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Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 | Ukraine-Analysen | bpb.de

Ukraine Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter / Ukrainische Community in Deutschland / Deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften (29.04.2024) Analyse: Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Statistik: Integration in den Arbeitsmarkt Analyse: Die ukrainische Community in Deutschland Analyse: (Un)genutzte Potenziale in den deutsch-ukrainischen Kommunal- und Regionalpartnerschaften Dokumentation: Übersicht deutsch-ukrainischer Partnerschaften Chronik: 11. bis 31. 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Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? Statistik: Internationale Hilfen für die Ukraine Analyse: Selenskyjs Appelle an russische Staatsbürger:innen im ersten Jahr des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine Dokumentation: Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das russische Volk am Vorabend der großangelegten Invasion Chronik: 28. Oktober bis 20. November 2023 Der Globale Süden und der Krieg (24.11.2023) Analyse: Der Blick aus dem Süden: Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Krieg gegen die Ukraine und Afrika: Warum die Afrikanische Union zwar ambitioniert, aber gespalten ist Analyse: Eine Kritik der zivilisatorischen Kriegsdiplomatie der Ukraine im Globalen Süden Umfragen: Umfragedaten: Der Globale Süden und Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Chronik: 16. bis 27. Oktober 2023 Zwischen Resilienz und Trauma: Mentale Gesundheit (02.11.2023) Analyse: Mentale Gesundheit in Zeiten des Krieges Karte: Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur der Ukraine Analyse: Den Herausforderungen für die psychische Gesundheit ukrainischer Veteran:innen begegnen Umfragen: Umfragen zur mentalen Gesundheit Statistik: Mentale Gesundheit: Die Ukraine im internationalen Vergleich Chronik: 1. bis 15. Oktober 2023 Ukraine-Krieg in deutschen Medien (05.10.2023) Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? 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Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Ukraine-Analyse Nr. 289

Heiko Pleines

/ 7 Minuten zu lesen

Die Mediendebatte um Russlands Krieg gegen die Ukraine dreht sich seit fast zehn Jahren im Kreis und es fehlt ihr bezüglich der Ukraine an inhaltlicher Breite und Tiefe.

Ein Journalist vor einer Rauchwolke nach einem russischen Angriff auf das im März 2022 umkämpfte Mariupol. (© picture-alliance/AP, Mstyslav Chernov)

Einleitung

Bereits im Jahr 2014 begann eine Diskussion um die Voreingenommenheit deutscher Medien bezüglich Russlands und der Ukraine, die ab 2022 mit der Debatte um den großflächigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Kern ist die Frage, wie "russland-feindlich" bzw. "russland-freundlich" die Darstellung deutscher journalistischer Massenmedien ist.

Die eine Seite verlangt mehr Verständnis für die russische Sicht der Dinge, selbst wenn sie diese Sicht selbst oft nicht gutheißt, und behauptet durch Rücksichtnahme gegenüber russischen Interessen werde eine friedliche Lösung möglich. Die andere Seite befürchtet ein fatales Signal der Schwäche, welches Russland zu Aggression ermutigen werde und verlangt die Ukraine als Subjekt der internationalen Beziehungen ernst zu nehmen und die völkerrechtlich verbürgte und von Russland vertraglich akzeptierte territoriale Integrität der Ukraine wichtiger zu nehmen als russische Propaganda.

Bereits 2014 – im Kontext der als Euro-Maidan bekannt gewordenen Massenproteste, der russischen Annexion der Krim und dem folgenden militärischen Konflikt in der Ostukraine – warfen beide Seiten den deutschen Massenmedien vor, die jeweils andere Seite auf unverantwortliche Weise und mit potenziell fatalen Folgen für Deutschlands außenpolitische Situation zu bevorzugen. Ein Rückblick auf das Jahr 2014 hilft so auch bei der Einordnung der aktuellen Debatte.

Talkshows

Talkshows sind offensichtlich polemischer als Nachrichtensendungen, aber durch ihre Reichweite und die Produktion von "Gesprächsstoff" kommt ihnen für die öffentliche Meinung eine recht große Bedeutung zu. Bereits 2014 veröffentliche Fabian Burkhardt, damals als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität München, in den Externer Link: Ukraine-Analysen eine Auswertung der Gäste in acht Talk-Show-Formaten in öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern von November 2013 bis April 2014.

Es zeigt sich, dass bei Vertreter:innen deutscher Parteien auf Ausgewogenheit geachtet wird. Bei der Nationalität hingegen gilt dies nicht. Es wurden doppelt so viele russische wie ukrainische Staatbürger:innen eingeladen. Zentral ist aber natürlich die Auswertung der inhaltlichen Positionen der Talkshow-Gäste. Hier gilt für 2013/14, dass in Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die Gäste die eine Entspannungspolitik gegenüber Russland vertraten im Vergleich zu denen, die eine "Eindämmung" Russland forderten, eindeutig in der Mehrheit waren. Dementsprechend gab es bei knapp einem Drittel der untersuchten Talkshows keine expliziten Fürsprecher:innen für die Ukraine. Russland wurde hingegen deutlich stärker unterstützt.

