Die am 24. Februar 2022 begonnene russische Invasion in die Ukraine hat plötzliche und gewaltige Fluchtbewegungen hervorgerufen. BewohnerInnen der Ukraine fliehen vor den russischen Angriffen sowohl innerhalb der Ukraine, in ruhigere Regionen, als auch ins Ausland, insbesondere in die Nachbarstaaten wie Polen oder Rumänien. Hunderttausende werden, oft unfreiwillig, nach Russland gebracht. Aber auch in Deutschland wurden bis Anfang Mai etwa 600.000 geflüchtete UkrainerInnen erfasst. Wie gehen die verschiedenen Orte und Staaten mit den Flüchtenden um? Und wie geht es den Menschen vor, während und nach der Flucht?
Leben und Flucht im Krieg
Die Situation der Menschen in der Ukraine unterscheidet sich stark und hängt im Wesentlichen von den sich verschiebenden Kampfhandlungen ab. Menschen fliehen aus stärker umkämpften Orten dorthin, wo es ihnen sicherer erscheint. In manchen Fällen verlassen sie ihr Haus, um in einem anderen Stadtteil oder im Nachbardorf Unterschlupf zu finden. In anderen flüchten sie weiter in eine andere Region, wobei sich die Wahl der Regionen mit der Entwicklung des Kriegsgeschehens verändert.
In manchen Gebieten, insbesondere in vielen Dörfern, ist ein quasi normales Leben möglich. Jedoch können die BewohnerInnen nicht sicher sein, wie lange diese relative Normalität anhalten wird. Außerdem sorgen sie sich, wie alle Menschen in und aus der Ukraine, um die Zukunft ihres Landes und die Sicherheit ihrer Angehörigen, Freunde und Bekannten, die kämpfen oder im Kriegsgebiet leben. Manche erhalten Nachrichten über Todesfälle aus ihrem Umkreis.
In einigen Städten wie Lwiw und Dnipro ist es meist ruhig. Viele Menschen aus den umkämpften Gebieten sind in solche scheinbar sichereren Orte geflohen. Jedoch verübt die russische Armee immer wieder Raketenangriffe tief ins Innere des Landes, wodurch auch in Städten und Regionen weit entfernt von der Front Menschen verletzt und getötet werden. Die BewohnerInnen hören regelmäßig Luftangriffssirenen und leben mit der Angst vor Luftangriffen.
An anderen Orten finden heftige Kämpfe statt, beispielsweise in den ersten Kriegswochen um Kyjiw und weiterhin um Charkiw. An besonders heftig umkämpften und belagerten Orten wie Mariupol und Isjum fehlt es an Trinkwasser, Nahrung, Strom, Gas, Medizin und Kommunikationsmöglichkeiten mit der Außenwelt. Die Menschen dort sind massiv durch die Kämpfe bedroht, können aber oft die Stadt nicht oder nur unter großer Gefahr verlassen. Zerstörte Brücken, verstärkte Angriffe auf die Bahninfrastruktur, unter Beschuss stehende oder verminte Straßen und der Mangel an Transportmöglichkeiten und Informationen erschweren die Flucht.
An zuvor heftig umkämpften Orten wie Tschernihiw und den Kyjiwer Vororten erkennt man die zerstörten Gebäude und Infrastruktur, die Verminung und die psychischen Schäden der BewohnerInnen. Von Orten wie Butscha, Borodjanka und Irpin, die vorübergehend von der russischen Armee kontrolliert worden waren, aber von der ukrainischen Armee zurückerobert wurden, erfährt man von Plünderungen, Einschüchterungen, gewaltvollen Übergriffen auf Zivilisten, Folter, Exekutionen und sexueller Gewalt durch die Besatzer. Einige Dörfer, zum Beispiel Andrijiwka nahe Kyjiw, sind fast vollständig zerstört. Es gibt keine Strom-, Gas- und Wasserversorgung mehr. Dennoch kehren viele erwachsene BewohnerInnen zurück, während die meisten Kinder noch in der Westukraine oder im Ausland bleiben.
