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Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Ukraine-Analysen Nr. 278

Inna Wolosewytsch

/ 10 Minuten zu lesen

Wie konnten die Meinungsforscher:innen von "Info Sapiens" ihre Arbeit trotz des Krieges in der Ukraine fortführen? Was zeigen die Umfragedaten, und was sollte bei deren Interpretation beachtet werden?

Ukrainer:innen suchen während eines Luftangriffes Zuflucht in einer U-Bahn-Station. (© picture-alliance, NurPhoto | Maxym Marusenko)

CATI-Umfragen zu Kriegszeiten: Methodologie und Organisation

"Ich hoffe, Sie, Ihre Kolleg:innen, Familien und Freund:innen sind in diesen schwierigen Zeiten in Sicherheit. Wie steht es jetzt um "Info Sapiens"? Sind Sie immer noch aktiv? Teilen Sie uns bitte mit, wie Ihre Situation ist, damit wir entsprechend planen können."

Diese Nachricht habe ich von einem internationalen Kunden am 24. Februar 2022 erhalten, in einem Luftschutzraum, wo es WLAN gab. Ich fragte die Kolleg:innen ob sie arbeiten wollen, und die meisten bejahten das. In den ersten drei Monaten des Krieges gab es sogar einen Wettbewerb darum, wer einen Job übernimmt, weil es in jenen Tagen wenig Arbeit gab – viele Kunden hatten ihre Projekte auf Eis gelegt. Für mich war Arbeit der einzige Weg, nicht verrückt zu werden. Unsere Telefoninterviewer:innen sagten das Gleiche: Sie wollten arbeiten, weil jegliche Betätigung in diesem Albtraum eine Illusion von Normalität schafft.

Die Arbeit von "Info Sapiens" war während der Coronapandemie 2020 nicht zum Stillstand gekommen. Wir hatten auf Homeoffice umgestellt und ein "virtuelles CATI-Studio" gestartet (CATI: Computer Assisted Telephone Interviews). Dabei arbeiteten die Interviewer:innen zu Hause, und das Einwählen der Nummern, die Aufzeichnungen und die Kontrolle sind zentral organisiert (siehe Foto 1 unten).

(© Tetjana Kobylynska)

Die erste Schwierigkeit war methodologischer Natur: Wie können angesichts der Binnenmigration und der Flucht ins Ausland Stichproben erstellt werden? Die einzige Lösung war, sie auf der Grundlage der Vorkriegssituation zu erstellen. Daher fügten wir dem Fragenkatalog zwei Fragen hinzu:

  • Wo haben Sie vor Beginn des großangelegten Krieges gelebt?

  • Sind Sie seitdem umgezogen? Wenn ja – wo leben Sie jetzt? Außerdem fragten wir, ob die betreffende Person jetzt auf einem Gebiet lebt, das 2022 von Russland besetzt wurde.

Die erste Überraschung bestand darin, dass die Rücklaufquote dreimal höher war als vor dem Krieg (und im Januar 2023 nochmal höher lag). Hierfür sind mindestens vier Erklärungen möglich:

  • Die Menschen wollen die Welt über die Ukraine informieren (da wir erwähnt hatten, dass die Daten in westlichen Medien veröffentlicht werden);

  • Die Menschen wollen in einer Extremsituation ihre Erfahrungen, Gefühle und Gedanken mitteilen;

  • Eine gestiegene Empathie in der ukrainischen Gesellschaft: Menschen sind einander gegenüber freundlicher und hilfsbereiter – sogar Interviewer:innen gegenüber;

  • Die größere Menge freier Zeit aufgrund der gestiegenen Arbeitslosigkeit (die sich seit Beginn des Krieges zeitweise verdreifacht hatte, im Januar 2023 war sie noch doppelt so hoch).

Die zweite Überraschung war die Sprache: 23 Prozent wählten Russisch als Interviewsprache, während es vor dem Krieg noch 33 Prozent waren (bis Ende 2022 ging der Wert auf 14 Prozent zurück). Bei "Info Sapiens" waren über die Hälfte der Mitarbeitenden russischsprachig (auch wenn die meisten von ihnen zweisprachig sind und in Gesprächen mit ukrainischsprachigen Kolleg:innen zum Ukrainischen wechseln). Nach dem 24. Februar sind jedoch die meisten zum Ukrainischen übergegangen.

