Analyse: Städtische Haushalte vs. Bürgerbeteiligung: die Realität der Bürgerhaushalte in den ukrainischen Städten
Kostjantyn Schokalo
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Durch den Bürgerhaushalt haben Kommunalverwaltungen die Möglichkeit, verschiedene Gemeinschaftsinitiativen und -projekte der Bürger zu finanzieren. Der Artikel analysiert die Ergebnisse der Einführung der Bürgerhaushalte.
Mit der Dezentralisierung wurden in der Ukraine die finanziellen Mittel für die lokalen Haushalte erheblich aufgestockt. So entstanden durch mehr Geld vor Ort neue Mechanismen der direkten Demokratie. Für die Bürger wurde dabei der Bürgerhaushalt bzw. Beteiligungshaushalt am sichtbarsten, der im Zuge der Reform geschaffen wurde.
Durch den Bürgerhaushalt haben Kommunalverwaltungen die Möglichkeit, verschiedene Gemeinschaftsinitiativen und -projekte der Bürger zu finanzieren. Die Kommunalverwaltungen stellen dabei einen Teil der Mittel des städtischen Haushalts für die Bürger bereit, die per Abstimmung selbst entscheiden, wofür diese Mittel ausgegeben werden sollen. Weder Abgeordnete noch Beamte können diesen Prozess beeinflussen.
Der erste Bürgerhaushalt wurde 1985 in der brasilianischen Stadt Porto Alegre verabschiedet. Seitdem haben viele Demokratien begonnen, diese Praxis auf der lokalen Ebene anzuwenden. In der Ukraine wurde der Bürgerhaushalt zum ersten Mal 2015 in Poltawa, Tscherkasy und Tschernihiw eingeführt.
Das Thema der Bürgerhaushalte war vor den Kommunalwahlen im Oktober äußerst wichtig. Bürgerhaushalte stellen für amtierende Bürgermeister eine Möglichkeit dar, die öffentliche Meinung in der Stadt zu manipulieren. Daher lohnt es sich, nicht nur diese Praxis an sich, sondern auch den Inhalt der Bürgerhaushalte und die Effekte für die Kommunen zu betrachten.
Wie funktionieren Bürgerhaushalte?
Die Einführung des Bürgerhaushalts kann von den lokalen Behörden, den Bürgern oder sogar von internationalen Organisationen eingeleitet werden. Anschließend werden Bildung, Verwaltung und Umsetzung des Bürgerhaushalts der Kommunalverwaltung anvertraut.
Zur Aufgabe der Kommunalverwaltung gehört dabei vor allem die Entwicklung der Vorgaben und Programme für den Bürgerhaushalt, die Diskussion entsprechender Entwürfe mit den Bürgern und die Durchführung einer Informationskampagne. Nach der Genehmigung der Vorgaben und des Programms wird der Bürgerhaushalt in die Planung des städtischen Haushalts für das nächste Jahr aufgenommen.
Dann beginnen die Bürger, ihre Projekte für den Bürgerhaushalt im Einklang mit den Vorgaben und Programmen bei der Stadt einzureichen. Die Kommunalverwaltung prüft diese und lässt alle zu, die den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen.
Anschließend beginnt das Wichtigste: die Abstimmung der Bürger über die Projekte. Diese Abstimmung findet per Stimmzettel oder elektronisch statt. Die Projekte mit den meisten Stimmen werden in den Bürgerhaushalt aufgenommen und im nächsten Jahr von der Kommunalverwaltung umgesetzt. Die Person, die das Gewinnerprojekt eingereicht hat, hat dann die Möglichkeit, die Verwaltung während der Umsetzung direkt zu kontrollieren.
Gelder in der Hand der Bürger
Das Prinzip "je mehr, desto besser" funktioniert im Bürgerhaushalt nicht wirklich, da die Größe dieses Haushalts von der Finanzlage der Stadt abhängt. Bei steigenden Einnahmen des lokalen Haushalts steigen gleichzeitig dessen Ausgaben. Ein Teil davon wird zur Finanzierung des Bürgerhaushalts verwendet. Daher hängt die Höhe der von den Bürgern verwalteten Mittel von der Lage des lokalen Haushalts ab. Karte 1 zeigt, wie groß die Bürgerhaushalte in den ukrainischen Städten 2019 bis 2020 waren.
Im Jahr 2019 stellten Tscherniwzi (0,51 Prozent, Schytomyr (0,47 Prozent), Tschernihiw (0,44 Prozent), Ternopil (0,43 Prozent) und Odesa (0,4 Prozent) das meiste Geld aus dem lokalen Haushalt zur Finanzierung von Bürgerprojekten bereit. Am wenigsten Geld wurde in Chmelnyzkyj (0,06 Prozent), Kramatorsk (0,09 Prozent), Luzk (0,1 Prozent), Saporischschja (0,11 Prozent) und Winnyzja (0,12 Prozent) zur Verfügung gestellt.
