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Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Ukraine-Analysen Nr. 297

Sebastian Cwiklinski

/ 13 Minuten zu lesen

Seit der Annexion der Krim durch Russland vor zehn Jahren hat sich insbesondere für die Krimtataren die Lage verschlechtert.

Ein Krimtatare in der Stadt Bachtschyssaraj auf dem Krim, einem Zentrum der Krimtataren. (© picture-alliance/dpa, Gregor Fischer)

Zusammenfassung

Am 18. März 2014 annektierte Russland die ukrainische Halbinsel Krim, was weitreichende Folgen hatte: Die Menschenrechtslage auf der Halbinsel verschlechterte sich seitdem erheblich, das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde faktisch abgeschafft, die ukrainische und die krimtatarische Kultur gerieten unter erheblichen Druck. Durch infrastrukturelle, bevölkerungspolitische und administrative Maßnahmen versuchte Russland, die Krim zu einem Teil ihres Landes zu machen, so wurde die Halbinsel etwa mit einer Brücke über die Straße von Kertsch mit dem russischen Festland verbunden. In der Rückschau müssen viele der Maßnahmen zur Eingliederung der Krim in Russland als Vorbereitung auf den großangelegten Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 und die Annexion selbst als Auftakt des seit zehn Jahren andauernden russischen Krieges gegen die Ukraine gewertet werden.

Vorgeschichte und Annexion

Vor zehn Jahren, am 18. März 2014, annektierte Russland die Halbinsel Krim. Wie bei den meisten historischen Ereignissen gibt es auch hier eine Vorgeschichte, die weit zurückreicht: Die Krim war vom 15. bis ins 18. Jahrhundert hinein Sitz des Khanats der Krim, eines Reiches mit mehrheitlich turksprachiger und muslimischer Bevölkerung, das unter immer stärkere Kontrolle des Osmanischen Reiches kam, ehe es 1783 nach dem Russisch-Türkischen Krieg von der russischen Zarin Katharina der Großen annektiert und somit Teil des Russischen Reiches wurde. Im Krimkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts wurde ein großer Teil der muslimischen Krimtataren vertrieben und siedelte sich im Osmanischen Reich an. 1944 wurden fast sämtliche Angehörigen des Turkvolks der Krimtataren sowie weitere nationale Minderheiten von Stalin unter dem Vorwurf der Kollaboration mit den deutschen Besatzern kollektiv nach Mittelasien unter brutalsten Bedingungen deportiert, wobei fast die Hälfte des Volkes umkam. Aus Mittelasien konnten die Krimtataren erst seit 1988 wieder zurückkehren. 1954 wurde die Krim, die bis dahin Teil der Russischen Sowjetrepublik gewesen war, Teil der Ukraine und erlangte nach der ukrainischen Unabhängigkeit einen Sonderstatus. Grund für Russlands Interesse an der Krim ist vor allem der Hafen für seine Schwarzmeerflotte in Sewastopol, der dann auch den Grund für einen auf mehr als zwanzig Jahre angelegten Pachtvertrag zwischen der Ukraine und Russland darstellte. Auch aufgrund der russischen Ansprüche auf diese Stadt legte die Ukraine 1996 in ihrer Verfassung fest, dass Sewastopol eine eigene Verwaltungseinheit darstellt, direkt der Zentralregierung untersteht und nicht Teil der Autonomen Republik Krim ist. Formal gesehen handelt es sich deshalb bei der russischen Annexion der Krim 2014 um die illegale Aneignung sowohl der Autonomen Republik Krim als auch der Stadt Sewastopol; aus praktischen Gründen wird im Folgenden jedoch von der Annexion der Krim gesprochen.

Die Annexion selbst verlief nach einem bekannten Schema: Zunächst tauchten Ende Februar 2014 plötzlich an strategisch wichtigen Punkten auf der Halbinsel "grüne Männchen" auf, schwer bewaffnete russische Soldaten in grünen Uniformen, aber ohne Hoheitsabzeichen. Anschließend wurde das Parlament der Autonomen Republik Krim in einer handstreichartigen Aktion besetzt und mit mehrheitlich separatistisch eingestellten Abgeordneten bestückt. Am 16. März wurde dann ein Scheinreferendum abgehalten, dessen Durchführung sämtlichen demokratischen Standards widersprach und das gewünschte Ergebnis einer 97-prozentigen Zustimmung zur "Unabhängigkeit" erbrachte. Der anschließende "Beitritt" der "unabhängigen" Krim zur Russischen Föderation am 18. März war dann nur noch eine Formsache. Die Wertung und Verurteilung dieser Ereignisse durch die internationale Gemeinschaft als illegale Annexion und Bruch des Völkerrechts war einhellig; vielfältige Sanktionen gegen Russland waren die Folge.