Für die größte Verblüffung sorgten die folgende Ergebnisse: Die ukrainische Gesellschaft hatte sich innerhalb einer Woche offenbar drastisch gewandelt: 56 Prozent der Befragten waren nun gegen den Vorschlag, der Ukraine den Beitritt zur NATO zu verwehren, selbst wenn ein Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft den Krieg beenden würde. Vor dem 24. Februar hatten nur 48 Prozent die NATO-Mitgliedschaft befürwortet.

Darüber hinaus waren 79 Prozent der Ukrainer:innen gegen eine offizielle Anerkennung der früher besetzten Gebiete des Donbas als russisches Staatsgebiet, während 75 Prozent sich gegen eine offizielle Anerkennung der Krim als Teil von Russland aussprachen, selbst wenn dies den Krieg beenden würde.

Ich habe in der Stadt Wassilkiw gelebt, rund 20 Kilometer von Kyjiw entfernt, wo Dutzende Raketen und Bomben auf Häuser, Schulen und Krankenhäuser niedergingen, und es acht Tage lang Beschuss gab, weil russische Luftlandetruppen gelandet waren. In dieser Zeit hätte ich alles akzeptiert, damit nur der Krieg ein Ende fände. Das ist der Grund, warum ich von dem Mut der Ukrainer:innen beeindruckt war, die nicht bereit waren, die Forderungen Putins für ein Ende des Krieges zu akzeptieren. Diese waren: Beitrittsverzicht zur NATO, obwohl die NATO der Ukraine gar keine Mitgliedschaft angeboten hat; kein Anspruch der Ukraine auf die Krim und die besetzen Gebiete des Donbas als ihr Staatsgebiet, auch wenn wir damals nicht über genügend militärische Ressourcen verfügten, um diese Territorien zurückzugewinnen.

Ich hatte sogar angenommen, dass diejenigen, die sich Putins Forderungen entgegenstellen, Menschen waren, die nicht unter den Bomben zu leiden hatten, lag aber falsch. Insbesondere unter den Bewohner:innen von Kyjiw, die unter zahlreichen Raketenangriffen und Explosionen zu leiden hatten, waren 86 Prozent gegen eine Anerkennung der früher besetzten Gebiete des Donbas als ein Teil Russlands, 81 Prozent sind gegen eine Anerkennung der Krim als Teil Russlands, 63 Prozent gegen ein "Verbot" einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Unter den Bewohner:innen der besetzten Gebiete waren diese Zahlen noch höher als bei der Gesamtbevölkerung!

Ich persönlich war der gleichen Ansicht: Wenn wir Putins Forderungen akzeptieren, bleiben die Verbrechen ungestraft, und der Terror und die Gräueltaten werden weitergehen. Russland hat seit 1991 zwölf (!) lokale Kriege begonnen – wir müssen das stoppen.

Vor der Veröffentlichung der Umfrageergebnisse habe ich eine befreundete Person gefragt, die im Präsidentenbüro arbeitet, ob man dort mit einer Veröffentlichung einverstanden sei; es gab keine Einwände. Das war die erste Umfrage zu den Einstellungen hinsichtlich der russischen Forderungen. Sie wurde sogar in der "Washington Post" veröffentlicht. Seitdem hat sich die unverrückbare Haltung gegenüber Putins Bedingungen verstärkt. Im Januar 2023 waren 68 Prozent der Befragten gegen eine "Verbot" einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine als Bedingung für ein Ende des Krieges.

