Mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine haben über 1,1 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland Zuflucht gefunden. Die IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Studie (nähere Informationen zur Befragung am Ende), repräsentativ für die ukrainischen Geflüchteten, die seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 bis zum 8. Juni 2022 in Deutschland angekommen sind, zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der erwachsenen Geflüchteten Frauen sind (80 %). Diese Geschlechtsselektion ist unter anderem auf die restriktiven Beschränkungen für Männer im wehrpflichtigen Alter (18–60 Jahre) bezüglich der Ausreise zurückzuführen. Die Männer in diesem Alter konnten die Ukraine nur dann verlassen, wenn sie zu bestimmten gesetzlich festgelegten Kategorien gehörten, darunter Väter, die für drei oder mehr Kinder sorgen, alleinerziehende Väter, Betreuer von behinderten Eltern oder Verwandten oder andere in der Verordnung festgelegte Gruppen. Dementsprechend sind viele geflüchtete Personen ohne Partner (77 %) nach Deutschland gekommen. 48 Prozent der Geflüchteten sind mit minderjährigen Kindern eingereist. Dabei fällt auf, dass die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten ein hohes Bildungsniveau und Arbeitserfahrungen haben: 72 Prozent verfügen über einen Hochschulabschluss und 85 Prozent der erwerbsfähigen Zugezogenen waren in der Ukraine berufstätig (Brücker et al., 2023; Steinhauer et al., 2024).
Die Aktivierung der Richtlinie über den vorübergehenden Schutz für ukrainische Geflüchtete durch den EU-Rat im März 2022 sowie die Anpassung des deutschen Rechtsrahmens, die den Flüchtlingen ab dem 1. Juni 2022 Anspruch auf Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II einräumte, hatten einerseits den Abbau von Integrationshindernissen zur Folge, die normalerweise mit Asylverfahren verbunden sind und den Spracherwerb sowie den Eintritt in den Arbeitsmarkt verzögern. Andererseits wurden dadurch die Erwartungen an eine schnellere Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt geweckt.
Die gesteigerten Erwartungen bezüglich einer beschleunigten Integration von Geflüchteten spiegeln sich auch in den Ansätzen zur Jobvermittlung wider, wie beispielsweise der Initiative Job-Turbo. Diese vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ins Leben gerufene Initiative zielt darauf ab, die zeitnahe und möglichst langfristige Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt zu fördern, sobald sie grundlegende Sprachkenntnisse erworben haben.
Spracherwerb
Sprachkenntnisse sind ein zentraler Aspekt der Integration, da sich die Kommunikation auf alle Lebensbereiche auswirkt – vom Aufbau sozialer Netzwerke über den Kontakt mit Behörden, den Zugang zu Bildung, die Suche nach einem Arbeitsplatz und die Fähigkeit, sich bei der Ausübung der beruflichen Tätigkeit mit Kolleginnen und Kollegen zu verständigen. Gleichzeitig sollte man einkalkulieren, dass das Erlernen der deutschen Sprache, die einen beträchtlichen sprachlichen Abstand zu den slawischen Sprachen aufweist, mindestens mehrere Jahre dauert.
Die überwiegende Mehrheit der ukrainischen Geflüchteten verfügte zum Zeitpunkt ihres Zuzugs über keine deutschen Sprachkenntnisse. Nur 4 Prozent der ukrainischen Geflüchteten verfügten zu Beginn ihres neuen Lebensabschnitts in Deutschland über gute oder sehr gute Deutschkenntnisse (Brücker et al., 2022). Zur Jahresmitte 2023 gab die Hälfte der befragten ukrainischen Geflüchteten an, über mäßige bis gute Deutschsprachkenntnisse zu verfügen. Dies markiert einen deutlichen Anstieg im Vergleich zum Spätsommer 2022 (17 %) und zum Jahresbeginn 2023 (33 %) (Ette et al., 2023; Brücker et al., 2023). Dieser Anstieg lässt sich größtenteils auf die hohe Anzahl absolvierter Sprach- und Integrationskurse zurückführen, da etwa drei Viertel der ukrainischen Geflüchteten zu Beginn des Jahres 2023 einen Deutschkurs besuchten (Brücker et al., 2023).