Langfristig sollten Städte planen, die Bürgerhaushalte zu erhöhen, wenn die Finanzlage dies zulässt. Daher ist es auch wichtig zu berücksichtigen, wie sich die Budgetanteile von Jahr zu Jahr verändert haben. Im Vergleich zu 2019 stiegen die Ausgaben für den diesjährigen Bürgerhaushalt in Iwano-Frankiwsk (+ 200 Prozent), Tschernihiw (+ 39 Prozent), Winnyzja (+ 30,5 Prozent), Kramatorsk (+ 27,9 Prozent) und Mykolajiw erheblich.
Die Mittel für Bürgerprojekte in Uschhorod (− 40,3 Prozent), Riwne (− 7,5 Prozent) und Saporischschja (− 3,2 Prozent) wurden gekürzt. In Charkiw und Poltawa veränderten sich die Mittel der Bürgerhaushalte nicht.
Die Ergebnisse der Finanzdemokratie
Alle regionalen Zentren der Ukraine haben inzwischen Bürgerhaushalte eingeführt. In Schytomyr und Tscherkasy wurden die diesjährigen Programme jedoch verzögert, Kropywnyzkyj verschob die Umsetzung der Bürgerprojekte sogar auf das nächste Jahr. Konnten Bürgerhaushalte dazu beitragen, gesellschaftliche Probleme wirksam zu lösen (siehe Grafik 1)?
Im Vergleich zum Vorjahr hat die Aktivität der Bürger bei der Einreichung von Projekten in diesem Jahr in fast allen Städten erheblich zugenommen. Die meisten Projekte reichten die Bürger in Kyjiw (1137), Dnipro (465) und Iwano-Frankiwsk (294) ein, die wenigsten in Uschhorod (11), Kramatorsk (36) und Winnyzja (66).
Ein wichtiges Erfolgskriterium ist unter anderem die Einhaltung von Standards der durchgeführten Projekte. Diese sind in jeder Stadt unterschiedlich und werden durch die Kommunalverwaltung festgelegt. Initiativen der Einwohner von Cherson, Kropywnyzkyj und Dnipro entsprachen am häufigsten den festgelegten Normen, Projekte in Chmelnyzkyj, Charkiw und Tschernihiw eher weniger.
Von allen eingereichten Projekten für dieses Jahr wählten die Kommunalverwaltungen die meisten Gewinner in Kyjiw (341), Dnipro (107) und Lwiw (55). Die geringste Anzahl von Gewinnerprojekten gab es in Kramatorsk (15), Chmelnyzkyj (16) und Tschernihiw (26).
Natürlich wirkt sich die Höhe der Finanzmittel für den Bürgerhaushalt auf die Anzahl der Gewinnerprojekte aus. Daher ist es wichtig, die Dynamik dieser Projekte in jeder Stadt sowie die Aktivitäten der beteiligten Bürger zu bewerten.
Ein Projekt zu gewinnen, bedeutet jedoch nicht automatisch ein gesellschaftliches Problem zu lösen. Deshalb ist es notwendig, den Stand der Umsetzung dieser Projekte durch die Kommunalverwaltung zu prüfen. Leider stellen die Städte dazu bisher zu wenig Daten zur Verfügung. Diese sind entweder auf den Internetseiten der Stadträte verstreut und schwer zu sortieren, oder sie fehlen komplett.
Die beste Online-Plattform für übersichtliche und frei zugängliche Informationen zu Projekten der lokalen Bürgerhaushalte ist "Öffentliches Projekt" (https://pb.org.ua/). Dort werden alle Entscheidungen der lokalen Behörden, der Status der Projekte und detaillierte Statistiken darüber eindeutig präsentiert (siehe Grafik 2).
So wurden in den Jahren 2019 bis 2020 die meisten Bürgerprojekte in Kramatorsk (100 Prozent), Kyjiw (93,2 Prozent), Dnipro (74,3 Prozent), Ternopil (67,5 Prozent), Tscherniwzi (65,4 Prozent) und Chmelnyzkyj (56,8 Prozent) bereits umgesetzt. Der niedrigste Anteil der durchgeführten Projekte findet sich in Tschernihiw (0 Prozent), Uschhorod (11,1 Prozent), Odesa (16,5 Prozent), Riwne (47,1 Prozent), Lwiw (50,5 Prozent) und Kropywnyzkyj (52,4 Prozent). Dies betrifft nicht nur die diesjährigen Projekte, sondern auch die des Vorjahres.
Der Haushalt ist genehmigt. Wie hoch ist die Beteiligung?
Ob ihr Projekt vom Bürgerhaushalt profitiert, wird von den Bürgern maßgeblich durch ihre Unterstützung, genauer gesagt durch ihre Stimme, beeinflusst. Damit ein Bürgerhaushalt ein wirksamer Mechanismus zur Lösung gesellschaftlicher Probleme wird, müssen die Bürger gut informiert sein und in den Abstimmungsprozess einbezogen werden. Eine hohe Beteiligung der Bürger sollte von der Kommunalverwaltung garantiert werden.
