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Analyse: Bewaffnete Freiwilligenbataillone: Informelle Machthaber in der Ukraine | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Bewaffnete Freiwilligenbataillone: Informelle Machthaber in der Ukraine

Huseyn Aliyev

/ 8 Minuten zu lesen

Im Zuge des Euromaidans, der Krim-Annexion und dem Krieg im Donbass hat sich ein neuer Akteur auf die politische Bühne der Ukraine katapultiert: Bewaffnete Freiwilligenbatallione gewannen rasch an Macht. Doch wie weit reicht der Einfluss dieses informellen Akteurs und mit welchen Mitteln wird er durchgesetzt?

Kämpfer eines Freiwilligenbataillons stellen sich im Rahmen einer Zeremonie zur Entsendung in die Ostukraine auf. (© picture alliance/NurPhoto)

Zusammenfassung

Die politische Landschaft der postsowjetischen Ukraine ist geprägt durch eine Vielzahl informeller Machthaber, darunter Oligarchen, hochrangige "Problemlöser" und Akteure der organisierten Kriminalität. Der Euromaidan, die Annexion der Krim und der Beginn des Krieges im Donbass haben die politische Landschaft der Ukraine um einen weiteren einflussreichen informellen Akteur erweitert: bewaffnete Freiwilligenbataillone. Die Freiwilligenverbände – in der Ukraine als "Dobrobaty" oder "Wolontery" bezeichnet – wurden mobilisiert, um die staatlichen Sicherheitskräfte im Konflikt in der Ostukraine zu unterstützen. Mit dem Ende der schweren Kampfhandlungen im Donbass wandten sich die Freiwilligenverbände der Politik zu und wurden schnell zu einflussreichen sozioökonomischen und -politischen Akteuren. Ungeachtet der hohen Reputation, die sie während des Donbass-Konflikts genossen, setzen Freiwilligenbataillone ihre Ressourcen aktiv ein, um den Staat in seiner Rolle als Sicherheitsgarant und Hüter des Gemeinwohls herauszufordern. Sie sind jedoch nicht nur Herausforderer des politischen Regimes, sondern nutzen ihren Status auch, um mit informellen und illegalen Geschäften Profit zu machen.

Herausforderer des Poroschenko-Regimes von innen

Die ukrainischen Freiwilligenbataillone (formell "territoriale Verteidigungsbataillone") bildeten sich im Vorfeld der sog. Anti-Terror-Operation (ATO) im Donbass im Frühjahr 2014. Nur wenige Monate nach ihrer Entstehung wurden die meisten Freiwilligenbataillone als Spezialeinheiten entweder unter das Kommando der Nationalgarde oder des Innenministeriums gestellt. Die Kämpfer der Bataillone sind als Soldaten der ukrainischen Streitkräfte anerkannt und erhalten ihr Gehalt vom Staat. 2017 gab es 22 aktive Freiwilligenverbände in der Ukraine.

Ungeachtet dieses offiziellen Status’ konnten die Bataillone ihre Unabhängigkeit vom Staat weitgehend erhalten – durch eine autonome Finanzierung, Logistik, Administration und Rekrutierung. Sie setzen noch immer vor allem auf freiwillige Kämpfer und nicht auf Rekrutierungen durch die Wehrpflicht. Neben der staatlichen Förderung finanzieren sie sich über unabhängige Spenden und privates Crowdfunding.

Die Bataillone beziehen einen Teil ihrer Waffen und Ausrüstung über staatliche Lieferanten, aber auch über private Anbieter. Bei den Parlamentswahlen 2014 konnten sich einige Anführer der Freiwilligenbataillone einen Sitz im Parlament sichern. Die Gründer der Bataillone Asow (Andrij Bilezkyj), Rechter Sektor (Dmytro Jarosch), Ajdar (Serhyj Melnitschuk), Donbass (Semen Sementschenko) und Dnipro-1 (Jurij Beresa) wurden ins Parlament gewählt und erhielten dadurch Einfluss auf den politischen Prozess der Ukraine und politische Immunität.

Mit ihrem Einsatz bei den Kämpfen im Donbass haben sich die Freiwilligenbataillone das Image einer "Volksarmee" aufgebaut. In einer repräsentativen Umfrage des Rasumkow-Zentrums vom Juli 2018 sprachen 50 Prozent der Befragten den Freiwilligenbataillonen ihr Vertrauen aus.

