Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte | Ukraine-Analysen | bpb.de

Ukraine Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter / Ukrainische Community in Deutschland / Deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften (29.04.2024) Analyse: Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Statistik: Integration in den Arbeitsmarkt Analyse: Die ukrainische Community in Deutschland Analyse: (Un)genutzte Potenziale in den deutsch-ukrainischen Kommunal- und Regionalpartnerschaften Dokumentation: Übersicht deutsch-ukrainischer Partnerschaften Chronik: 11. bis 31. März 2024 10 Jahre Krim-Annexion / Donbas nach der Annexion 2022 (21.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Dokumentation: Reporters Without Borders: Ten years of Russian occupation in Crimea: a decade of repression of local independent journalism Dokumentation: Europarat: Crimean Tatars’ struggle for human rights Statistik: Repressive Gerichtsverfahren auf der Krim und in Sewastopol Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Öffentliche Meinung zur Krim und zum Donbas Chronik: 22. Februar bis 10. März 2024 Wirtschaft / Rohstoffe / Kriegsschäden und Wiederaufbau Analyse: Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in einer schwierigen Gesamtlage Analyse: Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Chronik: 11. Januar bis 21. Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? Statistik: Internationale Hilfen für die Ukraine Analyse: Selenskyjs Appelle an russische Staatsbürger:innen im ersten Jahr des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine Dokumentation: Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das russische Volk am Vorabend der großangelegten Invasion Chronik: 28. Oktober bis 20. November 2023 Der Globale Süden und der Krieg (24.11.2023) Analyse: Der Blick aus dem Süden: Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Krieg gegen die Ukraine und Afrika: Warum die Afrikanische Union zwar ambitioniert, aber gespalten ist Analyse: Eine Kritik der zivilisatorischen Kriegsdiplomatie der Ukraine im Globalen Süden Umfragen: Umfragedaten: Der Globale Süden und Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Chronik: 16. bis 27. Oktober 2023 Zwischen Resilienz und Trauma: Mentale Gesundheit (02.11.2023) Analyse: Mentale Gesundheit in Zeiten des Krieges Karte: Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur der Ukraine Analyse: Den Herausforderungen für die psychische Gesundheit ukrainischer Veteran:innen begegnen Umfragen: Umfragen zur mentalen Gesundheit Statistik: Mentale Gesundheit: Die Ukraine im internationalen Vergleich Chronik: 1. bis 15. Oktober 2023 Ukraine-Krieg in deutschen Medien (05.10.2023) Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? Analyse: Die hohen Kosten des Krieges: Wie Russlands Krieg gegen die Ukraine die Armut verschärft Chronik: 22. Februar bis 7. März 2023 Besatzungsregime / Wiedereingliederung des Donbas (27.03.2023) Analyse: Etablierungsformen russischer Herrschaft in den besetzten Gebieten der Ukraine: Wege und Gesichter der Okkupation Karte: Besetzte Gebiete Dokumentation: Human Rights Watch: Torture, Disappearances in Occupied South. Apparent War Crimes by Russian Forces in Kherson, Zaporizhzhia Regions (Ausschnitt) Dokumentation: War and Annexation. The "People’s Republics" of eastern Ukraine in 2022. Annual Report (Ausschnitt) Dokumentation: Terror, disappearances and mass deportation Dokumentation: Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland Analyse: Die Wiedereingliederung des Donbas nach dem Krieg: eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung Chronik 11. bis 21. Februar 2023 Internationaler Frauentag, Feminismus und Krieg (13.03.2023) Analyse: 8. März, Feminismus und Krieg in der Ukraine: Neue Herausforderungen, neue Möglichkeiten Umfragen: Umfragen zum Internationalen Frauentag Interview: "Der Wiederaufbau braucht einen geschlechtersensiblen Ansatz" Statistik: Kennzahlen und Indizes geschlechterspezifischer Ungleichheit Korruptionsbekämpfung (08.03.2023) Analyse: Der innere Kampf: Korruption und Korruptionsbekämpfung als Hürde und Gradmesser für den EU-Beitritt der Ukraine Dokumentation: Statistiken und Umfragen zu Korruption Analyse: Reformen, Korruption und gesellschaftliches Engagement Chronik: 1. bis 10. Februar 2023 Kriegsentwicklung / Jahrestag der Invasion (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg hat die Profile der EU und der USA in der Ukraine gefestigt Kommentar: Wie der Krieg die ukrainische Gesellschaft stabilisiert hat Kommentar: Die existenzielle Frage "Sein oder Nichtsein?" hat die Ukraine klar beantwortet Kommentar: Wie und warum die Ukraine neu aufgebaut werden sollte Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Chronik: 17. bis 31. Januar 2023 Meinungsumfragen im Krieg (15.02.2023) Kommentar: Stimmen die Ergebnisse von Umfragen, die während des Krieges durchgeführt werden? Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Ukraine-Analyse Nr. 295