Zudem haben wir festgestellt, dass in unseren Umfrageergebnissen die Anzahl der Ukrainer:innen im Ausland und in den 2022 besetzten Gebieten zu niedrig ausfällt. Die Befragten, die wir als Kriegsflüchtlinge im Ausland erreichten, machten nur ein Prozent der Bevölkerung aus, obgleich die UNO zum Zeitpunkt der Umfrage von rund anderthalb Millionen Geflüchteten ausging, was rund 4 Prozent der Bevölkerung entsprach. Auch wussten wir, dass es in einigen besetzten Ortschaften zur Zeit der Umfrage keinen Mobilfunkempfang gab. Also haben wir die Einschränkungen der Umfragen zu Kriegszeiten im Vergleich zu den Umfragen von 2014–2021 so formuliert:

  • Unzureichende Erfassung von Ukrainer:innen im Ausland (hauptsächlich wegen der Roaming-Kosten). Der einzige Weg, diese Gruppe zu erfassen, besteht darin, eine zusätzliche Stichprobe zu erstellen, was wir für einige Kund:innen auch getan haben.

  • Unzureichende Erfassung von Bewohner:innen in Siedlungen in den 2022 von Russland vorübergehend besetzten Gebieten (Gebiete, in denen ukrainische Mobilfunkbetreiber keine Dienste anbieten).

Niemand kannte die Geschlechts- oder Altersstruktur der Emigrant:innen bzw. Bewohner:innen der besetzten Gebiete, also bestand die einzige Lösung darin, die Struktur aus Vorkriegszeiten zu belassen. Die ungewichtete CATI-Stichprobe zu Kriegszeiten unterscheidet sich nicht wesentlich von der Vorkriegsstichprobe (es gab ein wenig mehr Männer und weniger junge Menschen, aber die Differenz ist nicht signifikant). Darüber hinaus hatten die meisten der befragten Ukrainer:innen vor, ins Land zurückzukehren. Und die meisten befragten Bewohner:innen besetzter Gebiete wollen in der Ukraine leben. Daher gehen wir davon aus, dass die soziale Struktur nach dem Krieg der Vorkriegsstruktur ähneln wird.

Die Stromausfälle von November bis Januar bedeuteten ein großes Hindernis für die CATI-Umfragen:

  • Die Interviewer:innen hatten oft keinen Strom.

  • Die Befragten hatten oft keinen Strom und wollten die Akkus ihrer Handys nicht aufbrauchen. Auch hatten sie, wenn sie einmal Strom hatten, es eilig, ihre Hausarbeit zu erledigen, die sie ohne Strom nicht bewältigen konnten (Kochen, Waschen usw.).

Wir sahen folgende Lösungen:

  • Während wir das CATI-Studio 2020 wegen der Coronapandemie aussetzten und ein "virtuelles" Studio starteten, mussten wir es 2022 wiederbeleben, aufgrund des Krieges – so sieht das Leben in der Ukraine aus. Wir haben einen Generator im Büro, damit die Interviewer:innen nicht vom Stromnetz abhängig sind.

  • Wir haben für die CATI-Umfragen nur kurze Fragebögen erstellt und bei ausführlichen Fragebögen eine persönliche Befragung angeboten.

(© Ivan Hadji)

Persönliche Umfragen zu Kriegszeiten: Methodologie und Organisation

"Info Sapiens" hatte über ein landesweites Netz von rund 700 Interviewer:innen und Umfrageleiter:innen mit über 200 Geräten (Tablets) für CAPI (Computer Assisted Personal Interviews) verfügt. Dieses Netz wurde im November 2022 wiederhergestellt, als wir die erste landesweite persönliche (face-to-face) Umfrage starteten. Die ersten persönlichen Umfragen zu Kriegszeiten wurden im August durchgeführt, allerdings nur im Westen und in der Zentralukraine. Die Interviewer:innen berichteten auch, dass die Rücklaufraten im Vergleich zu Vorkriegszeiten höher waren, wie auch bei den CATI-Umfragen.

In den besetzten Gebieten und den frontnahen Gegenden der Gebiete Donezk und Luhansk führen wir keine persönlichen Umfragen durch, weil CATI-Umfragen kriegsgefährdete Gruppen und Regionen besser erfassen. Gleichzeitig erfasst unser Netz für persönliche Befragungen alle Siedlungen, die gesetzlich nicht als besetzt oder Gebiete mit Kampfhandlungen eingestuft sind. Mehr noch: Wir erfassen sogar einige Ortschaften, die per Anordnung (ukr.:postanowa, siehe Externer Link: https://zakon.rada.gov.ua/laws/show/1364-2022-%D0%BF#Text) als Kampfgebiete eingestuft sind, wo es allerdings in der Praxis für Interviewer:innen sicher ist.