Ihre Popularität und ihr offizieller Status als Teil der staatlichen Sicherheitskräfte ermöglichten es den Freiwilligen immer wieder die Poroschenko-Regierung herauszufordern und das staatliche Gewaltmonopol informell zu untergraben. Sie diskreditieren das Regime durch kritische Äußerungen ebenso wie durch direkte Aktionen. Die Anführer der Bataillone werfen der Regierung regelmäßig Korruption, Veruntreuung und den Verrat ukrainischer Interessen vor. So zum Beispiel der Anführer des Asow-Regiments, der Abgeordnete Bilezkyj, der während mehrerer Fernsehauftritte Poroschenkos Regierung Korruption vorwarf. Der Gründer des Donbass-Bataillons, Sementschenko, erhob ähnliche Vorwürfe und beschuldigte in einem TV-Interview Poroschenko und seine Minister der Korruption und "Terrorismusfinanzierung". Dmytro Jarosch vom Rechten Sektor ging noch weiter und sagte in einer populären Live-Talkshow, dass Poroschenko noch korrupter sei als der frühere Präsident Janukowytsch. Andere, insbesondere Mitglieder des Ajdar-Bataillons, das mit Gewalt demobilisiert wurde, drohten damit, dass sie die Regierung stürzen und den "Krieg nach Kiew tragen".

Die Bataillone werfen der Regierung nicht nur Korruption, eine pro-russische Haltung und schlechte Regierungsführung vor, sondern üben auch über Demonstrationen und Kundgebungen aktiv Druck aus. Seit den Maidan-Protesten 2013/14 nehmen Mitglieder der Freiwilligenbataillone regelmäßig an regierungskritischen Protestveranstaltungen teil. Allein 2016 waren Mitglieder von Asow und dessen politischen Arm Nationales Korps auf mehr als 30 Demonstrationen unterwegs und protestierten unter anderem gegen Holzexporte von der Ukraine in die EU, gegen die Geschäftstätigkeit russischer Banken in der Ukraine und gegen vermeintlich pro-russische Propaganda im staatlichen Fernsehen. Obwohl der Großteil dieser Proteste friedlich blieb, kam es in einigen Fällen zu Gewaltausbrüchen. So unterstützten z. B. im August 2015 Mitglieder des Sitsch-Bataillons hunderte Rechtsextremisten bei gewaltsamen Auseinandersetzungen vor dem Parlament. Bei den Protesten gegen das umstrittene Dezentralisierungsgesetz, das den von pro-russischen Separatisten kontrollierten Gebieten im Donbass größeren Autonomiestatus zusichern soll, warfen Kämpfer der Freiwilligenbataillone Molotowcocktails und Handgranaten auf die Polizei und töteten vier Sicherheitskräfte. Im Juni 2015 kam es in der westukrainischen Stadt Mukatschewe zu Kämpfen zwischen bewaffneten Rechtsextremen und der Polizei, bei denen neun Polizisten verletzt wurden. Während Sicherheitskräfte, die in den Vorfall verwickelt gewesen waren, von ihren Pflichten entbunden wurden, gab es für die beteiligten Mitglieder des Rechten Sektors keine ernsthaften Konsequenzen.

Bürgerwehren formieren sich

Neben der Teilnahme an Straßenprotesten versuchen Freiwilligenbataillone zusehends, die staatliche Sicherheitspolitik zu unterminieren, indem sie informell Aufgaben der Polizei übernehmen. Die berüchtigte "Nationale Miliz" wurde von Asow und seinem "Nationalen Korps" im Frühjahr 2017 gegründet, um in ukrainischen Städten zu patrouillieren und gegen Straßenkriminalität, öffentlichen Alkoholkonsum, Drogenhandel und andere "anti-ukrainische" Verbrechen vorzugehen. Die "Nationale Miliz" besteht aus mehr als 1.000 Mitgliedern und ist in 13 Regionen des Landes aktiv. Sie vereint ehemalige Kämpfer, neu angeworbene Nationalisten und, ausweislich der eigenen Internetpräsenz, "verantwortungsbewusste Bürger". Als Organisator neonazistisch anmutender Fackelmärsche in Kiew und anderen Großstädten genießt die Miliz einen gemischten Ruf: Einerseits geht sie gegen illegale Wilderer vor und leistet Erste Hilfe für ältere Menschen, gleichzeitig ist sie verantwortlich für die Zerstörung von Roma-Siedlungen und brutale Angriffe auf die Roma-Bevölkerung. Mitglieder von Asows "Nationaler Miliz" und der Sitsch-Nachwuchsorganisation C14 griffen in jüngerer Zeit vier Roma-Siedlungen in der Region Kiew und der Westukraine an. Ironischerweise erhielt C14 nach Berichten des Radiosenders "Hromadske" Zuschüsse vom Ministerium für Jugend und Sport für patriotische Bildung und den Kampf gegen Homophobie. Laut Human Rights Watch verübten Mitglieder der Nationalen Miliz, des Rechten Sektors und anderer Freiwilligenbataillone alleine im Jahr 2018 im gesamten Land mehr als 20 Angriffe auf ethnische Minderheiten, die LGBT-Community und Menschenrechtsaktivisten. Die Versuche der Bataillone, die Gerechtigkeit selbst in die Hand zu nehmen, sind eine große Herausforderung für die staatlichen Sicherheitskräfte, denen Ineffizienz und Korruption unterstellt wird. Bemerkenswert ist, dass die Nationale Miliz kurz nach der Gründung einer neuen Streifenpolizei entstand, die das Ergebnis einer großangelegten Polizeireform ist, die maßgeblich von der EU und den USA unterstützt wird. Mitglieder der "Nationalen Miliz" erklären in Interviews immer wieder, dass "die Polizei ihre Aufgaben nicht erfüllt".