Trotzdem – oder vielleicht auch gerade wegen ihrer Präsenz in Talkshows – waren bereits damals die Stimmen, die von einer Diskriminierung russischer Positionen und einer russlandfeindlichen Stimmung sprachen, deutlich lauter.

Journalistische Berichterstattung

Talkshows sind nicht nur polemischer als journalistische Berichterstattung, ihre Inhalte werden von Journalist:innen auch weniger stark kontrolliert. Eine umfangreiche Analyse der Berichterstattung großer deutscher Printmedien bietet die 2021 an der Universität Bamberg abgeschlossene und 2022 veröffentlichte Dissertation von Kinza Khan. Sie untersucht für zehn überregionale deutsche Tages- und Wochenzeitungen die Berichterstattung zur Ukraine und zur Rolle Russlands im Februar und März 2014, also im Zeitraum in dem die Massenproteste in Kyjiw mit der Flucht des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch endeten und Russland die Krim annektierte. Sie berücksichtigt dabei ausschließlich prominent platzierte Beiträge zum Thema, die von namentlich genannten Autor:innen verfasst wurden. Im Ergebnis hat sie 548 Artikel analysiert.

Auch hier ist der Ausgangspunkt die Dominanz des Vorwurfs einer Voreingenommenheit gegenüber Russland (nicht gegenüber der Ukraine), die sich z. B. auch in einer Stellungnahme des ARD-Programmbeirats zeigte (S. 15). Die Autorin stellt auch fest, "wie sehr der deutsche Blick auf und unser Wissen über die Ukraine durch den Blick auf und das Wissen über Russland sowie unser Verhältnis zu ihm bestimmt ist." (S. 5)

Kinza Khan gibt einen systematischen Überblick über die in der deutschen Debatte gegen die Medienberichterstattung gemachten Vorwürfe (Kapitel 2.5). In ihrer eigenen Analyse bezieht sie sich auf den Ansatz des Framing. Frames, im Deutschen auch als "Leitmotive" bezeichnet, bieten eine grundsätzliche Einordnung eines Themas einschließlich moralischer Bewertungen. Dadurch, so die Idee des Ansatzes, werden bestimmte Positionen in der Debatte legitimiert und andere diskreditiert.

Wenn z. B. allgemein von einer Voreingenommenheit gegenüber Russland geredet wird, dann werden Fürsprecher:innen der Ukraine sofort skeptisch wahrgenommen. Wenn der militärische Konflikt in der Ostukraine seit 2014 als Bürgerkrieg bezeichnet wird, dann ist wenig Platz für Berichterstattung über die Präsenz der russischen Armee oder die hohe Anzahl russischer Staatsbürger in der Führung der "Separatisten-Republiken". In ihrer eigenen Analyse erfasst Khan Frames für sechs Themenfelder (noch nicht für den Krieg in der Ostukraine, der erst nach ihrem Untersuchungszeitraum begann).

Im starken Unterschied zu den Talkshows zeigt sich bei den Printmedien – vor allem mit inhaltlichem Bezug auf die Krim-Annexion – eine kritische Position gegenüber Russland. Etwa 60 Prozent der Frames sind russland-kritisch, jeweils etwa 10 Prozent russland-freundlich (oder kritisch gegenüber dem Westen) bzw. plädieren für Ausgleich und Verständigung. Die russische Ankündigung der Krim-Annexion markiert hier einen Wendepunkt. Die Annexion wird eindeutig als Verstoß gegen das Völkerrecht thematisiert, wodurch ein Frame entsteht, der das russische Vorgehen als nicht zu rechtfertigen präsentiert. Dementsprechend wird in diesem Zusammenhang auch der Frame von Russland als autokratischem Staat oft verwendet. Trotzdem wird bei der Eskalationsverantwortung weiterhin differenziert. Nach Khans Auswertung beträgt das Verhältnis der Schuldzuweisungen an Russland und den Westen etwa 2:1. Bei der Diskussion um Sanktionen greift dann der Völkerrechts-Frame nicht mehr: Zustimmung und Ablehnung sind in der Berichterstattung der deutschen Printmedien etwa gleich stark.

Gleichzeitig zeigt sich, dass über innenpolitische Themen der Ukraine deutlich weniger berichtet wird. Zentraler Frame ist hier die "innere Spaltung der Ukraine". Gleichzeitig wird die Rolle ultra-rechter Kräfte in der Ukraine regelmäßig thematisiert. Während die Autorin mit diesen Ergebnissen "Vorwürfe des Verschweigens" zurückweist (S. 236), würde die Osteuropaforschung eher darauf hinweisen, dass hier russische Frames wiederholt wurden, die die Ukraine als "faschistisch" und als "kein echtes Land" beschreiben. Wie die Ergebnisse nationaler Wahlen in der Ukraine fünf Jahre später zeigten, basieren beide auf Fehleinschätzungen. Keine rechtsextreme Partei hat genug Stimmen für den Einzug ins Parlament erhalten und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und seine Partei erzielten jeweils überwältigende Wahlsiege in der gesamten Ukraine – ohne erkennbare Spaltung.

