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Kommentar: Ist der Weg der Ukraine nach Westen unumkehrbar? | Ukraine-Analysen | bpb.de

Ukraine Herausforderungen für die ukrainische Landwirtschaft (13.12.2024) Editorial: Über 1.000 Tage Angriffskrieg. Wohin geht es für die ukrainische Landwirtschaft? Analyse: Die ukrainische Landwirtschaft und die EU: Passt das? Analyse: Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf den landwirtschaftlichen Arbeitsmarkt der Ukraine Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Verhältnis zur belarusischen Opposition (28.11.2024) Analyse: Kyjiws strategische Distanz zur belarusischen Opposition dekoder: "Die Belarussen müssen verstehen, dass unsere Zukunft von uns selbst abhängt" Umfragen: Meinung in der Ukraine zu Belarus’ Kriegsbeteiligung Umfragen: Unterstützung in Belarus von Russlands Krieg gegen die Ukraine Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Energieversorgung / Grüne Transformation (09.10.2024) Analyse: (Wie) Lässt sich die Energiekrise in der Ukraine abwenden? 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Chronik: 1. bis 30. April 2024 Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter / Ukrainische Community in Deutschland / Deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften (29.04.2024) Analyse: Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Statistik: Integration in den Arbeitsmarkt Analyse: Die ukrainische Community in Deutschland Analyse: (Un)genutzte Potenziale in den deutsch-ukrainischen Kommunal- und Regionalpartnerschaften Dokumentation: Übersicht deutsch-ukrainischer Partnerschaften Chronik: 11. bis 31. 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Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Kommentar: Ist der Weg der Ukraine nach Westen unumkehrbar?

Gerhard Simon

/ 5 Minuten zu lesen

Seit dem Euromaidan hat sich die Ukraine dem Westen angenähert. Doch wie fragil ist die Annäherung? Die Präsidentschaftswahl im März 2019 und die Parlamentswahlen im Oktober 2019 könnten richtungsweisend sein. Eine gefährliche Abhängigkeit von den Wahlen?

Der Euromaidan sollte eine Annäherung der Ukraine an den Westen erzwingen, doch wann kommt die gewünschte Annäherung? (© picture-alliance/dpa)

1991 erklärte die Ukraine ihre Unabhängigkeit von der untergehenden Sowjetunion und von dem sich neu formierenden Russland. Von Anfang an musste der neue, selbständige ukrainische Staat seine Distanz und Nähe zu Russland bestimmen und mit der Vision von der Integration nach Westen ausbalancieren. Bis 2004 schien eine Entscheidung Entweder/Oder vermeidbar. Seit der Orangen Revolution aber legte sich die Ukraine auf den Weg nach Westen fest, unter Hinnahme einer massiven Verschlechterung der Beziehungen zu Russland. Unter Janukowytsch kam es 2010 zu einer innenpolitischen Reaktion und der Umkehr der Entwicklungsrichtung, zurück in den russischen Orbit. Mit der Maidan-Revolution vor fünf Jahren schienen dann endgültig die Würfel gefallen: Die Ukraine würde sich auf den Weg machen zur Integration in die EU und die NATO. Sie würde die russisch-sowjetische Vergangenheit hinter sich lassen und einen Weg gehen wie zuvor Polen und die baltischen Staaten. Russland reagierte auf den Sieg der Maidan-Revolution mit der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbas, der bis heute fortdauert. Das hat die endgültige Trennung der Ukraine von Russland – ganz entgegen den Intentionen und Erwartungen der russischen Politik – entscheidend erleichtert. Die ukrainische Staats- und Nationsbildung erfuhr einen deutlichen Schub. Aber ist dieser Weg unumkehrbar?

Natürlich war der Weg nach Westen mehr als die außenpolitische Orientierung. Er bedeutete eine Vielzahl von Reformzwängen und die Unterwerfung unter Konditionen, die westliche Partner festlegten und die innerhalb der Ukraine umstritten waren – und sind. Kein Zweifel, vom westlichen Modell von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft geht nach wie vor große Anziehungskraft aus – insbesondere aus der Ferne betrachtet. Jedenfalls ist dies Modell dem, was Russland zu bieten hat, überlegen. Aber die mit dem Willen zur Westwendung verbundenen Reformnotwendigkeiten und Konditionen sind oft nur schwer zu realisieren; teilweise gehen sie bis an den Rand der Selbstverleugnung. Hinzu kommt, dass der Westen zwar viel an Reform und Anpassung verlangt, auch Hilfe gewährt, aber zuletzt der Ukraine das angestrebte Ziel einer Mitgliedschaft in der EU und NATO bislang verweigert. Oder, im Fall der NATO, eine Mitgliedschaft zwar nicht ausschließt, aber jede Festlegung einer Zeitschiene ablehnt.

Welches sind die Erfolge und Misserfolge nach fünf Jahren Westpolitik? Die außenpolitischen Erfolge sind eindrucksvoll: Assoziierungsabkommen mit der EU – der Rückzug von diesem Abkommen seitens der damaligen ukrainischen Regierung war der Auslöser der Maidan-Revolution gewesen –, visafreier Reiseverkehr mit dem Schengen-Raum, zunehmende militärische Unterstützung seitens der USA, wachsende ökonomische und kulturelle Verflechtung mit den Ländern des Westens sowie Fortdauer der Sanktionen gegen Russland wegen der Aggression gegen die Ukraine.