Auftragsmorde

Ihr Zugang zu Waffen und ihre militärische Erfahrung machen Freiwilligenkämpfer zu begehrten Auftragskillern für konkurrierende Geschäftsleute, Oligarchen oder rivalisierende Politiker. Je nachdem, wer sie bezahlt, haben die Bataillone schon unterschiedliche Seiten in den kriminellen Fehden verschiedener informeller Machthaber eingenommen. Der Mordversuch an dem Abgeordneten Ihor Mosijtschuk sowie die tödlichen Attentate auf die tschetschenische Aktivistin Amina Okujewa, den belarussisch-russischen Journalisten Pawel Scheremet, den georgisch-tschetschenischen Kremlkritiker Timur Makhauri, den ehemaligen russischen Abgeordneten Denis Woronenkow und den ukrainischen Geheimdienstoffizier Maxim Schapowal sind nur die prominentesten Fälle, in die Mitglieder der Freiwilligenbataillone nachweislich oder mutmaßlich involviert waren. Auch das Attentat auf den im ukrainischen Exil lebenden russischen Journalisten und Kremlkritiker Arkady Babtschenko im Mai 2018 sollte von einem ehemaligen Bataillonsmitglied ausgeführt werden. Da einige der genannten Opfer zu bestimmten Bataillonen freundschaftliche Beziehungen pflegten, zu anderen hingegen nicht, könnten auch Konflikte zwischen den einzelnen Bataillonen bei der Auswahl der Opfer eine Rolle gespielt haben. Zudem scheinen finanzielle Erwägungen bei der Wahl der Opfer wichtiger gewesen zu sein als nationalistische Motive. Freiwillige Kämpfer waren auch in Auftragsmorde an weniger prominenten Personen verwickelt. Im November 2014 erhielten zwei Kämpfer des Donbass-Bataillons in der Nähe von Mariupol von ihrem Kommandanten den Befehl, einen Geschäftsmann zu ermorden – im Auftrag eines konkurrierenden Unternehmers. Für den Mord bekamen die beiden Freiwilligenkämpfer von ihrem Vorgesetzten zusammen 3.000 Hrywnja (ca. 100 Euro). Dass das Mordopfer eben dieses Freiwilligenbataillon mitfinanzierte, zeigt, dass nicht einmal Unterstützer der Bataillone sicher vor Mordanschlägen sind.

Skrupellose Unternehmer

Auftragsmorde sind nur eine Möglichkeit, wie sich Bataillonsmitglieder auf illegale Weise Geld beschaffen können. Oft werden sie auch für bewaffnete Überfälle und andere "Problemlösungen" engagiert. Der Rechtsanwalt Rostislaw Krawets von der Kanzlei "Krawets und Partner" sagt, die Preise für solche "Dienstleistungen" begännen bei 1.000 US-Dollar und seien abhängig davon, wie schwer der Auftrag und wie groß das Unternehmen sei. Seit 2017 schützen Freiwilligenbataillone gegen Bezahlung auch private Unternehmen vor Überfällen und Razzien. Die Website vesti.ukr berichtet, dass die Dienste eines Bataillonskämpfers etwa 1.000 Hrywnja (ca. 32 Euro) pro Tag kosten. Während einige Bataillone eigene private Sicherheitsfirmen gründeten, angegliedert an ihre Einheiten und in einer legalen Grauzone agierend, sind andere informell im Sicherheitssektor tätig und sowohl tagesweise als auch für langfristige Einsätze buchbar. Laut der Website Strana.ua gibt es etwa 30.000 aktive und ehemalige Bataillonsmitglieder, die regelmäßig informelle Sicherheitsdienstleistungen für Unternehmen und Privatpersonen anbieten. Bewaffnete Freiwillige schützen aber nicht nur Unternehmen vor Überfällen, sondern sind auch selbst an Überfällen beteiligt. Zum Beispiel engagierten die rechten Abgeordneten Dmytro Linko und Ihor Mosijtschuk Freiwilligenkämpfer für den Überfall auf ein Notariat und die gewaltsame Ablösung des Geschäftsführers des Kiewer Darnyzja-Einkaufzentrums.