Gustav Gressel

/ 8 Minuten zu lesen

Militärexperte Gustav Gressel sieht drei Szenarien, wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte.

Ein ukrainischer Soldat trägt im Februar 2024 eine Artilleriegranante in einem Schützengraben bei Bachmut. (© picture alliance / Anadolu | Diego Herrera Carcedo)

Der Ukraine steht ein schwieriges Jahr bevor

2024 wird eines der schwierigsten Jahre für die Ukraine seit dem Rückzug der russischen Truppen aus den Regionen Kyjiw und Sumy im März–April 2022. Viele Versäumnisse der internationalen Unterstützer, etwa die Produktion von Munition und Ersatzteilen viel zu spät hochzufahren und keine Beschaffungsprogramme für diverse Externer Link: Waffensysteme und Gefechtsfahrzeuge einzuleiten – um Gerät für die Ukraine freizumachen – werden sich dieses Jahr besonders bemerkbar machen. Die Knappheit an Material und Munition wird es der Ukraine 2024 kaum erlauben, neue substanzielle Gegenoffensiven zu unternehmen. Vielmehr wird man in der Defensive bleiben und dort die Externer Link: Voraussetzungen für neue Offensiven im Jahr 2025 schaffen: Dazu gehört erstens, die russischen Streitkräfte so weit wie möglich abzunutzen; zweitens die eigenen Kräfte zu konsolidieren, zu erfrischen und den Ausbildungsstand und die Leistungsfähigkeit auf einen gemeinsamen, höheren Stand zu bringen; und drittens, Lehren aus der gescheiterten Gegenoffensive von 2023 in technischen und taktischen Belangen zu ziehen und diese in neue Systeme wie Streitkräftestrukturen einzubauen. Dafür braucht die Ukraine Zeit.

Allerdings ist aus ukrainischer Sicht ein defensives Jahr militärisch leicht zu erklären, politisch aber umso schwieriger zu rechtfertigen. In den USA stehen Wahlen an und Donald Trump wird allem Anschein nach erneut der Rivale von Joe Biden. Die Republikaner und allen voran Trump werden den US-Präsidenten unter Druck setzen, die Ukraine an den Verhandlungstisch zu zwingen. Ähnliche Stimmen gibt es auch in der Demokratischen Partei. Genauso werden in Europa Putinversteher:innen trommeln, der Konflikt sei längst eingefroren und ein Sieg der Ukraine illusorisches Gerede. Sie werden Verhandlungen fordern, und die Einstellung der militärischen Unterstützung als Druckmittel einsetzen wollen, um den angeblich nicht kompromissbereiten Selenskyj an den Verhandlungstisch zu zwingen.

