Zusammenfassung
Die neue ukrainische Regierung plant die Aufhebung des seit 2001 geltenden Moratoriums, das den Verkauf von Agrarflächen verbietet. Das Moratorium nimmt der breiten ländlichen Bevölkerung die Möglichkeit, ihren Besitz zu veräußern und nutzt den großen Getreideproduzenten, die auf Pachtflächen zu sehr niedrigen Pachtzinsen wirtschaften. Obwohl zahlreiche Ökonomen für den Fall einer Aufhebung des Moratoriums einen signifikanten Anstieg des Bruttoinlandproduktes (BIP) prognostizieren, herrschen in der ukrainischen Öffentlichkeit Sorgen über die Folgen einer möglichen Bodenneuverteilung vor, von der möglicherweise nur einige wenige wirtschaftlich starke Akteure profitieren werden. Dieser Beitrag liefert einen Überblick über die Hauptaspekte der Bodenmarktreform. Insbesondere werden ausgewählte Vorschläge ukrainischer Agrarexperten diskutiert und aus einer wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive analysiert. Abschließend werden Politikoptionen diskutiert, die am effektivsten zum Wachstum des ukrainischen Agrarsektors und zu einer nachhaltigen Entwicklung der ländlichen Regionen beitragen können.
Einleitung
Die Ukraine hat sich in den letzten Jahren zu einem der führenden Getreideproduzenten und -exporteure in der Welt entwickelt. Im Jahr 2018 feierte die ukrainische Regierung mit 50 Millionen Tonnen Getreideexporten ein neues Rekordergebnis. Fast die Hälfte des produzierten Getreides stammt von großen landwirtschaftlichen Unternehmen, die auf riesigen Flächen mit bis zu 500.000 Hektar arbeiten (das entspricht etwa der doppelten Fläche von Luxemburg). Die zehn größten Agrarunternehmen bewirtschaften derzeit 7,2 Prozent aller ukrainischen Agrarflächen. Die Flächen sind hauptsächlich von Mitgliedern der ehemaligen Kollektivbetriebe gepachtet, die diese in den 1990er Jahren im Rahmen der Privatisierung erhielten. Rund 6,7 Millionen Ukrainer besitzen Agrarflächen, aber verpachten diese vorwiegend an Agrarunternehmen.
Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern sind die Pachtpreise in der Ukraine sehr niedrig (siehe Grafik 1). So lag der durchschnittliche jährliche Pachtpreis im Jahr 2017 bei knapp 46 Euro pro Hektar. Dieser Preis liegt deutlich unter dem Wert der von den Agrarunternehmen pro Hektar erzeugten Produktion ("Wertgrenzprodukt des Bodens"). Somit profitieren die relativ arme ländliche Bevölkerung und der Staat, der ca. 26 Prozent aller Agrarflächen besitzt, nicht vom tatsächlichen Wert des Bodens.
Die niedrigen Pachtpreise lassen sich durch das Fehlen eines Bodenmarktes erklären. Der Verkauf der Flächen ist seit fast zwei Jahrzehnten durch ein Moratorium verboten und verhindert damit eine transparente Preisbildung für Boden. Nicht zuletzt durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) und den Druck internationaler Geldgeber gibt es eine massive öffentliche Debatte über den zukünftigen Bodenmarkt. Die neue ukrainische Regierung hat angekündigt, das Moratorium aufzuheben. Bereits am 20.09.2019 präsentierte das neu zugeschnittene Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, Handel und Landwirtschaft einen Gesetzentwurf Nr. 2178 "Über die Änderungen bestimmter Gesetze der Ukraine über den Agrarbodenverkehr". Das Ministerium rechnet damit, dass die landwirtschaftliche Produktion durch den Bodenmarkt jährlich um sechs Prozent wachsen würde. Außerdem prognostiziert die Weltbank einen Anstieg des Wirtschaftswachstums um zwei Prozent, wenn das Moratorium aufgehoben wird.
Dieser Beitrag zielt auf die Beantwortung der folgenden zwei Fragen: Welche Optionen zur Ausgestaltung einer Bodenmarktreform sind in der Diskussion? Welche Bodenpreisentwicklung ist für die jeweiligen Optionen wahrscheinlich? Die folgende Analyse basiert auf einer Reihe von Studien, die von Mitarbeitern des Leibniz-Institutes für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) durchgeführt wurden. Zum einen wurden Anfang 2018 zwölf halbstrukturierte Interviews mit ukrainischen Experten aus Agribusiness, staatlicher Verwaltung und Kommunalpolitik zum Thema Bodenmarktreform durchgeführt. Ein Jahr später wurden in ähnlicher Form sechs weitere Experten und elf Bürgermeister befragt. Zum anderen wurden Paneldaten des Statistischen Dienstes der Ukraine auf Betriebsebene (2006–2017) mit Hilfe ökonometrischer Verfahren analysiert. Dieser Beitrag fasst die Ergebnisse zusammen und präsentiert sie im Licht der jüngsten politischen Entwicklungen.
