werchowna Rada genehmigt werden müssen. Der Präsident schlägt lediglich den Premierminister sowie die Minister für Verteidigung und Außenpolitik vor. Die personellen Veränderungen zeigen jedoch, dass das Parlament an Handlungskompetenz eingebüßt hat. Die eigentliche Macht ist im Präsidialamt konzentriert, das die Personalentscheidungen getroffen hat und die Fraktionen nur ein oder zwei Tage vor der Abstimmung darüber informiert hat. Die Tatsache, dass ein Tag ausreichend ist, um selbst wichtige Minister:innen zu entlassen, zeigt, dass selbst innerhalb der Regierungskoalition keine ernsthaften Diskussionen stattfinden.

Dasselbe geschah bereits im Mai, als der Minister für Wiederaufbau Oleksandr Kubrakow entlassen wurde. Trotz der enormen Bedeutung war das Ministerium vier Monate lang ohne Leitung. Das deutet darauf hin, dass die Abgeordneten die Entscheidung zur Entlassung Kubrakows trafen, ohne vorher zu diskutieren, wer dieses im Krieg so wichtige Ministerium leiten soll.

Dieser Trend erweckt den Eindruck, dass das Parlament – trotz der in der Verfassung verankerten Kompetenzen – bei wichtigen Personalentscheidungen nur eine Nebenrolle spielt. Der schwindende Einfluss des Parlaments zulasten der Machtkonzentration im Präsidialamt schwächt das für die Demokratie unerlässliche System der "Checks and Balances".

Auf der Sitzung der Regierungsfraktion am 4. September wurde die Kandidatur von Oleksij Kuleba, einem weiteren ehemaligen Stellvertreter von Jermak, für das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten für den Wiederaufbau unterstützt. Innerhalb von nur einem Tag stimmte die Werchowna Rada seiner Ernennung zu. Am selben Tag ernannte die Werchowna Rada einen weiteren von Jermaks Stellvertretern, Mykola Tochyzkyj, zum Minister für Kultur und Informationspolitik.

Machtkonzentration zu Lasten der verfassungsmäßigen Ordnung

Vor der Regierungsumbildung bestand ein Drittel des ukrainischen Kabinetts aus amtierenden Minister:innen, was Risiken für die Regierungsführung mit sich brachte und auf eine tiefere Personalkrise hindeutete. Amtierende Minister:innen verfügen nicht über das volle Mandat, um ihre Ministerien effektiv zu führen. Sie sind auch anfälliger für informelle Einflussnahme. Amtierende Minister:innen sind formal eingeschränkt, unabhängige Entscheidungen zu treffen, ihre eigenen Teams zu bilden und langfristige Reformen zu planen. Diese Situation verstärkte die wachsende Dominanz von Personen, die nicht formell ernannt wurden, wodurch das verfassungsmäßige Machtgleichgewicht weiter erodierte.

Der Regierungsumbau behob dieses Problem allerdings nicht, sondern verschlimmerte es durch die Ernennung von Personen aus Jermaks Umfeld sogar noch. Die Macht ist nun noch stärker auf einen kleinen Kreis von den gleichen Personen verteilt, die sich über verschiedene Regierungsinstitutionen verteilen. Die "Neuen" kommen nicht aus der Zivilgesellschaft oder anderen professionellen Kreisen von außerhalb der derzeitigen Machtstrukturen. Stattdessen waren viele zuvor Stellvertreter von Jermak, was belegt, dass bei der der Suche nach neuem Personal Loyalität vor Talent und Qualifikation vorgezogen wird.

Einige der personellen Veränderungen scheinen gerechtfertigt zu sein, und in den meisten Fällen spielen individuelle und situative Faktoren eine Rolle. Aber mehrere Entscheidungen bei dieser Regierungsumbildung scheinen den Trend der Machtkonzentration im Präsidialamt fortzusetzen, indem in Kyjiw eine auf informellen Beziehungen beruhende Vertikale der Macht zulasten einer unabhängigen und verfassungsmäßigen Regierungsführung ausgebaut wird.

Aus dem Englischen von Dr. Eduard Klein

Der Text erschien am 5. September 2024 auf der Website des German Marshall Fund unter dem Titel "Shakeup in Wartime Ukraine Consolidates Power in the President’s Office" und ist frei zugänglich unter Externer Link: https://www.gmfus.org/news/shakeup-wartime-ukraine-consolidates-power-presidents-office. Die Redaktion der Ukraine-Analysen dankt den Autor:innen und dem German Marshall Fund für die Genehmigung für Übersetzung und Nachdruck.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Josh Rudolph ist Senior Fellow und leitet die Transatlantic Democracy Working Group beim German Marshall Fund in Washington, D.C. Er ist Experte für ukrainische Regierungsreformen und war zuvor Senior Fellow für Finanzbetrug und Korruption. Er hat einen Bachelor in Finanzwissenschaften vom Babson College und einen Master in Public Policy von der Kennedy School of Government der Harvard University.

Valeriia Ivanova ist Visiting Senior Fellow bei der Transatlantic Democracy Working Group des German Marshall Fund.