Folgen der Annexion

Unmittelbar nach der Annexion leitete Russland rechtliche, administrative, politische, bevölkerungspolitische und infrastrukturelle Schritte ein, um die Welt durch die Schaffung von Fakten vor vollendete Tatsachen zu stellen und die annektierte Krim de facto zu einem Teil der Russischen Föderation zu machen. Einzelnen Subjekten der Russischen Föderation wurde dabei die Aufgabe übertragen, Patenschaften für Städte und Regionen auf der Krim zu übernehmen, und viele, auch regionale Institutionen Russlands weiteten ihre Aktivitäten nun auf die Krim aus. So gründete etwa noch 2014 das staatliche Institut für Geschichte der russischen Teilrepublik Tatarstan in der Stadt Bachtschyssaraj mit dem Wissenschaftlichen Zentrum der Krim (Krymskij Nautschnyj Tsentr) eine eigene Filiale auf der Halbinsel, die sich mit der Geschichte der Krimtataren beschäftigt, und es ist auch kein Zufall, dass das Institut nun an einer fünfbändigen Geschichte der Krimtataren arbeitet, deren über tausend Seiten umfassender dritter Band 2021 erschienen ist.

Da die Landverbindung zur Krim ausschließlich über ukrainisches Staatsgebiet führt und die Ukraine im Dezember 2014 sämtliche Verkehrslinien zur Halbinsel sperrte, begann Russland mit konkreten Planungen, die Halbinsel auch über das russische Festland erreichbar zu machen, und zwar über eine mehr als 18 Kilometer lange Brücke über die Straße von Kertsch. Die Brücke wurde im Mai 2018 für den Auto- und im Dezember 2019 auch für den Eisenbahnverkehr eröffnet, in beiden Fällen mit symbolischen Handlungen durch Wladimir Putin. Da die staatliche russische Eisenbahngesellschaft bei einer Ausweitung ihrer Aktivitäten auf die Krim internationale Sanktionen befürchtete, wurde der Betrieb der Bahn über die Brücke von Kertsch einer nominell privaten Gesellschaft übertragen. Eine parallele Entwicklung lässt sich auch bei der Wasserversorgung beobachten. Bis zur Annexion 2014 erhielt die Krim einen Großteil ihres Trinkwassers vom ukrainischen Festland über den 1975 fertiggestellten Nord-Krim-Kanal. Nach der Annexion stoppte die Ukraine die Wasserversorgung durch den Kanal, was schwerwiegende Folgen für Landwirtschaft und Industrie auf der Halbinsel hatte und 2020 in den Städten Simferopol und Bachtschyssaraj die Rationierung von Trinkwasser notwendig machte. Die Halbinsel verfügt zwar über genügend eigene Trinkwasservorräte, doch führt die vorrangige Versorgung von Industrie, Landwirtschaft und der Militärstützpunkte zu Engpässen bei der Wasserversorgung der Bevölkerung.