Ein Bodenmarkt in Wartestellung
Seit dem Inkrafttreten des Moratoriums im Jahr 2001 sind verschiedene formelle und informelle Pachtbeziehungen entstanden. In Abhängigkeit von der regionalen Agrarstruktur ist die Auswahl möglicher Pächter an einem bestimmten Standort begrenzt. Die Bodeneigentümer haben kaum Anhaltspunkte über den tatsächlichen Markt- bzw. Pachtwert ihres Bodens. Zusätzlich befinden sich aktuell noch circa 10 Millionen Hektar Agrarfläche im Staatsbesitz. Da nur circa 44 Prozent dieser Staatsflächen im Kataster und nur knapp 21 Prozent in dem Register der Eigentumsrechte registriert sind (in der Ukraine gibt es zwei unterschiedliche Register), ist die Nutzung der Staatsflächen besonders intransparent. Diese Umstände führen insgesamt dazu, dass landwirtschaftlicher Boden zu relativ günstigen Preisen gepachtet werden kann. Damit haben Agrarunternehmen, die es geschafft haben, große Flächen innerhalb einer Region zu pachten und zu bewirtschaften, einen Wettbewerbsvorteil. Die Geschäftsmodelle dieser Unternehmen zielen vor allem auf die schnelle Verzinsung des eingesetzten Kapitals und auf die Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen für den Export (i. d. R. unverarbeitete Rohprodukte).
Ohne die Existenz eines funktionsfähigen Bodenmarkts können die Kauf- und Pachtpreise nicht die Präferenzen der Akteure und die tatsächlichen Knappheitsrelationen widerspiegeln. Wenn kein Verkauf des landwirtschaftlichen Bodens möglich ist, ist es schwieriger, den Wert einer Fläche und damit einen Pachtpreis zu bestimmen. Aus diesem Grund entstand in der Ukraine die sogenannte "normative Preisbewertung des Bodens" – ein Pachtpreis, der von staatlichen Behörden festgelegt wird. Viele ukrainische Experten sind sich einig, dass dieser festgelegte Preis nichts mit einem vom Markt bestimmten Preis zu tun hat und erwarten im Falle einer Marktöffnung deutlich höhere Pachtpreise.
Des Weiteren benachteiligt das Verbot des Bodenverkaufs kleinere landwirtschaftliche Betriebe beim Zugang zu den Finanzmärkten. Da die Bauern mit Bodeneigentum ihre Flächen nicht als Sicherheiten für Kredite beleihen können, ist der Zugang zu Krediten für sie schwieriger und die Zinsen höher. Die ukrainischen Banken sind eher geneigt, mit den großen Agrarunternehmen zusammen zu arbeiten, die zudem in einigen Fällen auch Zugang zu einer Auslandsfinanzierung mit niedrigeren Zinsen haben [der Leitzins in der Ukraine liegt aktuell bei hohen 16,5 Prozent, Anm. d. R.]. Trotz dieser Nachteile sind kleine Agrarproduzenten (z. B. Haushalte und Familienbetriebe) weiterhin wichtige Akteure in der landwirtschaftlichen Produktion. Laut Statistischem Jahrbuch der Ukraine produzierten private Haushalte und Familienbetriebe zusammen in 2017 rund 58 Prozent aller Ackerkulturen (siehe Grafik 2). Wie Grafik 3 zeigt, nutzten diese aber nur knapp 47 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Dieser Anteil blieb über die letzten Jahre betrachtet relativ stabil.
Um was geht es in der gegenwärtigen Debatte?
Der EGMR veröffentlichte am 22. Mai 2018 sein Urteil zum Fall "Selentschuk und Zyzura gegen den Staat Ukraine" zugunsten der Kläger. Sofija Selentschuk und Wiktor Zyzura sind zwei Vertreter der 6,7 Millionen Landbesitzer, die ihre Grundstücke aufgrund des Moratoriums nicht verkaufen konnten. Die Hauptaussage des EGMR in seiner Urteilsbegründung war, dass die Eigentumsrechte der ukrainischen Bodenbesitzer für eine lange Zeit verletzt worden seien. Nach Ansicht des EGMR sollte nach der Einführung des Bodengesetzes im Jahr 2001 inzwischen genug Zeit verstrichen sein, um eine angemessene Bodenmarktreform durchzuführen. Wiktor Zyzura ist inzwischen 81 Jahre alt. Seitdem er in den 1990er Jahren sein Grundstück bekommen hat, konnte er von seinem Wert nicht vollständig profitieren. Es gibt über eine Million ukrainischer Bodeneigentümer, die mittlerweile verstorben sind und von ihrem Eigentum nicht vollumfänglich profitieren konnten.