Die informellen Sicherheitsdienstleistungen der Bataillone sind nicht nur bei kleinen und mittleren Unternehmen gefragt, sondern auch unter Oligarchen und Politikern. Wie der bekannte ukrainische Journalist Jurij Butusow berichtete, sind einige Bataillone, allen voran die Einheiten des Asow-Bataillons, eng mit dem informellen Finanznetzwerk der mächtigen Oligarchen Rinat Achmetow und Ihor Kolomojskij verbunden. Es ist bekannt, dass Asow an mehreren Unternehmen beteiligt ist, einschließlich einer eigenen Sicherheitsfirma, die ehemalige Kämpfer beschäftigt und unter anderem Geschäfte und Fabriken bewacht, die Achmetow gehören. Ebenso ist bekannt, dass Achmetow, Kolomojskij sowie der ebenfalls einflussreiche Oligarch Dmytro Firtasch den Rechten Sektor, Asow und andere große Freiwilligenbataillone finanzieren.

Fazit

Obwohl Freiwilligenbataillone sich als einflussreiche informelle Interessengruppen etabliert haben, versichern ukrainische Politiker der internationalen Gemeinschaft, dass die Bataillone – ungeachtet ihres positiven Images in der Bevölkerung – keine politische Macht sind. In der Tat zeigen Umfragen des Rasumkow-Zentrums, dass nur 0,5 Prozent der Bevölkerung den politischen Arm des Nationalen Korps und 0,3 Prozent die Partei Rechter Sektor unterstützen. TSN.ua geht allerdings davon aus, dass die mit Freiwilligenbataillonen assoziierten Parteien insgesamt auf etwa 12 Prozent der Stimmen kommen – selbst unter Berücksichtigung der Fünf-Prozent-Hürde könnten sie dann 40 Abgeordnete stellen und so einen eigenen Block im Parlament etablieren. Das zeigt, wie kurz davor die Freiwilligenbataillone stehen, zu formalen Machthabern zu werden. Trotz der Bemühungen der Anführer der Freiwilligenbataillone, ihre Position in der Legislative zu stärken, wird die Mehrheit der einfachen Kämpfer schlecht bezahlt und ist empfänglich für informelle und sogar illegale Jobs. Da die Bataillonskommandeure geschickt Lobbyarbeit betreiben, scheint die Entwaffnung oder die vollständige Legalisierung bewaffneter Freiwilligen­bataillone derzeit keine realistische Option. Aufgrund der stillschweigenden Unterstützung durch mächtige Figuren wie z. B. Innenminister Arsen Awakow bleiben die Bataillone unbehelligt. Eine Reihe ukrainischer Analysten halten die Bataillone daher auch für eine "Dritte Kraft", die eine Brückenfunktion zwischen der Regierung und den mächtigen informellen Netzwerken der Oligarchen und Gangsterbosse einnehmen. Trotz ihrer Kritik an der Regierung haben die Freiwilligenbataillone ein Interesse am Erhalt der bestehenden politischen Ordnung. Gleichzeitig wollen sie aber auch die gegenwärtige informelle Ordnung bewahren, die es ihnen ermöglicht, an finanzielle Mittel zu gelangen und die Unterstützung der Öffentlichkeit zu sichern.

Übersetzung aus dem Englischen: Dr. Eduard Klein

Lesetipps

  • Aliyev, Huseyn. "Strong militias, weak states and armed violence: Towards a theory of ‘state-parallel’ paramilitaries." Security dialogue 47.6 (2016): 498–516.

  • Käihkö, Ilmari. "A nation-in-the-making, in arms: control of force, strategy and the Ukrainian Volunteer Battalions." Defence Studies 18.2 (2018): 147–166.

  • Hunter, Montana. "Crowdsourced War: The Political and Military Implications of Ukraine’s Volunteer Battalions 2014–2015." Journal of Military and Strategic Studies 18.3 (2018).

Fussnoten

Huseyn Aliyev ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der School of Social and Political Sciences der Universität Glasgow. Er ist spezialisiert auf bewaffnete Konflikte, nichtstaatliche bewaffnete Akteure und informelle Praktiken.