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Analyse: An der Grenze: Krieg und Industriekrise in der Oblast Luhansk | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: An der Grenze: Krieg und Industriekrise in der Oblast Luhansk

Brian Milakovsky

/ 10 Minuten zu lesen

Große Fabriken stehen kurz vor der Schließung, der stetige Stellenabbau führt zu sozialen Problemen: Die Nähe zu den anhaltenden Kämpfen sind im Industriesektor in Oblast Luhansk deutlich spürbar. Es fehlt an finanzieller und vor allem strategischer Unterstützung aus Kiew.

Ein Industriearbeiter im metallurgischen Werk in der ostukrainischen Stadt Altschewsk im November 2018. (© picture alliance/Valeriy Melnikov/Sputnik/dpa)

Zusammenfassung

Die angespannte wirtschaftliche Situation der auf Schwerindustrie ausgerichteten Oblast Luhansk im Osten der Ukraine wurde durch den seit 2014 anhaltenden bewaffneten Konflikt im Donbas noch verschärft. Rund 80 Prozent des Territoriums sind von pro-russischen Separatisten besetzt und damit außerhalb der Kontrolle der ukrainischen Zentralregierung. Im Zuge der Kampfhandlungen, der Zerstörung von Infrastruktur und Fabriken sowie infolge einer 2017 verhängten Wirtschaftsblockade und dem faktischen Wegfall des russischen Marktes steht die Region vor immensen wirtschaftlichen und damit sozialen Herausforderungen. Für das von der ukrainischen Regierung kontrollierte Gebiet der Luhansker Oblast fehlt es an einer umfassenden Strategie zum Wiederaufbau und zur wirtschaftlichen Revitalisierung. In dieser schwierigen Situation finden sich kleine und mittlere Unternehmer besser zurecht, reagieren mit innovativen Lösungen und bieten Perspektiven für die von Krieg und Industriekrise geplagte Region.

Einleitung

Die Oblast Luhansk war bereits ein sich im Niedergang befindender "Rostgürtel", noch bevor 2014 russische und separatistische Kräfte 80 Prozent seines Territoriums besetzten. Seither ist durch den bewaffneten Konflikt und den damit einhergehenden Handelskrieg mit Russland die Industrie in den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten von Luhansk kontinuierlich weiter geschrumpft.

Die Industrieexporte aus Luhansk belaufen sich auf nur noch sechs Prozent des Volumens von 2013. Die Kohleproduktion ist auf ein Drittel und die Stahlproduktion auf ein Achtel des Volumens der Vorkriegszeit gesunken. Während der ersten drei Kriegsjahre zahlten einige Bergwerke und Fabriken aus den von Separatisten kontrollierten Gebieten noch Abgaben an Kiew und transportierten ihre Waren durch die Ukraine, aber diese wirtschaftliche Verbindung wurde 2017 abrupt gekappt, als Kiew eine Externer Link: inoffizielle Handelsblockade ukrainischer Armeeveteranen unterstützte. Die separatistischen Behörden rächten sich, indem sie alle verbliebenen Unternehmen "verstaatlichten".

Auch wenn Betriebe in den regierungskontrollierten Gebieten ihre Produktion wieder aufnahmen, konnte das Stromnetz der Region sie nicht ausreichend versorgen. Die Oblast wird durch ein einziges, im Krieg beschädigtes Kraftwerk direkt an der Frontlinie versorgt, dessen Betreiber so hoch verschuldet ist, dass nicht klar ist, wie lange die Stromversorgung der Region gesichert ist.

In dem von den Separatisten kontrollierten Teil der Oblast – der sogenannten "Luhansker Volksrepublik" (LNR) – ist die Situation noch dramatischer. Selbst wohlwollende Beobachter wie der pro-separatistische Journalist Externer Link: Sergej Sakadinsky geben zu, wie schlecht die Aussichten stehen, die Fabriken und Bergwerke wieder instand zu setzen, angesichts von wirtschaftlicher Misere, Kriegsschäden, Misswirtschaft durch die neuen Autoritäten und zahlreiche Plünderungen.

Die von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete der Luhansker Oblast sind weit davon entfernt, das Vorzeigebeispiel für wirtschaftlichen Aufschwung zu werden, zu dem sie die Regierung gerne machen würde – und daran trägt Kiew eine Mitschuld. Die ukrainische Regierung hat keine Strategie parat, die dem Ausmaß der Krise angemessen ist, und die vielen unterschiedlichen Konzepte haben die Situation noch verschlimmert.