Die Annexion hatte auch negative Auswirkungen auf die Wirtschaft der Krim. Nachdem die Ukraine neben den Wasser- auch die Stromlieferungen auf die Halbinsel gestoppt hatte, war Russland gezwungen, eigene Kraftwerke zu bauen und neue Leitungen zu verlegen, was zusammen mit dem weiteren Ausbau der Infrastruktur die Kosten der Annexion für Russland in die Höhe trieb und die Krim noch vor dem Kaukasus zur kostspieligsten Region im russischen Machtbereich machte. Hinzu kommt, dass die westlichen Sanktionen und die Sperrung der Landwege durch die Ukraine die Preise für den Transport von Waren in die Höhe getrieben haben. Darüber hinaus betraf die Annexion auch den Tourismus auf der Krim – diejenige Branche, die traditionell eine der wichtigsten Einkommensquellen der Halbinsel darstellt. Unmittelbar vor der Annexion, in den Jahren 2010 bis 2013, hatte sich die Krim als eine der wichtigsten Destinationen für touristische Kreuzfahrten etabliert und eine hohe Zahl von ausländischen Touristen angelockt. Nach der Annexion der Halbinsel blieben diese aus, und trotz Werbekampagnen in ganz Russland konnten russische Touristen das Ausbleiben der ausländischen Feriengäste nicht kompensieren. Zwar liegen keine genauen Zahlen vor, aber der Rückgang der Anzahl der Hotels und Ferienzentren von etwa Externer Link: 2500 im Jahr 2013 auf 826 im Jahr 2020, der Rückgang der durchschnittlichen Feriendauer von 10 bis 14 auf sieben Ferientage und ein auch nach vorsichtiger Schätzung deutlicher Rückgang der Touristenzahlen von etwa 4 Millionen 2013 auf höchstens 2,5 Millionen 2019 machen deutlich, dass die Krim einer ihrer wichtigsten Einnahmequellen verlustig gegangen ist. Die Corona-Pandemie seit 2020 sowie der großangelegte Überfall auf die Ukraine 2022 führten zu einem weiteren deutlichen Rückgang der Urlauberzahlen.

Dass bei der Annexion der Krim vor allem strategische Gründe eine Rolle spielten, lässt sich an der militärischen Aufrüstung der Halbinsel seit 2014 ablesen. Mit der Annexion verfolgte Russland das Ziel, das Schwarze Meer und das Asowsche Meer militärisch kontrollieren zu können, und verlegte weitere Truppen auf die Halbinsel: Während vor der Annexion rund 12.000 russische Soldaten bei der Schwarzmeerflotte stationiert waren, waren es nach konservativer Schätzung 2019, also noch vor dem großangelegten Angriff auf die Ukraine im Februar 2022, auf der ganzen Halbinsel bereits 31.000, wobei einzelne Quellen bereits 2016 von etwa 50.000 russischen Soldaten ausgingen. Bei der Aufrüstung nutzte Russland nicht nur die bereits vorhandenen eigenen Stützpunkte der Schwarzmeerflotte, sondern auch ehemalige ukrainische Militärstandorte wie etwa die Militärflughäfen Belbek und Dschankoj (von denen Russland ab 2022 immer wieder verheerende Luftangriffe auf die Ukraine startete). Darüber hinaus wurden neue See-, Land- und Luftstützpunkte aufgebaut. Die Stationierung von atomwaffenfähigen Marschflugkörpern auf der Halbinsel ließ in der internationalen Gemeinschaft die Befürchtung aufkommen, Russland könnte bereits Atomwaffen auf der Halbinsel stationiert haben, auch wenn es hierfür bisher keine Belege gibt.

