Die russische Invasion der Ukraine im Februar 2022 war nicht nur ein Angriff auf das Land selbst. Sie kann auch als Angriff auf die demokratische und internationale Ordnung verstanden werden. So bemerkte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg während seiner Eröffnungsrede beim Aspen – GMF Bukarest Forum Ende November 2022 treffend : "There can be no lasting peace if oppression and autocracy prevail over freedom and democracy." ["Es kann keinen dauerhaften Frieden geben, wenn Unterdrückung und Autokratie über Freiheit und Demokratie siegen."] (Externer Link: https://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_209375.htm). Neben den politischen Konsequenzen der Invasion hat der Krieg jedoch auch wirtschaftliche Folgen. Besonders betroffen davon ist die Europäische Union. So können die steigenden Energiepreise und generelle Preissteigerungen mitunter auf den Stopp der Gaslieferungen aus Russland zurückgeführt werden.
In einem bisher nicht-begutachteten Arbeitspapier (Externer Link: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4309413) gehen wir der Frage nach, inwieweit sich dänische und deutsche Bürger:innen von häufig vorgebrachten Argumenten für und gegen eine weitere allgemeine Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen Russland überzeugen lassen. Argumente für eine weitere Unterstützung beziehen sich sowohl auf die Bedeutsamkeit von Demokratie und westlichen Werten als auch auf Hinweise auf Russlands Menschenrechtsverletzungen. Außerdem führten wir auch rationale, sicherheitspolitische Argumente an, wonach kriegerische Auseinandersetzungen generell als nicht akzeptabel angesehen werden und große Unsicherheit besteht, ob Russland ein mögliches Friedensabkommen überhaupt einhalten würde. Als Gegenargument führten wir an, dass ein Kompromiss zwischen beiden Kriegsparteien die wirtschaftlichen Probleme lösen würde, von denen viele Deutsche und Dän:innen zurzeit betroffen sind. Diese Argumente waren alle prominent in deutschen und dänischen Tages- und Wochenzeitungen im Jahr 2022 vorzufinden.
Um die Wirkungskraft dieser Argumente zu testen, führten wir zwei Online-Umfragen in der ersten Oktoberhälfte 2022 in Dänemark und Ende November in Deutschland durch. Deutschland war von besonderen Interesse, da es vor kurzem noch hochgradig abhängig von russischem Gas war und wir erwarteten, dass das wirtschaftliche Argument deshalb besonders überzeugt. Als Vergleichsfall wurde Dänemark herangezogen, in welchem die meisten Bürger:innen die Ukraine unterstützen und welches unabhängiger von Russland ist. Die Zielgruppe der Umfrage waren jeweils etwa 2.000 Befragte, die in Bezug auf Alter, Geschlecht und Region repräsentativ für die Gesamtbevölkerung der jeweiligen Länder sind.
Zentraler Bestandteil unserer Umfragen war ein einfaches Entscheidungsexperiment, in dem die Befragten zwischen den Äußerungen "Wir sollten den Kampf der Ukraine gegen Russland weiterhin unterstützen" und "Wir sollten die Ukraine ermutigen, einen Kompromiss mit Russland zu finden" zufällig mit oder ohne einem der oben genannten Argumenten wählen konnten.
Die Ergebnisse in Grafik 1 unten zeigen die Veränderungen in der Zustimmung mit der Aussage "Wir sollten den Kampf der Ukraine gegen Russland weiterhin unterstützen", wenn die oben genannten zusätzlichen Argumente mit angeführt werden. Das Ergebnis zeigt deutlich, dass das Gegenargument, dass ein Kompromiss mit Russland die wirtschaftlichen Probleme beheben würde, Befragte nicht überzeugen kann, die Ukraine zu einem Kompromiss zu ermutigen. Argumente, die begründen, warum es wichtig ist, die Ukraine weiterhin zu unterstützen, erhöhen hingegen die Zustimmung für die Unterstützung um zwischen fünf und zwölf Prozentpunkte.
Zusammengefasst zeigen unsere Ergebnisse, dass demokratisch-normative und rationale, sicherheitspolitische Argumente Dän:innen und Deutsche überzeugen können, die Ukraine weiterhin zu unterstützen. Überraschenderweise scheint das ökonomische Argument trotz der gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten keinen Einfluss auf die Haltung der Befragten in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine zu haben. In unserem Arbeitspapier fanden wir zudem heraus, dass das explizite Erwähnen von höheren Stromkosten direkt vor dem Entscheidungsexperiment die Unterstützung für die Ukraine ebenfalls nicht verringern.
Unsere Forschungsergebnisse sind aus zwei Gründen wichtig: Erstens legt unsere Studie nahe, dass Russlands Versuche, westliche Bevölkerungen mit wirtschaftlichen Mitteln zu erpressen, nur wenig erfolgsversprechend sind. Zweitens scheinen sich Bürger:innen in Westeuropa von demokratisch-normativen und rationalen, sicherheitspolitischen Argumenten überzeugen zu lassen, warum es wichtig ist, die Ukraine weiterhin zu unterstützen. Das wiederum ist ein sehr gutes Zeichen für Demokratien weltweit. Eine interessante offene Frage in der aktuellen Debatte ist, inwieweit Politiker:innen demokratisch-normative und sicherheitspolitische Argumente verwenden können, um Unterstützung für Panzerlieferungen und andere Maßnahmen zu generieren. Da wir in unserer Studie nach allgemeiner Unterstützung für die Ukraine, nicht aber nach konkreten Maßnahmen wie Waffen- oder Panzerlieferungen, fragen, können wir jedoch nicht mit Gewissheit sagen, ob diese Argumente dann ebenfalls überzeugen würden.