Aus von der russischen Armee besetzten Orten wie Cherson hört man, dass die Besatzer die staatlichen Institutionen neu besetzen, Telefon- und Internetverbindungen kappen und die BewohnerInnen, besonders die Männer, an der Flucht hindern. Es wird auch berichtet, dass Menschen, insbesondere politisch aktive Personen und junge Frauen, verschwunden sind. Bei der Verhandlung von humanitären Korridoren aus Mariupol, versuchte das russische Regime, fast ausschließlich Fluchtrouten nach Russland einzurichten. Laut lokalen Behörden seien mehrere Tausend Menschen aus Mariupol mit Bussen gegen ihren Willen nach Russland entführt worden. Die ukrainische Ombudsfrau für Menschenrechte, Ljudmila Denissowa, erklärte am 25. März 2022, dass ca. 400.000 ZivilistInnen, insbesondere aus den Regionen Luhansk und Donezk, nach Russland zwangsverschleppt worden seien. Das russische Verteidigungsministerium sprach am 2. Mai 2022 von 1,1 Millionen aus der Ukraine nach Russland "evakuierten" Personen. Die Ausreise erfolgte mutmaßlich unter verschiedenen Umständen, darunter Ermangelung von alternativen Fluchtwegen aus unter Beschuss stehenden Orten, Desinformation bezüglich des Zielortes oder direktem Druck durch bewaffnetes russisches Militär.
In den selbst ernannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk werden die Männer unter Zwang in die Armee eingezogen und dürfen die von Russland kontrollierten de-facto Staaten nicht mehr verlassen. Einigen gelingt dennoch die Flucht, während die meisten sich verstecken. Auch in diesen Gebieten hören die Menschen die Geräusche der sich nähernden Gefechte.
Während manche Menschen sich früh zur Flucht entschlossen (ca. 5 Prozent noch vor Kriegsbeginn), zögern andere länger oder lehnen es ab, zu fliehen. Einige entscheiden, sich den kämpfenden Einheiten anzuschließen oder durch freiwilliges Engagement anderen zu helfen. Eine Umfrage des Kyjiwer Thinktanks CEDOS zeigt, dass einige bleiben, um zu arbeiten oder um ihr Haus zu schützen. Andere fürchten Gefahren auf der Flucht, aber auch am neuen Ort nicht willkommen zu sein. Wieder andere fühlen sich zu gelähmt, um Entscheidungen zu treffen. Viele hadern damit, Personen zurückzulassen, zum Beispiel Alte und Kranke, die nicht reisen können. Manche schrecken vor einer Flucht zurück, weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen, ihnen kein Transport oder keine Unterkunft am Zielort zur Verfügung steht.
Je nach Zeitpunkt und Strecke waren die Züge stark überfüllt und Flüchtende mussten ihre Fahrt verschieben. Alle Züge wurden zu gratis fahrenden Evakuierungszügen in Richtung Westukraine umfunktioniert. Dennoch konnten sie nicht immer dem Ansturm der Flüchtenden gerecht werden. Auch die Städte, in denen besonders viele Binnenvertriebene Schutz suchen, stehen vor enormen Herausforderungen. An vielen Orten wurden staatliche und ehrenamtliche Initiativen zur Essensverteilung und zur psychologischen und medizinischen Hilfe für die Binnenvertriebenen eingerichtet. Städte wie Lwiw und Dnipro organisieren Notunterkünfte sowohl in Wohngebäuden als auch in Schulen, Kindergärten, Turnhallen oder Kulturstätten. Dennoch sind sie dem Bedarf nicht gewachsen und haben Schwierigkeiten, den Menschen längerfristigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Ein Teil der Flüchtenden kommt bei Familie, Freunden oder Bekannten unter, aber andere müssen eine Unterkunft gegen Bezahlung mieten und sehen sich mit drastisch gestiegenen Mietpreisen, beispielsweise in Lwiw und Tscherniwzi, konfrontiert. Besonders Männer stehen unter Druck, sich der Armee anzuschließen. Für sie ist die Wohnraumsuche, beispielsweise in Lwiw, besonders schwierig, weil Gastgeber häufig der Ansicht sind, die Männer sollten kämpfen.
Flucht nach Europa: Eine durch die EU-Staaten unterstützte Migration
Insbesondere in den ersten drei Wochen des Krieges stieg die Anzahl der Personen, die laut Grenzbehörden der Nachbarstaaten die Ukraine verließen, rapide an. In dieser kurzen Zeit verließen ungefähr 3,2 Millionen Menschen die Ukraine, in den folgenden sechs Kriegswochen wurden weitere 2,2 Millionen Ausreisen gezählt. Die Flucht aus der Ukraine hat sich zwar verlangsamt, hat aber bei Weitem nicht aufgehört.