Obwohl die öffentliche Unterstützung für die Aufhebung des Moratoriums zunimmt und der Druck seitens internationaler Organisationen gewachsen ist, ist laut mehrerer Umfragen die Mehrheit der Ukrainer gegen die Aufhebung des Moratoriums. Ein wichtiger Grund dafür ist die Tatsache, dass die öffentliche Debatte von Interessengruppen dominiert wird. Zum Beispiel haben Agrarunternehmen mit einem hohen Anteil an Pachtland Anreize, den derzeitigen Status quo aufrecht zu erhalten. Viele Ukrainer befürchten zudem, dass die großen Agrarunternehmen nach Aufhebung des Moratoriums schnell viele Agrarflächen sehr günstig aufkaufen werden. Sie vermuten, dass, ähnlich wie in den 1990er Jahren in anderen Industriezweigen, neue Agraroligarchen entstehen werden. Daneben wird das Thema auch emotional aufgeladen, z. B. mit dem Argument, dass Ausländer den "heiligen ukrainischen Boden" kaufen könnten. Politische Parteien nutzen diese Ängste für ihre Zwecke aus und heizen damit die kritische öffentliche Meinung zur Liberalisierung des Bodenmarktes weiter an. So baute sich über die Jahre hinweg eine allgemeine Atmosphäre auf, in der die Aufhebung des Moratoriums als ein "politisch giftiges" Thema angesehen wurde.
Trotz dieser politischen Schwierigkeiten hat die neue ukrainische Regierung sich der Herausforderung angenommen, den Bodenmarkt zu liberalisieren. Uneinigkeit besteht zum einen hinsichtlich der Frage, ob und wie der Zugang zu Bodenmärkten beschränkt werden soll: Beispielsweise hinsichtlich der Festlegung möglicher Eigentumsobergrenzen oder des Ausschlusses bestimmter Marktteilnehmer. Zum anderen gibt es Diskussionen, ob die Reformen schrittweise implementiert werden sollten. Wir betrachten im Folgenden diese Aspekte und diskutieren die möglichen Konsequenzen für die Preisentwicklung des landwirtschaftlichen Bodens.
Welche wirtschaftlichen Auswirkungen sind von den Politikvorschlägen zu erwarten?
Eigentumsobergrenzen
Um die Konzentration von Boden in den Händen einiger weniger Agrarproduzenten und die Spekulation mit Agrarflächen zu verhindern, existieren in vielen europäischen Ländern Beschränkungen für den Verkauf landwirtschaftlicher Flächen. Auch in der Ukraine werden verschiedene Beschränkungen diskutiert. Vor allem große Agrarunternehmen, die Zugang zu internationalen Finanzmärkten haben, so wird befürchtet, hätten einen Wettbewerbsvorteil beim Kauf von Agrarflächen. Eine weitere Befürchtung ist, dass eine Gruppe von Bodenbesitzern entstehen könnte, die kein Interesse daran hat, in der Landwirtschaft tätig zu sein, sondern fruchtbare Böden als Spekulationsobjekt nutzt. Um solchen Entwicklungen vorzubeugen, forderten manche ukrainische Politiker Obergrenzen für den Erwerb von ukrainischem Bodeneigentum, deren Höhe von 50 Hektar bis 1.000 Hektar variiert. Der Gesetzentwurf des Ministeriums sieht eine relativ hohe Eigentumsobergrenze von 15 Prozent aller Flächen auf regionaler Ebene und von 0,5 Prozent auf nationaler Ebene vor. Die Reaktion der großen Agrarunternehmen war schnell: Eine der ukrainischen Agrarlobbygruppen forderte eine Erhöhung der Eigentumsobergrenzen auf 1,5 Prozent aller ukrainischen Agrarflächen.