Auch innenpolitisch sind zahlreiche Reformen in Gang gekommen: im Bankenwesen, im Energiebereich, im Gesundheits- und Pensionswesen. Dennoch sind die bisherigen Maßnahmen bei Weitem nicht ausreichend, um der Ukraine nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Rechtsstaatlichkeit zu sichern. Weder kommt die Privatisierung von Staatsbetrieben voran, noch wurde das Moratorium für den Handel mit landwirtschaftlichen Nutzflächen aufgehoben. So werden die Potenziale für wirtschaftliches Wachstum und die Steigerung ausländischer Investitionen nicht optimal genutzt.

Mitverantwortlich dafür sind die nach wie vor unübersehbaren Defizite im Rechtswesen. Die mangelhaften Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit sind zur entscheidenden Bremse für den weiteren Weg nach Westen geworden; das gilt innenpolitisch ebenso wie in der internationalen Politik. Es gibt in der Ukraine keine unabhängige Justiz. Anders formuliert, es ist bislang nicht gelungen, die Korruption nachhaltig einzuschränken; (fast) alles kann man bis heute kaufen, insbesondere politische Loyalität. Das kommt übrigens nicht nur den Feinden, sondern auch den Freunden der Ukraine zugute. Die Unterstützung für den Weg nach Westen lässt sich schließlich auch kaufen.

Zwar sind nach 2014 neue Rechtsschutzorgane, unabhängig von den bestehenden, geschaffen worden. Aber dies hat zu erheblichen Kompetenzstreitigkeiten untereinander geführt, sodass ein Gutteil der Energie nicht für die Korruptionsbekämpfung, sondern den Kampf der Justizorgane gegeneinander verausgabt wird. Der Oberste Anti-Korruptionsgerichtshof wurde zwar vom Parlament beschlossen, hat seine Tätigkeit aber noch immer nicht aufgenommen. Dies ist einer der Gründe dafür, dass bislang keiner der in vielen Fällen bekannten und staatsanwaltlich untersuchten Großkorruptionäre gerichtlich verurteilt wurde. Die mit großem Aufwand begonnene Polizeireform führte am Ende dazu, dass fast alle der zunächst aufgrund der Lustration entlassenen Polizisten sich gerichtlich wieder einklagen konnten.

Präsident Poroschenko schuf mit taktischem Geschick und Durchsetzungsvermögen eine Machtvertikale, die zwar kein autoritäres Präsidialregime darstellt, aber die Prärogativen des Präsidenten maximal nutzt. Die politischen Schlüsselstellungen des Parlamentspräsidenten (Andrij Parubij), des Premierministers (Wolodymyr Hrojsman) und des Generalstaatsanwalts (Jurij Luzenko) sind mit dem Präsidenten gegenüber loyalen Politikern besetzt. Das sichert eine gewisse Stabilität. Der Präsident bestimmt die Reformprioritäten. Er verfügt aber nicht über eine stabile Mehrheitskoalition im Parlament, diese muss vielmehr situativ von Fall zu Fall zusammengebracht werden.

Ein halbes Jahr vor der kommenden Präsidentenwahl im März 2019 ist die Wiederwahl von Poroschenko keineswegs sicher. Umfragen weisen vielmehr in Richtung eines Machtwechsels. Klare, aussichtsreiche Gegenkandidaten gibt es allerdings nicht. Die Wähler neigen dazu, die Misserfolge der vergangenen Jahre und den Frust über die geringen Reformfortschritte dem Amtsinhaber anzulasten und die Erfolge für selbstverständlich zu halten. Hinzu kommt eine gewisse Neigung der Ukrainer zum Pessimismus, die bei Wahlen die Opposition begünstigen. So sehen viele die Hoffnungen und Erwartungen nach der Maidan-Revolution als gescheitert; es habe sich nichts zum Besseren gewendet, ist eine vielfach wiederholte Parole.

Profitieren könnte die jetzige politische Führung von der Situation, dass starke Alternativen nicht zu erkennen sind. Die prorussischen Kräfte im Parlament, in den Medien sowie im Süden und Osten des Landes machen zwar mobil und können dabei auf die offene und verdeckte Unterstützung aus Russland zählen; mehrheitsfähig sind sie jedoch bei einigermaßen freien Wahlen nicht. Sie machen Propaganda mit dem Slogan "Frieden mit Russland – jetzt!". Die liberal-demokratische Opposition, auf der anderen Seite, mit ihrem starken Rückhalt in der Zivilgesellschaft und klugen Reformvorschlägen scheint außerstande, sich auf einen durchsetzungsfähigen Präsidentschaftskandidaten zu verständigen. Ihre Stunde könnte bei den Parlamentswahlen im Oktober 2019 schlagen.

Wenn der lange Weg der Ukraine nach Westen unumkehrbar ist, darf er nicht von einem einzigen Wahlergebnis und dem Wechsel der Regierenden abhängig sein.

Fussnoten

Prof. Dr. Gerhard Simon ist Historiker. Er war Leitender Wissenschaftlicher Direktor des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln und lehrte an den Universitäten Köln und Bonn.