Viele Menschen fliehen etappenweise, erst in einen näher gelegenen Ort, dann weiter in eine andere Region und manche ins Ausland. Männliche ukrainische Staatsbürger zwischen 18 und 60 Jahren dürfen die Ukraine nicht verlassen. Viele Frauen entscheiden, ebenfalls zu bleiben, um ihre Männer, Söhne oder Väter nicht zurückzulassen. Viele fürchten auch den fremden Kontext, die unbekannte Sprache und die hohen Lebenshaltungskosten im Ausland. Diejenigen, die das Land verlassen, mussten in den ersten Wochen teilweise tagelang an den Grenzübergängen warten. Nach den Kriegserfahrungen und Tagen des Fahrens und Wartens sind die meisten erschöpft und verängstigt. Einige berichten von der Scham, ihr Heimatland zu verraten. Sie bangen um die Sicherheit der Zurückgebliebenen, manche auch um ihre Immobilien oder Unternehmen, und verbringen viel Zeit damit, mit Verwandten und Bekannten zu kommunizieren und die Nachrichten über den Krieg zu verfolgen. Viele hoffen auf eine schnelle Rückkehr in die Ukraine und haben Schwierigkeiten, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Sie hängen in einem Schwebezustand – nicht mehr ganz in der Ukraine, aber auch noch nicht ganz am neuen Ort angekommen und unsicher darüber, wie lange sie dortbleiben werden.
Laut ukrainischen Grenzbehörden haben zwischen dem 28. Februar und dem 4. Mai 2022 ungefähr 1,4 Millionen ukrainische StaatsbürgerInnen die Grenze in Richtung Ukraine überschritten, wobei es sich hierbei zu einem Teil um mehrfache Überquerungen handelt und nicht alle gezählten Personen dauerhaft in die Ukraine zurückkehren. Seit dem Rückzug der russischen Truppen aus dem Norden der Ukraine Anfang April 2022 und trotz Warnungen ukrainischer PolitikerInnen und Behörden kehren UkrainerInnen vermehrt in das Land und insbesondere nach Kyjiw zurück.
Die Mehrheit der ins Ausland geflüchteten Personen befindet sich in den Nachbarstaaten der Ukraine. Laut jeweiligen staatlichen Behörden sind bis zum 5. Mai 2022 über drei Millionen Menschen über die polnische Grenze geflohen, ca. 860.000 über die rumänische, 550.000 über die ungarische, 450.000 über die moldauische und 390.000 über die slowakische. In Polen befinden sich besonders viele geflüchtete UkrainerInnen. Laut der Unia Metropolii Polskich im. Pawła Adamowicza ist die Bevölkerung vieler polnischer Städte durch die ukrainische Fluchtbewegung signifikant gestiegen, beispielsweise bis Anfang April 2022 in Danzig, Katowice und Breslau um ca. 30 Prozent. Auch die Republik Moldau mit ihren nur 2,6 Millionen Einwohnern hat bis Mitte April 2022 ca. 100.000 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen.
Von den Nachbarländern ist ein Teil der Geflüchteten weiter gereist. Mehr als 600.000 Einreisen nach Deutschland von Menschen aus der Ukraine wurden laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zwischen Kriegsbeginn und 5. Mai 2022 dokumentiert. Allerdings wurden nicht alle Einreisen erfasst und ein Teil der Personen hat Deutschland wieder verlassen. Laut diesen Daten sind ca. 80 % der Erwachsenen Frauen und 40 % der Geflüchteten minderjährig.
Im Gegensatz zu anderen – vergangenen und gegenwärtigen – Fluchtbewegungen wird die Sekundärmigration der ukrainischen Geflüchteten in der EU erleichtert. Viele Transportunternehmen ermöglichen kostenlose Fahrten für Personen, die nachweislich vorher in der Ukraine lebten. Ukrainische StaatsbürgerInnen können seit 2017 mit einem biometrischen Pass visumsfrei in den Schengenraum einreisen und dort 90 Tage als Touristen verbringen. Dank der am 4. März 2022 vom Europäischen Rat erstmalig aktivierten Massenzustrom-Richtlinie (2001/55EG) können die aus der Ukraine Geflüchteten unkomplizierter vorübergehenden Schutz in der EU erhalten. Diese Richtlinie besagt, dass die EU Mitgliedsstaaten die Ein- und Durchreise der Flüchtenden erleichtern sollen. Mit Kriegsbeginn haben mehrere Länder, darunter Polen und Deutschland, die Pflicht eines biometrischen Passes und vorher bestehende Covid-19-Beschränkungen für Personen aus der Ukraine aufgehoben. Obwohl die Massenzustrom-Richtlinie die Möglichkeit einer Umverteilung vorsieht, werden die Geflüchteten aus der Ukraine bisher nicht zwischen den EU-Staaten umverteilt. Sie sind auch nicht – wie andere AsylbewerberInnen – verpflichtet, ihren Antrag auf einen Schutzstatus in dem EU-Staat einzureichen, den sie als Erstes betreten haben.