Signifikante Verschlechterung der Menschenrechtslage nach der Annexion

Die Annexion der Krim hatte negative Folgen für die Menschenrechtssituation, die hier exemplarisch am Beispiel der Krimtataren erörtert werden sollen. Dieses Turkvolk lebt seit Jahrhunderten auf der Halbinsel, wurde aber wie erwähnt durch Stalins Deportation nach Mittelasien seiner historischen Heimat beraubt und konnte erst in der Perestroika wieder dorthin zurückkehren. 1991 wurde die Medschlis des krimtatarischen Volkes (krimtatarisch: Qırımtatar Milliy Meclisi, kurz: Medschlis) als höchstes repräsentatives Organ der Krimtataren gegründet, das nicht nur den kollektiven politischen Willen der Krimtataren ausdrücken, sondern deren Interessen auch gegenüber der ukrainischen Zentralregierung vertreten sollte. Vorsitzender der Medschlis war seit ihrer Gründung bis Ende 2013 Mustafa Dschemilew, der sich bereits zu Sowjetzeiten einen Namen als Menschenrechtsaktivist und Kämpfer für das Recht auf Rückkehr der Krimtataren in ihre historische Heimat gemacht hatte. Die Medschlis hatte sich bereits zu Beginn der Unruhen auf der Krim klar für den Verbleib der Halbinsel in der Ukraine ausgesprochen, wobei einzelne Aktivisten der Organisation Parallelen zwischen historischen Erfahrungen der Krimtataren mit der russischen beziehungsweise sowjetischen Zentralmacht und den erneuten russischen Annexionsbestrebungen zogen: Ebenso wie die Krimtataren in früheren Zeiten unter den Entscheidungen aus Russland (die Vertreibung von der Halbinsel während des Krimkrieges Mitte des 19. Jahrhunderts sowie die Deportation nach Mittelasien 1944) zu leiden gehabt hätten, sei auch von Russland unter Putin nichts Gutes zu erwarten. Unmittelbar nach der Annexion wurden für Dschemilew und für Refat Tschubarow, seinen Nachfolger im Amt des Medschlis-Vorsitzenden, jeweils fünfjährige Einreiseverbote für die Krim ausgesprochen; für weitere führende krimtatarische Politiker folgten andere Repressalien wie die vorübergehende Einweisung in die Psychiatrie und langjährige Haftstrafen; andere Aktivisten verschwanden nach der Festnahme spurlos. 2016 wurde die Medschlis vom Obersten Gericht der Krim zu einer extremistischen Organisation erklärt und ihre Tätigkeit auf der Halbinsel verboten. In den folgenden Jahren wurde eine Vielzahl von krimtatarischen Aktivistinnen und Aktivisten auch unter dem Vorwand islamistischer Tätigkeit angeklagt und inhaftiert.

Das populärste Medium der Krimtataren, der private Fernsehsender ATR, hatte sich im Frühjahr 2014 besonders deutlich für den Verbleib der Halbinsel in der Ukraine ausgesprochen, so dass es wenig überraschen kann, dass er dann unter dem russischen Annexionsregime keine Perspektive mehr hatte. Zwar änderte er ab März 2014 sein Programm und ging von politischen Sendungen auf solche mit primär kulturellen Inhalten über, aber dennoch geriet er schnell ins Visier der Okkupationsbehörden. Selbst der Anlass, der dann im Januar 2015 zur Schließung des Senders führte, hatte mit dem Geschehen rund um die Annexion 2014 zu tun: Der Sender wurde von der OMON, einer Abteilung der russischen Nationalgarde, gestürmt, um an die Fernsehaufnahmen einer Protestveranstaltung Ende Februar 2014 zu kommen. Vermeintlich unabhängig davon verweigerten die neuen Besatzungsbehörden dem Sender seit Herbst 2014 die für den Weiterbetrieb notwendige neue Sendelizenz, woraufhin er zum 1. April 2015 seinen Betrieb einstellen musste und dann nach Kyjiw übersiedelte, von wo aus er nun weiter als deutliche Stimme gegen die russische Annexion der Krim sendet. In einem klar erkennbaren Versuch, ATR zu ersetzen und in der Gunst des krimtatarischen Publikums zu verdrängen, gründeten die russischen Besatzungsbehörden im September 2015 den staatlichen Fernsehsender Millet ("Nation"), der seitdem auf Krimtatarisch und Russisch ein pro-russisches Programm ausstrahlt. Unabhängige Medien hingegen wurden in den folgenden Jahren systematisch unterdrückt, viele Journalisten wurden unter fadenscheinigen Gründen festgenommen und sitzen bis heute in Haft (vgl. Interner Link: Dokumentation von Reporter ohne Grenzen).

Die prekäre Menschenrechtslage auf der Krim führte auch zu einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur: Zehntausende Bewohner der Krim verließen die Halbinsel aufgrund der Annexion selbst oder in Folge von Repressionen und gingen in andere Regionen der Ukraine oder ins europäische Exil, vor allem nach Polen. Im Gegenzug förderte Moskau die Ansiedlung von der Annexion positiv gegenüber stehenden Menschen aus Russland, um somit die Bevölkerungsstruktur sowohl ethnisch als auch in Hinblick auf die Zustimmung zur Moskauer Politik zu seinen Gunsten zu ändern. Zwar liegen keine genauen Zahlen vor, doch ist von einer gezielten Ansiedlung von mehr als 100.000 Menschen aus der Russischen Föderation auf der Halbinsel auszugehen. Es gibt jedoch auch Schätzungen, die von der Flucht von mindestens 100.000 Krim-Bewohnern und der gezielten Ansiedlung von bis zu 800.000 Menschen aus Russland auf der Krim sprechen.