Obwohl die Teilnahme an Sprachkursen die Arbeitsmarktintegration zunächst verzögern kann, zeigen empirische Forschungsergebnisse, dass solche länderspezifischen Humankapitalinvestitionen langfristig die Beschäftigungsaussichten und Verdienste von Geflüchteten verbessern (Kosyakova & Kogan, 2022, Adda et al., 2022). Die Geflüchteten, die an Sprachkursen teilnehmen, stehen vorübergehend nicht vollständig für den Arbeitsmarkt zur Verfügung. Erst nach Abschluss der Integrationskurse werden sich diese Humankapitalinvestitionen in erhöhten Beschäftigungsquoten widerspiegeln.
Die Daten zeigen, dass ukrainische Geflüchtete, die einen Deutschsprachkurs auf dem Niveau C1 oder C2 des Europäischen Referenzrahmens abschließen, eine um 21 Prozentpunkte höhere Erwerbstätigenquote aufweisen als Geflüchtete, die keinen Sprachkurs besuchten (Kosyakova et al., 2023). Darüber hinaus sind die Verdienste der Geflüchteten mit einem abgeschlossenen Deutschsprachkurs auf dem Niveau C1 oder C2 um 38 Prozent höher als derjenigen ohne abgeschlossenen Sprachkurs (Brücker et al., 2023).
Erwerbsbeteiligung
Innerhalb der ersten eineinhalb Jahre nach Ankunft in Deutschland wird eine kontinuierliche Steigerung der Arbeitsmarktbeteiligung der Geflüchteten aus der Ukraine beobachtet. Gemäß den Daten der IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Befragung unter ukrainischen Geflüchteten waren im Frühjahr 2023 ein knappes Fünftel (18 %) der erwerbsfähigen Geflüchteten berufstätig. Dieser Anteil stieg auf 28 Prozent bei Personen, die sich bereits mindestens ein Jahr in Deutschland aufhielten.
Die Arbeitsmarktintegration stellt jedoch eine große Herausforderung für Geflüchtete dar. Weibliche Geflüchtete, und insbesondere Mütter mit kleinen Kindern, stehen vor großen Hürden. Die meisten weiblichen Geflüchteten, von denen etwa die Hälfte zusammen mit kleinen Kindern im Vorschul- oder Grundschulalter lebt, sind von ihren Partnern getrennt. Diese familiären Umstände beeinflussen die Beschäftigungsquoten von Frauen und verdeutlichen die Geschlechterungleichheit in der Verteilung unbezahlter Betreuungsarbeit zwischen Männern und Frauen aus der Ukraine.
Laut der Studie von Kosyakova et al. (2023) ist die Beschäftigungsquote von Müttern mit kleinen Kindern unter drei Jahren besonders niedrig (3 %), während die Beschäftigungsquote von Vätern mit Kindern dieses Alters erheblich höher ist (23 %). Generell hängt die Beschäftigungsquote von Frauen mit Kindern vom Alter der Kinder ab. Zum Beispiel beträgt sie 11 Prozent für Mütter mit Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren und steigt auf 15 bzw. 16 Prozent, wenn die Kinder sieben bis zehn Jahre bzw. elf Jahre oder älter sind. Im Gegensatz dazu sind die Unterschiede in den Beschäftigungsquoten zwischen Männern und Frauen ohne eigene Kinder im Haushalt gering (22 Prozent bei Männern im Vergleich zu 20 Prozent bei Frauen). Es ist wichtig – insbesondere in den ersten Jahren nach der Zuwanderung – nicht nur die tatsächlichen Erwerbsquoten, sondern auch die Arbeitsaspirationen der Geflüchteten zu beobachten, da sie stark mit der zukünftigen Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsaufnahme korrelieren. Die IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Daten zeigen, dass mehr als 90 Prozent der nicht erwerbstätigen Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland arbeiten wollen (Kosyakova et al., 2023). Von den Geflüchteten mit Erwerbsabsichten möchten 27 Prozent möglichst sofort eine Arbeit aufnehmen, weitere 54 Prozent planen dies für das kommende Jahr. Etwa 19 Prozent möchten erst in zwei bis fünf Jahren oder später eine Erwerbstätigkeit in Deutschland aufnehmen.