Russland ist nicht bereit, von seinen Kriegszielen abzurücken

Diese Annahme ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, weil sie die russische Taktik, Verhandlungen als Mittel zur Unterbindung von Waffenlieferungen an die Ukraine einzusetzen – und somit die eigenen militärischen Siegesaussichten zu verbessern – aufgehen lässt. Der Ruf nach Verhandlungen ist einfach zu erheben, aber Externer Link: schwer Externer Link: umzusetzen. Denn erstens will Russland nicht mit der Ukraine, sondern rein mit dem Westen verhandeln. Dem Westen soll ein Tauschhandel unterbreitet werden – etwa die Externer Link: Ukraine gegen Venezuela zu tauschen, wie Fiona Hill ein früheres russisches Angebot beschrieb – von seinen ursprünglichen Kriegszielen rückt der Kreml aber keinen Millimeter ab. Würde der Kreml davon absehen, die Ukraine als Ganzes zu unterwerfen, sich große Teile in das eigene Imperium einzuverleiben und den Rest als Marionettenstaat im Unionsstaat über einen eingesetzten Statthalter zu verwalten, würde Putin auch von seiner Externer Link: lang gehegten Strategie abrücken, Russland wieder zur Weltmacht, vor allem aber zu der Europa militärisch dominierenden Macht zu machen. Ein Russland, dass sich noch mit den anderen 80 % der Ukraine herumschlagen müsste, wäre eine Regionalmacht. Ein Russland, dass die Grenzen der Sowjetunion de-facto wiederherstellt, wäre hingegen eine Weltmacht. So eine einschneidende Zäsur in die eigenen imperialen Pläne zuzulassen, ist der Kreml noch nicht Willens.

Zudem will Russland den Westen in Verhandlungen taktisch binden, nicht um einen Frieden auszuhandeln, sondern um dessen Waffenlieferungen an die Ukraine einzuschränken. Ein offener Verhandlungsprozess, der zu nichts führt, den Krieg und die russische Rüstungsproduktion nicht unterbricht, aber im Westen den Druck erzeugt, die Verhandlungen nicht "durch Eskalation zu gefährden" wären ganz nach Moskaus Geschmack. Ähnlich wurden die Minsker Verhandlungen durch die deutsche Politik als Externer Link: Alternative zu Waffenlieferungen gesehen, und haben so dazu beigetragen, dass die Ukraine in diesen Krieg mit einer erheblichen materiellen Unterlegenheit ging. Man kann es drehen wie man will: ernsthafte, zu Waffenstillstand oder gar Frieden führende Verhandlungen wird es 2024 nicht geben. Die Zukunft der Ukraine, und damit auch der europäischen Sicherheitsordnung, wird auf dem Schlachtfeld entschieden werden. Und dort wird 2024 ein extrem schwieriges Jahr.

Die andere bestimmende Größe in diesem Jahr ist die US-amerikanische Innenpolitik. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten fuhren ihre Munitionsproduktion so spät hoch – und das Hochfahren der Produktion von gepanzerten Fahrzeugen und komplexeren Waffensystemen steht noch aus – dass es 2024 nicht möglich sein wird, ein Ausfallen der USA zu kompensieren. Nur im Verbund mit den Vereinigten Staaten kann die Ukraine mit einem lebenserhaltenden Minimum an Nachschub versorgt werden. Eine Substitution der USA durch Europa – allerdings erneut am äußersten defensiven Minimum – ist frühestens 2025 möglich.

Unter den aktuellen Bedingungen sind drei Szenarien möglich, die im Folgenden kurz skizziert werden.

Das positive Szenario: Erfolgreiche Vorbereitung für neue Erfolge

Sollte Donald Trump aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung aus dem US Wahlkampf ausscheiden und die Ukraine-Unterstützerin Nicky Haley die Republikanische Präsidentschaftskandidatin werden, würde sich nicht nur der Ton im Wahlkampf, auch das Auftreten der republikanischen Partei in beiden Häusern ändern. Biden würde dann unter Druck geraten, mehr für die Ukraine zu tun und die amerikanische Rolle in der Welt durch militärische stärke zu unterstreichen. Das innenpolitische Klima wäre weit permissiver für Lieferungen modernerer F-16C/D aus US-Beständen mit entsprechender Bewaffnung, ATACMS, und einer aktiveren Unterstützung der ukrainischen Rüstungsindustrie.

Dies würde es der Ukraine ermöglichen, nicht nur in der Verteidigung den russischen Truppen erhebliche Verluste zuzufügen. Die ukrainische Armee kann unter einer besseren Materialdecke auch neue Systeme und Verfahren testen, um wieder in den Bewegungskrieg zu kommen. Das Material, diese Verfahren auch im größeren Stil anzuwenden, wird freilich auch unter optimistischen Bedingungen erst 2025 verfügbar sein. Die Ukraine nutzt das Jahr in der Defensive auch, um interne Probleme anzugehen: Überalterung, fehlende Rotationen der in der Front eingesetzten Kräfte, uneinheitlicher Trainings- und Ausbildungsstand vor allem im Offizierskorps, Schwächen bei der operativen Planung, und Kohäsionsprobleme bei neu aufgestellten Verbänden. Damit schafft die Ukraine 2024 die Vorbedingungen, eine Verbesserung ihrer materiellen Lage 2025 entscheidend nutzen zu können und eine Wende im Krieg hin zur russischen Niederlage einzuleiten.