Als schwierig ist auch die Lage der kulturellen Rechte zu bezeichnen. Zwar sind neben Russisch auch Ukrainisch und Krimtatarisch die offiziellen Amtssprachen der Krim, aber seit der Annexion ist ein starker Rückgang der Schulbildung in diesen beiden Sprachen zu verzeichnen: Von einst rund 800 ukrainischsprachigen Schulen auf der Krim sind ganze fünf verblieben, und die Zahl der Studienplätze für Ukrainistik an der Universität von Simferopol wurde auf fünfzehn reduziert. Die Zahl der krimtatarischen Schulen sank von 384 im Jahr 2014 auf 119 im Jahr 2022. Die Verletzung kultureller Rechte der ukrainischen Bevölkerung führte neben der politischen Verfolgung und anderen Repressionen dazu, dass Zehntausende die Krim verließen und sich auf dem Festland ansiedelten.

Der großangelegte russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 verschärfte die Menschenrechtslage auf der Krim weiter. In den ersten neun Monaten des Jahres wurden auf der Halbinsel 138 Menschen festgenommen, unter denen die Krimtataren mit 104 Personen die mit Abstand größte Gruppe ausmachten. Hauptgrund für die Festnahmen waren die Gegnerschaft zur Annexion der Halbinsel sowie zum Überfall auf die Ukraine. Der russische Überfall auf die Ukraine führte darüber hinaus dazu, dass Krimtataren auch außerhalb der Krim von russischen Behörden verfolgt wurden. So wurden in der angrenzenden Region Cherson, in der auch schon vor der Annexion der Krim viele Krimtataren lebten, mehrere Personen wegen Sympathien für oder Mitgliedschaft in der Medschlis festgenommen.

Die Krim seit dem großangelegten russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022

Seit der Annexion 2014 hatten sich Kriegshandlungen gegen die Ukraine zunächst auf die beiden selbst proklamierten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk konzentriert, wobei die russische Unterstützung und de-facto-Kontrolle zwar beträchtliche Ausmaße annahm, von Moskau jedoch offiziell nie zugegeben wurde. Die Krim stand bis zum großangelegten russischen Überfall auf die Ukraine nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 sowie die anschließende Annexion der beiden "Volksrepubliken" und der Regionen Saporischschja und Cherson Ende 2022 (erneut in Form von "Referenden" über den "Beitritt" zur Russischen Föderation) änderten jedoch die Bedeutung der Krim: Da die Halbinsel unter voller und die Region Cherson unter teilweise Kontrolle der russischen Besatzungsbehörden stehen, ist die Krim für Russland in militärischer Hinsicht gleich in mehrfacher Hinsicht von großer Bedeutung: Mit der Schwarzmeerflotte wurde die Ukraine von der See aus angegriffen, während der Landweg über die Brücke von Kertsch als Nachschublinie für den Krieg relevant wurde; die Militärflughäfen auf der Halbinsel wurden für die Planung sowohl von militärischen Operationen als auch für die Organisation des Nachschubs relevant.