Es gibt aber auch Lichtblicke in diesem düsteren Bild, wie etwa kleine dynamische Unternehmen, die sich an die neuen wirtschaftlichen Bedingungen in Zeiten des Krieges anpassen konnten. Aber sie sollten mit der Bewältigung dieser schwerwiegenden Krise nicht alleine gelassen werden.

Sjewjerodonezk: Gekappte Verbindungen

Vor dem Krieg war die Düngemittelfabrik "Asot" in Sjewjerodonezk ein wichtiges Zahnrad innerhalb des sehr profitablen Erdgasimperiums des Oligarchen Dmytro Firtasch. Mittlerweile versteckt sich Firtasch in Wien vor dem Zugriff der amerikanischen und ukrainischen Behörden; seine russischen Gasverträge sind geplatzt. Die ukrainische Düngemittelindustrie, die er nahezu monopolisiert hatte, steht kurz vor dem Kollaps.

Die Schließung der Externer Link: Asot-Anlage wirft einen Schatten auf Sjewjerodonezk, die neue Hauptstadt der Luhansker Oblast, seitdem weite Teile dieser Oblast unter Besatzung sind. Die Bewohner der "Stadt der Chemiker" befürchten, dass die Tage der Anlage gezählt sind, und halten ängstlich Ausschau nach schrottbeladenen Lastern, die zum Symbol geworden sind für den Untergang der Fabriken im Donbas. [Anm. d. Red.: Viele Fabriken, die durch die Kriegshandlungen zerstört wurden oder die Arbeit stoppen mussten, werden im großen Stil in Einzelteile zerlegt, abtransportiert und als Metallschrott weiterverkauft. Mit Schrott beladene Laster gehören daher zum Symbol für den Niedergang der Schwerindustrie in der Region].

Das Schicksal von Asot und seiner 7.000 Mitarbeiter hängt vor allem davon ab, auf welche Seite der konkurrierenden ökonomischen und politischen Interessen sich Kiew stellt. Da ist auf der einen Seite die Chemiewirtschaft, die Schutzzölle gegen russische Düngemittel verlangt, die mit subventioniertem Erdgas hergestellt werden. Auf der anderen Seite stehen die Landwirte, die sich um billige Düngemittel reißen, auch wenn sie vom östlichen Aggressor kommen. Indem Kiew vier Jahre lang zwischen diesen beiden Seiten hin und her lavierte, schuf es eine Instabilität, die sowohl zu Ernteausfällen führte als auch zu Schließungen und Entlassungen bei Azot.

Rubischne: Klein, aber fein

Industrieriesen wie Asot können auf politische Lösungen für ihre ökonomischen Probleme hoffen. Doch kleine und mittlere Unternehmen in Sjewjerodonezk und dem benachbarten Rubischne genießen diesen Luxus nicht und benötigen ein hohes Maß an Flexibilität und Innovation, um zu überleben. Unter diesen schwierigen Bedingungen konnten sich einige von ihnen beweisen, so wie das Unternehmen "Tana Polymer", das im Schatten der abgeschalteten Schornsteine von Asot seit Kriegsbeginn zwei neue Produktionsstätten eröffnet hat.

Anders als vor dem Krieg hat Tana heute seinen Kundenstamm nicht nur in Russland. Laut Aussage des Unternehmenschefs Aleksandr Litwinow werden einige der dort gefertigten Kunststoffteile inzwischen selbst in Autos von "Volkswagen" verbaut.

Solche kleineren Unternehmen bieten einen Kontrast zum tiefen Pessimismus der Region. Allerdings müssen viele strukturelle Hürden überwunden werden, damit sie ihr Wachstum beschleunigen und den Stellenabbau bei schwächelnden Riesen wie Asot auffangen können. So ist etwa in der Oblast Luhansk die Versorgung mit Strom so teuer und unzuverlässig wie nirgends sonst in der Ukraine; die Straßen sind extrem schlecht und es ist fast unmöglich, an Bankkredite zu gelangen angesichts der Unsicherheit, die die nur 30 Kilometer entfernte Frontlinie mit sich bringt.