Das mittlere Szenario: durchwursteln

Auch wenn Donald Trump der Herausforderer Bidens wird, könnten sich die Republikaner im Repräsentantenhaus und Senat taktisch verhalten und die Unterstützung der Ukraine an Zugeständnisse in Migrationsfragen und anderen Themen knüpfen. Damit würde die amerikanische Militärhilfe weiterlaufen, allerdings wird es keine qualitative Steigerung zum bisher geleisteten geben.

Die Ukraine wird damit die Front halten und größere Durchbrüche der russischen Armee verhindern können. Das schließt nicht aus, dass die Front sich hier und dort leicht verschiebt, um dem Druck standzuhalten. Exponierte Positionen, wie jüngst Awdijiwka, müssen geräumt werden, aber ohne den russischen Kräften weiter Durchbrüche in die ukrainische Tiefe zu erlauben. Keine dieser Rücknahmen hat aber operative Bedeutung. Russland gewinnt nur marginal neuen Raum.

Ältere, von Europäern zur Verfügung gestellte F-16A/B Kampfjets übernehmen die Rolle, die zuvor von Flugzeugen sowjetischer Bauart ausgeführt wurden: sie halten die russische Luftwaffe dem ukrainischen Luftraum fern. Luft-Boden Einsätze können aber aufgrund mangelnder Munition und der veralteten bordeigenen Störsender nur sporadisch oder unter riskanten Bedingungen geflogen werden.

Die Rada ringt sich zu einem neuen Gesetz zur weiteren Mobilmachung durch und ermöglicht den ukrainischen Streitkräften, Teile ihrer Brigaden von der Front zu ziehen, um sie zu regenerieren und zu trainieren. Einige der unterbesetzten neu aufgestellten Brigaden werden aufgelöst und Kräfte umverteilt, um wieder leistungsfähige Verbände zu schaffen. Während die Ukraine die personellen Probleme ihrer Streitkräfte selbst korrigieren kann, bleibt die materielle Situation angespannt: für Systeme aus sowjetischen Beständen ist die Munition äußerst knapp, während Systeme westlicher Herkunft nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind und für viele ältere Systeme chronischer Ersatzteilmangel herrscht. Das Hochfahren der ukrainischen Rüstungsproduktion schreitet zwar voran, die Produktionszahlen sind 2024 aber immer noch zu gering, um die Ausfälle an der Front wettzumachen. Dieses zwingt die Ukraine, kostbares Material zu schonen und höhere Personalverluste in Kauf zu nehmen. Das wirkt sich negativ auf die Moral und Freiwilligenmeldungen aus.

In diesem Szenario kann die Ukraine zwar das schwierige Jahr 2024 meistern, aber nur in ungenügendem Maße Voraussetzungen schaffen für erfolgreiche offensive Vorhaben in 2025. Die Präsidentschaftswahl in den USA entscheidet mit darüber, wie es in der Ukraine weitergeht.

Das negative Szenario: der Anfang vom Ende

Die Republikaner wollen Biden in erster Linie scheitern sehen und verhalten sich daher ausschließlich destruktiv. Jeder Kuhhandel wird ausgeschlagen, oder an innenpolitisch für Biden unvertretbare Forderungen geknüpft. Das Ausbleiben amerikanischer Lieferungen wird sich besonders in der ersten Hälfte des Jahres 2024 stark bemerkbar machen, da die EU, selbst wenn sie wollte, nicht für amerikanische Lieferungen einspringen kann. Dazu wurden die Produktionskapazitäten zu spät hochgefahren, wie die Externer Link: Verzögerungen beim EU-Munitionsplan belegen.