Sehr niedrig angesetzte Eigentumsobergrenzen widersprechen der Idee eines liberalen Bodenmarkts. Im Falle der Einführung solcher Eigentumsobergrenzen ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach landwirtschaftlichem Boden niedriger als in einem unbeschränkten Gleichgewicht sein wird. Potenzielle Interessenten könnten nur so lange zusätzliches Land erwerben, bis die entsprechende Obergrenze erreicht ist. Infolgedessen ist zu erwarten, dass die Verkaufs- und Pachtpreise niedriger sein werden als in einer Referenzsituation mit einem unbeschränkten Gleichgewicht. Die entgangenen Verkaufserlöse der abgebenden Eigentümer wären ein Wohlfahrtsverlust. Die Einführung (zu) niedriger Obergrenzen könnte zudem weitere bedeutsame indirekte Effekte für die ukrainische Landwirtschaft und die ländlichen Regionen haben. Aufgrund der vergleichsweise niedrigeren Bodenpreise ist es wahrscheinlich, dass die Attraktivität von Agrarflächen als Sicherheit für Kredite sinkt und der Kreditzugang weiterhin schwierig bleibt. Die begrenzte Nachfrage wird sich außerdem negativ auf den Umfang der Handelsaktivitäten auf dem Bodenmarkt auswirken und kann im Extremfall (wenn alle potenziellen Interessenten in einer Region bereits die maximal erlaubte Menge besitzen) zu Marktversagen führen.
Darüber hinaus ist es sehr wahrscheinlich, dass einige Marktteilnehmer ohnehin alternative Strategien entwickeln werden, um solche Kaufbeschränkungen zu umgehen, wie z. B. durch die Gründung von Tochtergesellschaften. Daher erscheint es fraglich, ob die Eigentumsobergrenzen ein geeignetes Instrument sind, eine Bodenkonzentration in den Händen einer kleinen Elite zu verhindern und eine vielfältige Betriebsstruktur zu fördern. Alternative agrarpolitische Instrumente, die auf eine möglichst breite Streuung der Bodenverteilung mit minimalen Wohlfahrtverlusten und auf die Stärkung benachteiligter Marktteilnehmer zielen, sollten in diesem Zusammenhang stärker diskutiert werden. Dazu zählen beispielsweise Preisinformationsplattformen, Aufklärung der Bodeneigentümer über die Funktionsweise der Preisbildung und ihrer Rechte oder ein erleichterter Kreditzugang durch subventionierte Kredite oder Bürgschaften.
Ausschluss bestimmter Marktteilnehmer
Welche Auswirkungen sind bei einem Ausschluss bestimmter Marktteilnehmer auf die Entwicklung der Bodenpreise zu erwarten? Auch in diesem Fall wird die Nachfrage nach Boden sinken, was ebenfalls die Verkaufs- und Pachtpreise im Vergleich zur Referenzsituation senken würde. Wie stark der Effekt ist, hängt davon ab, wie viele potenzielle Marktteilnehmer unter die Beschränkung fallen (z. B. auch lokale juristische Personen). Vergleichbar mit den Eigentumsobergrenzen bedeuten niedrigere Preise entgangene Verkaufserlöse für die Verkäufer. In Anbetracht des Interesses der vielen potenziellen Verkäufer, deren Zahl sich während der Laufzeit des Moratoriums akkumuliert hat, werden voraussichtlich in einem Anpassungszeitraum nach der Aufhebung des Moratoriums zahlreiche verhältnismäßig kleine Flächenstücke (durchschnittlich 3,5 Hektar) angeboten werden. Um eine Übervorteilung der Anbieter und die Benachteiligung kleiner und mittlerer Betriebe während der Anpassungsperiode zu verhindern, ist es grundsätzlich denkbar, bestimmte Marktteilnehmer in einem begrenzten Zeitraum auszuschließen. In jedem Fall sollten diese Einschränkungen transparent umgesetzt und kontrolliert werden. Grundsätzlich müssen die ökonomischen Implikationen einer solchen Restriktion sorgfältig mit ihrem potenziellen Nutzen, dem politischen Ziel einer gewünschten Bodenverteilung, abgewogen werden.
Schrittweise Liberalisierung: Ausgewählte Testregionen oder nur staatlicher Boden
Die Durchführung von Pilotprojekten in ausgewählten Testregionen ist ein weit verbreitetes Verfahren für die Erprobung neuer Politikmaßnahmen, auch in der Ukraine. Häufig werden Vorschläge diskutiert, die entweder den Bodenverkauf zunächst nur in bestimmten Regionen vorsehen oder erst einmal nur die Privatisierung der rund 10 Millionen Hektar Agrarflächen in staatlichem Besitz. Die Idee einer schrittweisen Reformumsetzung wird häufig damit begründet, dass man so die Möglichkeit hätte, aus den möglichen Fehlern der einzelnen Schritte zu lernen. Der Gesetzesvorschlag des Ministeriums sieht keine schrittweise Einführung vor. Aber viele hochrangige ukrainische Politiker sprechen sich dafür aus.