Der Erfolg der Arbeitsmarktintegration hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter auch den Bleibeabsichten. Im Allgemeinen investieren Personen, die beabsichtigen, längerfristig in einem Land zu bleiben, tendenziell mehr in den Spracherwerb und bemühen sich stärker zu integrieren. Der Anteil der Geflüchteten, die langfristig in Deutschland bleiben möchten, ist seit Beginn der russischen Invasion kontinuierlich gestiegen: Im Spätsommer 2022 lag er bei 39 Prozent, Anfang 2023 bei 44 Prozent und im Sommer 2023 bei 52 Prozent (Ette et al., 2023). Laut den Daten der BiB/FReDA-Befragung im Sommer 2023 sind seit der ersten Befragung knapp 6 Prozent der Geflüchteten in die Ukraine zurückgekehrt und weitere 2 Prozent in einen Drittstaat weitergewandert (Ette et al., 2023).
Ein Vergleich der Erwerbsquoten in anderen europäischen Ländern zeigt, dass Länder wie Österreich, die Schweiz und Norwegen ähnliche oder niedrigere Quoten als Deutschland aufweisen, während EU-Mitgliedsstaaten wie Polen, die baltischen Staaten und Tschechien teilweise höhere Quoten erreichen. Diese Unterschiede können auf frühere Aufenthalte, Netzwerke, Sprachkenntnisse und -affinitäten, Fördermaßnahmen sowie Kinderbetreuungsangebote im jeweiligen Land zurückgeführt werden. Ein direkter Vergleich des Arbeitsmarkterfolgs der ukrainischen Geflüchteten ist jedoch zur Zeit nicht möglich. Die Herausforderungen entstehen durch die heterogene Zusammensetzung der Flüchtlingsgruppen, variierende institutionelle Rahmenbedingungen und Messansätze für Beschäftigungsquoten sowie unterschiedliche Zeitpunkte der Datenerhebung. Zum Beispiel ist in den Externer Link: Niederlanden die Erwerbstätigenquote zwar höher als in Deutschland, aber die Arbeitsverhältnisse sind oft prekär, gekennzeichnet durch On-Call-Jobs in der Zeitarbeit, Jobs mit wenigen Arbeitsstunden und kurzfristig befristete Arbeitsverhältnisse.
Einkommen und Mismatch auf dem Arbeitsmarkt
Das Medianeinkommen vollzeitbeschäftigter ukrainischer Geflüchteter (2.550 Euro) liegt immer noch signifikant unter dem Medianverdienst in Deutschland (3.516 Euro laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit von 2023). Aufgrund eines hohen Anteils an Teilzeitbeschäftigung sind die Medianverdienste von Frauen deutlich niedriger als die von Männern, während der geschlechtsspezifische Unterschied im Verdienst bei Vollzeitbeschäftigten relativ gering ist (Kosyakova et al., 2023).
Etwa die Hälfte der beschäftigten Geflüchteten arbeitet in Positionen unterhalb ihres Qualifikationsniveaus, und dies betrifft die geflüchteten Frauen überproportional. Eine vorübergehende Abwertung des im Herkunftsland erworbenen Humankapitals ist jedoch in der Phase unmittelbar nach der Migration sehr häufig. Die Erlangung ergänzender Fähigkeiten im Zielland, hauptsächlich von Sprachkenntnissen, verbessert allmählich jedoch die Übereinstimmung zwischen Qualifikation und Beschäftigung.