Die aus der Ukraine Geflohenen können sich frei innerhalb Deutschlands bewegen. Diejenigen, die privat untergebracht werden, können sich ihren Aufenthaltsort aussuchen. Dies ermöglicht es ihnen, sich an dem Ort niederzulassen, an dem sie Verwandte oder Bekannte haben. Personen, die eine staatliche Unterkunft benötigen, werden nach dem Königsteiner Schlüssel umverteilt. Insbesondere in Berlin, wo sich besonders viele Geflüchtete konzentrieren, werden derzeit nur Personen für den vorübergehenden Schutzstatus registriert, die eine dauerhafte Unterkunft, einen sehr nahen in Berlin wohnenden Verwandten, Transportunfähigkeit oder einen Arbeits- oder Studienplatz vorweisen können. Alle anderen werden innerhalb Deutschlands umverteilt – insbesondere auf strukturschwache Regionen mit besonders hohen Arbeitslosenzahlen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die in strukturschwache Gebiete zwangsumverteilten AsylbewerberInnen größere Schwierigkeiten hatten, einen Arbeitsplatz zu finden. Um die Umverteilung zu vermeiden, wohnen derzeit viele aus der Ukraine Geflüchtete ohne Registrierung in Berlin und erhalten folglich keine Sozialleistungen.
Ein großer Teil der aus der Ukraine Geflüchteten wird privat untergebracht. Laut einer Umfrage im Auftrag des Innenministeriums von Ende März 2022 wohnte knapp die Hälfte der befragten Geflüchteten aus der Ukraine bei Freunden oder Verwandten. Es ist anzunehmen, dass mit zunehmenden Fluchtzahlen dieser Anteil inzwischen gesunken ist. Zusätzlich bieten auch andere – bis zur Flucht unbekannte – Privatpersonen Wohnraum an. Jedoch sind diese Unterkünfte oft temporär. Geflüchtete verfügen häufig nur über eine kurzfristige Unterkunft für wenige Tage oder Wochen und wissen nicht, wo sie danach unterkommen können. Dies trägt zum Gefühl der Unsicherheit und der Planungsunfähigkeit bei. Vielerorts mangelt es an staatlichen Unterbringungsmöglichkeiten. Geflüchtete werden oft in Notunterkünften, häufig Massenunterkünften, untergebracht, die für die Betroffenen sehr belastend sind. Des Weiteren mehren sich Berichte, nach denen zentrale Unterbringungseinrichtungen überstürzt geräumt werden und ihre BewohnerInnen, AsylbewerberInnen aus anderen Ländern in zunehmend überfüllte Unterkünfte an teils weit entfernten Orten gebracht wurden. Der Versuch, den ukrainischen Geflüchteten schnell zu helfen, führt teilweise zu einer Verschlechterung der Situation von AsylbewerberInnen aus anderen Ländern, die sowieso unter frustrierenden Bedingungen zähe Prozeduren durchlaufen und in einer erzwungenen Untätigkeit gehalten werden.
Die Massenzustrom-Richtlinie sieht eine, im Vergleich zum Flüchtlingsstatus, schnellere und vereinfachte Prozedur zur Anerkennung des Schutzstatus vor. Im Gegensatz zu anderen AsylbewerberInnen dürfen ukrainische Geflüchtete sofort nach der Registrierung arbeiten. Auch die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen und der Zugang zu deutschen Hochschulen werden für ukrainische Geflüchtete erleichtert. Damit werden den Geflüchteten aus der Ukraine – vor allem den ukrainischen StaatsbürgerInnen unter ihnen – viele der Probleme und Gefahren erspart, denen Flüchtende aus anderen Ländern ausgesetzt waren und sind.