Die Autorin weist auch darauf hin, dass für die Ukraine "komplexe Zusammenhänge nicht auf breiter Ebene tiefergehend beleuchtet" werden (S. 240), was viel damit zu tun haben dürfte, dass deutsche Journalist:innen in der Ukraine kaum noch vertreten waren und die deutsche Berichterstattung über Büros in Moskau oder Warschau erfolgte. Dies änderte sich erst wieder mit dem russischen Großangriff. Bereits Anfang März 2022 waren 25 deutsche Auslandskorrespondent:innen in der Ukraine. Ein Jahr später beschloss die ARD, ein Studio in Kyjiw zu eröffnen. Der Spiegel zum Beispiel war zu diesem Zeitpunkt mit fünf Journalist:innen in der Ukraine vertreten.

Resümee

Die Bewertung der Rolle von Massenmedien orientiert sich vor allem am Ideal der Meinungsfreiheit und verlangt deshalb eine möglichst faire und ausgeglichene Wiedergabe unterschiedlicher inhaltlicher Positionen. Dabei stellt sich aber sofort die Frage, wessen inhaltliche Positionen zu berücksichtigen sind.

Während Kommentare im Internet und auf sozialen Medien von russischen "Trollfabriken" zugunsten der russischen Position verfälscht wurden und werden, zeigen repräsentative Meinungsumfragen, dass eher "russland-freundliche" Positionen in der deutschen Bevölkerung lange Zeit mehrheitsfähig waren und auch jetzt noch von einem großen Teil – wenn auch bei weitem nicht mehr der Mehrheit – unterstützt werden.

Die wissenschaftliche Osteuropaforschung ist sich hingegen weitgehend einig, dass Russland Kompromissbereitschaft als Schwäche interpretiert und dass die Ukraine das Völkerrecht auf ihrer Seite hat und deshalb Unterstützung verdient. Sie sieht deshalb eine "falsche Ausgewogenheit", wenn echter wissenschaftlicher Expertise eine populistische und inhaltlich nicht fundierte Position als gleichwertig gegenübergestellt wird. Die implizite Annahme ist dabei, dass fundierte inhaltliche Positionen, die auf jahrelanger wissenschaftlicher Beschäftigung mit der Region basieren, wichtiger sind als nur von Sorge oder Vorwürfen getragene Beiträge.

Wenn sich die Rolle der Massenmedien am Konzept der deliberativen Demokratie orientieren soll, bei der es nicht einfach um Meinungsfreiheit geht, sondern um eine sinnvolle inhaltliche Debatte, an deren Ende der beste Vorschlag sich durchsetzt, dann zeigt die Medienberichterstattung zur Ukraine und zur Rolle Russlands ganz klar die Grenzen dieser Idee für den deutschen Fall auf.

Wie die hier vorgestellten Analysen des Jahres 2014 zeigen, dreht sich die Debatte nunmehr seit zehn Jahren im Kreis. Durch den großflächigen russischen Angriffskrieg seit 2022 ist sie wieder lauter geworden, wirklich weiterentwickelt hat sie sich nicht. Immer noch wird in Talkshows prominent gefordert, dass die deutsche Außenpolitik mäßigend wirken soll, Verhandlungen mit Russland fördern soll und die Ukraine nicht zu sehr unterstützen solle, um die "weitere Eskalation" zu vermeiden (siehe auch die Analyse von Marcus Welsch in der vorliegenden Ausgabe). Immer noch ist die journalistische Berichterstattung vor allem damit beschäftigt, grobe Fehleinschätzungen zu den Motiven russischer Politik, zu Regeln des Völkerrechts oder zur Rolle von Sprache, regionaler "Spaltung" oder Rechtsextremismus in der Ukraine zu thematisieren.

Die öffentliche Debatte kann deshalb nicht den dringend erforderlichen nächsten Schritt machen. Wie Khan bereits für die Berichterstattung 2014 konstatiert, fehlt es bezüglich der Ukraine an inhaltlicher Breite und Tiefe. Vor allem aber werden durch die Fokussierung auf das Für und Wider von "Waffenstillstand jetzt!" in die Zukunft weisende Fragen ausgeblendet. Wie kann die Ukraine die vielen Belastungen und Zerstörungen durch permanente russische Angriffe überstehen? Wie soll eine europäische Sicherheitsordnung aussehen, die Russlands Nachbarstaaten auch außerhalb der NATO ein friedliches Weiterleben ermöglicht? Was bedeutet Russlands Angriffskrieg für die NATO, was die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine für die EU? Was bedeutet die Tatsache, dass Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Besuch in Deutschland wegen Kriegsverbrechen verhaftet werden müsste, für die weiteren Verhandlungen mit ihm? Die Liste dieser Fragen ist lang. Versuche einer Antwort finden sich bisher vor allem in wissenschaftlichen Zeitschriften, kaum in journalistischen Medien. Für eine sinnvolle Diskussion der Lage sind sie aber unverzichtbar.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Heiko Pleines leitet die Abteilung Politik und Wirtschaft der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. Er ist Kurator der Kategorie »Meinungsumfragen« bei Discuss Data – Externer Link: https://www.discuss-data.net/categories/opinion-polls/.