Darüber hinaus besteht eine positive Beziehung zwischen der Beschäftigung ukrainischer Geflüchteter, ihren Einkommen, ihrer Bildung und den durch Berufserfahrung erworbenen Fähigkeiten. Die Ergebnisse zeigen, dass mehr als 40 Prozent der beschäftigten Geflüchteten in Deutschland Tätigkeiten ausüben, die ihren Bildungsqualifikationen oder früheren Berufserfahrungen entsprechen. Andererseits befinden sich mehr als die Hälfte in Jobs unterhalb der Anforderungen der Jobs, die sie vor ihrer Flucht nach Deutschland hatten. Weitere Anstrengungen wie die Beseitigung von Hindernissen bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen können einen erheblichen Beitrag zur Förderung der Arbeitsmarktintegration und zur Verringerung der Diskrepanz zwischen Qualifikationen und Arbeitsplätzen leisten.
Unterstützungsbedarfe
Unterstützung beim Erlernen der deutschen Sprache und bei der Arbeitssuche gehören zu den am häufigsten genannten Unterstützungsbedarfen der Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland (Goßner et al., 2023). Die vor dem Zuzug erwerbstätigen Geflüchteten melden außerdem einen hohen Unterstützungsbedarf bei der Anerkennung von Qualifikationen. Unter den Geflüchteten mit Kindern im Vorschulalter besteht ein sehr hoher Bedarf an Unterstützung bei der Kinderbetreuung.
In Zukunft sollten Integrationsprogramme sich vorrangig darauf konzentrieren, die verbleibenden Lücken zu schließen, wie beispielsweise die Verbesserung der Deutschkenntnisse durch fortgeschrittene Sprachkurse und andere Qualifikations- und Arbeitsmarktberatungsmaßnahmen. Zudem spielen unterstützende Integrationsprogramme (z. B. Praktika) eine Schlüsselrolle, um Geflüchteten den Arbeitsmarkteinstieg zu erleichtern. Darüber hinaus sollte die soziale Teilhabe gefördert werden. Die Beschäftigungsquoten und das Aufstiegspotenzial ukrainischer Geflüchteter auf dem deutschen Arbeitsmarkt werden stark von diesen Maßnahmen abhängen. Die ausgeprägten Beschäftigungsaspirationen ukrainischer Geflüchteter legen nahe, dass die aktuellen Beschäftigungsniveaus weit hinter ihren Beschäftigungsabsichten zurückbleiben, was darauf hindeutet, dass das Beschäftigungspotenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist.
Die Unterstützung bei der Anerkennung von Qualifikationen könnte durch gezielte Maßnahmen zur Harmonisierung der länderspezifischen Regelungen erfolgen. Das würde die Unübersichtlichkeit, Komplexität und lange zeitliche Dauer der Anerkennungsverfahren reduzieren.
Angesichts der Dominanz von Frauen mit Kindern unter den Geflüchteten aus der Ukraine unterstreicht dies zudem die Bedeutung geschlechtsspezifischer Förderangebote, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen weiblicher Fach- und Arbeitskräfte zugeschnitten sind (z. B. Erhöhung der Flexibilität bei der Arbeitszeit). Die gestiegenen Herausforderungen für Flüchtlingsmütter mit Kindern sollten durch eine verbesserte Zugänglichkeit zu Betreuungseinrichtungen sowie ganztägige Kinderbetreuungsangebote gemildert werden. Frühzeitige und umfassende Kinderbetreuung würde nicht nur Anreize und Arbeitsmarktchancen für geflüchtete Frauen erhöhen, sondern auch zu mehr sozialen Kontakten mit in Deutschland lebenden Familien führen. Die Forschungsergebnisse zeigen auch eine positive Beziehung zwischen häufigen sozialen Kontakten mit der lokalen Bevölkerung und den Beschäftigungsquoten und Einkommen ukrainischer Flüchtlinge. Dies steht im Einklang mit Studien, die Hinweise auf einen positiven Effekt von Kontakten mit der Mehrheitsbevölkerung auf die Arbeitsmarktintegration von Migranten in Deutschland finden (Kanas et al., 2012).
Kurzgefasst birgt die erfolgreiche Integration von ukrainischen Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt Potenzial für beide Seiten: Sie würde einerseits dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegenwirken und andererseits die finanzielle Lage der geflüchteten Familien verbessern.