Lyssytschansk: Von der Wiege ins Grab?

Im benachbarten Lyssytschansk, das im Volksmund auch "Wiege des Donbas" genannt wird, weil dort die ersten Kohleminen im Russischen Zarenreich entstanden, begann der Niedergang der Industrie schon lange vor dem Krieg. Die Misere der Stadt macht sichtbar, wie komplex die Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem ukrainischen Donbas und Russland vor dem Krieg waren – eine aus Sowjetzeit bestehende Mischung aus wechselseitiger Abhängigkeit und beinharter Konkurrenz.

Im Juni 2013, am Vorabend des Euromaidans, wurde Lyssytschansk von Externer Link: wütenden Protesten erschüttert, weil die meisten Industriebetriebe der Stadt geschlossen worden waren. Die Demonstranten machten russische Oligarchen dafür verantwortlich, die Fabriken kaufen würden, nur um sie direkt zu schließen und so ihre Konkurrenz auszuschalten.

Der Ärger richtete sich auch gegen Politiker der regierenden "Partei der Regionen", wie den früheren Gouverneur Aleksandr Efremow (derzeit wegen Separatismus vor Gericht). Angeblich trieb er Betriebe in den Bankrott, indem er sie dazu zwang, überteuertes Erdgas zu kaufen, und dann ihre Vermögen beschlagnahmte, um die entstandenen Schulden zu tilgen.

Heute ist das staatliche Kohleunternehmen von Lyssytschansk der letzte verbliebene Riese in der Stadt, nachdem die rentabelsten Bergwerke in den 2000er Jahren privatisiert und 2014 von den Separatisten übernommen wurden. In einem der vier Werke des Unternehmens läuft die Produktion normal, während die anderen drei Betriebsstätten "in die Steinzeit zurückgekehrt sind", wie es ein Ingenieur ausdrückt. "Wir holen die Kohle mit Presslufthämmern heraus, wie in den 1930ern."

Einen Hoffnungsschimmer für das staatliche Kohleunternehmen von Lyssytschansk gibt es: Dazu müsste die Regierung die Kohlekraftwerke umrüsten. Dann könnten sie mit Braunkohle betrieben werden (die es in den regierungskontrollierten Gebieten reichlich gibt), statt wie bisher mit Anthrazit-Kohle, die sich nur auf separatistisch-kontrolliertem Gebiet findet. Es handelt sich hier auch um eine Frage der nationalen Sicherheit: 78 Prozent der ukrainischen Steinkohleimporte stammen aus Russland, seit Kiew 2017 die Handelsblockade gegen die von Separatisten kontrollierten Gebiete verhing.

Versuche des Ministerkabinetts, den Übergang zur Braunkohle anzuordnen, wurden jedoch immer wieder durch politische Schachzüge untergraben. Die letzte Initiative kam zum Erliegen, weil sich in russischer Hand befindende Energieversorgungsunternehmen der Nationalen Energiebehörde das Quorum für die Verabschiedung dieser Politik verweigerten. Das macht deutlich, wie viel Einfluss Russland noch immer auf die ukrainische Wirtschaftspolitik hat.

Popasna: Warten auf Waggons

Im März 2015 kehrten die Bewohner der kleinen Eisenbahnstadt Popasna aus ihren Kellern zurück, nachdem sie vier Monate lang bombardiert worden waren. Ganze Häuserblöcke hatten keine Fenster mehr und viele Wohnhäuser waren direkt von schwerer Artillerie getroffen worden.

Drei Jahre später wirkt Popasna sauber und aufgeräumt, aber Gebiete am Stadtrand werden immer noch gelegentlich beschossen. So wurden im Mai 2018 zwei Mitglieder einer vierköpfigen Familie getötet und die anderen zwei auf der Intensivstation eingeliefert, als ein nahe gelegenes Dorf unter Beschuss geriet.

Daher ist es überraschend, dass eines der wenigen großen Unternehmen, die in den regierungskontrollierten Gebieten noch tätig sind, seinen Sitz in dieser Stadt direkt an der Front hat: Das "Eisenbahnreparaturwerk Popasna" (PVRZ). Einst war PVRZ fast ausschließlich auf den riesigen russischen Markt ausgerichtet. Doch bereits 2012 änderte Russland seine Politik, setzte auf Importsubstitution und die Aufträge von PVRZ gingen auf ein Zehntel des bisherigen Niveaus zurück.