Eine Informationskampagne sollte dabei den Bürgern helfen, die Grundsätze der Bildung und Umsetzung des Bürgerhaushalts zu verstehen. Wenn die Kommunalverwaltung hier nicht aktiv wird, wird der Bürgerhaushalt an Bedeutung verlieren, da in Städten mit einer halben Millionen Einwohner dann nur wenige Tausend an der Lösung der Probleme beteiligt sein werden (siehe Grafik 3).
Im Jahr 2018 waren die Einwohner von Lwiw, Sumy und Ternopil am aktivsten. Dort waren dementsprechend 9,4 Prozent, 7,3 Prozent und 5,9 Prozent aller Einwohner an der Abstimmung für die Projekte beteiligt. Im Jahr 2019 änderten sich diese Indikatoren und Lwiw (14,3 Prozent), Dnipro (10,6 Prozent) und Tscherniwzi (8,4 Prozent) konnten die meisten Beteiligten vorweisen. Generell gibt es in den meisten Städten einen positiven Trend bei der Beteiligung an der Bildung des Bürgerhaushalts.
Sehr oft werden die Mittel aus dem Bürgerhaushalt jedoch dafür verwendet, um Ausgaben zu "decken", die ohnehin von den lokalen Behörden finanziert werden müssten. Dies geht recht einfach bei einer niedrigen Beteiligung der Bürger an der Aufstellung des Bürgerhaushalts, für den die Finanzmittel bereits zugewiesen wurden. Auf diese Weise kann die Kommunalverwaltung ihre eigenen Projekte fördern, wobei die Illusion entsteht, dass es eine Demokratie mit Bürgerhaushalt gibt. Dies lässt sich anhand von Daten über Projekte nachvollziehen, für die die Stadtbevölkerung am häufigsten abgestimmt hat (siehe Grafik 4).
Offensichtlich dominieren hier vier Bereiche: Bildung, Sport, Kommunalwirtschaft und Stadtentwicklung. Von allen Städten, die in die Analyse einbezogen worden sind, haben Bildungsprojekte in Kyjiw, Luzk, Lwiw, Riwne, Cherson, Chmelnyzkyj und Tscherniwzi Vorrang. Sport ist in Kropywnyzkyj, Mykolajiw, Odesa, Sjewjerodonezk, Ternopil und Uschhorod am wichtigsten.
In Winnyzja, Dnipro, Saporischschja und Poltawa werden Projekte für Wohnkomfort am häufigsten gewählt. Für die Bürgerhaushalte von Kramatorsk und Tschernihiw haben Projekte im Bereich der Kommunalwirtschaft oberste Priorität.
Das sind alles Bereiche, für die allgemein die Kommunalverwaltungen verantwortlich sind. Die überwiegende Mehrheit dieser Projekte müsste daher aus völlig anderen Mitteln finanziert werden. Einerseits sind die konkreten Projekte zwar Ausdruck des Willens der Bürger, andererseits aber auch eine Übertragung der Verantwortung von der Kommunalverwaltung auf die Bürger. Dies ermöglicht in jedem Fall Manipulationen und verzerrt die Idee des Bürgerhaushalts. Zur Vermeidung dieser Entwicklung sollten die Städte die Qualität der eingereichten Projekte genauer prüfen und dabei diejenigen ausschließen, für die die lokalen Behörden direkt verantwortlich sind.
Grundsätzlich ist der Bürgerhaushalt ein effektiver Weg, um lokale Probleme in der Gesellschaft zu lösen. Dafür muss der Prozess, mit dem der Bürgerhaushalt umgesetzt wird, gut abgestimmt und demokratisch umgesetzt sein. Zunächst müssen immer mehr Bürger in den Entscheidungsprozess für den Bürgerhaushalt einbezogen werden, die die Verwendung der Mittel beeinflussen und kontrollieren können. Dies gilt sowohl für die Einreichung von Projekten als auch für die Abstimmung.
Außerdem sollten die Kommunalverwaltungen Projekte wirklich umsetzen und nicht "auf später" verschieben. Dies sollte durch die Bürger der Städte überwacht werden, deren Geld ausgegeben wird, und nicht nur durch die, die Projekte eingereicht haben. Schließlich sollten Entwürfe von Bürgerhaushalten keine Maßnahmen berücksichtigen, die in die direkte Zuständigkeit der Kommunalverwaltung fallen, wie zum Beispiel das Ersetzen von Fenstern in Schulen oder die Reparatur von Straßen und Stadien. Bei Projekten des Bürgerhaushalts müssen die Städte auch die Ideen und Ansichten der Bürger berücksichtigen. Dies gilt nicht nur für die Übernahme der Grundausgaben des lokalen Haushalts, sondern auch für die Stadtentwicklung insgesamt.
Kostjantyn Schokalo ist Analyst am Zentrum "United Actions" in Kyjiw.
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