Wir stießen auch auf methodologische Probleme: Während die CATI-Methode eine einfache zufällige Auswahl von Befragten ergibt, muss bei einer CAPI-Umfrage die Stichprobe im Voraus erstellt werden. Die einzige Lösung besteht darin, die Stichprobe hinsichtlich der geografischen Verteilung zu erstellen (da die sich ständig verändert), und angelehnt an frühere CATI-Ergebnisse, und die Daten dann aufgrund der Bevölkerungsverteilung vor dem Krieg zu gewichten.

Ein anderes Problem sind Stromausfälle, die aber auf CAPI-Umfragen weniger negative Auswirkungen haben als auf CATI-Umfragen.

Die wichtigsten Veränderungen in der ukrainischen Gesellschaft 2022

Fasst man alle Studien von "Info Sapiens" aus dem Jahr 2022 zusammen, lassen sich folgende wichtigste Veränderungen in der ukrainischen Gesellschaft ausmachen:

  • Der Glaube an die ukrainische Staatlichkeit und deren Zukunft hat ganz erheblich zugenommen: 2020 waren 69 Prozent der Befragten stolz, Bürger:innen der Ukraine zu sein, jetzt sind es 98 Prozent; im Dezember 2021 glaubten 15 Prozent, dass die Dinge in der Ukraine richtig laufen, im Dezember 2022 waren das 75 Prozent; im Februar 2022 (vor der Invasion) glaubten 56 Prozent, dass die Ukraine eine russische Invasion abwehren würde, im März 2022 waren es 91 Prozent, wonach dieser Wert bis Januar 2023 stabil blieb; im April 2022 waren 84 Prozent hinsichtlich der Zukunft der Ukraine optimistisch (für die Zeit vor dem Krieg haben wir keine Zahlen, aber im Allgemeinen hatten sich die Ukrainer:innen sehr pessimistisch gezeigt).

  • Bürgerschaftliches Engagement hat sehr stark zugenommen. 2020 hätten 57 Prozent ihr Land verteidigt, 2022 würden 67 Prozent dies tun (78 Prozent der Männer und 59 Prozent der Frauen). Als wir über zivilen Ungehorsam fragten, erklärten sich fast 100 Prozent hierzu bereit. Fast 100 Prozent beteiligten sich 2022 an bürgerschaftlichem oder karitativem Engagement (vor allem bei der Unterstützung der Armee oder anderer Ukrainer:innen, die durch den Krieg gelitten hatten).

  • Das gegenseitige Vertrauen unter den Menschen sowie das Vertrauen in alle gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen hat zugenommen. Nicht nur in die Armee, die Freiwilligen und den Präsidenten, die das größte Vertrauen genießen, sondern auch in die Zentralregierung und die regionalen Behörden (wobei hier bei ersterer das Vertrauen geringer war und bei letzteren größer), in die Polizei, in NGOs, die Medien, in die Wirtschaft und sogar in die Gerichte, die traditionell das geringste Vertrauen genossen (womöglich ist das gewachsene Vertrauen in die Gerichte durch die Verfahren gegen einige korrupte Richter:innen zu erklären).

  • Die Ablehnung alles Russischen hat sehr stark zugenommen. Der Anteil der Ukrainischsprachigen hat von 46 Prozent im Februar 2022 auf 61 Prozent im August zugenommen, und der Anteil der Russischsprachigen ist von 26 Prozent auf 15 Prozent zurückgegangen (die übrigen sind bilingual).

  • Der Anteil der Anhänger:innen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats ging von 15 Prozent im Februar 2022 auf 4 Prozent im Juni zurück. 2021 und 2022 äußerten sich 72 Prozent der Ukrainer:innen ablehnend zu Russland, jetzt sind es 96 Prozent. Der Anteil derjenigen, die sich positiv über Russland äußerten, sank von 20 auf ein Prozent.