Als während der schlimmsten Kämpfe 2014–2015 rund 50 Granaten in dem Werk oder in dessen Nähe einschlugen, schrumpfte die Belegschaft von 2.300 auf einen Kern von 800 Mitarbeitern zusammen. "Sie haben unsere Fabrik gerettet", so Anatolij Netjuchajlo, Direktor von PVRZ. Er ließ die Tore der Fabrik für Mitarbeiter, die fliehen wollten, rund um die Uhr geöffnet, aber viele gewöhnten sich an den Zyklus Montageband/Luftschutzbunker/Montageband.

Heute beschäftigt das Werk 1.200 Mitarbeiter in der 15.000-Einwohner-Stadt. PVRZ hat sich ganz auf den ukrainischen Markt eingestellt und ist bei der Reparatur von Eisenbahnwaggons voll ausgelastet, aber nur zu einem Drittel bei der Produktion neuer Waggons. Das Unternehmen ist dringend auf Verträge des staatlichen Eisenbahnbetreibers "Ukrsalisnyzja" angewiesen.

Aber ob das Werk in Popasna und ähnliche Fabriken neue Verträge abschließen können, hängt davon ab, ob Kiew den politischen Willen und das Geld aufbringt, um den Güterwaggonbestand von Ukrsalisnyzja auszubauen. Rund ein Drittel der ukrainischen Güterwagen Externer Link: sitzen auf der Krim und in den besetzten Gebieten des Donbas fest, und nach eigenen Schätzungen von Ukrsalisnyzja sind rund 90 Prozent der Güterwaggons kaum noch betriebsfähig. Die Metallindustrie und die Bauern klagen über die Externer Link: katastrophalen Transportengpässe, die ihre Produktion und den Export bremsen.

Laut dem Direktor von PVRZ habe sich das Werk an extreme Marktbedingungen angepasst, denen nur wenige Wettbewerber ausgesetzt seien (zeitweise Besatzung, Beschuss mit Granaten und ein Beinahe-Kollaps der Logistik). Dennoch erhalte sein Unternehmen, obwohl es eine Art wirtschaftlichen Rettungsschirm für das vom Krieg zerrüttete Popasna darstelle, von Kiew keine besonderen Hilfen, etwa durch Bevorzugung bei Vertragsvergaben, subventionierte Darlehen oder Entwicklungsfinanzierung.

Schtschastja: das Netz am Laufen halten

Nirgendwo sind die Folgen des Kiewer Politikwandels sichtbarer als im Energiesektor der Oblast Luhansk.

Strom ist ein teures und rationiertes Gut, seit während der schweren Kämpfe im Jahr 2014 die Leitungen, die das Gebiet mit dem nationalen Energienetz verbinden, und das einzige Kraftwerk der Region nahe der Frontlinie in Schtschastja schwer beschädigt wurden. Die 2017 verhängte Handelsblockade verschärfte die Krise, da das Werk auf Steinkohle angewiesen ist, die in den besetzten Gebieten vorkommt und nicht mehr zugänglich ist.

Große Fabriken wie Asot und die Ölraffinerie Lyssytschansk würden die Kraftwerkskapazitäten schnell übersteigen, wenn sie ihre Produktion wiederaufnehmen sollten. Auch vier Jahre nach Ausbruch der Krise sind die Behörden immer noch nicht mit dem Bau einer Stromleitung fertig, die die Oblast durch die benachbarte Oblast Charkiw wieder an das nationale Stromnetz anschließen würde.

Hinzu kommt eine weitere Ebene der politischen Absurdität. Der in Schtschastja produzierte Strom wird an das staatliche Energieversorgungsunternehmen verkauft, das ihn wiederum an die privatisierte Luhansk Energy Company (LEC) weiterverkauft, die den Strom an die Haushalte und Unternehmen liefert. 2014 untersagte das Ministerkabinett dem privaten Energieunternehmen aus humanitären Gründen, den Strom in Luhansk und anderen besetzten Städten abzuschalten, versäumte es aber, LEC dafür zu entschädigen. LEC erhielt nur rund 10 Prozent der Stromgebühren aus den besetzten Gebieten.