Menschen aus Drittstaaten: Die Situation der "Unerwünschten"
Vor dem Beginn der russischen Invasion lebten in der Ukraine Menschen aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichem legalen Status. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzte 2020, dass sich ungefähr 300.000 AusländerInnen mit dauerhaftem Aufenthaltstitel und weitere 150.000 Personen mit befristetem Aufenthaltstitel in der Ukraine aufhielten. Zusätzlich befanden sich noch einige Tausend offiziell registrierte AsylbewerberInnen und Personen mit Flüchtlingsstatus im Land. Allerdings wohnten zahlreiche Menschen ohne legalen Aufenthaltstitel in der Ukraine – darunter auch viele, die vor den Gefahren in ihren Heimatländern geflüchtet waren, die aber aufgrund des dysfunktionalen ukrainischen Asylsystems keinen Flüchtlingsstatus erhalten hatten.
Seit den 2000er-Jahren übernahm die Ukraine zunehmend im Auftrag der EU die Grenzsicherung für die östlichen EU-Staaten und hielt unerwünschte MigrantInnen auf. In teilweise von der EU finanzierten Haftanstalten wurden MigrantInnen eingesperrt, die ohne regulären Aufenthaltstitel oder beim Versuch eines unerlaubten Grenzübertritts in die EU aufgegriffen wurden, um sie von erneuten Versuchen irregulärer Migration in die EU abzuschrecken. Heute werden weiterhin einige Dutzend Personen in der Haftanstalt Schurawytschi ohne Luftschutzbunker und unter sich zunehmend verschlechternden Bedingungen festgehalten.
Laut Schätzungen der IOM sind seit Kriegsbeginn einige hunderttausend Drittstaatsangehörige aus der Ukraine geflohen. Nicht europäisch aussehende BewohnerInnen der Ukraine aus Drittstaaten, aber auch Roma, berichten von Diskriminierung, rassistischen Beleidigungen und Misshandlungen beim Grenzübertritt und auf der Flucht sowohl in der Ukraine als auch in der EU. Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung beobachtete Ende März 2022, dass anders aussehende Menschen immer wieder bei der Vermittlung von privaten Unterbringungen abgelehnt wurden.
Von den fliehenden Drittstaatsangehörigen ist nur ein Teil den ukrainischen StaatsbürgerInnen in der EU legal gleich gestellt. Nur diejenigen unter ihnen erhalten wie ukrainische StaatsbürgerInnen laut Massenzustrom-Richtlinie einen Aufenthaltstitel in der EU, die beweisen können, dass sie mit einem internationalen Schutzstatus (Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutzstatus) oder einem unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine lebten und nicht gefahrlos in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Alle anderen dürfen sich legal nur bis zum 23. Mai 2022 in Deutschland aufhalten und müssen dann ausreisen, verbleiben ohne legalen Status oder geraten durch Asylanträge in eine oft viele Jahre andauernde Wartephase.
Viele der für UkrainerInnen geltenden Regeln und Unterstützungsmaßnahmen vermeiden die zahlreichen Probleme, mit denen andere Gruppen bei ihrer Flucht in die EU konfrontiert sind. Diese Maßnahmen könnten zum Anlass genommen werden, den Umgang mit anderen Geflüchteten in Europa zu überdenken.
Fazit
Die plötzliche und gewaltige Fluchtbewegung in und aus der Ukraine reagiert auf die Kampfhandlungen im Land und verändert sich ständig. Die Unsicherheit bezüglich der Zukunft stellt sowohl für die Geflüchteten als auch für die Aufnahmestaaten eine große Herausforderung dar. Die EU hat darauf mit der erstmaligen Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie reagiert und schafft für Millionen ukrainischer Kriegsflüchtlinge in Europa verlässliche Rahmenbedingungen und eine mittelfristige Bleibe- und Arbeitsperspektive.
Viele Geflüchtete haben dennoch Schwierigkeiten, an dem neuen Ort anzukommen und Entscheidungen über ihre weitere Zukunft zu treffen, solange der Krieg andauert. Politik und Institutionen in den Aufnahmestaaten müssen Entscheidungen zum Umgang mit den Geflüchteten treffen, die teilweise auf einer unsicheren Vorhersage ihrer Aufenthaltsdauer basieren. Sicher scheint jedoch, dass aktuell die meisten geflohenen UkrainerInnen nach dem Ende des Krieges in ihre Heimat zurückkehren wollen. Schon jetzt wurden mehr als 1,4 Millionen Grenzübertritte in die Ukraine zurück registriert. Viele Menschen kehren in vermeintlich ruhigere Regionen zurück, wo aber dennoch teilweise Raketenangriffe stattfinden und die die Sicherheitslage weiter ungewiss ist.
Redaktionsschluss: 09.05.2022