  • Die Unterstützung für einen EU- oder NATO-Beitritt hat sehr stark zugenommen: 91 Prozent der Ukrainer:innen befürworteten im Juli 2022 einen EU-Beitritt, und 85 Prozent einen NATO-Beitritt (vor 2022 lagen diese Werte zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen 60 und 70 Prozent). Darüber hinaus würden die meisten Ukrainer:innen einem Verzicht auf eine EU- oder NATO-Mitgliedschaft nicht zustimmen, selbst wenn dies eine Bedingung für eine Beendigung des Krieges wäre.

  • Die Struktur der politische Ansichten unterscheiden sich nicht mehr signifikant zwischen den Regionen (2022 haben wir die Daten gewöhnlich anhand der Wohnorte vor dem Krieg analysiert). Vor 2022 unterschieden sich die Antworten auf die meisten politischen Fragen je nach Region und die Ukraine war – abhängig vom Ausmaß des Einflusses Russlands – geteilt.

Schlussfolgerungen

Während des Krieges erfolgten innerhalb einer Woche Veränderungen in der ukrainischen Gesellschaft, für die es normalerweise Jahre braucht. Umfragen zu Kriegszeiten sind sehr wichtig, weil sie es ermöglichen, die Folgen des Krieges abzuschätzen und Prognosen über dessen Ende abzugeben. Die meisten Politiker:innen und internationalen Geberorganisationen legen jedoch ihre Studien auf Eis, nämlich aufgrund der Unsicherheit und der falschen Annahme, dass "es unmöglich ist, im Krieg verlässliche Umfragen durchzuführen". Die Erfahrungen der Ukraine belegen die Zuverlässigkeit solcher Umfragen: Unterschiedliche Organisationen haben mit unterschiedlichen Methoden ähnliche Ergebnisse ermittelt, wobei letztere über die Zeit stabil waren. Die einzigen Beschränkungen bestanden in einer unzulänglichen Erfassung von Ukrainer:innen im Ausland und in den besetzten Gebieten. Sie betreffen jedoch weniger als 20 Prozent der Bevölkerung. Die Ergebnisse der gesonderten Umfragen bei Ukrainer:innen im Ausland und bei Bewohner:innen der besetzten Gebiete zeigen, dass die politischen Ansichten dort den Einstellungen der Bevölkerung in den von der Regierung kontrollierten Gebieten ähneln.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Danksagung

Die Autorin bedankt sich für die Gastfreundschaft und Großzügigkeit des Internationalen Schriftsteller- und Übersetzerhauses in Ventspils sowie für das Stipendium von KROKODIL. Dort fand sie eine Bleibe, als es in ihrem Haus in der Ukraine keinen Strom gab. Diese Unterstützung ermöglichte es ihr, diesen Text zu verfassen.

Über Info Sapiens

Das ukrainische Meinungsforschungsinstitut »Info Sapiens« hat sich auf Meinungsumfragen, Verhaltensforschung und Datenanalyse aus Sekundärquellen spezialisiert. Dem Ukrainischen Marketingverband zufolge war Info Sapiens 2020 das größte Meinungsforschungsinstitut, nach den Filialen internationaler Unternehmen (es rangierte auf Platz sechs aller Unternehmen und auf Platz eins der ukrainischen Firmen). »Info Sapiens« hat seit Beginn des großangelegten Krieges die Arbeit keinen einzigen Tag eingestellt.

Weitere Inhalte

Inna Wolosewytsch ist stellvertretende Direktorin des Meinungsforschungsinstituts "Info Sapiens". Insgesamt hat sie über 18 Jahre hinweg Erfahrungen in der Sozialforschung gesammelt und leitet jetzt sämtliche Forschungsprojekte von "Info Sapiens" sowie ein Team von 18 Fachleuten. Die meisten Forschungsprojekte gehören zur Sparte technische Unterstützung im Bereich der internationalen Zusammenarbeit (andere werden im Auftrag von Privatfirmen oder politischen Organisationen durchgeführt). Inna Wolosewytsch erlangte einen Mastertitel cum laude in Soziologie an der Nationalen Universität "Kyjiwer Mohyla-Akademie" und ist Mitglied von ESOMAR.