Der Ukraine ist die enorme strategische Bedeutung der Krim für die russische Kriegsstrategie seit Beginn des Überfalls im Februar 2022 bewusst, weshalb sie auch militärische Ziele auf der Halbinsel angriff, wobei sie beträchtliche Erfolge erzielte. So wurde die Brücke von Kertsch im Oktober 2022 und im Juli 2023 zweimal das Ziel von Angriffen, wobei sie stark beschädigt und in ihrer Funktion zumindest temporär beeinträchtigt wurde. Die russische Schwarzmeerflotte wurde ebenfalls mehrfach attackiert, wobei der Ukraine mit dem Angriff auf das Hauptquartier der Flotte in Sewastopol im September 2023, dem Versenken des Flaggschiffs Moskwa im April 2022 und zuletzt des Landungsschiffs Caesar Kunikow im Februar 2024 jeweils spektakuläre Erfolge gelangen. Die Tatsache, dass die Caesar Kunikow mit Hilfe von Seedrohnen versenkt werden konnte, zeigte, wie verwundbar die russische Schwarzmeerflotte ist. Erfolgreiche Angriffe auf weitere Militärstützpunkte und strategisch wichtige Ziele (Eisenbahnknoten, Depots, Brücken etc.) legen nahe, dass es dem ukrainischen Militärgeheimdienst gelungen ist, auf der Krim ein Unterstützungsnetzwerk aufzubauen. Selbst wenn die ukrainischen Angriffe auf die Krim noch keine Wende im Krieg herbeiführen konnten, behindern sie die russischen Kriegsanstrengungen doch stark. So war die russische Schwarzmeerflotte gezwungen, sich teilweise in den östlichen Teil des Schwarzen Meeres zurückzuziehen, was der Ukraine ermöglicht, auch nach Auslaufen des Getreideabkommens mit Russland weiterhin über die Häfen von Odesa Getreide auf dem Seeweg zu exportieren. Inwieweit die vereinzelten militärischen Erfolge der Ukraine auf der Krim den Ausgang des Krieges gegen Russland beeinflussen werden, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit vorhersagen, aber dass sie einen großen Einfluss haben werden, ist offenkundig.

Fazit

Die Bedeutung der russischen Annexion der Krim für die russisch-ukrainische Konfrontation kann nicht überschätzt werden; in einer Rückschau hat sie als Auftakt des seit zehn Jahren andauernden Krieges gegen die Ukraine zu gelten, der dann seine Fortsetzung in der Ausrufung der "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk und den dort geführten, zunächst regional begrenzten Krieg und seinen vorläufigen Höhepunkt im großangelegten Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 fand. Zur Rechtfertigung der Annexion hatte Russland immer wieder die vermeintliche Verletzung der Menschen- und kulturellen Rechte der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine angeführt, wobei faktenwidrig auch von einem "Verbot" der russischen Sprache gesprochen wurde. Eine Bilanz der Lage der Menschen- und der kulturellen Rechte auf der Krim nach zehn Jahren Annexion ergibt ein verheerendes Bild: Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist auf der Halbinsel mit der Annexion praktisch abgeschafft worden, und ein Engagement für die ukrainische Kultur und Sprache steht nun unter Generalverdacht. Zehntausende Menschen mussten wegen ihrer Opposition gegen die Annexion und ihres proukrainischen und prokrimtatarischen Engagements die Krim verlassen. Während kulturelle Rechte 2014 also als Vorwand für die Annexion und die Unterstützung des Separatismus herhalten mussten, hat das Annexionsregime selbst keinerlei Probleme mit der Einschränkung und Verletzung der kulturellen Rechte von Ukrainern und Krimtataren.

Der großangelegte Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 zeigte gleich in mehrfacher Hinsicht, dass im Westen geäußerte Ratschläge an die Ukraine, die Krim verloren zu geben und die Annexion zumindest hinzunehmen, in die Irre führen würden: Zum einen bewies er aufs Neue, dass Versicherungen von russischer Seite, man habe kein Interesse an einem Krieg beziehungsweise an seiner Fortsetzung, nicht zu trauen ist. Zum anderen zeigten der Überfall und der weitere Verlauf des Krieges aber auch, wie wichtig die Krim in strategischer Hinsicht für die Sicherheit der Ukraine ist. Folgerichtig stellt die Rückkehr der Krim zur Ukraine auch das klar formulierte Ziel der politischen Führung der Ukraine sowie des Großteils der ukrainischen Gesellschaft dar. Ein Ende des Krieges kann es für die Ukraine deshalb nur dort geben, wo er vor zehn Jahren mit der russischen militärischen Intervention und Annexion begonnen hat: auf der Krim.

Weitere Inhalte

Dr. Sebastian Cwiklinski ist Turkologe, Historiker und Lehrbeauftragter am Institut für Turkologie und Osmanistik der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsgebieten gehören Geschichte und Identitätspolitiken in Mittelund Osteuropa sowie in der Türkei. Zuletzt erschien: Der regionale Blick. Medien in Tatarstan und Baschkortostan und Russlands Krieg gegen die Ukraine. In: Russland-Analysen Nr. 441 vom 19.10.2023, S. 13–18.