Dadurch gerät die ukrainische Armee zunehmend unter Druck. Russische Einbrüche sind kaum zu vermeiden, und um sie nicht zu Durchbrüchen ausweiten zu lassen muss die ukrainische Armee die Front signifikant zurücknehmen. Damit erreicht Putin sein Zwischenziel, die Donezker und Luhansker Oblast zu erobern, und kann weitere Offensiven Richtung Charkiw, Saporischschja und Dnipro vorbereiten.

Die angespannte Lage erlaubt es der Ukraine nicht, Verbände von der Front zu nehmen und zu erfrischen, geschweige denn, die Mängel im Bereich Training und Kohäsion systematisch zu beheben. Ende des Jahres sind die meisten Brigaden abgekämpft und personell wie materiell erschöpft.

Lieferungen nordkoreanischer und iranischer ballistischer Raketen erschöpfen den Vorrat an Patriot Raketen, die ohne die USA nicht in erforderlicher Quantität nachgeliefert werden können. Die Intensität der russischen Luftangriffe steigt über das Jahr stetig an, auch die wenigen alten F-16, die aus Europa geliefert werden, können diesen Druck nicht lindern. Die russische Luftwaffe dringt öfter und tiefer mit Kampfflugzeugen in den ukrainischen Luftraum ein, um die ukrainische Rüstungsindustrie anzugreifen. Somit kann diese auch wenig Nachschub für die Front produzieren.

Am Ende des Jahres gewinnt Donald Trump die US Präsidentenwahl. Seine Ankündigung, US-Streitkräfte aus Europa unverzüglich abzuziehen, löst Panik unter den europäischen Regierungen aus. Aus Furcht, von Amerika im Stich gelassen zu werden sowie vor einer russischen Bedrohung, wird den eigenen Streitkräften im Zulauf neuer Munition und Gerät absolute Priorität zugemessen. Lieferungen an die Ukraine kommen damit zum Erliegen.

In der Ukraine setzt eine neue Fluchtwelle ein, da viele einen russischen Sieg fürchten und ihre Familien außer Landes schicken. Die Aussicht auf "Entnazifizierung" – also die Auslöschung der intellektuellen, kulturellen, politischen und administrativen Elite des Landes – und russische Besatzungsgräuel machen die Entscheidung zur Flucht alternativlos. In der EU werden die Kosten für die Absorption von Millionen neuer Geflüchteter die Kosten für die militärische Unterstützung Kyjiws bei weitem übersteigen. Die Ukraine selbst versucht noch mit allen Mitteln den militärischen Widerstand weiter zu führen, ohne internationale Unterstützung scheint dies aber als aussichtsloses Unterfangen.

Fazit

Die Szenarien stellen drei unterschiedliche Entwicklungen vor, die auch in abgewandelter Form durchaus möglich sind. Ein weiteres Ereignis, das in den Szenarien nicht behandelt wurde, aber durchaus realistisch ist, ist eine erneute russische Mobilmachung nach den Präsidentschaftswahlen. Dazu könnte Russland schreiten, wenn es nicht gelingt, durch Anreize und Druck genügend "Freiwillige" zu generieren. Allerdings liegt allen drei Szenarien zu Grunde, das Moskau genügend Menschenmaterial hat, in 2024 weitgehend offensiv vorzugehen. Das Material (Kampf-, Schützen- und Mannschaftstransportpanzer) könnte knapp werden, wenn Russland es nicht schafft, seine Materialverluste einzugrenzen. Denn auch wenn Russland noch über größere Lagerbestände an Altgerät aus dem Kalten Krieg verfügt, sollte es nicht mehr Gerät verlieren, als es davon pro Jahr wieder instand setzten kann. Und seine diesbezüglichen Kapazitäten sind begrenzt.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Dr. Gustav Gressel ist Senior Policy Fellow am European Council on Foreign Relations (ECFR) in Berlin. Der Politikwissenschaftler ist spezialisiert auf sicherheitspolitische und militärstrategische Fragen mit Fokus auf Osteuropa und Russland. Vor seiner wissenschaftlichen Laufbahn war Gressel unter anderem mehrere Jahre in militärischen Diensten in seiner Heimat Österreich.