Das Hauptproblem mit diesem Ansatz ist, dass die Auswahl der Regionen für solche Experimente oft nicht den Kriterien der Repräsentativität folgt und sich unter Umständen ein verzerrtes Bild des Bodenmarktes ergäbe. In den Pilotregionen wäre es für potenzielle Käufer aus der ganzen Ukraine möglich, um ein knappes Bodenangebot zu konkurrieren. Dies würde sehr wahrscheinlich die Bodenpreise in den Testregionen nach oben treiben. Im Gegensatz dazu wäre aber auch denkbar, dass viele potenzielle Investoren erst die Öffnung des gesamten Marktes abwarten und sich in der Pilotphase mit Käufen zurückhalten würden. Deswegen wären das Angebot, die Nachfrage und die resultierenden Gleichgewichtspreise in den Pilotregionen nicht repräsentativ. Außerdem ist es schwierig, repräsentative Regionen zu finden, da die Bodenqualität und Grundstücksgrößen regional sehr unterschiedlich sind. Infolgedessen können die Aussagekraft solcher Experimente und damit verbundene mögliche Lerneffekte eher als gering eingestuft werden.
Wenn das Moratorium nur für staatlichen Boden aufgehoben wird, ist anzunehmen, dass aufgrund des begrenzten Angebotes die Verkaufspreise verglichen mit einer Situation, in der alle Besitzer Flächen anbieten können, tendenziell höher sein werden. Damit bietet sich eine derartige Strategie an, wenn die Regierung ihre Einnahmen aus der Bodenprivatisierung maximieren wollen würde. Aber auch diese Maßnahme ergäbe ohne die privaten Grundstücke kein repräsentatives Bild eines zukünftigen Bodenmarktes. Außerdem werden kaufinteressierte Betriebe mit eingeschränktem Kapitalzugang weniger profitieren können als Betriebe mit guten, unter Umständen sogar ausländischen, Finanzierungsmöglichkeiten. Die Situation der verkaufsbereiten privaten Bodenbesitzer, die wie Selentschuk und Zyzura seit Jahren auf die Liberalisierung warten, würde sich im Vergleich zum Status quo nicht ändern.
Fazit
Der Aufstieg großer Agrarunternehmen, die das Wachstum des ukrainischen Getreidesektors gefördert haben, lässt sich nicht nur durch verbesserte Management- und Technologieansätze erklären, sondern auch durch den Zugang zu vergleichsweise billigem Ackerland. Aufgrund des Moratoriums für Agrarflächenverkäufe und eines fehlenden Verkaufsmarktes sind die Pachtpreise im Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlich niedriger. Diese Umstände benachteiligen fast sieben Millionen Bodenbesitzer und geben den Agrarunternehmen keine Anreize, den Boden effizient zu nutzen. Der Status quo fördert die Nutzung der größeren Agrarflächen mit kurzfristigen Geschäftsmodellen, die sich auf die Getreideerzeugung fokussieren.
Mit dem neuen Präsidenten und der neuen Regierung, die über eine starke Mehrheit im Parlament verfügt, entstand eine historische Chance für die Ukraine, das Moratorium für Agrarflächenverkäufe aufzuheben. Die Liberalisierung des ukrainischen Bodenmarktes sollte so gestaltet werden, dass durch die Reformmaßnahmen ein nachhaltiges Wachstum der landwirtschaftlichen Produktion gefördert, aber gleichzeitig auch die Lebensbedingungen in den ländlichen Gebieten verbessert werden. Zu niedrige Bodeneigentumsobergrenzen und der Ausschluss bestimmter Marktteilnehmer wären ungeeignet, um das Ziel einer breiten Bodeneigentumsstreuung und einer vielfältigen Betriebsstruktur zu erreichen. Darüber hinaus wäre mit erheblichen Wohlfahrtsverlusten zu rechnen. Die gezielte Stärkung benachteiligter kleiner und mittlerer Agrarbetriebe scheint ein besser geeignetes Instrument zu sein, um eine ausgewogene Bodenmarktstruktur zu erreichen. Auch ist unwahrscheinlich, dass die schrittweise Einführung eines Bodenverkaufsmarktes (entweder durch Pilotierung der Reformmaßnahmen in ausgewählten Regionen oder durch Privatisierung der staatlichen Agrarflächen) der ukrainischen Politik nützliche Informationen liefern würde, die dann auf das ganze Land bzw. den weiteren Liberalisierungsprozess übertragen werden könnten. Letztlich ist es wichtig, dass der Aufbau von bodenmarktfördernden Institutionen wie etwa Rechtssicherheit und Markttransparenz im Mittelpunkt der Gesetzgebung steht.
Bibliographie:
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