LEC-Chef Wladimir Gricaj beschreibt diese Politik als "Finanzierung des Kommunismus in der Luhansker Volksrepublik". Die Ukraine versorgte die Separatisten mit kostenlosem Strom, die dafür Gebühren von der Bevölkerung einsammelten. Niedrige Energiepreise im sowjetischen Stil waren eines der wichtigsten Propagandathemen der Volksrepublik Luhansk.

Nach Verhängung der Handelsblockade unterbrach Kiew schließlich die Stromzufuhr in die besetzten Gebiete, die ihre Energie jetzt stattdessen aus Russland beziehen. Aber trotz mehrerer Appelle hat sich Kiew bisher geweigert, anzuerkennen, dass die Notlage von LEC – das Unternehmen hat bis heute Externer Link: mehr als 200 Millionen Dollar Schulden angehäuft – direkte Folge staatlicher Politik war.

Es ist schwer verständlich, dass die Zentralregierung dieses schwelende politische Desaster in der am meisten gefährdeten und vernachlässigten Region der Ukraine so lange ignorieren konnte.

Fazit

Kiew muss die strukturellen Probleme angehen, die die industrielle Basis der Oblast Luhansk schwächen. Es sollte einen realistischen Plan für das wirtschaftliche Überleben der Region entwickeln, bis einigermaßen Marktnormalität zurückgekehrt ist.

Der erste Schritt besteht darin, die absurde, selbst verschuldete Energiekrise zu lösen, indem die Schulden der LEC eingefroren werden, die es durch die fehlenden Stromzahlungen aus den besetzten Gebieten angehäuft hat. Der Wiederanschluss der Oblast Luhansk an das nationale Stromnetz sollte beschleunigt werden, und die Möglichkeit, das Kraftwerk Schtschastja von Stein- auf lokal verfügbare Braunkohle umzustellen, ernsthaft geprüft werden.

Die Regierung sollte einen strategischen Investitionsfonds einrichten, um die "rote Linie" zu kompensieren, die die meisten ukrainischen Banken für die Oblast Luhansk gezogen haben. Dieser Fonds könnte Kredite mit vergünstigten Zinssätzen und verlängerten Laufzeiten an die kleinen und mittleren Betriebe vergeben, die die größte Flexibilität und das größte Wachstumspotenzial bewiesen haben, aber denen es an Liquidität fehlt.

Aber es wird noch mehr als nur Geld braucht, angefangen bei ein Bewusstseinswandel. In der Ukraine wird viel über die "Entpolitisierung" der Wirtschaft, Marktliberalisierung, die Privatisierung staatlicher Unternehmen und das Ende von marktverzerrenden Subventionen gesprochen. In vielen Fällen ist dieser Ansatz lobenswert, aber es ist nicht klar, ob dieser Laissez-faire-Ansatz auch für eine Region geeignet ist, die unter einem tiefen wirtschaftlichen Schock und unnatürlichen Marktbedingungen leidet.

Wenn es eine echte Industriestrategie für den Donbas gäbe, könnte man eine Reihe von unterstützenden Maßnahmen schaffen für Unternehmen, die unter dem Druck des Krieges und der Wirtschaftskrise leiden, etwa durch eine bevorzugte Behandlung bei Staatsaufträgen (z. B. Güterwaggons in Popasna) oder den Zugang zu subventioniertem ukrainischen Gas. Zumindest könnte eine solche Strategie weitere "Eigentore" wie die verheerende Handelsblockade oder die Stromkrise verhindern.

Nicht jeder traditionelle Industriezweig kann gerettet werden. Aber man kann den Bewohnern dieser vom Krieg zerrütteten Region nicht vorwerfen, dass sie denken, dass es ihre Regierung nicht einmal versucht. Zumindest noch nicht.

Übersetzung aus dem Englischen: Dr. Eduard Klein

Fussnoten

Brian Milakovsky arbeitet seit 2015 in der Ukraine. Dort ist er im Bereich der humanitären Hilfe tätig und hat sich auf Existenzgrundlagen und den wirtschaftlichen Wiederaufbau spezialisiert. Zuvor war er in Russland und der Ukraine als Forstökologe tätig. Über die Situation der ukrainischen Wirtschaft in Kriegszeiten hat er u. a. für das Kennan Institute, The National Interest und openDemocracy Russia geschrieben.